Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Krieg gegen Kinder

Mädchen und Jungen im Irak leiden an Unterernährung, mangelnder medizinischer Versorgung und Bildungsnotstand

Von Karin Leukefeld *

Bei einem Angriff von US-Hubschraubern sind in der vergangenen Woche nach Auskunft von Augenzeugen Kinder in einer Grundschule getötet worden. Der Angriff in der Provinz Diyala, nordöstlich von Bagdad, traf das Dorf Al Nedauwat, das nahe an der iranisch-irakischen Grenze liegt. Den Berichten zufolge sollen mindestens sechs Kinder getötet und weitere sechs verletzt worden sein. Ein Sprecher der US-Armee in Irak erklärte, der Vorfall werde untersucht. Aus Angst vor solchen Angriffen und der Gewalt allgemein schicken viele Eltern im Irak ihre Kinder nicht mehr in die Schule. So auch Mohammed G. aus Bagdad, der in einem Brief an Freunde in Deutschland schreibt, daß seine beiden Söhne Ali (4) und Ahmed (2) nicht in den Kindergarten gingen. »Es ist zu gefährlich wegen der Entführungen«, schreibt der besorgte Vater. Er hoffe, die Kinder wenigstens später einmal in die Schule schicken zu können, wenn irgendwann und hoffentlich das Leben wieder besser werde.

Die US-amerikanische Kinderhilfsorganisation »Save the Children« (Rettet die Kinder) wies jetzt in einem Bericht über die Überlebenschancen von Kindern in 60 Entwicklungsländern darauf hin, daß Kinder im Irak die bei weitem schlechtesten Überlebenschancen von allen Kindern weltweit hätten. Die Kindersterblichkeit im Irak ist danach seit 1990 um 150 Prozent gestiegen. 2005 seien 122000 irakische Kinder gestorben, bevor sie das 5. Lebensjahr erreichten, mehr als die Hälfte davon waren Neugeborene in ihrem ersten Lebensmonat. Unterernährung und mangelnde medizinische Versorgung sind für die hohe Sterblichkeitsrate verantwortlich.

So berichtet Asif Muhammad, ein 32jähriger Witwer über den vergeblichen Versuch, Hilfe für seine siebenjährige krebskranke Tochter Maysoon zu finden. Seine Frau wurde im Sommer 2006 beim Einkaufen bei einer Explosion getötet, vor zwei Monaten wurde er arbeitslos. Nun fehlt ihm das Geld für die teuren Medikamente, die er privat kaufen muß, weil die Krankenhäuser nicht darüber verfügen. Auch für die Miete reicht sein Geld nicht mehr lange. Wenn er keine Arbeit findet, wird er mit seiner kranken Tochter in ein Lager für Vertriebene umsiedeln müssen, fürchtet er. Dann wird die Situation noch schlimmer, wie irakische Nichtregierungsorganisationen berichten. Nachdem kürzlich das US-Militär in einer gemeinsamen Operation mit der irakischen Armee ein Viertel in Sadr City angriff, verließen innerhalb von Stunden mehr als 400 Anwohner, darunter viele Kinder, die Stadt. Sie suchten Schutz in Flüchtlingslagern oder flohen, wenn sie es sich leisten konnten, nach Nadschaf, Kerbala oder zu Verwandten aufs Land.

Die meisten Kinder aus vertriebenen Familien haben keine Möglichkeit mehr, eine Schule zu besuchen, auch wenn es dort, wo sie dann leben, weniger Gewalt gibt. In den südlichen Provinzen Nadschaf, Basra und Muthanna nimmt die Zahl der Vertriebenen täglich zu, zu den rund eine Million Schülern in den Grund- und weiterführenden Schulen kommen nach Behördenangaben mindestens 150000 vertriebene Schüler hinzu. Die Schulen seien heruntergekommen und müßten dringend renoviert werden, sagt Firaz Hayda, Pressesprecherin im Provinzrat von Nadschaf. Reiche Familien und Geistliche hätten Hefte, Stifte und Stühle gespendet, doch es reiche nicht, zumal die Schulen viel zu wenig Lehrpersonal hätten. »Hunderte Lehrer haben das Land wegen der Gewalt verlassen«, sagt Firaz Hayda, außerdem fehle es an Transportmöglichkeiten für die Kinder.

* Aus: junge Welt, 15. Mai 2007


Zurück zur Irak-Seite

Zurück zur Homepage