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Das Desaster im Irak könnte kaum größer sein

US-Regierung drängt auf Ölgesetz und "Versöhnung" und verstärkt ihre Angriffe - US-Medien plädieren für Truppenabzug

Im Folgenden dokumentieren wir zwei Artikel, in denen die verfahrene Situation im Irak und deren politische Widerspiegelung in den USA und deren Medien zum Ausdruck kommt. Ergänzend empfehlen wir die zwei jüngsten Reden des US-Präsidenten, mit denen er seinem Land und sich selbst Mut machen möchte:


Bagdad auf verfahrenem Kurs

Gerangel um das Ölgesetz zeigt prekäre Situation der Regierung

Von Karin Leukefeld *

Unsicherheit besteht über die Zukunft des irakischen Ölgesetzes. Anfang Juli hatte Ministerpräsident Nuri al-Maliki verkündet, das Kabinett habe sich auf einen Gesetzentwurf über die Neuordnung der Ölindustrie geeinigt und das Parlament werde sich in wenigen Tagen damit befassen.

Das Kabinett ist allerdings seit Monaten nicht mehr vollzählig. Im April traten sechs Minister der Sadr- Bewegung in einen Boykott, weil sie mit dem Verbleib der US-Truppen in Irak nicht einverstanden waren. Wie auch die Sunniten fordert die Sadr-Bewegung einen Zeitplan für den Rückzug der USArmee.

Auch die sechs Minister der sunnitischen Fraktionen boykottieren die Regierungsarbeit. Sie hatten sich Ende Juni zurückgezogen, nachdem gegen einen ihrer Minister ein Haftbefehl erlassen und der sunnitische Parlamentssprecher entlassen worden war. Der Entwurf für das Ölgesetz wurde also von einem Rumpfkabinett verabschiedet, bestehend aus Ministern der kurdischen PUK und KDP sowie der schiitischen Dawa-Partei und SCIRI.

Auch das Parlament mit seinen 275 Abgeordneten ist nicht mehr vollständig. Sowohl die 32 Abgeordneten der Sadr-Bewegung als auch die 44 sunnitischen Abgeordneten boykottieren die Parlamentsarbeit seit Juni. Während sich die sunnitischen Politiker zunehmend an den Rand von Entscheidungen gedrängt sehen, kritisieren die Politiker der Sadr-Bewegung den Einfluss der USA auf die irakische Politik. Die Sitzungen der Volksvertretung sind zudem unregelmäßig, und viele Abgeordnete ziehen es vor, aus Sicherheitsgründen nicht zu erscheinen. Kopien des neuen Ölgesetzes sollen bisher noch nicht an die Abgeordneten verteilt worden sein.

Bis zum Sturz von Saddam Hussein war das irakische Öl verstaatlicht, ein Zustand, den die US-Regierung dringend rückgängig machen will. Irak soll nur noch das Recht haben, Verträge mit Ölfirmen schließen zu können. Das Ölgeld soll dann zentral von Bagdad aus regional verteilt werden. In Washington drängt man auf die Verabschiedung des neuen Ölgesetzes, um Versöhnung und Wohlstand in Irak voranzutreiben, so die Sprachregelung. Tatsächlich warten US-Ölkonzerne in den Startlöchern, um die ihnen versprochenen Verträge endlich umsetzen zu können. Die größten Ölvorkommen liegen in Südirak sowie in Kirkuk, auf das die kurdische Autonomieregierung in Erbil Anspruch erhebt. Die Kurden scheinen nach langem Streit dem neuen Gesetz zugestimmt zu haben, sie fordern 17 Prozent für die Kassen der Autonomieregion. Die Sunniten wollen weiterhin die zentrale Kontrolle über das Öl bei der Regierung belassen, die Sadr-Bewegung lehnt das Gesetz ab, weil es die Interessen der USA bedient.

Die Situation ist verfahren. Premier Maliki handelt unter enormem Druck der USA und hat seinen angekündigten Weg der inneren Versöhnung längst verlassen. Das Ergebnis ist eine Zunahme der Gewalt, was Maliki in Washington als unfähig erscheinen lässt.

* Aus: Neues Deutschland, 10. Juli 2007


Bushs Irak-Politik unter Mediendruck

Politisches und militärisches Desaster kritisiert

US-Präsident George W. Bush gerät mit seiner Irak-Politik auch seitens der Massenmedien im eigenen Land immer stärker unter Druck.

Die irakische Regierung mache nur unzureichende Fortschritte bei der Stabilisierung des Landes und werde entsprechende Vorgaben und Fristen der US-Regierung aller Voraussicht nach verfehlen, berichtete die Zeitung »Washington Post« unter Berufung auf einen Irak-Zwischenbericht, der dem Kongress vorgelegt werden soll; im September soll ein abschließender Bericht folgen. Das Blatt zitiert einen ranghohen US-Geheimdienstmitarbeiter mit den Worten, es gebe nicht genug politische Fortschritte in Irak, um die Vorgaben bis September zu erreichen.

Zwar verbessere sich die Sicherheitslage in Irak, allerdings nur in Teilen des Landes, zitiert das Blatt den Geheimdienstmitarbeiter weiter. Der Zeitung zufolge kommt der Bericht zu dem Schluss, dass die Zahl der in Irak getöteten US-Soldaten weiter steigt, die Gewalt sich auf immer größere Teile des Landes erstreckt und sich die Glaubensgemeinschaften in Irak immer stärker bekriegen. Der Irak- Bericht ist für den US-Kongress Grundlage für die Bewilligung von Finanzmitteln für den USMilitäreinsatz in Irak.

Verteidigungsminister Robert Gates vertagte eine Lateinamerika-Reise, um bei der Vorstellung des Irak-Berichts anwesend zu sein.

Unterdessen forderte die »New York Times« den unverzüglichen Abzug der US-Soldaten aus Irak. In einem ungewöhnlich langen Kommentar auf einer halben Zeitungsseite heißt es: »Es ist Zeit für die USA, Irak zu verlassen.« Dies dürfe nicht mehr Zeit in Anspruch nehmen als es dauere, einen geordneten Rückzug zu organisieren. Bush habe ein »Desaster geschaffen«, als er »ohne hinreichenden Grund« den Einmarsch in Irak angeordnet haben – ungeachtet »weltweiten Widerstands und ohne einen Plan, das Land später zu stabilisieren«. Es sei »erschreckend deutlich«, dass Bush vorhabe, für die Dauer seiner Präsidentschaft seinen Kurs weiterzuverfolgen und das Chaos seinem Nachfolger zu überlassen.

Im Kabinett des Ende Juni abgetretenen britischen Premierministers Tony Blair hat es nach Darstellung seines früheren Kommunikationsdirektors Alastair Campbell tiefe Zweifel an der Entscheidung für den Irakkrieg gegeben. »Wir hatten alle ziemlich schwere Momente des Zweifels«, heißt es in den am Montag veröffentlichten Auszügen aus Campbells Erinnerungen an die Blair-Ära (»The Blair Years«), die in einem 794 Seiten starken Buch enthalten sind. Selbst die Blair- Verbündeten John Reid und John Prescott hätten »körperlich krank« ausgesehen, als das Kabinett vor der entscheidenden Parlamentssitzung zum Beschluss über den Irakkrieg zusammentraf. Blair selbst habe entweder keine Zweifel gehabt, oder er habe sie sogar vor seinen engsten Mitarbeitern verborgen, heißt es.

* Aus: Neues Deutschland, 10. Juli 2007


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