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"Die Amerikaner haben nicht den geringsten Beweis für ein verbotenes Atomprogramm des Iran" - "Das ist genau die Parallele zum Irakkrieg"

Interview mit Jafar D. Jafar, dem ehemaligen Leiter des irakischen Atomprogramms

Jafar D. Jafar (64) war Leiter des irakischen Atomprogramms, das entgegen der Behauptungen der US-Administration, die 2003 zur Invasion in den Irak führten, 1991 eingestellt wurde. Jafar lebt heute als Geschäftsmann in Dubai.

Das Gespräch führte Karin Leukefeld in Doha (Katar), wo Jafar D. Jafar an einer Konferenz von im Ausland lebenden Arabischen Wissenschaftlern teilnahm.

Wie leben Wissenschaftler und Akademiker heute im Irak, drei Jahre nach dem offiziellen Ende des Krieges?

Jafar D. Jafar: Mehr als 250 Wissenschaftler und Akademiker wurden dort in den letzten drei Jahren getötet. Wir kennen die Namen, doch ist keiner dieser Morde aufgeklärt worden. Niemand wurde angeklagt und vor Gericht gebracht. Wissenschaftler können kaum arbeiten oder forschen, auch an den Universitäten zu unterrichten ist sehr schwierig. Viele wurden oder werden bedroht und verlassen das Land. Natürlich haben auch viele Geschäftsleute das Land verlassen, die Gefahr, entführt zu werden ist sehr hoch. Die Menschen können sich die unglaublich hohen Lösegelder, die verlangt werden, nicht leisten. Und es zu bezahlen ist keine Garantie dafür, nicht getötet zu werden. Heute lebt eine riesige irakische Gemeinde in Amman, viele sind in den Golfstaaten, in Syrien oder im Libanon. Viele sind auch nach Europa, in die USA, Neuseeland oder Australien geflohen, nur irgendwohin, wo sie in Sicherheit sind. Natürlich hatten schon viele Wissenschaftler und Akademiker den Irak nach 1991 verlassen, als die UN-Sanktionen das Leben immer mehr einschränkten. Die Mittel für Lehre und Forschung waren gering, ebenso die Gehälter. Dennoch sind nach 2003 viel, viel mehr Akademiker aus dem Irak geflohen, als während der Sanktionen. Wenn die Zahl während der Sanktionen vielleicht ‚x’ war, dann ist diese Zahl in den letzten drei Jahren sicherlich auf das Fünffache gestiegen.

US-Verteidigungsminister Rumsfeld und Condoleezza Rice waren vor wenigen Tagen in Bagdad und äußerten sich sehr positiv über die neu ernannten politischen Führer. Wird eine neue Regierung in der Lage sein, das Land zu stabilisieren?

Jafar D. Jafar: Nein, das glaube ich nicht. Die meisten von ihnen kamen aus dem Ausland, sie unterstützten die Invasion. Früher gehörten sie zu der Oppositionsgruppe, die von den Briten und Amerikanern finanziert worden war, um die irakische Regierung nach der Invasion zu ersetzen. Sie kannten Land und Leute nicht mehr und haben überhaupt keine Erfahrung darin, wie man eine Regierung führt. Das haben sie in den vergangenen Jahren erst langsam gelernt, in dieser Zeit hat die Korruption ein Riesenausmaß angenommen. Ich halte diesen politischen Prozess nicht für ausreichend, viele fühlen sich ausgeschlossen. Die Regierungsgeschäfte werden von Leuten geführt, die noch nicht einmal Iraker sind, sie haben andere Staatsangehörigkeiten. Wir haben heute Banden, die ihren Profit machen wollen, wir haben Milizen, die politisch an Boden gewinnen wollen, jeder kann sich im Irak herumtreiben. Die Kriminalität ist sehr, sehr hoch und sobald Leute merken, dass sie mit Entführungen mehr und leichter Geld machen können, als mit einem erlernten Beruf und ordentlicher Arbeit, wird es ihnen zur Gewohnheit.

Immer häufiger wird die Situation im Irak mit der im Libanon während des Bürgerkrieges verglichen, religiöse Auseinandersetzungen scheinen an der Tagesordnung.

Jafar D. Jafar: Vom ersten Tag an haben die Amerikaner diese Sache mit den religiösen und ethnischen Unterschieden aufgebauscht, nach drei Jahren ist das nun wirklich ein Thema. Christen verlassen das Land zu Hunderten, Familien ziehen von einem Viertel in ein anderes, weil das eine Viertel vor allem von Schiiten, ein anderes aber von Sunniten bewohnt ist. Sie haben Angst, Menschen werden mit dem Tod bedroht, nur weil sie Schiiten oder Sunniten sind. Das alles gab es vor der Invasion nicht, es war überhaupt kein Thema. Niemand hatte wegen einer Religionszugehörigkeit oder weil er Araber oder Kurde war Angst, irgendwo zu wohnen.

Der Bürgerkrieg im Libanon dauerte 15 Jahre, was meinen Sie, wie lange wird es dauern, bis sich die Lage im Irak stabilisiert hat?

Jafar D. Jafar: Ich weiß es nicht, 15 Jahre, vielleicht sogar länger, vielleicht auch kürzer. Am Ende könnte der Irak auch in drei oder mehr autonome Regionen aufgeteilt sein, gut möglich, das die Amerikaner das wollen.

Iran scheint von dem Chaos im Irak zu profitieren und ist heute als Regionalmacht sehr viel stärker als früher -

Jafar D. Jafar: - die Amerikaner haben das Talibanregime gestürzt, das für die Iraner im Osten eine Gefahr war, und sie haben das Regime von Saddam gestürzt, das eine Gefahr für sie im Westen war. Diese zwei Gefahren für den Iran gibt es nun nicht mehr. Außerdem sind im Irak Parteien an der Macht, die sich mit der iranischen Regierung bestens verstehen. Viele ihrer Führungspersonen haben seit 1979, 1980 im Iran gelebt, die Verbindungen sind sehr eng, auch mit dem iranischen Geheimdienst. Also ist der Einfluß Irans im Irak gestiegen. Zudem hat der Iran gut Beziehungen zu Syrien und der Hisbullah im Libanon, das alles hat Iran enorm gestärkt.

Als Atomwissenschaftler –

Jafar D. Jafar: Ich war Atomwissenschaftler, heute bin ich Geschäftsmann im Öl, Gas- und Energiebereich. Seit 1991 arbeite ich nicht mehr als Atomwissenschaftler, damals wurde das irakische Atomprogramm gestoppt.

Dennoch, Sie kennen sich mit der Thematik bestens aus und daher möchte ich Sie fragen, ob Sie im Streit um das iranische Atomprogramm eine Parallel zu dem Streit über das angebliche Programm von Massenvernichtungswaffen im Irak sehen?

Jafar D. Jafar: Ja, die Parallele, die ich sehe ist, dass die Amerikaner behaupten, der Iran entwickele ein nukleares Waffenprogramm. Die Iraner hingegen sagen, sie hätten ein solches Programm nicht und hätten es auch nicht geplant. Die Amerikaner haben keinerlei Beweise für das, was sie behaupten und gleichzeitig bedrohen sie den Iran. Man muß fair sein, der Iran hat den NPT-Vertrag unterzeichnet, den Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen, damit haben sie das Recht, im nuklearen Bereich zu forschen, inklusive der Anreicherung und Wiederaufarbeitung. Sie können alles machen, um Atomenergie friedlich zu nutzen. Die Amerikaner haben nicht den geringsten Beweis, um das Gegenteil behaupten zu können. Hätten sie einen Beweis, warum legen sie ihn nicht vor?! Nein, sie haben nichts. Und das ist genau die Parallele, die ich sehe, die Amerikaner erheben völlig grundlose Anschuldigungen, denn der Iran bewegt sich exakt im Rahmen des NPT-Vertrages. Die einzige Gefahr im Mittleren Osten ist doch Israel. Warum hat Israel Atomwaffen, warum dürfen sie diese Waffen haben? Und gegen wen richten sich diese Waffen? Damit will ich nicht sagen, dass die Iraner auch Atomwaffen haben sollten, nein. Aber es gibt keinen Beweis, dass sie wirklich ein Atomwaffenprogramm haben, das ist nur Gerede.
Wie vor der Invasion im Irak. Sie haben dem Irak jede Menge vorgeworfen, aber es waren Lügen. Sie haben Beweise gefälscht, wie die Geschichte mit dem Uran aus Niger, nur um die Bevölkerung zu überzeugen, dass sie den Krieg, die Invasion unterstützen. Heute weiß jeder, dass sie gelogen haben.

Die Schuld für die nicht vorhandenen Massenvernichtungswaffen im Irak wird ja auf Fehler der Geheimdienste geschoben –

Jafar D. Jafar: Nein, es war kein Fehler der Geheimdienste, viele Geheimdienstler sprechen heute öffentlich darüber, dass sie wussten, dass der Irak keine Massenvernichtungswaffen hatte. Sie haben es auch Bush, Cheney, Rice und Powell gesagt, aber sie wollten die Invasion, sie wollten den „Regimechange“. Selbst Paul Wolfowitz sagte schon 2003, dass diese Geschichte mit den Massenvernichtungswaffen nur aufgebracht worden war, weil es das war, worauf alle politischen Lager sich als Kriegsgrund einigen konnte. Natürlich war es kein Versagen der Geheimdienste, es war ein Versagen der Politik.

Halten Sie es für möglich, dass es auch ohne Beweise zu einem Militärschlag gegen den Iran kommen kann?

Jafar D. Jafar: Nein, ich bin mir ziemlich sicher, dass es keinen Krieg gegen den Iran geben wird, die Konsequenzen wären unüberschaubar. Außerdem haben die Amerikaner keine Armee für einen solchen Krieg, Bush müsste allein gehen. Die meisten seiner Soldaten sind im Irak stecken geblieben, sie sind in einer aussichtlosen Situation. Wer sollte so einen Krieg führen, die Europäer? Herr Blair ist noch damit beschäftigt, sein Irakabenteuer zu verkraften, die Australier haben nur wenig beizutragen, die Spanier haben den Krieg aufgegeben und auch Prodi wird die italienischen Truppen zurück ziehen. Auch die Golfstaaten werden sich nicht an einem Krieg beteiligen.

Warum gibt es also dieses US-Kriegsgetrommel gegen Iran, um von dem Chaos im Irak abzulenken?

Jafar D. Jafar: Das sind diese Neokonservativen zusammen mit ein paar Zionisten in den USA. Sie unterstützen Israel, weil Israel sich bedroht fühlt. Keine Ahnung, warum Israel sich bedroht fühlt, sie haben so viele Atomwaffen. Und selbst wenn der Iran Atomwaffen entwickeln würde, dann gäbe es eben ein Gleichgewicht der Kräfte. Israel hat ein paar Hundert Atomwaffen und Iran könnte vielleicht eines Tages, ein paar Atomwaffen haben, wovor haben die Israelis also Angst? Ich sage ‚könnte’, denn es gibt keinen einzigen Beweis dafür, dass Iran wirklich an einem Atomwaffenprogramm arbeitet.


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