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Irak: Der neue Hauslieferant des Westens?

Die Politische Ökonomie des anstehenden Irak-Kriegs

Im Folgenden dokumentieren wir einen hochinteressanten Artikel, der Ende Oktober in der Schweizer Wochenzeitung WoZ erschienen ist.

Von Steffen Hertog

Schon wird über das irakische Nachkriegs-Öl verhandelt. Sicher scheint: Die US-amerikanischen Wunschszenarien werden nicht in Erfüllung gehen.

Man kann der Bush-Regierung nicht vorwerfen, ihren Irak-Feldzug heimlich zu planen: Dass früher oder später zugeschlagen werden soll, hat man mehr als genug verdeutlicht, und George Bushs Team ist ständig um lautstarke Rechtfertigung bemüht.
Doch umso mehr fällt auf, dass zu einem Thema beredtes Schweigen herrscht: Iraks gegenwärtige und zukünftige Rolle als Ölmacht. Die amerikanischen WählerInnen bekommen höchstens Plattitüden zu hören. «Das Öl gehört dem irakischen Volk», formulierte etwa Rechtsausleger Richard Perle, der Vorsitzende des Defense Policy Board, im September vor dem Kongress. Im Golfkrieg 1991 ging es erklärtermassen ums Öl; bei der jetzigen internationalen Lage kann sich die US-Regierung so viel Ehrlichkeit nicht leisten. Die Regierung versucht, den Ölaspekt eines zukünftigen Krieges möglichst niedrig zu hängen – etwas anderes bleibt ihr angesichts ihrer peinlichen Nähe zu und ihrer personellen Verflechtungen mit der Ölindustrie auch kaum übrig.
Doch selbst wenn man der Bush-Regierung keine energiestrategischen Ordnungsvorstellungen unterstellt – was schwer genug ist –, sind Krieg und Öl fest verknüpft: An der Zapfsäule zahlt man faktisch schon jetzt eine Kriegszulage. Ohne die strategischen Unsicherheiten eines neuen Krieges am Golf wäre das Barrel schätzungsweise drei bis fünf US-Dollar billiger. Zurzeit kostet das Barrel bis zu dreissig Dollar, weit mehr als der Durchschnittspreis seit dem letzten Golfkrieg. Was auch immer mit dem Irak passiert, es hat massive Auswirkungen auf den internationalen Ölmarkt. Dessen Kapriolen aber sind die USA aufgrund eines beispiellos hohen Pro-Kopf-Verbrauchs wohl stärker ausgesetzt als jedes andere westliche Land.

Teure US-Strategie

Der Irak ist in Sachen Öl ein schlafender Gigant. Die irakische Ölindustrie führt seit 1991 ein Dämmerdasein; aufgrund des internationalen Sanktionsregimes leidet sie unter erheblichem technologischem Rückstand und Kapitalmangel. Auch unter dem Mitte der neunziger Jahre initiierten «Oil for Food»-Programm der Uno ist der Ölsektor weit unter seinen Möglichkeiten geblieben: Die nationalen Reserven liegen bei geschätzten 112 Milliarden Barrel. Damit ist das Land potenziell die zweitgrösste Ölmacht hinter Saudi-Arabien, dessen Vorkommen auf 260 Milliarden beziffert werden. In den letzten Jahren hat der Irak aber selten mehr als 2 Millionen Barrel pro Tag produziert, während die Saudis bis zu 8 Millionen Barrel auf den Weltmarkt pumpten.

Zum Ärger der Bush-Regierung war im «Oil for Food»-Rahmen von Anfang an viel Platz für Mittelsmänner und illegale Gebühren – nicht zuletzt Saddam Hussein selbst bot das System Möglichkeiten zur Rentenabschöpfung. «Oil for Food» hat viele Akteure aus dem Halbdunkel des internationalen Rohstoffgeschäfts angelockt (vgl. Kasten). Dabei könnte alles viel einfacher sein: Der finanziell ausgeblutete Irak hat in den letzten Jahren wiederholt deutlich gemacht, dass grosse westliche Unternehmen als Investoren im Upstream-Sektor – bei der Ölförderung also – willkommen sind; andere Opec-Staaten zeigen sich da viel zögerlicher. US-Energiepolitiker wären begeistert, könnten internationale Ölkonzerne die Ölförderung zurückerobern und die Kartellmacht der Opec beschneiden. Ein zusätzlicher Grossanbieter könnte die Versorgungssicherheit der westlichen Konsumentenstaaten erhöhen. Doch auf Geschäfte mit dem jetzigen Regime können die USA sich ganz einfach nicht einlassen. Eine Aufhebung der Sanktionen könnten sich die Vereinigten Staaten, selbst wenn sie es wollten, politisch nicht mehr leisten. Die USA befinden sich in einer selbst konstruierten strategischen Sackgasse: Die seit 1993 praktizierte Regionalstrategie des «dual containment», der doppelten Eindämmung von Irak und Iran, ist perspektivlos, schwer zu vermitteln und auf Dauer sehr ressourcenintensiv. Doch ein Scheitern dieser Politik einzugestehen, ist gerade unter dem Interventionisten Bush (und nach dem 11. September) nicht denkbar. Der Irak hat den Hegemon bereits zu viel provoziert.

Die US-Regierung will nun die Flucht nach vorne antreten. Dabei geht es nicht nur um Öl, aber Öl liefert den strategischen Hintergrund für die US-Pläne. Und in konservativen Nichtregierungsquellen wird deutlich, dass die Umwandlung des Irak zum US-freundlichen Öllieferanten durchaus ein unausgesprochenes amerikanisches Wunschziel ist.

Russland, Frankreich, China

Doch nicht nur in den USA werden Pläne rund ums irakische Öl geschmiedet: Eine ganze Reihe von Akteuren wartet auf ihre Gelegenheit oder bangt um ihre mühsam erarbeiteten Irak-Optionen. Besonders nervös dürften Vertreter des russischen Ölbusiness sein: Russland ist der wichtigste Partner des jetzigen Regimes in Ölangelegenheiten und hat dementsprechend am meisten zu verlieren.

Der russische Konzern Lukoil hat bereits 1997 ein umfangreiches «production sharing»-Abkommen geschlossen, das nur aufgrund der Sanktionen auf Eis liegt. Noch im August wurde an einem 40-Milliarden-Dollar-Vertrag zur bilateralen Kooperation im Ölsektor und anderen Bereichen gefeilt. Mitte Oktober schickte die russische Firma Tatneft Experten für Bohrungen in den Nordirak. Russland ist mit Abstand der wichtigste Handelspartner des Irak; russische Ingenieure halten das irakische Ölbusiness am Laufen. Russland will auch deswegen den guten Draht nach Bagdad nicht verlieren, weil es darauf hofft, dass der Irak eines Tages seine enormen Schulden von zwölf Milliarden Dollar zurückzahlt. Dies aber ist auch einer von mehreren möglichen Ansatzpunkten für einen US-russischen Deal über «Post-Saddam-Irak». Wenn sich die russische Regierung im Sicherheitsrat schon dem Unausweichlichen fügt – dem Krieg gegen Saddam –, wird sie versuchen, hinter den Kulissen so viele wirtschaftliche Garantien wie möglich auszuhandeln. Dies ist in den USA bekannt. Bei einem bilateralen Ölgipfel in Houston Anfang Oktober bemühten sich US-Diplomaten denn auch darum, ihren russischen Besuchern zu versichern, dass der irakische Kuchen gerecht aufgeteilt werde. Es ist nicht klar, was genau die USA zuzugestehen bereit sind – Schuldenrückzahlung, Förderverträge, Handelsanteile –, aber in der einen oder anderen Form werden sie für die russische Kooperation zahlen müssen.

Gleichwohl herrscht in Russland Angst, dass der anstehende Krieg mittelfristig zum Minusgeschäft wird: Wenn der wieder erwachte Riese Irak in ein paar Jahren den Weltölmarkt überfluten sollte, könnte dies zu einem Preissturz führen, der angesichts der relativ hohen russischen Produktionskosten für die einheimische Förderung fatal wäre. Nach dem Wunsch der USA sollte Russland während des Krieges als Notversorger einspringen und so seinen Marktanteil ausbauen. Dem kann Russland nur eingeschränkt nachkommen; bestehende Kapazitäten sind ausgereizt. Etwas besser steht der wohl zweitgrösste Ölpartner des Irak da: Frankreich. Zu verlieren hätte es lediglich das attraktive Upstream-Abkommen von TotalFinaElf, und auch hier könnte es zu einem Interessensausgleich mit den USA kommen. Auf der (sanktionsbedingten) Warteliste des jetzigen Regimes steht auffälligerweise auch China, nicht gerade für seine internationale Ölindustrie bekannt. Der Irak ist offensichtlich bemüht, mit strategischen Öldeals die US-kritischen permanenten Mitglieder des Sicherheitsrats materiell an sich zu binden. Die USA liefern mit ihrer einseitigen Isolationspolitik dem Irak strategische Hebel, um einen Keil zwischen die Grossmächte zu treiben. Im Öl liegt das letzte diplomatische Kapital des jetzigen Regimes: In jüngster Zeit veranstaltet der Irak keine unwirksamen Eigenboykotte mehr – er war bis vor kurzem der letzte Staat, der Öl noch öffentlich politisierte –, stattdessen hat er seine Exporte auf das höchste technisch machbare Niveau erhöht. Die höhere Quote aber bedeutet grössere Opportunitätskosten für die USA, wenn das irakische Öl mit Beginn des Krieges aus dem Weltmarkt herausfällt. In letzter Zeit schloss das Regime zudem reihenweise Verträge mit nichtamerikanischen Multis wie Repsol YPF (Spanien) oder Eni (Italien), um seine westliche Klientel weiter zu vergrössern. Amerikanische und britische Unternehmen bleiben selbstredend aussen vor.

Vertreter der dubiosen Exil-Opposition wiederum versuchen, sich den Amerikanern anzudienen. Dies ändert jedoch nichts an den bereits verankerten Interessen anderer Staaten, die auch zukünftig bedient werden wollen. «Post-Saddam-Irak» wird kein Heimspiel für US-Konzerne – obwohl sich die Gewichte verschieben werden: Vor allem regierungsnahe Servicefirmen wie Brown and Root oder Halliburton werden nach dem Krieg zum Zuge kommen. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hat vorgeschlagen, US-Besetzung und Wiederaufbau aus irakischen Öleinnahmen zu finanzieren.

US-Pläne für den Irak

Die USA müssen mit vielen Bällen jonglieren; dementsprechend zeichnen sich die amerikanischen Pläne für den zukünftigen Irak vor allem durch ihre Schwammigkeit aus. Konzepte zum Energiesektor werden, so es sie gibt, geheim gehalten.
Doch zumindest nach Ansicht externer Berater ist die Chance gekommen, um den Nahen Osten energiestrategisch umzukrempeln. Strategiepapiere konservativer «Thinktanks» verlangen, den Irak nach dem Krieg schnellstens aufzupäppeln, damit er als abhängiger Verbündeter für Ölsicherheit sorgen kann. Angenehmer Nebeneffekt: Die nach dem 11. September eher peinliche Partnerschaft mit Saudi-Arabien wird relativ entwertet.

Doch selbst wenn es gelingen sollte, im Irak ein irgendwie funktionierendes Regime von Bushs Gnaden zu installieren, übergeht das konservative Szenario eine ganze Reihe von Unwägbarkeiten. Sollte der Irak seine Produktion wirklich binnen weniger Jahre auf sechs oder mehr Millionen Barrel pro Tag hinaufschrauben, könnten die resultierenden Niedrigpreise die Region insgesamt destabilisieren. Und auch dann wäre die einmalige Preismacht Saudi-Arabiens nicht beseitigt; kurzfristig könnte das Königreich mit seiner Produktionskapazität von über zehn Millionen Barrel pro Tag immer noch die Märkte kontrollieren.

Zudem haben Golfkrieg und Sanktionen die Infrastruktur im Irak gründlich zugrunde gerichtet, und es ist mit zusätzlichen Kriegsfolgen zu rechnen. Der Ausbau der Ölförderung wird unter Umständen weit länger dauern als in den USA erhofft. Zudem könnte die Mitsprache Russlands die irakische Förderlust zügeln. Allzu offensichtliche Amerikahörigkeit würde ausserdem das neue System schnellstens diskreditieren – intern wie international –, mit schwer abzusehenden Folgen.

Im Extremfall könnte eine Marktattacke Iraks den Giganten Saudi-Arabien selbst zur Mengenstrategie zwingen, das heisst dazu, den eigenen Marktanteil offensiv zu vergrössern, ohne dabei auf den Preisverfall zu achten. Der Kollaps der Opec wäre unvermeidlich. Doch die Aussicht auf einen Wettstreit, bei dem beide gemeinsam die Preise drücken, aber jeweils nur die Hälfte des damit einhergehenden Mengengewinns einfahren, sollte für ein Mindestmass an gegenseitiger Abschreckung sorgen.

Preisaussichten

Die blühenden Zukunftslandschaften in den «policy papers» der US-Berater sind auf Spekulation gebaut. Die unmittelbaren wirtschaftlichen Folgen des Krieges hingegen sind schon viel eher abzusehen – und werden wohl negativ sein.
Gegenwärtig herrschen Hochpreise auf dem Ölmarkt, und die Opec scheint den Markt zu kontrollieren. Die Kriegsangst kommt ihr ironischerweise zugute. Den psychologischen und materiellen Marktschock des Krieges könnte das Kartell mit seiner ungenutzten Förderkapazität wohl weitgehend abfangen – Saudi-Arabien hat bereits entsprechende Erklärungen abgegeben. Doch in welchem Ausmass man den westlichen KonsumentInnen hier entgegenkommt, hängt auch vom Verhalten der USA ab.

Ein wirklich grosser Preisschock ist zwar nur zu erwarten, wenn der Krieg sich in irgendeiner Form auf die arabische Halbinsel ausdehnen sollte. Doch wenn sich der Konflikt über längere Zeit hinzieht, wäre auch ein leicht erhöhter Preis gefährlich für die wackligen Volkswirtschaften des Westens. Ein US-Einsatz am Golf wird sowieso schon bis zu 200 Milliarden US-Dollar verschlingen.

Die USA werden sich bis zum nächsten Opec-Treffen am 12. Dezember in Wien keine allzu lauten Töne gegenüber Saudi-Arabien leisten können, liegt doch eine Irak-Invasion ohnehin nicht im Interesse der meisten Opec-Staaten: Die Nachbarn des Irak wollen keinen Krieg in der direkten Nachbarschaft, und an einer zukünftigen irakischen Produktionssteigerung ist man auch nicht interessiert. Die Opec ist als eine von wenigen AkteurInnen mit dem Status quo zufrieden.

Aus: WoZ, 31. Oktober 2002


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