Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Großbritanniens größte Geheimdienstschlappe und Lord Butler sagt, niemand sei schuld
Britain's worst intelligence failure, and Lord Butler says no one is to blame

Von Robin Cook, ehemaliger britischer Außenminister
By Robin Cook, former Foreign Secretary

English Version

Einen Tag nach der Veröffentlichung des Butler-Berichts über die schludrige Arbeit der britischen Geheimdienste in Sachen irakische Massenvernichtungswaffen schrieb der ehemalige Außenminister Robin Cook einen bissigen Kommentar, den wir unseren Lesern nicht vorenthalten wollen.

Lord Butler aus Brockwell, der die von der Regierung eingesetzte Untersuchungskommission geleitet hatte, wird darin als "Prachtexemplar des britischen Establishments" bezeichnet: "Höflich, unerschütterlich und verständnisvoll". Möglicherweise gäben das Victoria und das Albert Museum den richtigen Rahlem für diesen Mann ab.

Zwischen seiner "maßvollen Tonlage" und der "brutalen Realität" der Sache, über die er sprach, bestand keinerlei emotionaler Zusammenhang. Immerhin, sagt Cook, ging es um die Geburt eines wirklichen Krieges. Auf seinen Schlachtfeldern seien zwischen 10 und 30 Tausend Menschen gefallen, manche von ihnen wurden von den größten konventionellen Bomben, die je gebaut wurden, "weggeblasen". Für einige kam der Tod dankenswerterweise schnell, andere mussten vor dem Tod unerträgliche Qualen erleiden.

Gestern also erklärte Lord Butler auf seine ruhige Art, die Informationen, auf deren Grundlage der Krieg ins Rollen gebracht wurde, seien "hoffnungslos überhitzt" gewesen. "Seine Schlussfolgerungen in diesem Punkt sind so unwiderlegbar, dass sogar Tony Blair eingestehen muste, dass Saddam Hussein keinerlei einsatzbereite Massenvernichtungswaffen hatte." Butler sagte, die Geheimdienst-Informationen seien "oft aus zweiter Hand" gewesen und gerade im Fall einer ausschlaggebenden Information sei sie von einer "drittrangigen Quelle" gekommen ("a sub-sub-source"). Das Fehlen von Informationen aus erster Hand bedeutet, dass die meisten Geheimdienstberichte in Wirklichkeit auf Annahmen beruhten. Die Ungenauigkeit des Rohmaterials an Informationen wurde durch die Übertreibungen der Analysten noch verschlimmert und gerieten schließlich zu "Worst-case-Schätzungen" ohne jeden Vorbehalt.

Nach dem Butler-Report ist es "in beschämender Weise klar, dass das Parlament getäuscht wurde, indem es auf der Basis unzuverlässiger Quellen und überzogener Analysen" für den Krieg gestimmt hat.

Cook spricht vom "beschämendsten Versagen in der Gesichte des britischen Geheimdienstes". Doch wenn es nach Lord Butler geht, trifft dafür niemand die Schuld. Jeder Beteiligte verhielt sich "vollkommen korrekt" und "niemand machte einen Fehler". Verantwortlich sei vielmehr das System und die "institutionellen Schwächen". Damit habe John Scarlett, der Chef des "Joint Intelligence Committee" (das seiner Zeit für das Dossier über die irakischen Massenvernichtungswaffen verantwortlich zeichnete), eine Art Persilschein erhalten ("Get Out of Jail Free card").

Cook erinnert nun an eine häufig gebrauchte Standardfloskel in Tony Blairs Reden, wonach "Verantwortung und Rechte" untrennbar verbunden seien. Nun stelle sich heraus, dass "Verantwortung" nur etwas ist für Jobsucher und Alleinerziehende, nicht aber für die "regierenden Klassen". Lord Butler habe "elegant gedrechselte Absätze" produziert, in denen erklärt wird, dass "für den größten Schnitzer in der britischen Außen- und Sicherheitspolitik seit Suez" keiner von ihnen die Verantwortung tragen zu tragen braucht". "Schade, dass damals Anthony Eden keinen Lord Butler hatte, der hätte erklären können, dass er für seine Entscheidung zur Invasion nicht verantwortlich war."

Als "gutes Beispiel dafür, wie der Butlersche Stil Schuld wegzaubern" kann, werden seine Ausführungen über die angeblichen mobilen Laboratorien angeführt. Diese "Phantom-Laboratorien" standen ja im Mittelpunkt der Präsentation Colin Powells im UN-Sicherheitsrat am 5. Februar 2003. Lord Butler sah sich genötigt zu berichten, dass "kein Hinweis gefunden wurde, der die Existenz der mobilen Einrichtungen stützen würde". Gleichwohl wäre es "primitiv" zu meinen, die Geheimdienste hätten etwa falsch gemacht. Nein, schreibt Cook und zitiert Butler, "die Schlussfolgerung muss ein, dass der Hauptgrund für die Beurteilung nicht mehr existiert".

Dann kommt Cook auf Tony Blair zu sprechen. Blair betonte im Unterhaus, dass er damals aufrichtig an das Geheimdienst-Dossier geglaubt habe. Cook: "Ich glaube ihm das. Aber ich zweifle daran, dass er das auch noch geglaubt hat, als er sechs Monate später das Parlament gebeten hat für den Krieg zu stimmen." In der Zwischenzeit hatte er nämlich drei weitere Lageburteilungen erhalten, die ihn darauf hinwiesen, dass die Berichte über die Massenvernichtungswaffen "widersprüchlich" und "dürftig" seien ("inconsistent" and "sparse"). Er wusste, dass das Joint Intelligence Committee annahm, dass Saddam seine Chemiewaffen abgebaut und auf verschiedene Orte verteilt hat mit dem Ergebnis, dass sie unmöglich innerhalb von 45 Minuten feuerbereit seien. In seiner Rede vor dem Unterhaus am Vorabend des Krieges wiederholte Tony Blair keine einzige der schaurigen Anklagen aus dem "Dossier" vom September 2002, hauptsächlich wohl deshalb, so vermutet Cook, weil er darauf hingewiesen worden war, dass sie unzuverlässig seien.

Gestern habe Tony Blair darauf beharrt, dass das Fehlen einer Bedrohung von Saddam nicht heiße, dass es keine Rechtfertigung für den Krieg gegeben habe, schreibt Cook weiter. Das mag sogar sein, räumt Cook ein und fährt aber fort: "Aber es bedeutet sicher, dass es keine dringende Notwendigkeit für den Krieg gab." Man hätte - ohne jedes Risiko für Großbritannien - Hans Blix seine Inpektionen zu Ende führen lassen können. Cook "fürchtet", dass der wirkliche Grund dafür, dass es Bush und Blair mit dem Krieg so eilig hatten, darin zu suchen sei, dass Hans Blix dabei war, den Hauptvorwand für den Krieg zu beseitigen.

"Unglücklicherweise" liefere der Butler-Report Tony Blair auch keinen Trost bezüglich irgendeiner anderen Rechtfertigung für den Krieg. Im Butler-Bericht heiße es vielmehr, dass es "keinen Beweis für die Zusammenarbeit" mit Al Kaida gebe. Schlimmer noch: Der Bericht enthüllt, dass der britische Geheimdienst davor gewarnt hatte, dass die Besatzung dazu führen würde, dass die Koalitionstruppen von Terroristen angegriffen würden.

Von einem "Sieg über den Terrorismus" könne keine Rede sein. Der Irakkrieg hatte nach Cooks Ansicht ein eigenes Ziel. Cook: "Wir haben im Irak exakt die Bedingungen geschaffen, unter denen Al Kaida gedeihen kann: Mangel an Sicherheit, offene Grenzen und eine beklagenswerte Bevölkerung." Außerdem lieferten die harten Militäreinsätze der US-Truppen sowie der Folter-Skandal von Abu Ghraib genügend Propagandamaterial für die Rekrutierungs-Feldwebel und Spendeneintreiber von Osama bin Laden.

Cook ist der Ansicht, dass Tony Blair eine moralische Reinigung ("catharsis") benötige, wenn er den Streit um den Irakkrieg wirklich hinter sich lassen wollte. Mit der Behauptung, "alles sei gut und alle hätten ihr bestes gegeben" habe Butler ihm eine Gelegenheit zur Katharsis verweigert. Gestern hätte der Premierminister zugeben müssen, dass schwere Fehler gemacht wurden, dass man aber die Lektion gelernt habe und es nie wieder geschehen werde.

Wenn man Tony Blair gestern im Parlament gehört hat, dann musste man den Eindruck haben, dass er absolut davon überzeugt war, alles richtig gemacht zu haben und dass er es jederzeit wieder so machen würde. Auch auf die Forderung von Butler, die Regierung sollte sich eines formelleren und kollektiveren Regierungsstils befleißigen, ging Tony Blair nicht ein.

Ironischerweise sind nur jene Minister, welche die Regierung wegen der Fehlurteile, die zum Krieg geführt haben, verlassen haben, solche, die den Krieg nicht unterstützen konnten. Und die einzigen Menschen, die bei der BBC und beim Daily Mirror entlassen wurden, waren jene, die den krieg kritisierten. All jene, die zu den Fehlurteilen beigetragen haben, haben ihre Posten behalten und werden von Lord Butler dafür gestreichelt, dass sie getan haben, was sie konnten.

Das mag sehr britisch scheinen und sehr einfühlsam für Lord Butler, schreibt Cook am Ende des Artikels. "Für den Rest der Welt wird es eher bekloppt erscheinen."

Zusammenfassung und stellenweise Übersetzung: Pst



Butler-Report in letzter Minute entschärft
Am 18. Juli erreichte uns folgende Agenturmeldung: "Der in der vergangenen Woche veröffentlichte Butler-Bericht zur Arbeit des britischen Geheimdienstes vor dem Irak-Krieg ist offenbar in letzter Minute abgemildert worden, um Premierminister Tony Blair zu entlasten. Der "Sunday Telegraph" (vom 18. Juli) gab ein namentlich nicht genanntes Mitglied der fünfköpfigen Untersuchungskommission um Lord Robin Butler als Informanten an. Die Änderungen hätten Tony Blair von dem Vorwurf der absichtlichen Täuschung über das irakische Waffenarsenal entlastet. Verändert worden sei die Passage über Blairs Regierungserklärung zu irakischen Massenvernichtungswaffen im September 2002. Der Kontrast zwischen dem Plädoyer Blairs für einen anscheinend zwingend notwendigen Krieg und den spärlichen Informationen, über die er tatsächlich verfügte, sei abgeschwächt worden.
Quelle: AFP, 18.07.2004)



Britain's worst intelligence failure, and Lord Butler says no one is to blame

By Robin Cook*

What a wonderful specimen of the British establishment is Lord Butler of Brockwell. Urbane, unflappable and understanding. He should be put on display somewhere as a prize example of our ruling classes. Possibly the Victoria and Albert Museum would provide the right grandeur and period ambiance.

There is an emotional disconnect between his measured tones and the brutal reality of the topic he was examining. The events on which he was reporting were the origins of a real war. In its carnage between 10 and 30 thousand people were killed, some of them blown apart by the largest bombs yet made from conventional explosive. For some death would have been mercifully swift. For others the end would have been agonisingly slow and death welcomed as a release from unbearable pain.

Yesterday Lord Butler calmly pronounced the intelligence on which the war was launched as hopelessly overheated. His conclusions on this point are so irrefutable that even Tony Blair had to admit that Saddam did not have any WMD ready for use. Lord Butler found that intelligence was often second-hand and, in the case of one "dominant" stream of intelligence, came from "a sub- sub-source". The absence of first-hand information meant most "intelligence reports" were in reality "inferential". The inaccuracy of the raw intelligence was then compounded by the exaggeration of analysts which resulted in "worst-case estimates, shorn of their caveats, becoming the 'prevailing wisdom'."

After the Butler report, it is embarrassingly clear that Parliament was misled into voting for war on the basis of unreliable sources and overheated analysis, producing between them false intelligence.

This must be the most embarrassing failure in the history of British intelligence. Yet according to Lord Butler, no one is to blame. Everyone behaved perfectly properly and nobody made a mistake. Poor things, they were let down by the system and institutional weaknesses. John Scarlett gets his very own specially printed Get Out of Jail Free card.

It used to be a standard mantra of Tony Blair's speeches that "responsibility and rights" are indissolubly linked. It turns out that responsibility is for job- seekers and single parents, not for our ruling classes. Lord Butler has produced elegantly crafted paragraphs explaining that none of them need take responsibility for the biggest blunder in British foreign and security policy since Suez. What a shame that at the time Anthony Eden did not have a Lord Butler around to explain he was not responsible for his decision to invade.

A good example of how the Butler style can magic away blame comes in his discussion of the phantom mobile laboratories, which formed the centrepiece of Colin Powell's presentation to the Security Council. Lord Butler is obliged to report that "no evidence has been found to support the existence of the mobile facilities." However this does not mean anything so crude as that the intelligence agencies got it wrong. No, "the conclusion must be that the main grounds for the assessment no longer exist." As Nixon might have put it, that intelligence is now inoperative.

Lord Butler was caught off guard by one journalist yesterday and confessed he was "surprised" that there was no reassessment of the intelligence as it emerged that the UN weapon inspectors could not find anything. A less phlegmatic man might have been astounded.

In his statement to the Commons, Tony Blair stressed the sincerity with which he believed at the time in the September dossier. I do not doubt him. But I do doubt whether he still believed it when he asked Parliament to vote for war six months later. In the intervening period he had received three further assessments warning him that intelligence on weapons of mass destruction was "inconsistent" and "sparse". He knew that the Joint Intelligence Committee believed that Saddam had dismantled his chemical weapons and dispersed them to different locations, with the result that they could not possibly be fired in 45 minutes. In his speech to the Commons on the eve of war, Tony Blair did not repeat a single one of the more lurid claims of the September dossier, largely, I suspect, because he had been warned by then they were unreliable.

Yesterday Tony Blair insisted that the absence of any threat from Saddam did not mean that there was no justification for the war. Perhaps. But it certainly means that there was no urgent necessity for war. We could have found the time, at no risk to ourselves, to let Hans Blix finish his inspections and confirm that Saddam had no weapons of mass destruction. I fear that for Bush and Blair, the real reason why invasion was urgent was the growing realisation that Hans Blix was about to remove their principal pretext for war.

Unfortunately for Tony Blair, the Butler report does not offer him much comfort on any of the other justifications for going to war. It concludes that there was "no evidence of co-operation" with al-Qa'ida. Worse, it reveals that the Joint Intelligence Committee warned that occupation would result in coalition forces being attacked by terrorists.

Far from being a victory over terrorism, the war on Iraq has been a spectacular own goal. We have created precisely the conditions in Iraq in which al-Qa'ida can thrive - poor security, open borders, and a population with a grievance. The heavy-handed military operations by US forces and the scandal of the Abu Ghraib abuses have presented the recruiting sergeants and fundraisers for Osama bin Laden with a propaganda gift.

Tony Blair needed a catharsis if he was to put the controversy of Iraq behind him. Yet by pretending that all is well and everybody did their best, first Hutton and now Butler have denied him any opportunity for catharsis. Yesterday the Prime Minister should have been admitting that there were serious mistakes, that lessons had been learnt and that, above all, it will never happen again.

Anyone listening to him in the Chamber could not have left with anything other than the impression that he is absolutely convinced he was right and that he would do it all over again in precisely the same circumstances. Notably there was no commitment to the more formal, collective style of Cabinet government for which Butler called, and I do not imagine any of its ministers are holding their breath expecting dramatic change.

The irony is that the only ministers who have left the Government over the chapter of errors that led us into war in Iraq are those who could not support the war, and the only people to be sacked are those at the BBC and the Daily Mirror who criticised it. Everyone who contributed to the errors of judgement is still in post and now patted on the head by Lord Butler for doing the best they could.

That may seem very British and very sensible to Lord Butler. To the rest of the world it will seem barmy.

* Robin Cook was Tony Blair's first Foreign Secretary.

The Independent, 15 July 2004



Zur Irak-Seite

Zurück zur Homepage