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BND-Informant packt aus

Enthüllung des britischen Guardian: US-Außenminister Powell präsentierte zur Begründung des Kriegs gegen den Irak eine »Quelle« des deutschen Geheimdienstes

Von Knut Mellenthin *

Der unter dem Namen »Curve­ball« bekannt gewordene Iraker, auf dessen Behauptungen sich die US-Regierung zur Rechtfertigung des Irakkriegs von 2003 stützte, hat erstmals ausführlich zu den damaligen Vorgängen Stellung genommen. In zweitägigen Gesprächen mit dem Guardian erklärte Rafid Ahmed Alwan Al-Janabi, daß er heute stolz sei, mit seinen Lügen den Sturz Saddam Husseins möglich gemacht zu haben. Die Journalisten der britischen Tageszeitung trafen Janabi in der BRD, wo der Iraker seit Herbst 1999 lebt. Die meiste Zeit hielt der Auslandsgeheimdienst der Bundesrepublik BND seine schützende Hand über ihn. Im Jahr 2008 bekam er die deutsche Staatsbürgerschaft, obwohl damals schon das ganze Ausmaß seiner Lügen bekannt war.

Als Janabi 1999 in Deutschland auftauchte und um Asyl bat, geriet er umgehend an den BND, der routinemäßig alle Flüchtlinge aus dem Irak verhörte und auf Anwerbemöglichkeiten prüfte. Da Janabi als Chemieingenieur in einem wichtigen Betrieb gearbeitet hatte, kümmerte sich sehr schnell ein Spezialist intensiv um ihn. Innerhalb weniger Wochen wurde sein Asylantrag positiv entschieden. Janabi erfand die mobilen Produktionsstätten für chemische und bakteriologische Waffen, durch die es Saddam Hussein angeblich gelungen war, seine Massenvernichtungswaffen vor den internationalen Inspektoren versteckt zu halten. Er dachte sich auch einen schweren Unfall mit zwölf Toten in einer angeblichen Fabrik für biologische Waffen aus, der sich 1998 ereignet habe. Er behauptete sogar, damals selbst dort gearbeitet zu haben – obwohl er zu dieser Zeit schon gar nicht mehr im Irak lebte und immer noch unbekannt ist, wo er sich zwischen seiner Flucht und seinem Auftauchen in Deutschland aufgehalten hat.

Gegenüber dem Guardian sagte Janabi jetzt, der BND sei schon Mitte 2000 dahintergekommen, daß die Story mit den mobilen Werkstätten nicht stimmte. Damals hatten die Deutschen nämlich Gelegenheit, in Dubai mit dem früheren Vorgesetzten Janabis, Dr. Bassil Latif, zu sprechen, der sich gleichfalls aus dem Irak abgesetzt hatte. Dieser widersprach Janabis Behauptungen entschieden. Darauf brach der BND den Kontakt zu seinem Informanten ab.

Als immer klarer wurde, daß die US-Regierung auf Krieg zusteuerte, besann sich der BND auf seine alte »Quelle« und nahm im Mai 2002 wieder Verbindung zu Janabi auf. Gegenüber dem Guardian behauptete der Iraker jetzt, der deutsche Geheimdienst habe ihm damals gedroht, man werde seine in Spanien lebende marokkanische Frau nicht nach Deutschland einreisen lassen, sondern dafür sorgen, daß sie in ihre Heimat abgeschoben werde. Janabis Aussagen wurden dann zum Herzstück der Präsentation, mit der US-Außenminister Colin Powell am 5. Februar 2003 vor die UNO trat. Der Iraker behauptet jetzt, er habe damals erschrocken beim BND protestiert, weil die Deutschen ihm fest versprochen hatten, seine Aussagen nicht an andere Staaten weiterzugeben. Daraufhin sei er wochenlang unter Hausarrest gestellt worden und habe mit niemand sprechen dürfen.

Der BND berief sich später darauf, er habe die Angaben seines Informanten mit dem Vermerk an die USA weitergegeben, daß diese »plausibel und glaubhaft« seien, aber nicht durch andere Quellen bestätigt werden konnten. Für das Weitere trage man daher keine Verantwortung. Bitten von US-Stellen, selbst mit »Curveball« sprechen zu können, wurden von den Deutschen abgeschmettert. Erst 2004 erhielt die CIA erstmals Zugang zu Janabi.

* junge Welt, 17. Februar 2011

The lies

Und das waren die Lügen, womit der BND-Mann den CIA belieferte:

Rafid Ahmed Alwan al-Janabi, the defector who convinced the US that Iraq had a secret biological weapons programme, falsely claimed that:
  • He worked on a team that assembled germ-production units on trucks at Djerf al-Nadaf, a seed purification plant 10 miles south-east of Baghdad. He claimed these mobile biochemical laboratories were hidden in a two-storey building that could be driven into from both sides. This claim confirmed CIA suspicions that the reason they could not find WMD was because they were being moved from place to place to evade inspectors.
  • An accident at Djerf al-Nadaf in 1998 killed 12 bio-warfare technicians.
  • There were plans to build mobile biochemical factories at six sites across Iraq, from Numaniya, in the south, to Tikrit, in the north.
  • When UN weapons inspectors were in Iraq, the production of the biological weapons agent always began at midnight on Thursdays because Iraq thought the inspectors would not work on the Muslim holy day, which ran from Thursday night to Friday night.

Und das waren die Folgen

The BND passed on this information to the CIA. The caveats attached to the information are disputed, but somehow Curveball's testimony made its way into Colin Powell's speech to the United Nations on 5 February 2003, in which the then US secretary of state made the case for invading Iraq. Powell now describes that day as a painful "blot" on his career. He told the UN he had "first-hand descriptions of biological weapons factories on wheels and on rails". These mobile laboratories, said Powell, were "easily moved and are designed to evade detection by inspectors. In a matter of months, they can produce a quantity of biological poison equal to the entire amount that Iraq claimed to have produced in the years prior to the Gulf war."
The source for this claim, said Powell, was "an eyewitness, an Iraqi chemical engineer who supervised one of these facilities. He actually was present during biological agent production runs. He was also at the site when an accident occurred in 1998. Twelve technicians died from exposure to biological agents." This source was Curveball.
Two months later, the invasion began. Since then, according to Iraq Body Count, at least 100,000 civilians have been killed in the conflict.

("Curveball's lies – and the consequences"; in: The Guardian, 15 February 2011)




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