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Alltag unter US-Besatzung in Irak:

Wo liegen Quellen für den Widerstand?

Robert Fisk ist einer der profiliertesten Kriegskorrespondenten im englischsprachigen Blätterwald. Von ihm stammen stets gut recherchierte Berichte aus Irak vor, während und nach dem offiziellen Ende des Kriegs. Fisk schreibt für die linksliberale britische Zeitung "The Independent". Zahlreiche seiner Berichte sind ins Deutsche übertragen worden und befinden sich auf gut sortierten Websites.
Im Folgenden dokumentieren wir ein sehr interessantes Interview, das Harald Neuber mit Robert Fisk für die linke Tageszeitung "junge Welt" geführt hat.



Frage: Ein US-amerikanischer Divisionskommandeur im nördlich von Bagdad gelegenen Tikrit hat unlängst angekündigt, den Widerstand in Saddam Husseins Heimatstadt »innerhalb von sechs Monaten« niederzuschlagen. Eine realistische Prognose?

Robert Fisk: Ganz im Gegenteil. Diese Stellungnahmen sind typisch für Vertreter einer Armee, die sich im Krieg mit Guerillakräften befindet. Diese Leute werden immer wieder behaupten, daß der Widerstand »beendet«, »zerschlagen« oder »gebrochen« sei oder nur noch von »alten Hardlinern« unterstützt werde. Ich erinnere mich an diese Rhetorik in den siebziger Jahren, als ich aus Nordirland über den Konflikt zwischen der britischen Armee und der IRA berichtete. Und ich erinnere mich, daß die Israelis solche Stellungnahmen immer wieder über die Hisbollah im Libanon verbreiten ließen. Nun hören wir die gleichen Sätze also von den US-Amerikanern in Irak.

F: Gesetzt den Fall, der Widerstand nimmt zu und wir bekommen durch geschickte Pressearbeit nur ein unvollständiges Bild vermittelt: Wo liegen die Quellen dieses Widerstandes?

Ich bin nicht einmal sicher, ob die Widerstandsbewegung sich darüber im klaren ist. Für wichtiger aber halte ich die krasse Fehleinschätzung der US-amerikanischen Truppen gegenüber den irakischen Guerillas. Ihre erste Reaktion bestand darin, den Widerstand dem alten Saddam-Regime anzulasten, weil diese Kräfte ihren alten Führer angeblich wieder zur Macht verhelfen wollten. Erst vor kurzem aber ging in Bagdad die größte Bombe hoch, die von Guerillakräften seit Beginn des Widerstandskampfes plaziert werden konnte. Dabei wurde ein schwer gepanzertes US-Armeefahrzeug völlig zerstört. Wir reden hier also nicht mehr nur über kleine Rohrbomben oder selbstgebaute Raketenwerfer auf Eselskarren. Das war eindeutig ein qualitativer Schritt in der militärischen Eskalation.

F: Sprecher der US-Armee und der alliierten Truppen erklärten zuletzt, daß zunehmend ausländische Kämpfer nach Irak eindringen würden, um den Krieg am Laufen zu halten. Das irakische Volk indes wolle die Freiheit.

Natürlich beteiligen sich ausländische Kräfte an dem Guerillakampf, das ist relativ offensichtlich. Aber auch das Problem der US-Truppen liegt klar auf der Hand: Solange Saddam Hussein noch flüchtig war, konnten sie ihm den Widerstand anlasten. Nach seiner Festnahme kamen US-Vertreter mit dem Hirngespinst, Osama bin Laden stecke hinter dem Widerstand und »Tausende ausländische islamische Kämpfer« strömten nach Irak. Wir haben diese Leute aber nie gefunden, wir haben niemanden getroffen, mit niemandem gesprochen. All das ist allein eine Erfindung von Donald Rumsfeld. Und er braucht diese Erfindung. Anderenfalls hätte er nach dem vollständigen Zusammenbruch des Saddam-Regimes bereits eingestehen müssen, daß einfache Iraker aus eigener Motivation hinter dem Widerstand stecken.

F: Was halten Sie von der Bin-Laden-Version?

Ich glaube nicht, daß er seine Strukturen im Land selber aufbauen kann. Wahrscheinlicher ist, daß hinter dem Widerstand derzeit vor allem die einfache sunnitische Bevölkerung steht. Die Soldaten der Besatzungstruppen wissen das sehr genau, ebenso die mittleren Kommandeure vor Ort. Weder das Pentagon noch das Weiße Haus wollen diese Realität aber bislang anerkennen.

F: Während die US-Truppen und ihre Alliierten nur gute Neuigkeiten über Demokratisierung und Wiederaufbau von Irak haben, weisen unabhängige Medienberichte zunehmend in eine andere Richtung. Wie steht es um die soziale Situation der Menschen?

Ich denke, daß die Haltung der meisten Iraker recht einfach ist: Wenn Sie und ihre Familie zwar in Sicherheit, aber in einer Diktatur leben, würden Sie Gesetzlosigkeit und persönliche Freiheit vorziehen? Würden Sie es vorziehen, mitten auf der Straße »Saddam ist ein Verbrecher« rufen zu können, ohne dafür in irgendwelchen dunklen Kerkern zu verschwinden, wenn Sie zugleich in Angst leben müssen, weil Ihre Tochter auf dem Schulweg von marodierenden Banden entführt werden könnte, oder weil Sie an der nächsten Straßenecke wegen Ihres alten Wagens erschossen werden könnten? Für uns, die wir seit Jahrzehnten in stabilen demokratischen Regimes leben, ist die Vorstellung der politischen Repression unter Saddam Hussein so grauenhaft, daß wir die Frage vielleicht bejahen würden. Die irakische Bevölkerung aber sieht die Sache durchaus anders.

F: Was im Umkehrschluß doch heißt, daß die US-Propaganda von Freiheit und Demokratie auf fruchtlosen Boden fällt?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Immer wenn wir von einer Reise zurückkommen, schließt mein irakischer Fahrer Mohammed nervös alle Autortüren ab, während er sich nach Bewaffneten umsieht. Einmal habe ich ihn deswegen aufgezogen. Ich sagte ihm, daß er sich genauso wie ich in einem besetzten Land befinde und daß wir die Risiken unserer Arbeit akzeptieren müßten. Als ich ihn in der vergangenen Woche das letzte Mal aufsuchte, fand ich seine Familie in Trauer, weil sein Bruder, ein Vater von zwei kleinen Kindern, wegen seines 17 Jahre alten Firmenwagens überfallen und mit mehreren Schüssen in die Brust ermordet worden war. Die ganze Familie droht nun im Elend zu versinken. Die Frau des Toten sagte mir natürlich, daß sie sich die Situation vor dem Sturz des Hussein-Regimes zurückwünschen. Das bedeutet keinesfalls, daß sie Saddam anhängt. Ihre Haltung ist recht pragmatisch: Wäre Saddam noch an der Macht, würde ihr Ehemann noch leben.

F: Ist diese Lage nicht der eigentliche Motor für den Widerstand?

Wenn Sie heute durch den Irak reisen, werden Sie fast vor jeder Tankstelle kilometerlange Autoschlangen sehen. Und das in einem Land, das über die zweitgrößten Ölreserven weltweit verfügt, und das derzeit Treibstoff importieren muß. Sie werden ein Land sehen, daß trotz dieses Reichtums keinen Strom und kein fließendes Wasser hat. Sie werden ein Land sehen, in dem in die Leichenhallen der Hauptstadt jeden Morgen zwanzig bis dreißig neue Mordopfer eingeliefert werden. Von einem Besuch des großen schiitischen Friedhofes in Nadschaf wird Ihnen wegen der Sicherheitslage abgeraten, weil dort bewaffnete Kriminelle lauern. Wenn Sie dann durch das Land reisen, werden Sie überall ausgebrannte US-Fahrzeuge sehen. Der Unmut über die soziale Lage im Land und die Wut über die leeren Versprechen der US-Regierung ist inzwischen enorm groß. Das Gefährlichste, was nun passieren kann, wäre eine Vereinigung der Schiiten und der Sunniten. Alle zusammen könnten sich eher früher als später gegen die USA wenden.

F: Sehen Sie für eine solche Vereinigung ernsthafte Anzeichen?

Als die Briten 1917 nach Irak einmarschierten, da war der Widerstand gegen sie der einzige Punkt, der die vielen ethnischen und religiösen Gruppen zusammengehalten hat. Bei meinen Recherchen bin ich auf ein Flugblatt gestoßen, daß der Generalleutnant der Besatzungstruppen Stanley Maude 1917 an die Hauswände von Bagdad hat kleben lassen. Darauf heißt es: »Wir sind in Ihr Land nicht als Besatzer oder als Feinde gekommen, sondern als Befreier.« Wo haben wir diesen Satz schon einmal gehört?

Aus: junge Welt, 3. Februar 2004


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