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Kirkuk bleibt ein Zankapfel

UN-Bericht über die Lage im Norden Iraks

Von Karin Leukefeld *

Nach mehr als einjähriger Arbeit hat UNAMI, die UN-Unterstützungsmission für Irak, einen Bericht über die »umstrittenen Gebiete« im Norden des Landes vorgelegt. Man habe ihn Ministerpräsident Nuri al-Maliki und dem Präsidenten der autonomen kurdischen Region, Masud Barzani, übergeben, erklärte der UN-Sonderbeauftragte Staffan de Mistura in Bagdad.

Die UN-Studie analysiert widersprüchliche Gebietsansprüche in der Erdölstadt Kirkuk (Provinz At Tamim) sowie in weiteren Gebieten zwischen der irakisch-syrischen und der irakisch-iranischen Grenze. In der umstrittenen Region siedeln seit Jahrtausenden Kurden, Araber, Turkmenen, Assyrer und Jesiden. Seit der US-amerikanischen Invasion im Jahre 2003 kosteten ethnische, religiöse und Stammesfehden immer wieder Menschenleben und zwangen Zehntausende zur Flucht. Die kurdische Regionalregierung will die Provinz At Tamim mit der Hauptstadt Kirkuk ihrem Machtbereich eingliedern, was die irakische Zentralregierung, die irakischen Araber, die Mehrheit der Turkmenen und Assyrer jedoch ablehnen.

Im Zuge einer aggressiven Umsiedlungspolitik unter Saddam Hussein in den 70er Jahren wurden viele Kurden aus Kirkuk und Umgebung vertrieben. Dafür wurden dort Iraker aus dem Süden des Landes angesiedelt. Etwa zur gleichen Zeit wurden die Ölvorkommen des Landes verstaatlicht (At Tamim bedeutet »Verstaatlichung«).

Nach der US-amerikanischen Besetzung strömten zehntausende Kurden, ermuntert von ihren politischen und Stammesführern, in die umstrittenen Gebiete zurück und vertrieben ihrerseits die dort angesiedelten Südiraker. Kurden besetzten wichtige politische und polizeiliche Funktionen und übten ihre Macht auch gewaltsam aus.

Bei den Wahlen zu den Provinzparlamenten Ende Januar 2009 steckten die Kurden in Mosul (Provinz Ninawa) allerdings eine Niederlage ein. In Kirkuk und den drei kurdischen Provinzen Sulaimanija, Arbil und Dohuk wurde die Wahl verschoben.

Die irakische Verfassung sieht vor, dass nach einer Volkszählung die Einwohner Kirkuks selbst entscheiden sollen, ob sie direkt der Zentralregierung in Bagdad oder der kurdischen Regionalregierung unterstehen wollen. Weder die Volkszählung noch das ursprünglich für 2007 vorgesehene Referendum haben bisher stattgefunden. Stattdessen tobt der Kampf um die Vorherrschaft. Kurden stehen irakischen Arabern, Turkmenen und Assyrern gegenüber, wobei es in manchen Volksgruppen auch Unterstützer der kurdischen Ansprüche gibt. Die Jesiden etwa, die jahrzehntelang politisch nicht repräsentiert waren und 2007 Ziel brutaler Anschläge wurden, favorisieren mehrheitlich einen Anschluss an die kurdische Region. Dazu tragen Drohungen und Morde radikaler Organisationen wie des obskuren »Islamischen Staats Irak« bei, von dem auch Christen immer wieder drangsaliert werden.

Die UNAMI-Studie enthalte keine Vorschläge, betonte Staffan de Mistura, vielmehr handele es sich um eine Analyse der umstrittenen Gebiete von Sinjar im Westen über Kirkuk bis Khanaquin im Osten. Experten der UNO hätten mit irakischen Verantwortlichen kooperiert, der Bericht enthalte »Empfehlungen zur lokalen Vertrauensbildung«. In einem Diskussionspapier über die Zukunft der Provinz Kirkuk (At Tamim) würden vier Optionen erörtert, eine Abspaltung gehört laut de Mistura nicht dazu.

Neben der Frage, wer ursprünglich in Kirkuk lebte, ist vor allem der Umgang mit den Öl- und Gasvorkommen umstritten. Ein neues irakisches Ölgesetz scheiterte bisher an den Forderungen der kurdischen Regionalregierung, die über die nordirakischen Ölfelder selbst entscheiden will. Bagdad wiederum fühlt sich an die eigenmächtigen Vertragsabschlüsse der Kurden mit internationalen Ölgesellschaften nicht gebunden.

* Aus: Neues Deutschland, 5. Mai 2009


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