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Verheerende Anschlagsserie erschütterte Bagdad

Bomben gegen Ministerien / Mindestens 75 Todesopfer

Bei einer verheerenden Anschlagsserie in der irakischen Hauptstadt Bagdad sind am Mittwoch mindestens 75 Menschen getötet und über 300 weitere verletzt worden.

Laut Innen- und Verteidigungsministerium Iraks gab es zwei besonders schwere Autobombenanschläge nahe dem Finanz- und dem Außenministerium in Bagdad. Die Behörden machten islamische Extremisten und Anhänger der Baath-Partei des früheren irakischen Machthabers Saddam Hussein verantwortlich.

Der schwerste Anschlag ereignete sich gegenüber dem Außenministerium im Stadtzentrum. Die Explosion eines mit Sprengstoff präparierten Lastwagens riss dort mindestens 47 Menschen in den Tod, 195 weitere wurden verletzt. Ein AFP-Reporter sah am Anschlagsort einen Krater von rund drei Metern Tiefe und rund zehn Metern Durchmesser, der durch die Wucht der Explosion entstanden war. Die gesamte Fassade des Außenamts wurde beschädigt, eine Mauer zerstört. Verkohlte Leichen lagen verstreut am Boden oder waren in ausgebrannten Autowracks zu sehen. Im Umkreis von 300 Metern wurden Autos zerstört und gingen Fensterscheiben zu Bruch. Rettungskräfte bargen Verletzte aus dem Außenamtsgebäude, das nahe der streng bewachten »grünen Zone« in der Hauptstadt liegt, in der sich mehrere Ministerien sowie ausländische Botschaften befinden.

»Die Regierung hat uns gesagt, es herrscht wieder Sicherheit, aber wo?«, sagte ein Augenzeuge. »Der Anschlag wurde vor dem Außenministerium, mitten in Bagdad, verübt.« Ein 46-jähriger Bewohner des benachbarten Hauses erzählte schockiert, er sei mit seiner Familie zuhause gewesen, als durch die Detonation die Wohnungsdecke eingestürzt sei.

Ein zweiter Sprengsatz explodierte in einem Lastwagen unter einer Brücke nahe dem Finanzministerium im Stadtviertel Wasirija. Demnach wurden die Brücke auf einer Länge von etwa 30 Metern und Teile des Ministeriums zerstört. Mindestens 28 Menschen seien dabei getötet und etwa 95 weitere verletzt worden. Unter den Opfern seien zahlreiche Mitarbeiter des Ministeriums. Es waren die folgenschwersten Anschläge in Bagdad seit dem 24. Juni, als 62 Menschen bei einem Anschlag im schiitischen Armenviertel Sadr City starben. Auch im westlichen Stadtteil Baja explodierte am Mittwoch eine Autobombe. Dabei gab es zwei Tote und fünf Verletzte. Außerdem schlugen nach Angaben aus Sicherheitskreisen zwei Granaten in der »grünen Zone« und eine weitere außerhalb dieses Sektors ein. Insgesamt wurden rund zehn Explosionen gezählt. Augenzeugen sahen schwarze Rauchwolken hochsteigen. Ambulanzen eilten zu den Anschlagsorten.

Vor sechs Jahren, am 19. August 2003, wurde das UN-Hauptquartier in Bagdad durch eine Autobombe zerstört. Damals starben bei dem Angriff auf das Canal Hotel in Bagdad 22 Menschen, unter ihnen der UN-Sondergesandte Sergio Vieira de Mello. Am Mittwoch beging die UNO den ersten Welttag der humanitären Hilfe, um an die Risiken für Helfer in Krisen- und Katastrophengebieten zu erinnern.

* Aus: Neues Deutschland, 20. August 2009


Zerstörte Gleichgewichte

Von Roland Etzel **

Je erfolgreicher wir sind, desto mehr amerikanische Soldaten können nach Hause kommen, und wir sind sehr erfolgreich«, posaunte George W. Bush vor knapp zwei Jahren, als er die ersten Truppenreduzierungen in Irak bekanntgab. Was war eigentlich schlimmer an diesem Spruch: seine Dummheit oder seine Unverschämtheit? Schon bis September 2007 hatte der Krieg das Leben von einer Million Iraker gekostet. Und diese Art »Erfolge« setzt sich seitdem ungebremst fort, jeden Tag. So starben auch gestern wieder mehrere Dutzend Menschen bei Attentaten mitten in der Hauptstadt.

Das hat durchaus mit der anstehenden Truppenreduzierung durch die Besatzer zu tun. Allerdings ist der Terror im Zweistromland keineswegs etwa Folge dessen, dass nun die ordnende Hand Amerikas fehlt. Ganz im Gegenteil. Die USA haben mit ihrer brachialen Unterjochung Iraks ab 2003 nicht nur das Saddam-Regime zertrümmert, sondern auch die filigrane Machtbalance einer ganzen Region. Jenes Gleichgewicht war stets gefährdet, der Frieden relativ, die Ruhe erzwungen. Doch ist dem »besten Krieg« (Tony Blair) auch der schlechteste Frieden wohl vorzuziehen und dürfte inzwischen von Millionen Irakern zurückgewünscht werden.

Dieses Gleichgewicht »eines labilen Friedens« zerstört ohne auch nur die Spur eines Konzepts für das Danach zu haben - dafür tragen die USA die historische Schuld. Und die Iraker zahlen jeden Tag mit ihrem Leben.

** Aus: Neues Deutschland, 20. August 2009 (Kommentar)


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