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Krokodilstränen

Britischer Expremier Blair bedauert Irak-Krieg nicht und sieht "keine Alternative" zum Krieg gegen Iran

Von Knut Mellenthin *

Anthony Blair nutzte am Mittwoch (1. Sept.) die Vorstellung seiner Autobiographie »Eine Reise« dazu, für eine militärische Konfrontation mit dem Iran zu werben. In einem Interview mit dem Sender BBC sagte der frühere britische Premierminister: »Ich halte es für völlig inakzeptabel, daß Iran eine Nuklearwaffen-Fähigkeit besitzt, und meine, wir müssen uns auf eine Konfrontation mit ihnen vorbereiten, nötigenfalls militärisch. Ich glaube, es gibt dazu keine Alternative, wenn sie fortfahren, Atomwaffen zu entwickeln.« Beweise für Blairs Behauptungen gibt es genausowenig wie vor acht Jahren im Falle Iraks.

In einem Gespräch mit der britischen Tageszeitung Guardian schaffte es der Expremier sogar, die Kurve zum 11. September 2001 zu kriegen. Wenn es den Attentätern möglich gewesen wäre, hätten sie auch 300000 Menschen umgebracht, phantasierte Blair und kam dann direkt zur Sache: »Das ist der Punkt. (...) Ich entschied an diesem Punkt, daß man kein Risiko eingehen darf. Das ist der Grund, daß ich in Bezug auf Iran Angst habe und daß ich nicht das Risiko eingehen würde, sie eine Atomwaffen-Fähigkeit bekommen zu lassen.«

Blair hatte im Jahr 2002 mit der Verbreitung unwahrer Behauptungen über angebliche irakische Massenvernichtungswaffen die Führung bei der propagandistischen Vorbereitung des geplanten Krieges übernommen. Eine erhebliche Rolle spielte dabei möglicherweise die Tatsache, daß der Labour-Chef sein Regierungsamt nicht zuletzt der Unterstützung durch das neokonservative Murdoch-Medienimperium verdankte. Ihm gehören in Großbritannien sowohl die traditionell konservative Times als auch die Sun, das Gegenstück zur Bild-Zeitung. Nach der militärischen Besetzung Iraks durch US-amerikanische und britische Truppen ergaben monatelange Suchaktionen keine Anhaltspunkte für die Existenz von Massenvernichtungswaffen.

Viele britische Politiker bekennen inzwischen, daß der Irak-Krieg ein schwerer Fehler war. Nicht so Blair. In seinem Buch schreibt er: »Ich kann die Entscheidung zum Krieg nicht bedauern.« Schon die Frage allein, ob er etwas bereue, mache ihn »krank«. Er habe allerdings »den blutigen, zerstörerischen und chaotischen Alptraum, der sich dann entfaltete«, nicht vorausgesehen. Aber auch daran sind natürlich nur andere schuld: »Die Wahrheit ist, daß wir die Rolle Al-Qaidas und Irans nicht voraussahen.« – Im übrigen, so Blair, habe Irak zwar keine Massenvernichtungswaffen besessen, nachdem sein chemisches Arsenal infolge des 1991er Golfskriegs vernichtet worden war. Aber er glaube dennoch, daß Saddam Hussein die Absicht gehabt habe, sich irgendwann wieder solche Waffen und darüber hinaus auch Atomwaffen zu verschaffen.

»Viele Tränen« habe er dennoch vergossen wegen der Opfer dieses Krieges; »mit jeder Faser meines Daseins« habe er die Gestorbenen und ihre Angehörigen bedauert. Deren Vereinigung »Military Families Against the War« sprach daraufhin von Krokodilstränen. Im Irak kamen 179 britische Soldaten ums Leben, 315 wurden verletzt, viele von ihnen schwer. Darüber hinaus starben bis heute 4420 US-Soldaten, rund 32000 wurden verwundet. Die niedrigsten Schätzungen über die Zahl der getöteten Iraker beginnen bei 100000. Die Einnahmen aus seinem Buch will Blair der British Legion spenden, die sich um ehemalige Soldaten kümmert. Der Expremier kann es verschmerzen: Sein Privatvermögen wird auf über 30 Millionen Dollar geschätzt.

* Aus: junge Welt, 3. September 2010


The radical Islamists pose "the fundamental security challenge of the 21st century", Blair says

Those who turn first to the sections in the book on Iraq will discover a largely familiar account topped by Blair's most personal justification yet for the single most controversial decision he made as prime minister.

But they will find no apologies for the policy itself. "I don't seek agreement," he writes. "I seek merely an understanding that the arguments for and against were and remain more balanced than conventional wisdom suggests."

He writes that he felt "sick, a mixture of anger and anguish" when he was asked by the Iraq inquiry chair, Sir John Chilcot, in January if had regrets over Iraq. "Do they really suppose I don't care, don't feel, don't regret with every fibre of my being the loss of those who died?" he writes.

Blair now says his book is "an opportunity to be more reflective" than he felt able to be at Chilcot, where he confined himself to accepting "responsibility". "You are trying to explain your feelings and you do so in a way that is more open and, yes, I think more reflective," he says.

In his book he writes that he wanted to reach out to the families of those who had been killed in Iraq. "I am now beyond the mere expression of compassion," he writes. "I feel words of condolence and sympathy to be entirely inadequate. They have died, and I, the decision-maker in the circumstances that led to their deaths, still live," the book continues.

"How could you possibly not feel sadness at the lives that had been lost?" Blair said this week. "How could you possibly not? But … when I use the word responsibility, I mean it in a profound way. I say in the book the term responsibility has its future as well as past tense. And that's what I feel. It's not a coincidence I am devoting a large part of my time now to the Middle East or to religious interfaith."

If Blair is more reflective in his approach to the aftermath of Iraq, his book pulls no punches on the radical Islamists who brought down the World Trade Centre in 2001. They posed and still pose "the fundamental security challenge of the 21st century", he says.

Asked the classic judge's question — if he would have done anything differently in retrospect — he replies it is "very difficult to answer that". But he wishes he had seen earlier that 9/11 had "far deeper roots" than he thought at the time.

"The reason for that, let me explain it, is that in my view what was shocking about September 11 was that it was 3,000 people killed in one day but it would have been 300,000 if they could have done it. That's the point ... I decided at that point that you cannot take a risk on this. This is why I am afraid, in relation to Iran, that I would not take a risk of them getting nuclear weapons capability. I wouldn't take it. (...)

Source: The Guardian, 1 September 2010; www.guardian.co.uk




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