Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Neue Koalitionen im Irak

Al-Maliki und Al-Sadr proben Bündnisse auf Lokalebene. US-Besatzer verhandeln mit Exmilitärs über Rückkehr aus Exil

Von Joachim Guilliard *

Die Bewegung des populären schiitischen Geistlichen Muqtada Al-Sadr ist zu den Provinzwahlen im Irak nicht angetreten, sondern hat zur Unterstützung unabhängiger Listen aufgerufen, auf denen auch Sadr-nahe Kandidaten vertreten sind. Dies allein hat schon einen guten Teil der Anhänger Al-Sadrs davon abgehalten, im vergangenen Monat zu den Urnen zu gehen. Zudem sah sich die Führung der Bewegung gezwungen, aus Sicherheitsgründen erst kurz vor der Wahl bekanntzugeben, welche Listen sie unterstützt.

Al-Sadr hatte den Verzicht auf eigene Listen bereits im Juni des vergangenen Jahres angekündigt. Zum einen wollte er so die direkte Konfrontation mit der Regierung Nuri Al-Malikis beenden. Die guten Wahlchancen seiner Bewegung waren ein wesentliches Motiv für die militärischen Angriffe von Regierungs- und Besatzungstruppen auf seine Hochburgen im Frühjahr 2008 gewesen. Auf Druck der US-Führung hatte der »Nationale Sicherheitsrat« des Irak zudem angekündigt, der Bewegung die Zulassung zu den Wahlen zu verweigern. Zum anderen trug Al-Sadr damit aber auch der generellen Skepsis unter seinen Anhängern – vor allem in den schiitischen Armenviertel der Hauptstadt Bagdad und der südirakischen Ölmetropole Basra – gegenüber der Teilnahme am »politischen Prozeß« Rechnung.

Militärisch war zwar Al-Maliki aus den Offensiven als Sieger hervorgegangen. Nach Abschluß der Waffenstillstandsabkommen mit Al-Sadr, über deren Inhalt wenig bekannt wurde, begann der Premier jedoch, einen guten Teil dessen umzusetzen, was sein populärer Kontrahent schon lange von ihm forderte. So war die Weigerung Al-Malikis, einen verbindlichen Zeitplan für den Abzug der Besatzer auf die Tagesordnung zu setzen, der Hauptgrund der Bewegung Al-Sadrs, aus der sogenannten Einheitsregierung in Bagdad auszutreten. Nun machte Al-Maliki einen solchen Zeitplan zur entscheidenden Vorbedingung für ein Stationierungsabkommen mit den USA, das schließlich Ende 2008 unterzeichnet wurde. Al-Maliki wandte sich zudem auch aktiv gegen die Autonomiebestrebungen der schiitischen SIIC-Partei im Südirak und wehrte – z.T. sogar unter Einsatz von Regierungstruppen – territoriale Ansprüchen der Kurden im Norden ab.

Dies war nicht nur eine Gegenleistung für das Stillhalten Al-Sadrs. Er kam so auch der grundlegenden Stimmung im Land entgegen und machte den Weg zu neuen Bündnissen frei. Im Süden sicherte sich der Regierungschef z.B. die Unterstützung nationalistischer Stammesführer. Al-Maliki gründete Stammesräte und -milizen nach dem Vorbild der sunnitischen »Awakening-Bewegung« und versorgte diese mit erheblichen Summen aus der Staatskasse. Berichten zufolge sollen insgesamt 100 Millionen US-Dollar an Al-Malikis neue Verbündete geflossen sein.

Nach Informationen irakischer Medien geht Al-Maliki nun in den Provinzen mit den Sadr-nahen Listen Koalitionen ein. Daneben bemüht er sich offenbar auch darum, Unterstützung aus dem Umfeld ehemaliger baathistischer Offiziere zu bekommen. So bietet er ihnen eine Rückkehr in ihre früheren Jobs in der Armee an. Indem sich Al-Maliki nun für Verfassungsänderungen einsetzt und für ein Ende des ethnisch-konfessionellen Proporzes, dem entsprechend seit der US-Invasion 2003 alle wichtigen Posten besetzt werden, hofft er, auch die Unterstützung anderer nationalistischer Kräfte zu bekommen. Diese wird er vielleicht auch bald benötigen. Denn selbstverständlich setzten die Parteien, die am meisten vom jetzigen System profitieren, alles daran, dieses zu erhalten. Die Kurdenparteien, der SIIC und die Islamische Partei arbeiten seit längerem daran, Al-Maliki durch ein Mißtrauensvotum zu stürzen. Vermutlich erhalten sie nun dabei Unterstützung vom ersten Interimspremier, dem CIA-Mann Ijad Allawi. Dieser unterstützte in letzter Zeit die nationalistische Opposition, scheint nun aber, wie Koalitionsgespräche mit dem SIIC und ein Treffen mit Großajatollah Ali Al-Sistani andeuten, bereit, die Seiten zu wechseln.

Bisher haben die USA alle Versuche, Al-Maliki auszubooten, sehr schnell beendet. Noch ist nicht klar, ob ein Kurswechsel Allawis von US-Seite jetzt gefördert wird, weil Al-Maliki Washington zu eigenmächtig wird. Oder ob Allawi nun Chancen sieht, selbst zum »starken Mann« in Bagdad aufzusteigen. Gegenwärtig deutet mehr daraufhin, daß die Besatzungsmacht weiterhin auf ihren Premier setzt und auch nach wie vor die Fäden in der Hand hält: So führen die Gespräche mit den einstigen baathistischen Offizieren nicht etwa Vertreter Al-Malikis. Eine US-Delegation traf sich zwei Wochen lang mit den geschaßten hochrangigen Militärs in Amman, um mit ihnen ausführlich über ihre Bedingungen für eine Rückkehr und ihre Vorschläge für eine Neustrukturierung der irakischen Sicherheitskräfte zu erörtern.

* Aus: junge Welt, 27. Februar 2009

Besatzeragenda

Obama verzögert Truppenrückzug

US-Präsident Barack Obama wird die US-Kampftruppen später aus dem Irak abziehen als im Wahlkampf angekündigt. Die neue Regierung in Washington lancierte in US-Medien in dieser Woche die neue Frist von 19 Monaten. So berichtete die Zeitung New York Times, Obama plane einen Abzug der Soldaten aus dem Irak bis August 2010, drei Monate später als ursprünglich versprochen. Tatsächlich sollen auch nach dem angekündigten Rückzug bis zu 50000 der jetzt 140000 amerikanischen Soldaten im Irak stationiert bleiben – „um die Ausbildung der einheimischen Sicherheitskräfte zu unterstützen“, wie es im Pentagon-Sprech heißt. Ohnehin kommen nicht alle Soldaten nach Hause in die Heimat. Im Gegenzug zum Truppenrückzug am Golf sollen rund 30000 weitere US-Soldaten nach Afghanistan geschickt werden.

Die Kriegseinsätze im Irak und in Afghanistan werden die USA in den Jahren bis 2013 mehr als 400 Milliarden Dollar kosten. Ein ranghoher Regierungsvertreter sagte Donnerstag in Washington, allein in diesem Jahr werde mit Ausgaben von 140 Milliarden Dollar gerechnet. Im Haushaltsjahr 2010, das am 1. Oktober beginnt, werde der Einsatz der US-Soldaten in beiden Ländern 130 Milliarden Dollar kosten. Für die Jahre bis 2013 rechne die Regierung mit Aufwendungen von jährlich 50 Milliarden Dollar. Für das laufende Haushaltsjahr hat der Kongreß bereits etwa die Hälfte der veranschlagten Mittel für den Irak und Afghanistan gebilligt. Der unter der Bedingung der Anonymität sprechende Regierungsvertreter kündigte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters an, die Regierung werde im Parlament weitere 75 Milliarden Dollar beantragen. Am heutigen Freitag will US-Präsident Obama seine Pläne für den Kriegseinsatz in beiden Ländern verkünden. (AP/AFP/jW)




Zurück zur Irak-Seite

Zurück zur Homepage