Zeltlager im Niemandsland
An den Grenzen zwischen Irak und Jordanien warten hunderte Flüchtlinge
Von Von Karin Leukefeld*
Kurdische Flüchtlinge aus Irak wollen nicht zurück, aber Jordanien lässt sie nicht ins Land. Ein
Flüchtlingskomitee wirft Menschenrechtsorganisationen vor, die Augen vor ihrem Schicksal zu
verschließen.
»Vor einem Jahr und drei Monaten haben wir Irak verlassen, um unser Leben zu retten. Nach mehr
als einem Viertel Jahrhundert ohne Rechte und ohne Anerkennung unserer Identität wollen wir
endlich ein menschenwürdiges Leben führen können.« Mit diesen Worten in etwas ungelenkem
Englisch beginnt ein an Amnesty International, Human Rights Watch, andere
Menschenrechtsorganisationen sowie die Medien gerichtetes Schreiben des »Komitees der iranischkurdischen
Flüchtlinge« aus dem »N.M.L. Camp«.
N.M.L. steht für »No Man’s Land«, Niemandsland, wie ein öder Streifen Erde zwischen den Grenzen
Iraks und Jordaniens genannt wird. Dort gibt es ein provisorisches Zeltlager, in dem in den
vergangenen drei Jahren Menschen aus vielen Staaten vorübergehend Zuflucht gefunden haben.
Weiter kamen sie nicht, denn die jordanische Regierung weigert sich inzwischen hartnäckig, weitere
Flüchtlinge aufzunehmen. Die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch forderte
Jordanien letzten Monat auf, die Grenzen endlich für die Flüchtlinge zu öffnen, was seitens der
jordanischen Regierung mit der ärgerlichen Bemerkung beantwortet wurde, man könne von
Jordanien keine »Politik der offenen Tür« für alle Leute erwarten, die einreisen wollten.
Zu Zehntausenden fanden Kurden aus Iran während des Irak-Iran-Krieges (1980-88) Zuflucht in
insgesamt drei großen Flüchtlingslagern in Irak. Dort standen sie zwar unter irakischer Kontrolle,
wurden aber vom UNHCR verwaltet. In den vielen Jahren des Exils hatte sich in den Lagern eine
begrenzte eigene Ökonomie entwickelt.
Die Kurden im Niemandsland stammen aus dem Lager Al Tash, westlich von Bagdad, das während
der US-Offensive auf Falludscha und Ramadi (Ende 2004) zwischen die Fronten geraten war. Sie
flohen daraufhin zunächst in Richtung Jordanien, inzwischen hat der UNHCR für sie bei Erbil im
Nordirak das Lager Kawa eingerichtet. Der UNHCR Amman drängt auch die übrigen Kurden im
Niemandsland, nach Kawa überzusiedeln, Transport und Startgeld inbegriffen, so eine Sprecherin
gegenüber dem ND in Amman. Eine Vereinbarung mit der kurdischen Autonomiebehörde sehe vor,
dass die Kurden Zugang zu Ausbildung und Arbeit erhalten und sich perspektivisch auch dort
ansiedeln können.
Das Komitee der iranisch-kurdischen Flüchtlinge im Niemandsland will sich darauf nicht einlassen
und kritisiert den UNHCR, nicht genügend für sie zu tun. Im Mai 2005, nach einer Intervention der
UNO-Organisation, habe Iraks Regierung 31 Zelte ins Niemandsland gebracht, in denen die 192
Flüchtlinge, darunter 85 Kinder, noch heute leben. Der UNHCR habe lediglich zwei Mal zwei
Wochen lang Wasser und Lebensmittel geliefert, nun seien die Menschen auf sich gestellt. Man
bettele die Lastwagenfahrer an, die ihnen über einen Zaun hinweg Lebensmittel und Wasser geben
würden. Alle Menschenrechtsorganisationen würden die Augen vor ihrer verzweifelten Lage
verschließen, so der Vorwurf des Flüchtlingskomitees in Richtung des UNHCR, von dem sie eine
»radikale Lösung« fordern.
Eine radikale Lösung bedeutet für die Flüchtlinge die Übersiedlung in das Ruweischd-Lager, das
etwa 50 Kilometer von der Grenze entfernt in Jordanien liegt und derzeit rund 800 palästinensische
und andere Flüchtlinge aus Irak beherbergt. Irak sei für sie nicht sicher, da die Regierung »eng mit
der Islamischen Republik Iran« verknüpft sei. Das gelte auch für das in der irakisch-kurdischen
Provinz Erbil errichtete Lager Kawa. Den Zusagen der kurdischen Regionalregierung trauen sie
nicht. Nach Auskunft des UNHCR in Amman aber gibt es für sie keine andere Lösung, zumal die
jordanische Regierung das Lager Ruweischd im September 2006 schließen will. Der Wunsch der
Kurden ist es, in ein Land ihrer Wahl oder ihre iranisch-kurdische Heimat zurückzukehren. Das
wollen sie aber nur unter der Bedingung, dass ihnen dort ihre nationalen, kulturellen und politischen
Rechte garantiert werden und ihren politischen Parteien die Rückkehr nach Iran erlaubt wird.
* Aus: Neues Deutschland, 8. Mai 2006
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