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"UNO darf den Krieg nicht rückwirkend legitimieren"

Friedensforscherin Margret Johannsen (Hamburg) über Iraks Nachkriegsordnung

Die Politologin Dr. Margret Johannsen (56), wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg, gehört zu den namhaftesten deutschen Nahostexpertinnen. Unter ihren zahlreichen Veröffentlichungen ragen die Beiträge zu den jährlichen Friedensgutachten der deutschen Friedensforschungsinstitute heraus (seit 1994). Das folgende Interview erschien am 11. April in der Tageszeitung "Neues Deutschland". Die Fragen stellte Jochen Reinert.


ND: Die Invasionstruppen haben Bagdad erobert – haben sie damit bereits den Krieg gewonnen?

Johannsen: Es ist nicht auszuschließen, dass sich in anderen Regionen Iraks weiterhin bewaffneter Widerstand äußert. Das hängt davon ab, ob die regulären Truppen und die Milizen, die Bagdad verlassen haben, nach Hause gegangen sind oder ob sie sich sammeln in anderen Teilen des Landes und dort weiter kämpfen. Auch die in der Provinz stationierten Truppen sind natürlich nicht vollständig geschlagen. Insofern kann man nicht davon sprechen, dass die Kampfhandlungen endgültig eingestellt sind. Darüber hinaus ist nicht ausgeschlossen, dass es innerirakisch zu Auseinandersetzungen kommt im Zuge von »Nächten der langen Messer« zwischen Schergen des Regimes und Gegnern des Regimes.

Denken Sie da auch an Auseinandersetzungen zwischen den großen Bevölkerungsgruppen Iraks, den Schiiten, Sunniten und Kurden?

Zunächst einmal nicht. Es kommt allerdings sehr darauf an, wie der Irak in der Nachkriegszeit organisiert wird. Wenn der Eindruck entsteht – zum Beispiel bei den Kurden im Norden des Landes –, dass die gesamte, von ihnen erreichte Autonomie verloren geht, dann ist es durchaus möglich, dass es zu Auseinandersetzungen kommt. Wenn sie aber den Eindruck gewinnen, dass so etwas wie ein föderaler Irak entsteht, in dem es einerseits eine gewisse zentrale Kontrolle und andererseits aber auch eine gewisse Autonomie mindestens für die Kurden gibt, würde sich so etwas vermeiden lassen.

Präsident Bush und Premier Blair haben auf ihrem Treffen in Belfast beteuert, die politische Macht werde möglichst schnell in die Hände des irakischen Volkes gelegt – wie beurteilen Sie die bisher bekannten USA-Pläne für eine Nachkriegsordnung in Irak?

Zunächst sieht es mit Blick auf die Nachkriegsordnung danach aus, als würde die UNO – wenn es nach dem Willen der USA geht – mehr oder weniger nur zu humanitären Diensten herangezogen werden. Das halte ich für falsch. In der jetzigen Situation, in der die irakischen Regierungsstrukturen beseitigt sind, haben die Invasoren die Verantwortung für die Wiederherstellung der Ordnung und für die Versorgung der Bevölkerung – und diese Verantwortung könnten sie natürlich an einen irakischen Regierungschef übergeben, den sie bestimmen. Der wäre dann eine Art Marionette und er würde von der Bevölkerung auch so angesehen werden. Es ist also darum dringend erforderlich, dass der Prozess, in dem eine irakische Führungsperson an die Spitze gelangt, in einem Rahmen stattfindet, in dem die Iraker das Sagen haben. Dabei wäre es sehr sinnvoll, wenn dieser Prozess von den Vereinten Nationen und nicht von den Vereinigten Staaten angeleitet würde.

Bisher setzen die USA hauptsächlich auf die Exil-Iraker, obwohl selbst die CIA der Ansicht ist, dass jene keinen Rückhalt in der irakischen Bevölkerung hätten. Glauben Sie, dass dennoch ein Regierungschef aus den Reihen der Exil-Iraker bestimmt wird oder muss es da eine ganz andere Lösung geben?

Offenbar ist man sich in der US-Administration überhaupt nicht einig, auf wen man denn setzen soll. Das State Department, das Außenministerium, hat offenbar andere Vorstellungen als das Pentagon. Wichtig wäre es, in den Prozess der Regierungsbildung einen Konsultationsmechanismus einzuführen....

...Sie denken an eine Art Petersberg-Konferenz wie im Falle Afghanistans?

Ja, das wäre ein solcher Prozess, in dem letztlich die Iraker einen Konsens über ihre künftige Ordnung bilden könnten. Das lässt sich allerdings nicht übers Knie brechen und es wäre ein komplizierter Prozess, der der starken Fragmentierung des Irak Rechnung tragen muss. Ein solcher Prozess wäre keineswegs gleichzusetzen mit dem, was man hier bei uns im Westen mit parlamentarischer Demokratie beschreibt. In der Region gibt es kulturell verankerte partizipatorische Instrumente, die man ernst nehmen sollte. Dabei müsste wie gesagt die UNO einbezogen werden. Wenn sie zunächst einen Hohen Kommissar für Irak berufen würde, der einen konstitutionellen Prozess in Gang setzen kann – dann bekäme man eher eine Regierung, die sich auf eine Legitimation stützen kann. Ich bin allerdings im Zweifel, ob die USA so viel Geduld aufbringen, aber es wäre wünschenswert.

In der Debatte über die Rolle der UNO ist sehr viel über Wiederaufbau usw. zu hören. Aber über die Völkerrechtswidrigkeit des Krieges von Anfang an ist dabei wenig die Rede. Besteht nicht die Gefahr, dass die UNO die Aggression nachträglich legitimieren, wenn sie einfach so einsteigen, als sei nichts geschehen?

Der Irak-Krieg ist in der Tat ein völkerrechtswidriger Krieg. Die UNO ist ausmanövriert worden. Wenn sie sich jetzt aber nicht an der Schaffung einer Nachkriegsordnung beteiligt, dann würde sich ihre Marginalisierung fortsetzen. Wenn sie sich jetzt beteiligt, dann sollte sie allerdings deutlich sagen, dass damit keine rückwirkende Legitimation erfolgt. Es ist sehr wichtig, dass von vielen Seiten, von der Wissenschaft, von den Medien und auch von den politischen Stellen klar gemacht wird, dass dieser Krieg ein völkerrechtswidriger Krieg ist, ein illegaler Krieg, und dass er auch nicht nachträglich durch eine Beteiligung der UNO am Wiederaufbau legitimiert werden darf.

Der führende indische Sicherheitsexperte Dr. Uday Bhaskar hat kürzlich gegenüber ND erklärt, der Krieg der USA in Irak sei ebenso wie die militärische Präsenz der USA in Zentralasien im Gefolge des Afghanistan-Krieges ein »tectonic event«, eine grundsätzliche Änderung der regionalen strategischen Balance mit den entsprechenden langfristigen Erschütterungen. Ihr Kommentar?

In der Tat ist zu beobachten, dass die USA ihre ungeheure militärische Überlegenheit dazu benutzt haben, spätestens seit dem 11. September eine geopolitische Neuordnung der gesamten Region vorzunehmen. Dazu gehört die militärische Präsenz in einer Reihe von zentralasiatischen Staaten. Dazu gehört auch dieser Irak-Krieg. Damit haben die USA klar gestellt, dass sie in dieser Region bleiben wollen. Das ist in der Tat etwas, was es bisher nicht gab und was die Region auch politisch bestimmen wird. Die USA haben damit ihren Fuß in eine Region gesetzt, die natürlich auch aus energiepolitischen Gründen von außerordentlicher Bedeutung ist.

Ein Blick noch auf das Wochenende, an dem sich die Spitzen der ursprünglichen Anti-Kriegsallianz – Jacques Chirac, Wladimir Putin und Gerhard Schröder – in St. Petersburg quasi zum Nachkriegsrat treffen. Was würden Sie ihnen raten?

Ich kann nur raten, dass die ehemalige Antikriegsallianz versucht, Bündnispartner zu gewinnen für das Projekt einer entscheidenden Rolle der UNO bei der Schaffung eines legitimierten Staatsaufbaus in Irak. Die Aussage, wer zerstört, muss auch wieder aufbauen und wir halten uns fern, reicht nicht aus. Das würde bedeuten, auf jeden politischen Einfluss zu verzichten.

Aus: Neues Deutschland, 11. April 2003


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