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Die Angst der Dolmetscher

Dänemarks Truppen ziehen ab – irakische Übersetzer befürchten Rache

Von Bernd Parusel, Stockholm *

Im August will die dänische Regierung ihre Soldaten aus Irak zurückholen. Unklar ist, was aus den irakischen Dolmetschern wird. Sie haben Angst vor Racheakten von Aufständischen.

Rund 100 Iraker haben in den letzten Jahren als Dolmetscher und Übersetzer für die in dem besetzten Land stationierten dänischen Truppen gearbeitet. Da sie über militärisches Wissen verfügen und zudem von Aufständischen als Verräter angesehen werden könnten, fürchten sie nun um ihre Sicherheit. In zwei Monaten sollen ihre Arbeitgeber nämlich abgezogen werden. Dieser Tage wurde bekannt, dass bereits im Dezember ein früherer Dolmetscher von Terroristen entführt, gefoltert und getötet wurde. »Wir lassen die Dolmetscher nicht im Stich«, beteuerte der Kopenhagener Premierminister Anders Fogh Rasmussen vergangene Woche.

Seine Regierung hat jedoch noch nicht entschieden, wie sie für ihre Sicherheit sorgen will. Oppositionsparteien verlangen, allen früheren Dolmetschern Asyl zu gewähren, und auch Allan Niebuhr von der Regierungspartei Konservative Folkeparti erklärte, die Dolmetscher hätten einen »wichtigen Einsatz« geleistet und müssten nun »jede Hilfe bekommen, die sie sich wünschen«.

Die rechtsradikale Dänische Volkspartei, von der die Rasmussen-Regierung im Parlament abhängig ist, sträubt sich jedoch dagegen. »Wenn wir anfangen, ihnen zu helfen, können alle möglichen Leute, die der Koalition geholfen haben, behaupten, dass sie Asyl brauchen«, schimpfte ihr außenpolitischer Sprecher Søren Espersen.

Um die Blockade zu lösen, schickte die Regierung jetzt Mitarbeiter verschiedener Ministerien nach Irak. Sie sollten vor Ort mit den Dolmetschern besprechen, wie »individuelle Lösungen« aussehen könnten. Die Iraker könnten neue Arbeitsplätze und Schutz bei den britischen oder den USamerikanischen Truppen oder in ausländischen Unternehmen bekommen, berichteten dänische Zeitungen, oder man mache Möglichkeiten für Asyl in Nachbarländern Iraks ausfindig. In manchen Fällen sei auch Zuflucht in Dänemark denkbar.

Offenbar will Kopenhagen jedoch nicht bei der Ausreise der Dolmetscher behilflich sein. »Uns wurde gesagt, dass wir uns selbst um die Reise kümmern müssen«, sagte einer von ihnen der Tageszeitung »Politiken«. Viele hätten jedoch keine Pässe und nicht genug Geld.

Auch das Flüchtlingshilfswerk UNHCR rief Kopenhagen dazu auf, den Dolmetschern Asyl zu gewähren. Dänemark solle sich ein Beispiel an den USA nehmen, sagte Måns Nyberg von der UNHCR-Außenstelle in Stockholm. Die USA hätten nicht nur Übersetzern, sondern auch Chauffeuren und anderen Mitarbeitern angeboten, in die USA zu kommen.

In Schweden wird die Debatte im Nachbarland aufmerksam verfolgt und als Indiz dafür gewertet, dass die ausländerfeindliche »Dansk Folkeparti« Premier Rasmussen vor sich hertreibt. »Dagens Nyheter« forderte den schwedischen Migrationsminister Tobias Billström zum Eingreifen auf: »Wenn es in Dänemark keinen Platz für die irakischen Dolmetscher gibt, sollte ihnen Zuflucht in Schweden gewährt werden.« Stockholm hat selbst keine Soldaten in Irak. Im Jahr 2006 beantragten nach UNHCR-Angaben jedoch 2330 Iraker Asyl in Schweden, so viele wie in keinem anderen Land der EU. Dänemark registrierte im gleichen Zeitraum 264 Anträge.

Nach einer am Montag »Politiken« veröffentlichten Umfrage sind 63 Prozent der Dänen dafür, den irakischen Dolmetschern Asyl zu gewähren.

* Aus: Neues Deutschland, 26. Juni 2007


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