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Kansteiners Glasperlen oder: Wird Politik zu einer käuflichen Ware?

US-Diplomaten auf Stimmenfang im UN-Sicherheitsrat

Die US-Administration versucht alles, um im Sicherheitsrat doch noch die erforderlichen 9 Stimmen zusammen zu bringen. Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge aus drei Artikeln, die sich mit den US-Methoden der diplomatischen Beeinflussung von Regierungen befassen.


Am 5. März schreibt Gerd Schumann in der "jungen Welt" unter der Überschrift "Kansteiners Glasperlen" u.a.:

Zwei unterschiedliche Methoden, die beide mit Erpressung zu tun haben, kennzeichnen die derzeit hektischen Bemühungen der USA um die drei afrikanischen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates. Guinea, Kamerun und Angola sind in Vorbereitung eines Irak-Krieges unverhofft ins Zentrum ungewohnter Aufmerksamkeit seitens Washingtons geraten. Insgesamt neun Sicherheitsratsmitglieder müßten als »qualifizierte Mehrheit« ihre Zustimmung zur Kriegsresolution der USA, Großbritanniens und Spaniens geben. Angesichts eines derzeitigen Kräfteverhältnisses im 15köpfigen Gremium von fünf zu vier Stimmen gegen den Krieg stellt sich den USA eine besondere »Herausforderung«, nämlich fünf Stimmen zu »gewinnen«, egal wie. Wenn das gelänge, bliebe den Minderheitenstaaten lediglich das Vetorecht, das dann von Frankreich, Rußland oder China wahrgenommen werden könnte.

Für die am Sonntag bekanntgewordene Methode Nummer eins zeichnete der US-Geheimdienst NSA (National Security Agency) verantwortlich: Laut Zeitungsberichten wurde er von der Bush-Administration angewiesen, sich besonders um die UN-Delegationen »unentschlossener« Sicherheitsratsmitglieder« zu bemühen«. Dabei handelt es sich neben Mexiko und Chile (siehe jW vom 4. März) um Pakistan und die genannten afrikanischen Staaten, die in New York ausspioniert werden sollten. Dazu gehörten unter anderem die »Überwachung« der gesamten Telekommunikation sowie die Bespitzelung der Delegationsmitglieder. Ziel war die Sammlung von Material zur eventuellen Beeinflussung des Abstimmungsverhaltens.

Die Zeit drängt, und also verordnete die Bush-Regierung als zweite Methode der Einflußnahme ihrem Sonderbeauftragen für Afrika, Walter Kansteiner, eine »Blitzreise« in die drei Hauptstädte Conakry, Jaunde und Luanda. Dabei hinterließ Kansteiner am Wochenende in Guinea, das seit dem 1. März in Nachfolge der deutschen Präsidentschaft nunmehr dem UN-Gremium einen Monat lang vorsteht, einen Scheck über 29 Millionen Dollar. Auch die britische Abgesandte Valerie Amos überreichte sechs Millionen Dollar. Guinea gehört mit seinen 7,7 Millionen Einwohnern zu den 50 ärmsten Ländern der Welt und beherbergt Millionen Flüchtlinge aus den Nachbarländern Liberia und Sierra Leone. Die USA verfügen im Land über eine starke Militärpräsenz und bilden »Spezialkräfte« der Armee aus. Zudem bemüht sich Washington um die Ausbeutung der umfangreichen Rohstoffvorkommen, vor allem Bauxit, Gold und Diamanten. Die USA sind insgesamt deren größter Abnehmer, doch zeigt auch Rußland in jüngster Zeit starkes Interesse. Beobachter sehen die Regierung des Generals Lansana Conte trotz US-Dominanz im Land in einem Zwiespalt. Denn viele Staaten der Region betrachten die Vormachtstellung der USA mit Argwohn. Zudem sind 85 Prozent der Bevölkerung muslimisch, was zu einer Destabilisierung der innenpolitischen Lage im Kriegsfalle führen könnte. Auch ist Frankreich der bedeutendste Zahler von »Entwicklungshilfe« und hat aus Kolonialzeiten feste Beziehungen. »Wir sind für die Fortsetzung von Inspektionen, aber nicht unbegrenzt«, sagte der guineische UN-Botschafter Mamady Traore in der Sicherheitsratssitzung am 14. Februar und brachte damit die nach beiden Seiten offene Unentschiedenheit Guineas auf den Punkt.

In der ehemaligen französischen Kolonie Kamerun mit nach wie vor starkem Einfluß aus Paris gilt ein Votum für den Krieg als eher unwahrscheinlich. Trotzdem konnte Kansteiner in Jaunde nicht nur auf die letztjährigen Ölexporte Kameruns in die USA im Wert von 100 Millionen Dollar »hinweisen« und – vergleichsweise bescheidene – vier Millionen Dollar »Entwicklungshilfe«, sondern vor allem auf ein aktuelles Großprojekt. Bei der im Bau befindlichen 1000 Kilometer langen Ölleitung von Tschad nach Kamerun handelt es sich mit vier Milliarden Dollar Volumen um die größte Auslandsinvestition der USA auf dem afrikanischen Kontinent. Träger sind die Konzerne Chevron Texaco und Exxon, und es dürfte Kansteiner angesichts der wachsenden Bedeutung Kameruns – und also nicht ausschließlich wegen der aktuellen Stimmsituation im Sicherheitsrat – leicht gefallen sein, der kamerunischen Regierung interessante Gaben in Aussicht zu stellen.

Ebenfalls in Sachen Öl und des Ausbaus der diesbezüglichen Beziehungen zu Afrika setzen die USA schon längere Zeit auf Angola. Bereits heute stammen 17 Prozent der US-amerikanischen Ölimporte aus dem ölreichen Land im südlichen Afrika. Die ehemals portugiesische Kolonie, die nach der 1975 erkämpften Unabhängigkeit über 25 Jahre unter einem fürchterlichen Krieg gegen die von Südafrika und den USA ausgerüsteten UNITA-Banden litt und deren Infrastruktur weitgehend zerstört ist, näherte sich unter Präsident José Eduardo dos Santos in den vergangenen Jahren den USA an. 100 Millionen Dollar jährlicher »Wiederaufbauhilfe« billigt Washington zur Zeit dos Santos zu. Trotzdem scheint Angolas Haltung im Sicherheitsrat keinesfalls klar. Darauf deuteten überraschende Transatlantik-»Long-distance-calls« nach dem Besuch von Kansteiner hin. Zunächst wurde dos Santos mit einem Anruf von Außenminister Colin Powell, danach von Präsidentenberaterin Condoleezza Rice und schließlich von Bush persönlich konfrontiert. Inhalte wurden nicht bekannt, allerdings dürfte es für Angola so oder so nicht einfach sein, sich offen an die Seite des ehemaligen Hauptfeinds USA zu stellen – auch angesichts der regionalen Dominanz Südafrikas, das als entschiedener Gegner eines Angriffs auf Irak gilt.


Zum selben Sachverhalt beschrieb eine Woche zuvor der Afrika-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, Michael Bitala, in einem Hintergrundartikel die "Diplomatie, die zum Krieg führen soll". Darin heißt es u.a.:

(...) Alle afrikanischen Regierungen sprachen sich gegen einen Irak-Krieg aus. So beendete die Afrikanische Union Anfang Februar ein Gipfeltreffen mit dem Aufruf zur friedlichen Lösung des Konflikts. (...) Eine ähnliche Erklärung gaben die Afrikaner noch einmal in der vergangenen Woche ab, als sie sich zum französisch-afrikanischen Gipfel in Paris trafen. Sie stellten sich hinter die Position Frankreichs, das mehr Zeit für die Waffeninspekteure fordert. (...)

Trotz dieses eindeutigen Votums ist völlig offen, wie sich die drei afrikanischen Länder im Sicherheitsrat wirklich verhalten werden. Denn die Frage, ob sie für oder gegen den Resolutionstext der USA und Großbritannien stimmen, bringt den Staaten enorme Probleme. (...)

Die größten Schwierigkeiten hat sicherlich Guinea, das am 1. März den Sicherheitsratsvorsitz von Deutschland übernehmen wird. In diesem westafrikanischen Land sind zum einen mehr als 80 Prozent der Menschen Muslime und somit klar gegen einen Krieg, außerdem ist das Land auch Mitglied der Organisation der Islamischen Konferenz. Zum anderen aber ist das Verhältnis zur ehemaligen Kolonialmacht Frankreich ausgesprochen schlecht. (...)

Seit einiger Zeit haben sich hingegen die Beziehungen zu den USA intensiviert. So unterstützten die Amerikaner im vergangenen Jahr das guineische Militär mit etwa drei Millionen Dollar bei der Ausbildung von Grenzschutz-Einheiten. Eine Hilfe, auf die das völlig verarmte Land angewiesen ist – zumal es in einem der unruhigsten Gebiete des Kontinents liegt. Seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs in der Elfenbeinküste droht ganz Westafrika im Chaos zu versinken; schon jetzt sind Guineas Nachbarländer Liberia und Sierra Leone von Kriegen völlig zerstört. Der Leiter der Afrika-Abteilung im US- Außenministerium, Walter Kansteiner, war erst im Oktober in der guineischen Hauptstadt Conakry, und derzeit hält er sich wieder in der Region auf. Was die Botschaft seiner Reise ist, drückt ein Diplomat so aus: „Jedes Land, das nicht mit den USA mitzieht, wird einen sehr hohen Preis zahlen müssen.“ Wer hingegen mitmacht, kann sich großzügige Finanzhilfen erhoffen. Das Weiße Haus schöpfe derzeit „alle diplomatischen Mittel“ aus, „und das bedeutet wirklich alle“. (...)

In einer ähnlichen Zwickmühle befindet sich auch Kamerun, dessen Außenminister sich im Sicherheitsrat bislang eindeutig für die Verlängerung der Inspektionen im Irak ausgesprochen hat. (...) Doch auch Kamerun hat ein existentielles Interesse an guten Beziehungen zu Amerika. Das Land liegt am Golf von Guinea, wo enorme Erdölvorkommen lagern, und außerdem endet hier eine Pipeline aus dem Tschad. Da Amerika in den nächsten zehn Jahren die Erdöl-Importe aus Afrika von derzeit 15 auf 25 Prozent erhöhen möchte, kommt Kamerun eine wichtige Rolle zu. Ein Nein im Sicherheitsrat könnte die Geschäftsbeziehungen empfindlich stören.

Ähnliche Interessen hat auch Angola, vor dessen Küste noch größere Ölvorräte lagern, die von US-Konzernen seit Jahren gefördert werden. Die USA haben jahrzehntelang den dortigen Bürgerkrieg beeinflusst, indem sie auf der einen Seite die sozialistische Regierung von Jose Eduardo dos Santos durch die Ölkäufe finanzierten, auf der anderen Seite rüsteten sie dessen Gegner Jonas Savimbi mit Waffen aus. Seit dem Tod Savimbis und dem Ende des Konflikts haben sich die Beziehungen zur angolanischen Regierung vertieft, so dass nun noch mehr Erdöl gefördert wird. Dieser Reichtum könnte den Angolanern aber ein Nein zur US-Resolution erleichtern. Informationsminister Hendrik Vaal Neto deutete dies an. Er sagte, die Inspektoren sollten ihren Auftrag beenden und Washington nicht zum Krieg „hetzen“. Sein Land sei unabhängig genug, um keine Art von Druck zu akzeptieren.

Aus: Süddeutsche Zeitung, 26.02.2003

Und schließlich sei noch aus einem Artikel von Dafna Linzer für die US-amerikanische Nachrichtenagentur Associated Press vom 24. Frbuar 2003 zitiert, der offenbar den beiden oben stehenden Artikeln zugrundelag.


Dafna Linzer, Associated Press

United Nations- Senior U.S. officials have been quietly dispatched in recent days to the capitals of key Security Council countries where they are warning leaders to vote with the United States on Iraq or risk "paying a heavy price."

For some of the countries, such as Angola, Guinea and Cameroon - poor African nations whose concerns drew little attention before they landed seats on the council - there is the possibility that supporting Washington's drive for a new U.N. resolution authorizing war may reap benefits down the line.

"For a long time now, we have been asking for help to rebuild our country after years of war," said Angolan Ambassador Ismael Gaspar Martins. "No one is tying the request to support on Iraq but it is all happening at the same time."

Angola's president, Jose Eduardo dos Santos, met in Luanda Thursday with U.S. Assistant Secretary of State Walter Kansteiner, who was diverted from a trip to South Africa to meet with the leaders of the council's three African nations.

"In Africa, the message is simple: Time is running out and we think they should support us," said one U.S. diplomat on condition of anonymity.

The United States and Britain plan to submit their resolution to the Security Council this week and will ask for a vote by the middle of March.

In the meantime, the State Department has sent some of its top people to the world's capitals to lobby for support even as President Bush, Secretary of State Colin Powell and British Prime Minister Tony Blair work the phones. The Bush administration has also recruited the leaders of Australia and Spain to help push for votes.

"The order from the White House was to use 'all diplomatic means necessary,' " another U.S. diplomat said. "And that really means everything."

In the past three weeks, the administration has sent Undersecretary of State Marc Grossman and Kim Holmes, the assistant secretary of state for international organizations, to Mexico City.

Mexican diplomats described the visits as hostile in tone and complained that Washington was demonstrating little concern for the constraints of the Mexican government, whose people are overwhelmingly opposed to a war with Iraq.

"They actually told us: 'Any country that doesn't go along with us will be paying a very heavy price,' " said one Mexican diplomat.
(...)
While Washington and London believe they already have the necessary authorization to forcefully disarm Iraq, many key allies - Turkey included - have said a new resolution would help them overcome opposition at home.

But so far, Washington is at least five votes short with support guaranteed only from Britain, Spain and Bulgaria.

Since both Germany and Syria have said they would not support the resolution, and Pakistan is almost certain to abstain, the United States must persuade the African trio as well as Chile and Mexico to vote yes. Otherwise, the resolution will fail.

Diplomats said there was little the Bush administration could use to scare or entice Mexico now since it does not receive U.S. aid and the one thing it had wanted most - legalizing the status of undocumented Mexicans in the United States - was taken off the table more than a year ago.

Associated Press, february 24, 2003


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