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Territoriale Ansprüche

Die Kurdenparteien PUK und KDP wollen die nordirakische Ölmetropole Kirkuk ihrem Herrschaftsbereich angliedern. Selbst die Kommunisten machen mit

Von Joachim Guilliard *

Einer der schärfsten innerirakischen Konflikte ist der Streit um kurdische Gebietsansprüche. Die seit 1991 bestehende Autonomie der drei überwiegend kurdischen Nordprovinzen, die mittlerweile die Autonome Region Kurdistan im Irak bilden, wird weithin akzeptiert. Die »Patriotische Union Kurdistans« und die »Demokratische Partei Kurdistans« teilen sich die Herrschaft über die Region. Strittig ist indes das Ausmaß an staatlichen Hoheitsrechten, die PUK und KDP für sich reklamieren – das reicht von einer eigenen Armee, über eine eigene Zollpolitik bis zur Vergabe von Ölförderungslizenzen an ausländische Konzerne.

Weit mehr Sprengstoff bietet das Bestreben der Kurdenparteien, Teile benachbarter Provinzen ihrem Herrschaftsbereich anzugliedern. Es handelt sich dabei um einen bis zu 100 Kilometer breiten Streifen, der sich südlich der autonomen Region von der syrischen bis zur iranischen Grenze erstreckt. Er umfaßt Kirkuk sowie Teile von Mosul – überwiegend Gebiete mit klaren arabischen, turkmenischen und assyrischen Bevölkerungsmehrheiten. Dieser Streifen steht schon seit April 2003 weitgehend unter kurdischer Kontrolle, als Peschmergaverbände an der Seite der US-geführten Invasionstruppen einmarschierten.

Besondere Bedeutung kommt dabei der Provinz um Kirkuk zu, in der das Gros der nordirakischen Ölressourcen liegt. Erst die Kontrolle dieser Ölvorräte würde den von den Barsani- und Talabani-Clans geführten Parteien eine solide wirtschaftliche Basis für die Unabhängigkeit ihrer kurdischen Region verschaffen.

Die Auseinandersetzung um Kirkuk hätte fast das neue Wahlgesetz und damit die Wahlen vom vergangenen Wochenende torpediert. Da sich die demographischen Verhältnisse in dieser Provinz seit 2003 massiv und unüberschaubar verändert haben, sollte ein Quotensystem allen Bevölkerungsgruppen eine Repräsentanz sichern, die ihrem traditionellen Bevölkerungsanteil entspricht. Dies scheiterte jedoch am kompromißlosen Widerstand der Kurden, die auch die Verwendung eines zweifelhaften neuen Wahlregisters durchsetzten. Dieses weist einen erstaunlichen Anstieg von 400000 Wählern, die 2004 registriert wurden, auf 900000 in diesem Jahr auf.

Die Kurdenparteien, die Verwaltung und Polizei Kirkuks kontrollieren, sorgen seit 2003 für einen großen Zustrom kurdischer Neubürger, während viele nichtkurdische Familien durch Schikanen und Terror vertrieben wurden. PUK und KDP rechtfertigen dies als »Wiedergutmachung« der angeblichen Vertreibungs- und Arabisierungspolitik Saddam Husseins. Im Rahmen des Krieges zwischen Kurden und irakischer Zentralregierung kam es zwar auch zu Vertreibungen, deren Ausmaß wird jedoch stark übertrieben. Nachforschungen des US-Historikers Dilip Hiro zufolge stellten Kurden nie mehr als ein gutes Drittel der Bevölkerung. Nachdem ab den 1930er Jahren zunächst kurdische Arbeiter in das wachsende industrielle Ballungsgebiet Kirkuk zogen, waren es ab 1960 Araber aus den ländlichen Gebieten des Südens. 1957 war die Mehrheit in der Stadt noch turkmenisch, 1977, also noch bevor Saddam Hussein irakischer Regierungschef wurde, stellten Araber 45 Prozent der Bevölkerung.

Nicht nur die lokalen nichtkurdischen Bevölkerungsgruppen widersetzen sich den territorialen Ansprüchen der Kurden, auch die überwiegende Mehrheit der Iraker im Rest des Landes ist strikt gegen eine Abspaltung dieser Gebiete. Unterstützung erhielten PUK und KDP nur vom Obersten Islamischen Rat im Irak (ISCI), einer der beiden schiitischen Regierungsparteien, die eine ähnlich unabhängige schiitische Region im Süden anstrebt, sowie der Kommunistischen Partei des Irak. Letztere hat die Sezession des kurdischen Landesteils bereits seit langem vollzogen. Die KP Kurdistan-Irak trat bei den jüngsten Wahlen wieder in Allianz mit PUK und KDP an, deren Clans das Autonomiegebiet fest im Griff haben, und nicht etwa auf der fortschrittlichen Liste Goran (Wandel). Die KP des übrigen Iraks, bisher als einzige nicht ethnisch-konfessionelle Partei im Kabinett Nuri Al-Malikis verblieben, ist auf einer eigenen Liste angetreten. Chancen auf einen Sitz im Parlament werden ihr nicht eingeräumt.

* Aus: junge Welt, 15. März 2010


»Nicht alle Araber sollen Kirkuk verlassen«

»Umsiedlung« der Bevölkerung bleibt auf der Agenda. Gespräch mit Pakshan Zangana und Goran Hussein **

Pakshan Zangana kandidierte bei den Parlamentswahlen auf der Liste der Kurdistan-Allianz für die Kommunistische Partei Kurdistan-Irak. Goran Hussein ist Generalsekretär der KP Kurdistan-Irak in der Provinz Sulaimania.

Noch sind nicht alle Stimmen ausgezählt: Gesetzt, Sie ziehen als Kandidatin der Kurdistan-Liste in das neue Parlament in Bagdad ein, wofür werden Sie als kurdisch-irakische Kommunistin eintreten?

Pakshan Zangana: Wir haben natürlich ein Programm der Kurdistan-Allianz, die aus zwölf Parteien besteht. Als Kommunistische Partei vertreten wir die Position, daß viele Probleme der vergangenen Jahre gelöst werden können, wenn der Irak wirklich demokratisch und föderal wird. Eine föderale irakische Demokratie ist eine gute Grundlage für die Entwicklung Kurdistans.

Der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) Masud Barsanis und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) Dschalal Tala­banis, die beide zu Ihrer Liste gehören, wird – wie auch der noch amtierenden Regierung in Bagdad – Korruption vorgeworfen. Sind solche Bündnispartner kein Problem für Sie?

Zangana: Natürlich ist Korruption ein Problem. Um sie in Zukunft zu vermeiden, brauchen wir klare gesetzliche Grundlagen für einen nationalen Haushalt und öffentliche Ausgaben.

In den kurdischen Gebieten im Irak gibt es die Peschmerga von PUK und KDP, die andere Parteien als Miliz bezeichnen. Wie stehen Sie dazu?

Zangana: In unserem Programm wird schon lange gefordert, daß die Peschmerga unter die Kontrolle der irakischen Regierung gestellt und in die nationale Armee eingegliedert werden sollen.

Dann gibt es aber doch eine Reihe von Widersprüchen, die Ihre Partei mit KDP und PUK hat. Warum sind sie dennoch auf einer gemeinsamen Liste zu den Wahlen angetreten?

Zangana: Ursprünglich wollten wir mit allen säkularen Parteien im Irak auf einer gemeinsamen Liste zu den Wahlen antreten. Aber wir konnten es nicht umsetzen. Dennoch werden wir in Bagdad mit den säkularen Parteien eng zusammenarbeiten.

Welche Position nimmt Ihre Partei zu Kirkuk ein? Es gibt Forderungen, Artikel 140 der unter US-Besatzung ausgearbeiteten irakischen Verfassung, also das Referendum und die »Umsiedlung« der Bevölkerung aufzugeben. Sind Sie auch der Meinung, daß die Verfassung in dieser Hinsicht überarbeitet werden sollte?

Goran Hussein: Nein, wir stehen hinter dem Artikel 140 der Verfassung. Allerdings wollen wir nicht, daß alle Araber Kirkuk verlassen sollen. Viele Araber leben seit langem in Kirkuk, es ist ihr Recht, dort zu bleiben, Kirkuk ist ihre Heimat. Diejenigen aber, die unter Saddam Hussein zwangsumgesiedelt wurden, also Kurden aus Kirkuk nach Bagdad und Araber aus dem Süden nach Kirkuk, diese Zwangsumsiedlung muß wieder rückgängig gemacht werden.

Zangana: Es gab viele Kurden, die unter Saddam Hussein vertrieben wurden, und dann wurde die Zahl der Araber in der Stadt erhöht. Das war Unrecht und muß rückgängig gemacht werden. Wenn aber Kurden aus Kirkuk in Sulaimania oder Chamchamal oder wo auch immer bleiben möchten, können und dürfen sie natürlich nicht gezwungen werden, nach Kirkuk zurückzukehren.

Programm und Praxis Ihrer Partei bezieht sich auf die kurdischen Gebiete und den Irak, wie stehen Sie zur staatlichen Unabhängigkeit der Kurden?

Zangana: Die Kurden haben als Volk das Recht auf nationale Selbstbestimmung, das hat schon Karl Marx gesagt, und so steht es in unserem Parteiprogramm. Es gibt allerdings derzeit kein politisches Klima für eine kurdische Unabhängigkeit. Weder der Irak, noch Syrien, nicht die Türkei und auch nicht Iran werden eine kurdische Unabhängigkeit zulassen. Also ist es besser für Kurdistan, die Beziehungen mit Bagdad zu verbessern und im Irak zu verbleiben.

Hussein: Das heißt nicht, daß wir nicht weiter die kurdische Unabhängigkeit verfolgen, aber wir müssen realistisch sein. Wir planen einen regelmäßigen Austausch mit den kurdischen kommunistischen Parteien der anderen Länder hier im autonomen Kurdistan Irak, um die Einheit vorbereiten, aber es gibt noch viel zu diskutieren.

Interview: Karin Leukefeld, Sulaimania

** Aus: junge Welt, 15. März 2010


Nach der Wahl

Koalitionssuche im besetzten Irak ***

Noch sind die Stimmen der Parlamentswahl im US-besetzten Irak nicht ausgezählt, die Meldungen über Fälschungen reißen nicht ab. Und doch führt das Wahlbündnis von Ministerpräsident Nuri Al-Maliki bereits Gespräche über eine mögliche Regierungsbildung in Bagdad. Al-Malikis Rechtsstaatsallianz habe eine fünfköpfige Verhandlungsgruppe für die Gespräche mit anderen Parteien gebildet, sagte der Abgeordnete Abbas Al-Bajati am Samstag der Nachrichtenagentur AFP in der irakischen Hauptstadt. Die Al-Maliki-Vertreter haben sich demnach bereits mit Politikern von vier Parteien getroffen, die bei der Abstimmung am 7. März »gut abgeschnitten« hätten. Drei von ihnen sind demnach auch mit einer erneuten Kandidatur Al-Malikis für das Amt des Ministerpräsidenten einverstanden.

Die politischen Rivalen berieten in Erbil über eine Koalition ohne Al-Maliki. So trafen sich der frühere irakische Regierungschef Ijad Allawi und der sunnitische Vizepräsident Tarek Al-Haschemi mit dem Präsidenten der autonomen Kurdenregion, Massud Barsani (KDP), und dem Chef des konkurrierenden Kurdenclans und irakischen Präsidenten Dschalal Talabani (PUK).

Teilergebnissen zufolge zeichnet sich ein Zweikampf zwischen den Bündnissen von Al-Maliki und Allawi ab, bei dem Maliki am Samstag jedoch deutlich in Führung lag. Er lag nach Angaben der Wahlkommission in fünf schiitischen Provinzen im Süden des Landes (Nadschaf, Babylon, Muthanna, Kerbela, Basra) und in der Hauptstadt Bagdad vorn, wo mit Abstand die meisten Parlamentssitze zu vergeben waren. Allawi führte in drei sunnitischen Provinzen nördlich von Bagdad (Salaheddin, Dijala und Ninive).

Das Gesamtergebnis wird Mitte der Woche erwartet, das offizielle Endergebnis soll aber erst Ende März feststehen. Am vergangenen Freitag hatte Allawis Wahlbündnis von »unverhohlenem Betrug« zugunsten der Partei Al-Malikis gesprochen. (AFP/jW)

*** Aus: junge Welt, 15. März 2010


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