"Die Freiheit ist von Nord nach Süd auf dem Vormarsch"
L. Paul Bremer III, Chef der zivilen Übergangsverwaltung im Irak, macht sich Gedanken über die Zukunft des Irak
Im Folgenden dokumentieren wir einen Namensartikel von L. Paul Bremer, der erstmals am 13. Juli 2003 in der New York Times erschien. Die Übersetzung ins Deutsche besorgte der Amerika Dienst.
Die Amerikaner können stolz auf die Rolle ihrer Soldaten und Soldatinnen bei
der Befreiung des Irak von Saddam Hussein und seinen Schergen sein. Die
Bürger des Irak sind jetzt auf dem Weg zu politischer und wirtschaftlicher
Unabhängigkeit.
Zum ersten Mal seit Jahrzehnten sind die Iraker wirklich frei. Seit der
Befreiung wurden über 150 Zeitungen gegründet. Alle größeren und 85 Prozent
der kleineren Städte haben einen Gemeinderat, in dem die Iraker zunehmend
die Verantwortung für lokale Belange wie Gesundheitsfürsorge, Wasser- und
Stromversorgung übernehmen.
Die Iraker ergreifen das Wort und demonstrieren mit der aus 35-jährigem
aufgezwungenem Schweigen genährten Energie. Das Land ist noch nicht
vollständig demokratisch, aber die Freiheit ist von Nord nach Süd auf dem
Vormarsch. Bedauerlicherweise werden diese Fortschritte von einer kleinen
Widerstandsgruppe verunglimpft. Eine kleine Minderheit verbitterter
Betonköpfe - Akteure der Repressionsmaschinerie des ehemaligen Regimes -
widersetzt sich dieser Freiheit. An ihre Seite gesellen sich ausländische
Terroristen, vom Iran und kriminellen Banden beeinflusste extreme
Islamisten. Diese Menschen stellen keine strategische Bedrohung für die
Vereinigten Staaten oder einen demokratischen Irak dar. Sie haben keine
Unterstützung, weil ihre einzige Vision die Wiedereinsetzung der von den
Irakern gehassten Diktatur ist. Unser Militär wird sie zur Strecke bringen,
und Präsident Bush erklärte: "Sie werden scheitern - so sicher wie das
Regime, dem sie einst dienten."
Diese im Verborgenen agierenden Gestalten töten mutige Iraker, die mit uns
zusammenarbeiten, greifen Soldaten und Zivilisten an und versuchen, die
instabile Infrastruktur zu sabotieren. Diese Angriffe haben weltweit
Besorgnis ausgelöst. Meine Kollegen in der Koalition und meine irakischen
Freunde haben festgestellt, dass die Angriffe häufig auf die Erfolge bei der
Erneuerung dieser Nation ausgerichtet sind. Vor einer Woche mischte sich ein
amerikanischer Soldat unter die Studenten der Universität von Bagdad, die am
17. Mai wiedereröffnet worden war. Ihre Anwesenheit war ein Beweis für die
Fortschritte im Bildungswesen, die sich hier abzeichnen (auch die
öffentlichen Schulen wurden wieder geöffnet). Aber unsere Feinde fürchten
Aufklärung, und deswegen tötete einer unter ihnen den Soldaten.
Am Tag zuvor hatten 250 irakische Polizeirekruten ihr Examen abgelegt - der
jüngste Erfolg bei der Neueinstellung von Strafverfolgungsbeamten. Jetzt
sind zehntausende irakische Polizisten im Dienst. Aber die Feinde der
Freiheit fühlten sich zu Recht bedroht durch die an diesem Tag gezeigte
Zusammenarbeit und Professionalität und ließen eine Bombe detonieren, die
sieben der neuen Beamten tötete. Vor dem Krieg mussten die Frauen Kilometer
zurücklegen, um Propangas zu besorgen. Jetzt richten die Institutionen vor
Ort Verteilungszentren ein, bei denen man sich das Gas besorgen kann. Am 18.
Juni wurde ein amerikanischer Soldat bei der Bewachung eines dieser Zentren
getötet. Die Explosion in einer Ölraffinerie in Barwanah am 24. Juni ist ein
weiteres Beispiel politischer Sabotage der Energieversorgung des Irak.
Angesichts dieser Angriffe auf die neuen Erfolge des Irak fragen sich die
Bürger der in der Koalition vertretenen Nationen, wie lange wir im Irak
bleiben - und einige Iraker stellen veilleicht unsere Fähigkeit zur
Verbesserung ihres Lebensstandards in Frage. Wie Präsident Bush eindeutig
klargestellt hat, haben wir uns zur Schaffung der Bedingungen für
Sicherheit, Wohlstand und Demokratie verpflichtet. Die Vereinigten Staaten
haben es nicht auf den Irak und seinen Wohlstand abgesehen. Wir werden
unsere Arbeit hier beenden und nicht einen Tag länger als notwendig bleiben.
Wir haben einen Plan zur Unterstützung des Aufbaus einer von Irakern
eingesetzten und aus Irakern bestehenden Regierung für das irakische Volk.
Nach monatelangen Konsultationen mit den Irakern haben wir den ersten
Schritt zur Einrichtung einer zivilen Übergangsverwaltung unternommen. Heute
kommt der provisorische Regierungsrat im Irak zusammen. Er ist aus allen
Bereichen der komplizierten Sozialstruktur des Irak zusammengesetzt -
Schiiten, Sunniten, Arabern, Kurden, Männern und Frauen, Christen und
Turkmenen. Der Rat wird unverzüglich echte politische Macht ausüben,
Übergangsminister einsetzen und mit der Koalition bei Politik- und
Haushaltsfragen zusammenarbeiten.
Gleichzeitig wird der Rat Verfahren einführen, anhand derer die neue
Verfassung des Irak entworfen werden soll. Sobald sie vom Volk ratifiziert
worden ist, können Wahlen abgehalten und eine souveräne irakische Regierung
eingesetzt werden. Daher hängt die Frage, wie lange die Koalition im Irak
bleiben wird, teilweise davon ab, wie schnell das irakische Volk eine
Verfassung entwerfen und verabschieden kann.
Die Koalition ist sich der Dringlichkeit bewusst, wirtschaftliches
Wohlergehen an politische Freiheit zu koppeln. 35 Jahre lang wurden die
Vermögenswerte des Landes unterschlagen oder gestohlen. Wir stellen
Ressourcen für die Wiederherstellung grundlegender Dienstleistungen und die
Schaffung von Arbeitsplätzen zur Verfügung. Unser Plan für
Wirtschaftsreformen wird eine umfassende Umleitung der Mittel von
kapitalvernichtenden Staatsbetrieben zu Privatfirmen enthalten. Darüber
hinaus schaffen wir ein soziales Sicherheitsnetz für mögliche sich ergebende
Störungen. Und unserer Ansicht nach sollte eine Methode gefunden werden
sicherzustellen, dass jeder Bürger vom Ölreichtum des Irak profitiert. Eine
Möglichkeit wäre, Sozialleistungen aus einem durch Öleinnahmen finanzierten
Treuhandfonds zu zahlen. Eine andere wäre, jedem Bürger direkt eine
jährliche Dividende in bar aus diesem Treuhandfonds auszuzahlen.
Bei allem arbeitet die Koalition eng mit den Irakern zusammen, die eines
Tages für das Wohlergehen ihres Landes verantwortlich sein werden. Für
unsere drei Prioritäten - Sicherheit, Politik und Wirtschaft - sieht die
Strategie einen erfolgreichen Übergang zu einem stabilen und reformierten
Irak vor. Das heißt nicht, dass der vor uns liegende Weg keine Gefahren
birgt. Die Kombination von zerstörter Infrastruktur und Sabotageakten könnte
einen harten Sommer bedeuten. Wir werden Verluste erleiden, wenn die
Unbelehrbaren wieder auf Gewalt zurückgreifen. Wir sind auch für zunehmenden
Terrorismus von Nichtirakern gewappnet, aber keiner sollte unsere
Entschlossenheit in Frage stellen, unsere Macht angesichts von gewalttätigen
Akten einzusetzen.
Ist unsere Arbeit erst einmal beendet, wird die Belohnung groß sein: ein
freier, demokratischer und unabhängiger Irak, der keine Bedrohung seiner
Nachbarn oder der Welt, sondern ein Symbol für Freiheit und Gerechtigkeit
ist.
Originaltext: Byliner: Bremer Foresees "Free, Democratic, Independent"
Irak; (siehe http://usinfo.state.gov)
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