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Cholera im Irak

Bis Ende Oktober wird mit einer Ausweitung der Epidemie gerechnet. Bisher fünf Todesfälle. Ursachen gehen auf US-Aggression, daraus folgende Armut und Korruption zurück

Von Karin Leukefeld *

Wie schon im vergangenen Jahr breitet sich auch in diesem Herbst wieder eine Choleraepidemie im Irak aus. 2007 waren vor allem die kurdischen Autonomieprovinzen im Nordirak betroffen, von 4000 gemeldeten Fällen überlebten damals 100 Personen die Krankheit nicht. In diesem Jahr sind nach Auskunft des irakischen Gesundheitsministeriums die Hauptstadt und Provinz Bagdad sowie die südlichen Provinzen Babil, Kerbala, Najaf, Basra und Maysan betroffen. Auch in Diyala und der westlichen Provinz An Anbar wurden Cholerafälle gemeldet. Die Zahl der Erkrankungen liege derzeit bei 172, teilte Ihsan Jaafar, Leiter der Abteilung für öffentliche Gesundheit im Gesundheitsministerium und Sprecher der dort angesiedelten »Einheit zur Kontrolle der Cholera«, mit. Dutzende weiterer Fälle würden derzeit geprüft, man erwarte einen weiteren Anstieg bis Ende Oktober. »Spitzenzeiten« für Cholera im Irak sind August, September und Oktober. Bisher wurden offiziell fünf Todesfälle gemeldet. Man verfüge zwar über ausreichend Medizin und die ärztlichen Teams seien unterwegs, erklärte Jaafar, doch seien damit die Grundprobleme der Cholera im Irak nicht beseitigt.

Cholera entsteht durch den Gebrauch von verunreinigtem Wasser und dem Verzehr verdorbener Lebensmittel. In extremen Fällen führt die Durchfallerkrankung zur tödlichen Austrocknung eines Patienten. Besonders Kinder und alte Menschen sterben an Cholera, zumal, wenn ihre Widerstandskräfte wenig ausgeprägt sind. Elf Prozent der neugeborenen Kinder im Irak kommen nach Angaben von Caritas International und Caritas Irak unterernährt zur Welt, dreimal so viele, wie zur Zeit der Herrschaft Saddam Husseins. Hier liegt auch eine Ursache der regelmäßig auftretenden Cholera im Irak, denn die Wasser- und Abwasserversorgung der Großstädte, wo mehr als die Hälfte der Iraker leben, stammt aus den 1950iger und 1960iger Jahren und ist völlig marode. Während der Zeit der UN-Sanktionen bis von 1990 bus 2003 war es dem Irak fast unmöglich, Chemikalien und Ersatzteile für die städtischen Kanalisationssysteme einzuführen, da diese Güter beim UN-Sanktionskomitee als »dual-use« regelmäßig blockiert wurde. »Dual-use« bedeutet, daß ein Gegenstand oder Material sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden kann.

Nach dem Krieg 2003 wurden die Sanktionen zwar aufgehoben und hochdotierte Wiederaufbauprojekte für die Kanalisation ausgeschrieben und auch vergeben, doch fragen sich die Iraker bis heute, warum nach fünf Jahren nicht nur kein sauberes Wasser aus ihren Leitungen fließt, sondern meistens überhaupt kein Wasser. Das Geld sei in den Taschen von Politikern, Firmenvertretern und Projektvermittlern verschwunden, meint Saad A. (im Telefonat mit der Autorin), der mit seiner Familie in einem der ärmeren Stadtviertel von Bagdad lebt. Wie er müssen alle Iraker einen großen Teil ihres geringen Monatseinkommens für den Kauf von sauberem, abgefülltem Wasser ausgeben. Wer kein Geld hat, nimmt das Wasser von dort, wo er Zugang findet: aus einem der großenteils verseuchten Flüsse, Seen oder aus verrosteten und leckgeschlagenen Wasserrohren.

* Aus: junge Welt, 24. September 2008


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