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Wie ein Krieg vorbereitet wird

Das "Downing-Street-Memorandum" schließt eine Lücke in der Geschichtsschreibung über den Irakkrieg

Von Peter Strutynski*

Tony Blair ist nicht zu beneiden: Auf der europäischen Bühne spielt er seit dem französischen „Non“ zum EU-Verfassungsvertrag eine mehr als unglückliche Rolle (Referendum aufs Eis gelegt, Britenrabatt mit Zähnen und Klauen verteidigt) und im eigenen Land kocht die Affäre um den Irakkrieg wieder hoch. Wenn nicht alles täuscht, ist nun der letzte Beweis erbracht, dass Blair im Sommer 2002 alles in Bewegung setzte, um den von Washington bereits beschlossenen Krieg vor der eigenen Bevölkerung und der Weltöffentlichkeit zu „legitimieren“.

Der wohl wichtigste Beleg ist ein bislang geheim gehaltenes Memorandum aus dem Büro des Premierministers, das vor kurzem in der britischen Zeitung „Sunday Times" veröffentlicht wurde. Es handelt sich um eine Vorlage für eine Sitzung eines "inner circle des Kabinetts Blair am 23. Juli 2002 - acht Monate bevor der Irakkrieg begann.


IRAQ: CONDITIONS FOR MILITARY ACTION (A Note by Officials)
Im Wortlaut: Das "Downing-Street-Memorandum": Schockierende Inhalte / The contents of the memos are shocking - The Downing Street Memo (verbatim)


Im Schlepptau dieser Veröffentlichung folgten zahlreiche weitere Enthüllungen, etwa das Dossier des britischen Außenministers Jack Straw vom 25. März 2002, worin Straw seinen Regierungschef auf den bevorstehenden Besuch bei Präsident Bush vorbereitet. Straw stellt darin unmissverständlich klar: "Eine legale Rechtfertigung ist eine notwenige, aber nicht hinreichende Vor-"Bedingung" für eine Militäraktion. Wir müssen auch die große Frage beantworten: Was soll diese Aktion erreichen?" (A legal justification is a necessary but far from sufficient pre"condition" for military action. We have also to answer the big question - what will this action achieve?)
[Originaldokument: Jack-Straw-Memo]

Interessant auch die Niederschrift eines Gesprächs, das der britische Botschafter in Washington, Christopher Meyer, am 17. März 2002 mit dem damaligen stellvertretenden US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz führte. Darin macht Meyer deutlich, dass für einen Krieg gegen Saddam Hussein gute Gründe vorliegen müssten, um auch andere europäische Bündnispartner dafür zu gewinnen. Meyer wörtlich: "Wir [die britische Regierung] unterstützen einen Regimewechsel, aber der Plan muss clever sein und es darf kein Fehler gemacht werden." (We backed regime change, but the plan had to be clever and failure was not an option.) Meyer kündigte die Veröffentlichung eines Papers an, das Belastungsmaterial gegten Saddam enthalten würde. ("I said that the UK was giving serious through to publishing a paper that would make the case against Saddam.") Vermutlich spielt Meyer damit bereits auf ein Dossier an, das der britische Geheimdienst im Herbst 2002 dann tatsächlich veröffentlicht hatten, und auf das sich in der Folge die offizielle Kriegspropaganda in London und Washington stützte: "IRAQ`S WEAPONS OF MASS DESTRUCTION". Es stellte sich damals schnell heraus, dass die in diesem Geheimdienstpapier, dem Tony Blair sogar ein Vorwort vorangestellt hatte, erhobenen Vorwürfe an die Adresse des Irak nicht haltbar waren.
[Originaldokument: IRAQ AND AFGHANISTAN: CONVERSATION WITH WOLFOWITZ]

Aufschlussreich ist auch ein Brief, den Peter Ricketts, Politischer Direktor im britischen Ministerium für Auswärtiges und Commonwealth-Angelegenheiten, an seinen Chef, den Außenminiszter Jack Straw, am 22. März schrieb. Betreff: "IRAQ: ADVICE FOR THE PRIME MINISTER". Ricketts weist auf drei reale Probleme hin, die vor einem Krieg mit Irak zu beachten sind. Einmal gäbe es keine Hinweise darauf, dass sich die Bedrohung durch irakische Massenvernichtungswaffen in den letzten Jahren signifikant erhöht hätte: "But even the best survey of Iraq's WMD programmes will not show much advance in recent years on the nuclear, missile or CW/BW fronts." Zum zweiten sei eine Verbindung zwischen Saddam und Al Kaida nicht feststellbar. Ricketts wörtlich: Die krampfhaften Versuche der USA, eine Verbindung zwischen Irak und Al Kaida (im Original: "Al Aaida") herzustellen, sind offen gesagt nicht überzeugend. ["US scrambling to establish a link between Iraq and Al Aaida is so far frankly unconvincing."] Das dritte Problem besteht darin, dass über die Kriegsziele keine Klarheit bestünde. Beim Jugoslawienkrieg war das Ziel klar: "Serben raus, Kosovaren zurück, Friedenstruppen rein." ["Serbs out, Kosovars back, peace-keepers in."] Klar waren auch die Ziele beim Afghanistan-Einsatz: "For Afghanistan, destroying the Taleban and Al Qaida military capability." Aber was soll am Ende des Irakkriegs stehen? Ricketts stellt klar, dass der Wunsch nach einem Regimewechsel keineswegs ausreichend sei ["regime change: does not stack up".] Das sähe zu sehr nach einer Privatfehde zwischen Bush und Saddam aus: "It sounds like a grudge between Bush and Saddam." So bleibt wohl nur noch der Rat an die USA, den Konflikt mit Saddam zu "entpersonalisieren" und die Hauptargumentation darauf zu verlegen, dass Saddam angegriffen werden müsse, bevor er seine Massenvernichtungswaffen einsetzte bzw. an Terroristen weitergebe. Das sei gleichzeitig auch völkerrechtlich leichter zu rechtfertigen. ("This is at once easier to justify in terms of international law...") US-Präsident Bush sollte also den Weg über die Vereinten Nationen und die UN-Waffeninspekteure beschreiten. So könne er nur gewinnen: Wenn Saddam entgegen allen Erwartungen Inspektionen zulässt, dann kann sein Waffenprogramm kontrolliert und weiter beschränkt werden; sollte er dagegen die Inspektionen ablehnen oder behindern, dann hätten "wir" einen viel stärkeren Grund, die Methode zu wechseln ("we are on stronger ground for switching to other methods"), vulgo: Krieg zu führen.
[Originaldokument: IRAQ: ADVICE FOR THE PRIME MINISTER]

Weitere Dokumente sind auf der Seite "Documents related to and confirming the Downing Street Memo" sowie auf der Seite www.afterdowningstreet.org veröffentlicht. Hier können auch zahlreiche Zeitungsartikel aus Großbritannien und den USA nachgelesen werden, die im Mai und Juni über das "Downing Street Memo" veröffentlicht wurden.

In allen Dokumenten britischer Regierungsstellen geht es im wesentlichen um zwei Probleme:
  • Wie kann ein möglicher Angriff auf den Irak völkerrechtlich legitimiert und vor der eigenen Öffentlichkeit als notwendige Maßnahme "verkauft" werden. Wie können darüber hinaus die europäischen Bündnispartner mit ins (Kriegs-)Boot geholt werden. Diese Fragen beschäftigten vor allem die britischen Blätter.
  • Zum anderen wurde deutlich, dass die US-Administration über keine durchdachten Pläne für die Gestaltung des neuen Irak nach dem Regimewechsel verfügten. Ein Krieg ohne klares politisches Ziel sei aber nur schwerlich zu einem guten Ende zu bringen. Die US-Medien, die erst zwei Wochen nach den Enthüllungen der britischen Zeitungen auf das Thema aufgesprungen sind, haben vor allem diesen Aspekt in den Vordergrung gestellt.
Mittlerweile ist auch ein Streit darüber entbrannt, welche Bedeutung den Dokumenten beizumessen ist. Alle großen Zeitungen in Großbritannien und den USA haben über die Downing-Street-Memos berichtet - in deutschen Blättern herrscht vergleichsweise Ebbe. Der Christian Science Monitor allerdings spielt deren Bedeutung herunter und behauptet, hier handle es sich lediglich um ein Lieblingsspielzeug der Linken (Michael Kinsley: The left gets a memo, in: CSM, 16. Juni 2005). Am Wahrheitsgehalt der Dokumente lässt der CSM indessen keinen Zweifel. Nur hätte all das auch schon den Tageszeitungen vom Juli 2002 entnommen werden können. Die Memos brächten absolut nichts Neues. Demgegenüber preist "Slate" die Downing Street Memos als eine "zentrale Fußnote" in der Geschichte des Irakkriegs ("a key footnote in the history books"). Insbesondere sei nun ein für allemal klar belegt, dass zuerst der Irakkrieg beschlossen worden und dann erst nach Wegen gesucht worden sei, wie man den Krieg gegenüber der eigenen Bevölkerung und der Weltöffentlichkeit legitimieren könne (siehe: Fred Kaplan, Let's Go to the Memo). Gewiss, viele Journalisten und Kommentatoren haben das so in zahlreichen Artikeln auch schon geschrieben. Sie stützten ihre Urteile aber lediglich auf Indizien und nicht auf Tatsachen. Die Memos aus dem Regierungssitz Tony Blairs haben das nun gründlich nachgeholt. Insofern müssen sie fortan als wichtige Primärquellen für die Beurteilung der US-amerikanischen und britischen Kriegsvorbereitungen herangezogen werden.

IRAQ: CONDITIONS FOR MILITARY ACTION (A Note by Officials)
Im Wortlaut: Das "Downing-Street-Memorandum": Schockierende Inhalte / The contents of the memos are shocking - The Downing Street Memo (verbatim)


* Dieser Beitrag erschien auch in der Schweizer Wochenzeitung WoZ, 7. Juli 2005 ("Wie ein Krieg vorbereitet wird")


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