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"Die Risiken der Untätigkeit sind sehr viel größer als die Risiken des Handelns" - "Afghanistan war nur der Anfang eines längeren Feldzugs"

Die viel diskutierte Rede des US-Vizepräsidenten Richard Cheney im Wortlaut

Nachfolgend dokumentieren wir die wesentlichen Teile der Rede von US-Vizepräsident Richard B. Cheney vor Veteranen in Nashville vom 26. August 2002. Sie hat in der Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit gefunden, weil der Hardliner Cheney in klaren Worten die unveränderte Kriegsbereitschaft der US-Administration unterstrichen hat. Die Kommentatoren waren sich darin einig, dass Cheney in seiner Rede auch den Willen des US-Präsidenten zum Ausdruck bringt, der in den letzten Tagen - offenbar wegen starker Kritik aus den eigenen Reihen - in der Irak-Frage etwas untergetaucht war. Cheney Rede lässt keinen Zweifel daran, dass die USA den Krieg wollen. Und er bestätigt auch noch einmal die Äußerungen von Bush vom September 2001, wonach jeder Staat, der nicht für die USA ist, zu den Feinden der USA zu zählen ist. Ceheney spricht in dem Zusammenhang von der "Bush-Doktrin".

Irak besitzt Massenvernichtungswaffen und ist bereit, sie einzusetzen

Die Rede von Richard B. Cheney am 26. August 2002 in Nashville


Seit den Terroranschlägen vom 11. September ist viel geschehen. Aber wie Verteidigungsminister Rumsfeld gesagt hat, sind wir dem Anfang dieses Krieges immer noch näher als dem Ende. Die Vereinigten Staaten befinden sich in einem beispiellosen Konflikt - einer neuen Art von Krieg gegen eine neue Art von Feind. Die Terroristen, die die Vereinigten Staaten angriffen, sind skrupellos, sie sind erfinderisch, und sie verstecken sich in vielen Ländern. Sie kamen in unser Land, um tausende unschuldiger Männer, Frauen und Kinder zu ermorden. Zweifellos wollen sie uns wieder angreifen und sich die schrecklichste aller Waffen beschaffen.

Gegen solche Feinde haben die Vereinigten Staaten und die zivilisierte Welt nur eine Option: Wo immer Terroristen auch agieren, wir müssen ihren Aufenthaltsort ausfindig machen, ihre Planungen unterbinden und einen nach dem anderen vor Gericht bringen.

In Afghanistan ist dem Talibanregime und den Al-Qaida-Terroristen das Schicksal widerfahren, das sie sich selbst ausgesucht haben. Und sie haben die neuen Methoden und Fähigkeiten der amerikanischen Streitkräfte aus nächster Nähe und persönlich gesehen. Als ehemaliger Verteidigungsminister möchte ich sagen, dass ich niemals zuvor so stolz auf die Streitkräfte der Vereinigten Staaten war.

Die in diesem Konflikt bereits zu Tage getretene Kombination von Vorteilen - Präzisionseinsätze aus der Luft, nachrichtendienstliche Erkenntnisse in Echtzeit, Sondereinsatzkräfte, die große Reichweite von Marineeinheiten und die enge Abstimmung mit örtlichen Streitkräften - stellt einen bedeutenden Fortschritt unserer Fähigkeit dar, den Feind anzugreifen und zu besiegen. Diese Vorteile werden bei zukünftigen Feldzügen nur noch mehr an Bedeutung gewinnen. Präsident Bush hat oft davon gesprochen, wie die Vereinigten Staaten den Frieden bewahren können, wenn sie den Begriff Krieg neu definieren. Das bedeutet, dass unsere Streitkräfte über jedes Mittel verfügen müssen, um auf jegliche gegen uns gerichtete Bedrohung reagieren zu können. Es bedeutet, dass jeden Feind, der ein Komplott gegen die Vereinigten Staaten oder unsere Freunde schmiedet, eine schnelle, entschiedene und verheerende Reaktion erwartet.

Wie immer bei den amerikanischen Streitkräften sind die Männer und Frauen, die hervortreten und die Uniform dieser großartigen Nation anziehen, der einzig wichtige Faktor. Von unseren Streitkräften wurde im vergangenen Jahr viel verlangt, und in den kommenden Monaten und Jahren wird es noch mehr sein. Die Soldaten haben im Gegenzug einen Anspruch auf viele Dinge von unserer Seite. Sie verdienen die besten Waffen, die beste Ausrüstung, die beste Unterstützung und die beste Ausbildung, die wir ihnen nur bieten können. Und unter Präsident Bush werden sie das alles haben.

Der Präsident hat beim Kongress eine einjährige Erhöhung der Ausgaben für die Landesverteidigung um mehr als 48 Milliarden Dollar beantragt - die höchste seit Ronald Reagan im Weißen Haus lebte. Und für das Wohl der Familien unserer Männer und Frauen in Uniform hat er beim Kongress auch für jeden Soldaten eine Solderhöhung beantragt. Unserer Ansicht nach haben sie es verdient.

Wir haben in diesem Krieg eine weitreichende Koalition zivilisierter Staaten gebildet. Sie erkennen die Gefahr und arbeiten mit uns an allen Fronten. Der Präsident hat sehr deutlich gemacht, dass es im Kampf gegen den Terrorismus keinen neutralen Boden gibt. Diejenigen, die Terroristen Unterschlupf gewähren sind mitschuldig an den Taten, die sie begehen. Im Rahmen der Bush-Doktrin wird ein Regime, das Terroristen Unterschlupf gewährt oder unterstützt als Feind der Vereinigten Staaten betrachtet.

Die Taliban haben diese Lektion schon gelernt, aber Afghanistan war nur der Anfang eines längeren Feldzugs. Wenn wir jetzt aufhören würden, wäre jegliches Sicherheitsgefühl, das wir hätten, falsch und vorübergehend. Es existiert eine terroristische Unterwelt, die sich über mehr als 60 Länder erstreckt. Unsere Aufgabe wird jedes uns zur Verfügung stehende Mittel der Diplomatie, der Finanzen, der Nachrichtendienste, der Strafverfolgung und der Militärmacht erfordern. Aber wir werden die Feinde der Vereinigten Staaten im Laufe der Zeit finden und besiegen. Im Fall Osama bin Ladens bedeutet dies, wie Präsident Bush kürzlich sagte: "Wenn er am Leben ist, kriegen wir ihn. Wenn er tot ist, haben wir ihn schon."

Aber die Herausforderungen für unser Land beinhalten mehr als nur die Verfolgung einer Einzelperson oder einer kleinen Gruppe. Der 11. September und seine Nachwirkungen haben dieser Nation die Gefahr vor Augen geführt, ebenso wie die wahren Absichten des globalen Terrornetzwerks und die Realität, dass entschlossene Feinde den Besitz von Massenvernichtungswaffen anstreben, um sie gegen uns einzusetzen.

Es besteht Gewissheit darüber, dass das Al-Qaida-Netzwerk den Besitz solcher Waffen anstrebt und zumindest eingeschränkte Fähigkeiten hat, diese einzusetzen. In den Ruinen der Al-Qaida-Verstecke in Afghanistan haben wir Hinweise auf dahingehende Bemühungen gefunden. Und vor wenigen Tagen bekamen wir weitere Bestätigung in Form von Videos, die bei CNN gezeigt wurden: Bilder von Al-Qaida-Mitgliedern, die trainieren, um Terrorakte zu begehen und Bilder von der Erprobung chemischer Waffen an Hunden. Diese auf freiem Fuß befindlichen Terroristen sind entschlossen, diese Fähigkeiten gegen die Vereinigten Staaten und ihre Freunde und Bündnispartner auf der ganzen Welt einzusetzen.

Angesichts dieser Perspektive, gilt die alte Sicherheitsdoktrin nicht mehr. In den Tagen des Kalten Krieges konnten wir der Bedrohung durch Abschreckungs- und Eindämmungsstrategien begegnen. Es ist aber viel schwieriger, Feinde abzuschrecken, die kein Land zu verteidigen haben. Und Eindämmung ist nicht möglich, wenn Diktatoren Massenvernichtungswaffen beschaffen und willens sind, diese mit Terroristen zu teilen, die den Vereinigten Staaten katastrophalen Schaden zufügen wollen.

Der Fall Saddam Husseins, einem Todfeind unseres Landes, erfordert eine aufrichtige Bewertung der Fakten. Nach seiner Niederlage im Golfkrieg 1991 hat Saddam Hussein im Rahmen der Resolution 687 des UN-Sicherheitsrats zugesagt, die Entwicklung aller Massenvernichtungswaffen einzustellen. Er stimmte der Beendigung seines Nuklearwaffenprogramms zu. Er stimmte der Zerstörung seiner chemischen und biologischen Waffen zu. Des weiteren willigte er ein, UN-Waffeninspektorenteams in sein Land zu lassen, die sicherstellen sollten, dass er diesen Forderungen tatsächlich nachkommt.

In den vergangenen zehn Jahren hat Saddam Hussein keine dieser Zusagen eingehalten. Das irakische Regime war dagegen sehr bemüht, seine Fähigkeiten im Bereich chemischer und biologischer Kampfstoffe zu verbessern. Und es betreibt auch weiterhin das vor vielen Jahren begonnene Nuklearprogramm. Dies sind keine Waffen zur Verteidigung des Irak, es sind in hohem Maß todbringende Angriffswaffen, die entwickelt wurden, damit Saddam Hussein jeden Beliebigen damit bedrohen kann, sei es in der eigenen Region oder darüber hinaus.

Im Hinblick auf Nuklearwaffen werden sich viele von Ihnen daran erinnern, dass Saddam Husseins Bestrebungen 1981 einen herben Rückschlag erlitten, als die Israelis den Reaktor in Osirak beschossen. Ein weiterer entscheidender Schlag erfolgte während und in der Folge von Desert Storm.

Aber wir wissen jetzt, dass Saddam Hussein seine Bemühungen zur Beschaffung von Nuklearwaffen wieder aufgenommen hat. Neben anderen Quellen haben wir diese Information aus erster Hand von Überläufern, einschließlich Saddam Husseins eigenem Schwiegersohn, der daraufhin auf Anweisung Saddam Husseins ermordet wurde. Viele von uns sind davon überzeugt, dass Saddam Hussein sehr bald über Nuklearwaffen verfügen wird.

Wir können nur nicht abschätzen, wie bald. Der Nachrichtendienst ist ein unsicheres Geschäft, auch unter optimalen Bedingungen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn man es mit einem totalitären Regime zu tun hat, dass sich auf die Irreführung der internationalen Gemeinschaft spezialisiert hat. Ich möchte Ihnen nur ein Beispiel dafür geben. Vor dem Golfkrieg kamen die Spitzenanalysten der amerikanischen Nachrichtendienste zu mir ins Büro, um mir zu sagen, dass Saddam Hussein in frühestens fünf oder vielleicht zehn Jahren über Nuklearwaffen verfügen würde. Nach dem Krieg erfuhren wir, dass er diesem Ziel viel näher war, vielleicht hätte es nur noch ein Jahr gedauert, bis er solche Waffen gehabt hätte.

Saddam Hussein ersann ebenso ein ausgefeiltes Programm zur Verheimlichung seiner aktiven Bemühungen zur Herstellung chemischer und biologischer Waffen. Und man muss sich die Geschichte der UN-Inspektorenteams im Irak vor Augen halten. Selbst als die Inspektoren die genauesten Rüstungskontrollen der Geschichte durchführten, ist ihnen doch vieles entgangen. Bevor sie des Landes verwiesen wurden, fanden und zerstörten die Inspektoren tausende chemischer Waffen und hunderte Tonnen Senfgas und andere Nervengifte.

Und dennoch hat Saddam Hussein versucht, sie zu behindern und sie bei jeder Gelegenheit irrezuführen - und er hatte oft genug damit Erfolg. Ich führe ein Beispiel an. Im Frühjahr 1995 waren die Inspektoren kurz davor zu erklären, dass Saddam Husseins Programme zur Entwicklung chemischer Waffen und ballistischer Flugkörper größerer Reichweite aufgedeckt und beendet worden seien. Da lief plötzlich Saddam Husseins Schwiegersohn über und packte aus. Binnen weniger Tage wurden die Inspektoren zu einer irakischen Hühnerfarm gebracht. Dort waren kistenweise Dokumente und jede Menge Beweise für Iraks geheimstes Waffenprogramm versteckt. Das sollte uns allen ins Gedächtnis rufen, wie oft wir mehr durch Überläufer als durch die Inspektionen selbst erfahren haben.

Die Inspektoren waren bestürzt, als sie noch rechtzeitig erkannten, dass Saddam Hussein sie über das Ausmaß seiner Massenproduktion von VX - einem der todbringendsten dem Menschen bekannter Kampfstoffe - weitgehend im Unklaren gelassen hatte. Noch weit von der Einstellung der verbotenen irakischen Raketenprogramme entfernt, fanden die Inspektoren heraus, dass Saddam Hussein solche Raketentests quasi buchstäblich vor der Nase der UN-Inspektoren durchführte.

Vor diesem Hintergrund könnte jemand zu Recht den Vorschlag in Frage stellen, wir bräuchten nur die Inspektoren wieder in den Irak zu schicken, dann wären alle unsere Sorgen behoben Saddam Hussein hat das Spiel von Betrug und Rückzug perfektioniert und ist Meister in der Kunst des Leugnens und der Täuschung. Eine Rückkehr der Inspektoren wäre überhaupt keine Garantie für die Einhaltung der UN-Resolutionen durch Saddam Hussein. Im Gegenteil, es besteht die große Gefahr, dass man sich irrtümlich in dem Glauben wiegt, Saddam Hussein sei wieder "in der Klemme".

In der Zwischenzeit würde er weitere Pläne aushecken. In den letzten 12 Jahren hat ihn nichts aufgehalten - weder seine Zusagen, die Entdeckungen der Inspektoren oder die Enthüllungen der Überläufer, die Kritik oder Ächtung durch die internationale Gemeinschaft, noch die viertägige Bombardierung durch die Vereinigten Staaten im Jahr 1998. Er möchte immer mehr Zeit gewinnen, um mit den Ressourcen haushalten zu können, in seine laufenden chemischen und biologischen Waffenprogramme zu investieren und in den Besitz von Nuklearwaffen zu gelangen.

Sollten alle seine ehrgeizigen Ziele verwirklicht werden, wären die Auswirkungen für den Nahen Osten, die Vereinigten Staaten und für den Weltfrieden enorm. Das gesamte Spektrum von Massenvernichtungswaffen wäre dann in den Händen eines Diktators, der bereits seine Bereitschaft zum Einsatz solcher Waffen unter Beweis gestellt und sie sowohl in seinem Krieg mit dem Iran als auch gegen sein eigenes Volk eingesetzt hat. Bewaffnet mit einem Arsenal dieser Waffen des Terrors und Herr über zehn Prozent der Ölreserven der Welt könnte Saddam Hussein versuchen, die Beherrschung des gesamten Nahen Ostens anzustreben, die Kontrolle über einen Großteil der weltweiten Energiereserven zu erlangen, die Freunde der Vereinigten Staaten in der gesamten Region direkt zu bedrohen und die Vereinigten Staaten oder jede andere Nation nuklearer Erpressung auszusetzen.

Mit anderen Worten - es besteht kein Zweifel, dass Saddam Hussein jetzt Massenvernichtungswaffen besitzt. Es besteht kein Zweifel, dass er sie für den Einsatz gegen unsere Freunde, unsere Bündnispartner und gegen uns anhäuft. Und es besteht kein Zweifel, dass seine aggressiven regionalen Ambitionen ihn zu künftigen Konfrontationen mit seinen Nachbarländern veranlassen werden - Konfrontationen sowohl mit den heute in seinem Besitz befindlichen Waffen als auch mit denjenigen, die er mit seinem Ölreichtum weiterhin entwickeln wird.

Meine Damen und Herren, es gibt keinen Grund im Verhalten oder der Geschichte von Saddam Hussein, die von mir heute Morgen angesprochenen Sorgen mit Vorbehalt aufzunehmen. Schließlich befassen wir uns mit demselben Diktator, der amerikanische und britische Piloten regelmäßig in der Flugverbotszone beschießt, demselben Diktator, der eine Gruppe von Mördern entsandt hat, die Präsident Bush bei einer Auslandsreise töten sollten, demselben Diktator, der in den Iran und in Kuwait einmarschierte und ballistische Raketen auf den Iran, Saudi-Arabien und Israel abgefeuert hat, demselben Diktator, der seit mehr als 20 Jahren auf der Liste des US-Außenministeriums von den Terrorismus fördernden Staaten steht.

Angesichts einer solchen Bedrohung müssen wir mit Sorgfalt, Bedacht und in Konsultation mit unseren Bündnispartnern vorgehen. Ich kenne unseren Präsidenten sehr gut. Ich habe an seiner Seite gearbeitet, als er unsere Antwort auf die Ereignisse des 11. September in die Wege leitete. Ich weiß, dass er vorsichtig und überlegt alle möglichen Optionen bei der Bewältigung der Bedrohung berücksichtigt, die ein von Saddam Hussein beherrschter Irak darstellt. Und ich bin zuversichtlich, dass er im Einklang mit seinen Äußerungen enge Konsultationen mit dem Kongress sowie unseren Freunden und Bündnispartnern führen wird, bevor er sich für eine Vorgehensweise entscheidet. Er begrüßt die Debatte, die jetzt auch hier im Land geführt wird, und hat seinem nationalen Sicherheitsteam gegenüber klargestellt, dass er unsere uneingeschränkte Teilnahme an den Anhörungen wünscht, die nächste Woche zu diesem ungeheuer wichtigen Thema im Kongress stattfinden.

Wir werden auch von einem Rückblick auf unsere eigene Geschichte profitieren. In dieser Halle sind heute viele Veteranen des Zweiten Weltkriegs versammelt. Für die Vereinigten Staaten begann dieser Krieg am 7. Dezember 1941 mit dem Angriff auf Pearl Harbor und der beinahe vollständigen Zerstörung unserer Pazifikflotte. Erst dann erkannten wir das Ausmaß der Gefahr für unser Land. Erst dann erklärten die Achsenmächte uneingeschränkt ihre Absichten uns gegenüber. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits viele Länder eingenommen worden. Millionen von Menschen waren gestorben. Und unsere Nation war in einen Zweifrontenkrieg verwickelt, der mehr als eine Millionen amerikanischer Opfer forderte. Bis heute analysieren Historiker diesen Krieg, spekulieren, wie wir Pearl Harbor hätten verhindern können und fragen, welche Maßnahmen die Tragödien verhindert hätten, die zu dem schlimmsten der menschlichen Geschichte zählen.

Im Jahr 2002 müssen die Vereinigten Staaten sorgfältige Fragen stellen, nicht nur über unsere Vergangenheit, sondern auch über unsere Zukunft. Den gewählten Politikern dieses Landes obliegt die Verantwortung, alle verfügbaren Optionen zu berücksichtigen. Und das tun wir. Was wir angesichts einer tödlichen Bedrohung nicht tun dürfen, ist, uns Wunschdenken hinzugeben oder mutwillig die Augen zu verschließen. Wir werden nicht einfach wegschauen, das Beste hoffen und die Angelegenheit einer zukünftigen Regierung zur Lösung überlassen. Wie Präsident Bush gesagt hat, ist die Zeit nicht auf unserer Seite. Einsatzbereite Massenvernichtungswaffen in den Händen eines Terrornetzwerks oder eines mörderischen Diktators - oder die Zusammenarbeit dieser Beiden - stellen die ernsteste Bedrohung dar, die man sich vorstellen kann. Die Risiken der Untätigkeit sind sehr viel größer als die Risiken des Handelns.

Jetzt und in Zukunft werden wir eng mit der globalen Koalition zusammenarbeiten, um den Terroristen und den sie fördernden Staaten das Material, die Technologie und das Fachwissen für die Herstellung und den Einsatz von Massenvernichtungswaffen zu verwehren. Wir werden zum Schutz der Vereinigten Staaten und ihrer Bündnispartner vor einem plötzlichen Angriff eine effektive Raketenabwehr entwickeln und stationieren. Und die ganze Welt soll wissen, dass wir alle erforderlichen Maßnahmen zur Verteidigung unserer Freiheit und unserer Sicherheit ergreifen werden.

Der ehemalige Außenminister Kissinger hat vor kurzem erklärt: "Die Bedrohung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, die große Gefahr, die sie darstellen, die Ablehnung eines tragfähigen Inspektionssystems und die demonstrative Feindlichkeit von Saddam Hussein führen zusammengenommen zu dem Gebot eines Präventivschlags." Wenn die Vereinigten Staaten den 11. September hätten verhindern können, hätten wir es getan - das steht außer Frage. Sollten wir in der Lage sein, einen weiteren, sehr viel verheerenderen Anschlag zu verhindern, werden wir es tun - das steht außer Frage. Diese Nation wird sich Terroristen oder Terrorregimes nicht auf Gedeih und Verderb ausliefern.

Die Argumente gegen ein Vorgehen im Falle von Saddam Hussein sind mir vertraut. Einige räumen ein, dass Saddam Hussein böse, machthungrig und eine Bedrohung ist - aber dass wir, bis er die Schwelle zum tatsächlichen Besitz von Nuklearwaffen überschreitet, jeglichen Präventivschlag ausschließen sollten. Diese Logik scheint mir viele Fehler zu enthalten. Die Argumentation lässt sich wie folgt zusammenfassen: Ja, Saddam Hussein ist so gefährlich wie wir sagen, wir müssen ihn nur stärker werden lassen, bevor wir etwas dagegen tun.

Aber wenn wir bis zu diesem Zeitpunkt warten, wäre Saddam Hussein nur ermutigt, und es würde noch schwieriger für uns, Freunde und Bündnispartner für den Kampf gegen ihn zu gewinnen. Als einer derjenigen, der an der Zusammenstellung der Koalition im Golfkrieg beteiligt war, kann ich Ihnen sagen, dass unsere Aufgabe dann angesichts eines mit Nuklearwaffen ausgerüsteten Saddam Hussein unendlich viel schwieriger wäre. Und viele derjenigen, die jetzt argumentieren, wir sollten nur handeln, wenn er in den Besitz von Nuklearwaffen gelangt, würden dann eine Kehrtwendung machen und sagen, wir können nicht handeln, weil er Nuklearwaffen besitzt. Im Grunde empfiehlt dieses Argument einen Kurs der Untätigkeit, der an sich schon für viele Länder - einschließlich unseres eigenen - verheerende Konsequenzen haben könnte.

Ein anderes Argument lautet, der Widerstand gegen Saddam Hussein würde in diesem Teil der Welt noch größere Probleme schaffen und den umfassenderen Krieg gegen den Terror behindern. Meiner Ansicht nach trifft das Gegenteil zu. Ein Machtwechsel im Irak würde der Region eine Reihe von Vorteilen bringen. Wenn die gravierendsten Bedrohungen beseitigt sind, werden die freiheitsliebenden Menschen der Region eine Chance zur Förderung der Werte haben, die dauerhaften Frieden herbeiführen können. Bezüglich der Reaktion der Araber "auf der Straße" sagt der Nahostexperte Professor Fouad Ajami voraus, dass man nach der Befreiung auf den Straßen in Basra und Bagdad "zweifelsohne ebenso wie damals die Menschenmenge in Kabul in Freude ausbrechen wird und die Amerikaner bejubelt". Die Extremisten in der Region müssten ihre Strategie des Dschihad überdenken. Gemäßigte in der gesamten Region würden Mut fassen. Und unsere Fähigkeit zur Förderung des israelisch-palästinensischen Friedensprozesses würde verbessert, so wie es nach der Befreiung Kuwaits 1991 der Fall war.

In Wirklichkeit bergen diese Zeiten nicht nur Gefahren, sondern auch Chancen. Im Nahen Osten, wo so viele Menschen nur Armut und Unterdrückung, Terror und Tyrannei kennen, blicken wir auf den Tag, an dem die Menschen in Freiheit und Würde leben können und an dem die jungen Menschen frei von den Umständen aufwachsen können, die der Nährboden für Verzweiflung, Hass und Gewalt sind.

In anderen Zeiten wurde die Welt Zeuge, wie die Vereinigten Staaten erbitterte Gegner besiegten, dann beim Wiederaufbau ihres Landes behilflich waren und starke Bande zwischen unseren Völkern und unseren Regierungen knüpften. In Afghanistan sieht die Welt heute, dass die Vereinigten Staaten nicht handeln, um zu erobern, sondern um zu befreien, und weiterhin in Freundschaft dort bleiben, um den Menschen beim Aufbau einer Zukunft der Stabilität, Selbstverwaltung und des Friedens zu helfen.

Im gleichen Geiste würden wir nach einem Machtwechsel im Irak handeln. Mit unserer Hilfe kann ein befreiter Irak wieder zu einer großartigen Nation werden. Der Irak ist reich an natürlichen Rohstoffen und menschlichen Fähigkeiten und hat ein unbegrenztes Potenzial für eine Zukunft in Frieden und Wohlstand. Unser Ziel wäre ein Irak mit territorialer Integrität, einer demokratischen und pluralistischen Regierung - eine Nation, in der die Menschenrechte jeder ethnischen und religiösen Gruppe geachtet und geschützt werden. In diesem krisengeschüttelten Land sollen alle, die Gerechtigkeit, Würde und die Chance anstreben, ihr eigenes Leben zu leben, wissen, dass sie in den Vereinigten Staaten von Amerika einen Freund und Bündnispartner haben.

Wichtige Entscheidungen und große Herausforderungen liegen vor uns. Dennoch können und werden wir eine sicherere und bessere Welt nach dem Krieg gegen den Terror aufbauen. Im vergangenen Jahr wurden Millionen Menschen im In- und Ausland erneut durch den Mut und die Selbstlosigkeit der amerikanischen Streitkräfte inspiriert. Ich selbst werde täglich - wie während meiner Zeit im Pentagon - an das Privileg erinnert, das die Zusammenarbeit mit unserem Militär darstellt. Auf welchem Gebiet und in welchem Rang auch immer - dies sind Männer und Frauen, die nach einem Kodex leben, den Vereinigten Staaten die besten Jahre ihres Lebens geben und der Welt die herausragendsten Qualitäten unseres Landes zeigen.

Originaltext: Cheney Cites Threat from Iraq's Saddam Hussein. Die deutsche Übersetzung der Rede wurde von der US-Botschaft in Berlin besorgt.


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