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Irak: Wer gegen den Teufel kämpft / Liberators as Murderers

US-SoldatInnen erschossen in Haditha vorsätzlich ZivilistInnen / The Way Americans Like Their War. by Robert Fisk

Kommentar von Robert Fisk*

Kann es sein, dass Haditha nur Teil eines grossen Massengrabes ist? Die Leichen, die wir flüchtig sahen, die unscharfen Bilder von Kadavern und toten Kindern - sind das womöglich nur einige von vielen? Geht die Handarbeit der US-Armee in den Slums noch weiter?

Ich erinnere mich, wann ich so etwas zum ersten Mal befürchtete. Ich stand im Leichenhaus in Bagdad und zählte die Leichen, als mir ein alter Freund, ein hochrangiger Arzt, von seinen Ängsten erzählte. «Alle bringen Leichen zu uns», sagte er. «Doch wenn die Amerikaner Leichen bringen, haben wir Anweisung, unter keinen Umständen eine Autopsie zu machen, denn das sei schon geschehen. Manchmal erhalten wir ein Blatt Papier wie dieses hier zu einer Leiche.» Und er gab mir ein Dokument des US-Militärs mit einer von Hand gezeichneten Leiche und den Worten: «Traumatische Verletzungen.»

Was für Traumata erlebt der Irak zurzeit? Wer begeht die Massenmorde? Wer entsorgt so viele Leichen auf Müllhaufen? Nach Haditha sollten wir unsere Verdächtigungen überdenken. Es reicht nicht, zu sagen: «Das waren einige faule Äpfel.» Besatzungsarmeen sind immer korrumpiert. In Algerien werden immer noch Massengräber freigelegt, die von französischen Fallschirmjägern hinterlassen wurden, die ganze Dörfer auslöschten. Man weiss um die Vergewaltigungen und Morde der russischen Armee in Tschetschenien. Der Bloody Sunday in Nordirland ist bekannt. Die Israelis schauten zu, als ihre libanesische Stellvertretermiliz 1700 PalästinenserInnen abschlachtete. Und die Worte My Lai werden jetzt wieder ausgesprochen. Die Nazis waren noch viel schlimmer. Und die Japaner. Und die kroatische Ustascha. Doch jetzt geht es um uns und die Gegenwart. Diese jungen SoldatInnen vertreten den Westen im Irak. Und sie haben unschuldiges Blut an ihren Händen.

Vermutlich liegt es auch daran, dass wir uns nie wirklich um die IrakerInnen gekümmert haben. Ihre Toten werden nicht gezählt. Als sich IrakerInnen mit selbstgebauten Bomben und Selbstmordanschlägen gegen die Besatzungsarmee zu wenden begannen, wurden sie zu arabischen «Schlitzaugen», zu jenen teuflischen Untermenschen, die die US-AmerikanerInnen einst in Vietnam erkannten. Man braucht einen Präsidenten bloss dazu zu bringen, uns zu sagen, dass wir gegen den Teufel kämpfen - dann werden wir eines Tages herausfinden, dass ein Kind Hörner hat und ein Baby Pferdefüsse. Diese Leute sind schliesslich MuslimInnen, und sie könnten ja alle kleine Mohammed Attas werden. Eine Gruppe ZivilistInnen zu töten, ist nur ein Schritt weiter als die wahllosen Luftangriffe, bei denen «Terroristen» getötet werden, die aber allzu oft eine Hochzeitsparty treffen oder - wie in Afghanistan - eine Mischung von «Terroristen» und Kindern oder, wie es zweifellos bald heissen wird, «Kinderterroristen».

Aber auch wir ReporterInnen sind in gewisser Weise mitschuldig. Wir können uns nicht mehr aus Bagdad herauswagen, ja, noch nicht einmal in Bagdad selber, und so ist die unermessliche Weite des Irak unter einen dicken, alles verschlingenden Schatten gefallen. Gelegentlich registrieren wir Funken in der Nacht - ein Haditha oder zwei in der Wüste -, doch wir katalogisieren widerspruchslos die Zahl der angeblich in abgelegenen Gebieten getroffenen «Terroristen». Aus Angst vor den Messern der Aufständischen können wir nicht mehr recherchieren. Und den US-AmerikanerInnen gefällt das.

Man gewöhnt sich an diese Sachen. Die Schrecken von Abu Ghraib sind bereits achselzuckend abgetan. Das war Missbrauch, nicht Folter. Dann taucht ein gemeiner Offizier auf, der in den USA angeklagt ist, weil er einen irakischen General getötet habe, indem er ihn Kopf voran in einen Schlafsack gezwungen und sich ihm auf die Brust gesetzt habe. Das machte kaum Schlagzeilen. Wen kümmerts, wenn noch ein Iraker ins Gras beisst? Versuchen die nicht, die Jungs zu töten, die da draussen gegen den Terrorismus kämpfen?

Wer kann zur Rechenschaft gezogen werden, wenn wir uns als die strahlendsten, ehrenwertesten Kreaturen betrachten, mitten in einer endlosen Schlacht mit den Mördern vom 11. September 2001 und dem 7. Juli 2005, weil wir unser Land und unsere Leute - aber keine anderen Leute - so sehr lieben? Und so kleiden wir uns als Ritter, ja, als Kreuzritter und erzählen in jenen Ländern, in die wir einfallen, dass wir Demokratie bringen. Ich frage mich, wie viele der unschuldig Geschlachteten in Haditha wohl die Gelegenheit genutzt hatten, bei den irakischen Wahlen zu wählen - bevor ihre «Befreier» sie ermordeten.

* Der sechzigjährige Journalist Robert Fisk arbeitet seit 1976 als Nahostkorrespondent, zuerst für die britische Zeitung «The Times», ab 1989 für den «Independent». Kürzlich erschien sein neustes Buch, «The Great War for Civilisation».

Aus: Wochenzeitung WOZ (Schweiz), 8. Juni 2006


Liberators as Murderers

The Way Americans Like Their War

By ROBERT FISK


Could Haditha be just the tip of the mass grave?

The corpses we have glimpsed, the grainy footage of the cadavers and the dead children; could these be just a few of many? Does the handiwork of the United States' army of the slums go further?

I remember clearly the first suspicions I had that murder most foul might be taking place in our name in Iraq. I was in the Baghdad mortuary, counting corpses, when one of the city's senior medical officials, an old friend, told me of his fears. "Everyone brings bodies here," he said. "But when the Americans bring bodies in, we are instructed that under no circumstances are we ever to do post-mortems. We were given to understand that this had already been done. Sometimes we'd get a piece of paper like this one with a body." And here the man handed me a U.S. military document showing with the hand-drawn outline of a man's body and the words "trauma wounds."

What kind of trauma is now being experienced in Iraq? Just who is doing the mass killing? Who is dumping so many bodies on garbage heaps? After Haditha, we are going to reshape our suspicions.

It's no good saying "a few bad apples." All occupation armies are corrupted. But do they all commit war crimes? The Algerians are still uncovering the mass graves left by the French paras who liquidated whole villages. We know of the rapist-killers of the Russian army in Chechnya.

We have all heard of Bloody Sunday. The Israelis sat and watched while their proxy Lebanese militia butchered and eviscerated its way through 1,700 Palestinians. And of course the words My Lai are now uttered again. Yes, the Nazis were much worse. And the Japanese. And the Croatian Ustashi. But this is us. This is our army. These young soldiers are our representatives in Iraq. And they have innocent blood on their hands.

I suspect part of the problem is that we never really cared about Iraqis, which is why we refused to count their dead. Once the Iraqis turned upon the army of occupation with their roadside bombs and suicide cars, they became Arab "gooks," the evil sub-humans whom the Americans once identified in Vietnam. Get a president to tell us that we are fighting evil and one day we will wake to find that a child has horns, a baby has cloven feet.

Remind yourself these people are Muslims and they can all become little Mohamed Attas. Killing a roomful of civilians is only a step further from all those promiscuous air strikes that we are told kill 'terrorists" but which all too often turn out to be a wedding party or -- as in Afghanistan -- a mixture of "terrorists" and children or, as we are soon to hear, no doubt, "terrorist children."

In a way, we reporters are also to blame. Unable to venture outside Baghdad -- or around Baghdad itself -- Iraq's vastness has fallen under a thick, all-consuming shadow. We might occasionally notice sparks in the night -- a Haditha or two in the desert -- but we remain meekly cataloguing the numbers of "terrorists" supposedly scored in remote corners of Mesopotamia. For fear of the insurgent's knife, we can no longer investigate. And the Americans like it that way.

I think it becomes a habit, this sort of thing. Already the horrors of Abu Ghraib are shrugged away. It was abuse, not torture. And then up pops a junior officer in the United States charged for killing an Iraqi army general by stuffing him upside down in a sleeping bag and sitting on his chest. And again, it gets few headlines. Who cares if another Iraqi bites the dust? Aren't they trying to kill our boys who are out there fighting terror.

For who can be held to account when we regard ourselves as the brightest, the most honorable of creatures, doing endless battle with the killers of Sept. 11 or July 7 because we love our country and our people -- but not other people -- so much. And so we dress ourselves up as Galahads, yes as Crusaders, and we tell those whose countries we invade that we are going to bring them democracy. I can't help wondering today how many of the innocents slaughtered in Haditha took the opportunity to vote in the Iraqi elections -- before their "liberators" murdered them.

Counterpunch, Weekend Edition, June 3/4, 2006


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