Dramatischer Anstieg von Krebserkrankungen im Irak
Radioaktive Verseuchung des Landes wird ignoriert
Von Karin Leukefeld, Damaskus *
Drei Kriegsjahrzehnte im Irak haben das Zweistromland von einem einst blühenden und wirtschaftlich aufstrebenden Staat zu einem der giftigsten Länder der Erde gemacht. "Wasser, Luft und Erde sind durch ungefilterte Emissionen unzähliger Autos und Stromgeneratoren in den dicht besiedelten Großstädten, durch ungereinigte medizinische, militärische und industrielle Abfälle, durch Überdüngung und nicht entsorgten Militärschrott aus den Kriegen vergiftet", sagte die irakische Umweltministerin Narmin Othman kürzlich dem UN-Informationsnetzwerk IRIN. Radioaktiv verstrahlter Militärschrott aus den Jahren 1991 und 2003 sei bis heute nicht entsorgt, die einst Leben spendenden Wasseradern Euphrat und Tigris seien zu Abwasserkanälen für die Industrie und das Militär, für Haushalte und Krankenhäuser geworden.
Nun haben Ärzte in der Provinz Babil, südlich von Bagdad, Alarm geschlagen. Die Krebsfälle seien in den drei letzten Jahren um das Zehnfache angestiegen berichtete der arabische Nachrichtensender Al Dschasira. 2004 wurden 500 neue Krebsfälle diagnostiziert, 2006 hatte sich die Zahl bereits auf fast 1000 verdoppelt. 2008 wiederum habe sich die Zahl der Krebsfälle auf 7000 versiebenfacht und allein seit Anfang 2009 seien mehr als 9000 neue Fälle aufgetreten, berichteten lokale Ärzte. Ein WHO-Bericht über den Irak (2006) erwähnt Krebserkrankungen nicht, das irakische Gesundheitsministerium hüllt sich in Schweigen.
Experten führen die hohen Krebszahlen im Irak auf den Einsatz von uranabgereicherter Munition (DU: Depleted Uranium) zurück, die von dem US-geführten Militärbündnis im Golfkrieg 1991 und bei der Invasion 2003 Tonnenweise eingesetzt wurde. Schon vor der Invasion 2003 waren die Krebserkrankungen in den südlichen irakischen Provinzen Basra, Muthanna, Dhiquar, Maysan und Wasit sehr hoch, was von der Weltgesundheitsbehörde (WHO) zwar anerkannt, deren Ursache aber nie untersucht worden waren. 1991 und 2003 erfolgten die Angriffe auf Irak über die südliche Grenze von Kuwait bzw. Saudi Arabien und auch der achtjährige Iran-Irakkrieg (1980-88) hat in den südöstlichen iranisch-irakischen Grenzgebieten deutliche Spuren hinterlassen, wie die Autorin selber bei Recherchen in den Jahren 2003 und 2004 sehen konnte: verbrannte Dattelpalmenhaine, graues, kahles Land erstreckte sich zum südlichsten Grenzposten bei Basra, man meinte eher auf dem Mond zu sein, als im einstigen Zweistromland. Sowohl Iran als auch Irak setzten während des Krieges Giftgas ein, was auf beiden Seiten zu hohen Verlusten führte. Der Antrag Iraks bei den Vereinten Nationen, eine unabhängige Untersuchung der Krebserkrankungen im Südirak durchzuführen, scheiterte nach vielem Hin und Her an der Frage der Kostenübernahme. Ein interner Bericht der WHO-Vertretung in Bagdad, der offenbar einen direkten Zusammenhang mit dem Anstieg von Krebserkrankungen und der eingesetzten DU-Munition im Golfkrieg 1991 herstellen konnte, wurde unter Verschluss gehalten.
Eine Untersuchung der Internationalen Atomenergiebehörde, IAEA aus dem Jahr 2002 in Kuwait konnte einen Zusammenhang zwischen DU-Munition und radioaktiver Verseuchung nicht feststellen. Allerdings wurde noch 2008 hoch verstrahltes Material von US-Basen aus Kuwait aufwendig zur Entsorgung in die USA abtransportiert. Das US-Militär weist zwar jede Verantwortung für die hohe Krebsrate infolge von DU-Munition zurück, gesteht gleichwohl ein, die eingesetzten Soldaten regelmäßig einer medizinischen Kontrolle zu unterziehen. 2005 veröffentlichte das UN-Umweltprogramm (UNEP) eine Studie, in der 311 Orte im Irak aufgelistet werden, die durch abgereichertes Uran verseucht seien, die Reinigung würde Jahre dauern.
Der britische Wissenschaftler Christopher Busby, der den Darmkrebstod des britischen Golfkriegsveteranen Stuart Dyson im Auftrag seiner Angehörigen untersucht hatte, wies kürzlich die eindeutige Verbindung zwischen Krebserkrankung und DU-Munition nach. Dyson war im Juni 2008 gestorben. Ein Geschworenengericht, vor dem Busby seine Analyse darlegte, erklärte im September 2009 offiziell, dass der Soldat an den Folgen von DU-Munition gestorben war, der er selber während seines Einsatzes ausgesetzt war. 2007 waren zwei australische Soldaten, die während des Krieges 1991 im Irak eingesetzt waren, positiv auf abgereichertes Uran getestet worden. Das Ergebnis eines deutschen Labors wurde allerdings von der australischen Regierung nicht anerkannt, weil die australischen Truppen offiziell keine DU-Munition eingesetzt hätten, hieß es.
Gerechtigkeit erfahren auch die irakischen DU-Opfer nicht, weder von den verantwortlichen Militärs, die den Einsatz der radioaktiven Munition befahlen, noch von der irakischen Regierung, die fast sieben Jahre nach der Invasion 2003 nicht einmal die Basisversorgung mit Strom, Wasser, Arbeit, Wohnungen und medizinischer Versorgung für die Menschen sicherstellen kann. Die Verbreitung der radioaktiven Strahlungsquellen wie Militärschrott, der von den Menschen oft unwissentlich nach Ersatzteilen und veräußerbaren Bestandteilen auseinandergenommen wird, ist außer Kontrolle geraten. Die steigende Zahl von Sandstürmen, die das Land oft stundenlang unter dichten Sandwolken verschwinden lassen, sorgen für weitere Verbreitung von tödlich verstrahlter Erde, Vieh und Fische, die von dem verstrahlten Gras oder Wasser leben, bringen den Tod in den Nahrungskette.
Eine Studie der Gesundheitsbehörde von Basra hat Anfang 2009 zwischen 2001 und 2008 allein 340 Fälle von Leukämie (Blutkrebs) registriert. 1988 waren es 17 Fälle, 1997 waren es 93 Fälle, erklärte der Leiter der Behörde, Kusai Abdul Latif Aboud dem UN-Informationsnetzwerk IRIN. Der Anteil von Uran im Boden der Provinz Basra sei von etwa 70 Becquerel (Bq) pro Kilogramm Erde im Jahr 1991 auf 10.000 Bq/kg Erde 2009 angestiegen. In Gegenden, wo Militärschrott herumliege, seien die Bq-Werte im Boden auf bis zu 36.205 angestiegen.
In einem Brief an die Generalversammlung der Vereinten Nationen haben vor wenigen Tagen irakische Ärzte und Menschenrechtsaktivisten eine Anerkennung der radioaktiven Verseuchung Iraks und eine unabhängige Untersuchung gefordert. Die Besatzungstruppen müssten die verseuchten Orte reinigen, sowohl vom abgereicherten Uran, als auch von den Überresten des Weißen Phosphor, der neben DU-Munition massiv beim Angriff auf Falludscha (2004) eingesetzt worden war. Junge Frauen in Falludscha hätten Angst, Kinder zu bekommen, weil immer mehr Neugeborene ohne Kopf oder mit zwei Köpfen, mit einem Auge auf der Stirn, ohne Gliedmaßen oder mit anderen grotesken Missbildungen zur Welt kämen. Immer mehr Kinder erkrankten zudem an Krebs, vor allem an Leukämie, heißt es in dem Brief. Von 170 Neugeborenen im Allgemeinen Krankenhaus von Falludscha im September, seien 24% innerhalb von sieben Tagen gestorben, 75% der Verstorbenen seien missgebildet gewesen. Als Vergleich verweisen die Autoren des Briefes auf den August 2002. Damals wurden (in Falludscha) 530 Kinder geboren, von denen sechs innerhalb einer Woche starben. Eines der toten Kinder sei missgebildet gewesen. (Wortlaut: www.unobserver.com)
Abgereichertes Uran ist ein Abfallprodukt aus dem Urananreicherungsprozess. Menschen können es einatmen oder nehmen es mit der Nahrungskette auf. Militärisch wird es eingesetzt, um Panzer, Bunker oder besonders gehärteten Stahl zu brechen. Menschenrechtsorganisationen fordern eine Ächtung der DU-Munition.
* Eine gekürzte Version dieses Beitrags erscheint am 16. Oktober 2009 im "Neuen Deutschland".
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