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Bomben auf Irak, das Völkerrecht und die Bundesregierung

Zwei Kommentare von Johannes M. Becker und Luz María Destéfano de Lenkait

Nichts Neues in der deutschen Aussenpolitik?

Von Johannes M. Becker*

Wieder einmal hat eine deutsche Regierung den Kotau vor den USA gemacht. Außenminister Fi-scher hat sich bei seinem USA-Besuch zustimmend über die jüngsten Bombardements der USA und Großbritanniens im Irak geäußert.

Dies wäre keiner großen Erwähnung wert, wenn Deutschland nicht seit stark zwei Jahren von ei-ner neuen Bundesregierung geführt würde. Noch vor wenigen Jahren, als die Parteien der rosa-grünen Berliner Regierung in der Opposition waren, haben beide regelmäßig gegen das Vorgehen vor allem der USA protestiert, die GRÜNEN haben sich auch mit Analysen über das imperialisti-sche Weltpolizisten-Gehabe der USA nicht zurückgehalten. Heute kommt die Kritik gegen die US-Politik aus dem Ausland. Vor allem Frankreich mit seinem gaullistischen Staatspräsidenten Chirac auf der einen, mit der Regierung der "pluralistischen Linken" auf der anderen Seite kriti-sieren die fortwährende Verletzung des Völkerrechts durch die NATO-Partner USA und Groß-britannien.

Warum handelt die Regierung Schröder/Fischer so? Warum nach der Beteiligung am Bombarde-ment gegen Jugoslawien dieser erneute Kotau vor der US-Politik? Warum erneut eilige Zustim-mung ohne Not? Warum das Brüskieren Russlands, warum die Ignoranz gegenüber den Interessen des engsten westeuropäischen Verbündeten, eben Frankreich? Nicht nur dort, auch hierzulande wird bis weit in konservative Kreise hinein die US-Politik der Flugverbotszonen und das mit de-ren Verletzung legitimierte Bombardement der US-Luftwaffe als völkerrechtswidrig, als nicht durch die Irak-Resolutionen des UN-Sicherheitsrates gedeckte Alleingänge kritisiert. In Paris ist die Verwunderung um so größer, als sich die Bundesregierung doch gerade einzulassen begonnen hatte auf die französischen Pläne einer von der NATO unabhängigen Militarisierung der Europäi-schen Union.

Erklärungen für das Verhalten Schröders und Fischers wie auch ihrer Berater und ihrer Parteiba-sen (man höre sich nun die gequälte Zustimmung der grünen Basis an...) fallen - neben dem Ar-gument der Korrumpierung durch Teilhabe an der Macht - schwer. Bis heute hat die rosa-grüne Koalition kein Wort des Bedauerns über ihre Kriegspolitik gegen Jugoslawien über die Lippen gebracht, obwohl die Liste der Lügen über diesen Krieg und die angeblichen unausweichlichen Kriegsanlässe wöchentlich länger wird. "Nur keine Fehler bekennen" und "Durchhalten an der Seite von USA und NATO" scheint die Devise zu sein. Dabei wäre das Bekenntnis eines Irrtums heute um so leichter, betrachtet man sich den absolut desolaten Zustand der Berliner Opposition. Zum zweiten will man in Berlin einerseits sehr wohl nicht auf eine Militarisierung der EU ver-zichten, aber man will gerade Frankreich deutlich machen, dass man sich nun nicht im US-kritischen Lager befindet, dass man sich nicht ohne Gegenleistung einer möglichen Dominanz des atombewaffneten (!) Frankreich innerhalb der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU unterwerfen wird.

Und da macht man auch die Augen zu vor Verletzungen des Völkerrechts sowie vor einer weite-ren Demontage der UNO und der Befugnisse seines Sicherheitsrates.

* Privatdozent Dr. Johannes M. Becker lehrt Politikwissenschaften an der Philipps-Universität.

Die Weltstaatengemeinschaft vor dem aggressiven Verhalten einer Weltmacht

Von Luz María Destéfano de Lenkait*

Das UNO-Generalsekretariat ist herausgefordert, Optionen im Sicherheitsrat zur Diskussion zu stellen, um eine umfassende politische Lösung für den Irak nach mehr als zehn Jahren mangelnder Politik endlich zu ermöglichen und zu fördern. Dazu muß sich der Sicherheitsrat zusammensetzen und sich äußern, gegebenenfalls gegen den Willen der USA und Großbritanniens.

Amerikanische und britische Bomben haben jetzt und während des ganzen letzten Jahrzehnts alles im Irak zerstört, auch die konstruktive Arbeit der Vereinten Nationen in der Vergangenheit. Die Möglichkeit einer umfassenden politischen Lösung für den Irak bleibt von der größten Macht der Welt blockiert. Sie versucht sich immer wieder durchzusetzen mit der tauben Sprache der Gewalt: Mit der mörderischen und feigen Brutalität ihrer modernen Waffen.

Nicht nur der Irak, sondern die Vereinten Nationen selbst sind daher geschlagen worden. Gerade wegen des damit verbundenen Autoritätsverlust der Vereinten Nationen ist es notwendig, daß die Völkerrecht brechenden Mitglieder, die Vereinigten Staaten von Amerika und das Vereinigte Königreich, ermahnt werden und ihr Völkerrechtsbruch verurteilt wird. Das ist eine notwendige Maßnahme, sowohl im Sicherheitsrat wie in der Generalversammlung, um einer verletzten Nation angemessene Genugtuung zu gewähren, ein internationales Rechtsbewußtsein zu manifestieren und alle Anschläge auf das internationale Recht, auch für die Zukunft, zurückzuweisen. Auf diese Weise wäre die Autorität der Vereinten Nationen wiederhergestellt. Es wird sich zeigen, ob die europäischen Staaten daran ein Interesse und Mut dazu haben.

Die Bundesregierung lehnt eine klare öffentliche Stellungnahme zu den Luftangriffen Amerikas und Großbritanniens im Nahen Osten ab. Ihr Schweigen ergibt sich aus fehlender Konzeption in der Außenpolitik, aus fehlender Rechtskultur und Begrifflichkeit, was Institutionen, nicht Personen angeht. Man darf die internationalen Beziehungen nicht personalisieren. Der Präsident Amerikas ist eine Institution, keine Person. Als Institution muß er sich an internationale Regeln halten wie jede Institution anderer Staaten. Sonst muß die Person, die eine solche Institution repräsentiert, zurücktreten oder vor Gericht Rechenschaft ablegen. Außenpolitik heißt, internationale Handlungen und Tatsachen zu beurteilen und dazu Stellung zu nehmen. So zeigt Außenpolitik Konturen, wird sie erkennbar. Es sind die internationalen Handlungen, das Objekt der Außenpolitik, nicht das persönliche. Weder Saddam Hussein noch George Bush müssen fokussiert werden, sondern ihre außenpolitischen Handlungen. Hier sind die Richtlinien, der Inhalt, die Substanz jeder Politik zu messen.

* Juristin und Diplomatin a.D.

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