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Großoffensive gegen die schiitische Mahdi-Miliz in Basra zu Ende?

Muqtada Al-Sadr bietet Rückzu an - Lage weiterhin unklar und explosiv

Tagelang kämpften in Basra und in anderen Städten Sadr-Milizen und andere schiitische Einheiten gegen die irakische Armee, die ihrerseits Luftunterstützung durch duech die US-Luftwaffe erhielt. In der hiesigen Presse wurden die Kämpfe eher herunter gespielt. Das wenige, das durchdrang, dürfte gar nicht ins Bild von einer stabilisierten Lage im Irak passen, das die US-Regierung seit Wochen zu vermitteln versucht.
Im Folgenden einen Artikel, einen Kommentar sowie die aktuellen Agenturberichte über die Kämpfe und ihr - vorläufiges - Ende.



Premier auf der Flucht

Von Rainer Rupp *

Die militärische Lage in Bagdad und im Südirak spitzte sich am Freitag weiter zu. Dichte Rauchschwaden stiegen über der von den US-Besatzern schwer befestigten Grünen Zone im Herzen der irakischen Hauptstadt auf. Dort lagen die US-Botschaft und die wichtigsten irakischen Regierungsgebäude den fünften Tag in Folge unter Raketen- und Granatwerferfeuer. Zwei US-Regierungsmitarbeiter und ein Armeeangehöriger wurden getötet, vier weitere schwer verletzt. Inzwischen erging die Anweisung an alle Angestellten der US-Verwaltung, die Bunker in der Grünen Zone nicht mehr zu verlassen. Über Bagdad war am Donnerstag eine dreitägige Ausgangssperre verhängt worden. Bis Sonntag morgen dürfen weder Autos fahren noch Fußgänger auf die Straße.

Die anhaltenden Angriffe gelten als Vergeltungsmaßnahmen der Sadr-Milizen für die von den USA unterstützte Offensive der irakischen Regierungstruppen gegen die Hochburgen des irakischen Nationalisten und Besatzungsgegners Muktadar Al-Sadr in Südirak. In der Großstadt Basra, wo das Öl Südiraks verschifft wird, kam die Offensive der irakischen Armee bereits am Donnerstag zum Stehen. Das geschah, obwohl britische und US-amerikanische Kampfflugzeuge wiederholt zur Unterstützung der Regierungstruppen eingegriffen hatten.

In der Nacht zum Freitag bombardierten Düsenjets der britischen und der US-Armee erneut Ziele in Basra. Es seien zwei Angriffe gegen »spezifische Ziele« geflogen worden, sagte Armeesprecher Major Tom Holloway am Flughafen von Basra, wo die rund 4100 britischen Soldaten seit ihrem Rückzug aus der Stadt stationiert sind. Die Wa­shington Post meldete am Freitag, daß das US-Militär nun bei den Kämpfen gegen die Sadr-Anhänger »die Führung übernommen« habe.

Ministerpräsident Al-Maliki war persönlich nach Basra gekommen, um dort den Angriff seiner auf 30000 Soldaten bezifferten Truppen im Südirak zu leiten. Doch verhallte sein Ultimatum an die Sadr-Milizen, entweder innerhalb von 72 Stunden alle Waffen abzugeben oder die Konsequenzen zu tragen, ungehört. Statt dessen mußte Al-Maliki Berichten zufolge wegen heranrückender Sadr-Kämpfer mit einem Hubschrauber fluchtartig seine Residenz in Basra verlassen. Den Bewohnern der Stadt stellte er ein neues Ultimatum: Sie erhielten Geld, wenn sie ihre Waffen bis zum 8. April aushändigten. De facto verlängerte er damit eine Frist zur Waffenabgabe, die ursprünglich Freitag ablief – ein eher verzweifelt wirkender Versuch Al-Malikis zur Rettung seiner Autorität als ein Zeichen der Stärke.

Arabische Zeitungen berichteten inzwischen, daß der US-Vizepräsident Richard Cheney bei seinem Abstecher nach Bagdad in der vergangenen Woche der irakischen Regierung persönlich den Befehl zum Angriff auf die Sadr-Milizen gegeben hat. Dementsprechend wird der offizielle irakische Premier auf Postern bei Demonstrationen als US-Marionette gezeigt. Zugleich hat der Mißerfolg seiner Truppen in Basra nicht nur Al-Malikis angeschlagene Autorität im Lande bloßgestellt; auch werden die vollmundigen Erklärungen der Bush-Administration und des republikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain über die Erfolge der Eskalationsstrategie als absurd entlarvt.

* Aus: junge Welt, 29. März 2008

Gastkommentar: Angriff und Widerstand

Besatzer schüren Gewalt im Irak

Von Joachim Guilliard *

Für viele ist die Eskalation der Kämpfe in Basra, aus der die britische Armee sich letztes Jahr zurückgezogen hatte, ein Beweis dafür, wie verhängnisvoll ein Abzug der Besatzungstruppen aus dem Irak wäre. Tatsächlich zeigt sich, daß es keinen Frieden geben kann, solange die Besatzung andauert.

Auch wenn die Situation in der zweitgrößten Stadt des Landes keineswegs rosig war, so hatte sie sich doch nach dem Rückzug der Briten gewaltig verbessert. Die Gewalt ging um 90 Prozent zurück. Der bei Richard Cheneys Besuch angeordnete Angriff brachte den Krieg mit voller Härte wieder zurück.

Obwohl die Sicherheitskräfte Basras von der radikal-schiitischen Regierungspartei SIIC kontrolliert werden, verfügen ihre Rivalen, die Bewegung Muktada Al-Sadrs und die Fadhila-Partei, über mehr Macht und Rückhalt in der südirakischen Metropole, die das Zentrum der irakischen Ölproduktion bildet. Beide sind entschiedene Gegner der Besatzung. Dies konnte Washington selbstverständlich auf Dauer nicht dulden. Da die US-Kräfte gebunden sind, entsandten sie irakische Truppen in die Stadt, um dem verbündeten SIIC zur vollständigen Oberhoheit über die Stadt zu verhelfen.

Der Angriff richtet sich daher nicht allein gegen die Milizen der politischen Rivalen. Auch Aktivisten der Ölgewerkschaften und Hafenarbeiter sind betroffen, die sich entschlossen der drohenden Übernahme der Häfen durch die irakische Armee widersetzen.

Der deutliche Rückgang der Gewalt 2007, der als Beweis für den Erfolg der neuen Strategie Bushs diente, war maßgeblich auf die Einstellung aller Offensiven der US-Armee zurückzuführen. Mit den Anfang des Jahres gestarteten Großangriffen im Norden war es damit vorbei. Pünktlich zum fünften Jahrestag wurde der Krieg nun wieder aufs ganze Land ausgedehnt. Wesentlich für die Gewaltminderung war auch die Waffenruhe gewesen, die Muktada Al-Sadr angeordnet hatte. Diese zielte vor allem darauf, die Kontrolle über seine Mehdi-Armee wiederherzustellen und die sektiererischen Kräfte, die unter ihrem Schirm operierten, zu isolieren.

Der nun von den USA und ihren irakischen Verbündeten gestartete Frontalangriff gegen die Sadr-Bewegung dürfte sich als Bumerang erweisen. Obwohl die irakische Armee zu einem guten Teil aus Angehörigen des SIIC besteht, haben vielen Einheiten den Einsatz gegen ihre Landsleute in Basra verweigert. Der Rest steht trotz Luftunterstützung durch die Besatzer auf verlorenem Posten.

Gestützt auf seine in die Millionen gehende Anhängerschaft droht Al-Sadr auch mit Streiks und zivilem Ungehorsam. Seinen Aufrufen werden sich andere oppositionelle Kräfte anschließen. Sheich Jawad Al-Khalisi, Führer des Irakischen Nationalen Gründungkongresses, hat bereits die Unterstützung des größten Dachverbandes der Opposition zugesagt. Wenn Maliki dagegen, wie angekündigt, mit der Härte des Kriegsrechts vorgeht, wird auch der Widerstand eskalieren.

* Joachim Guilliard ist Autor zahlreicher Publikationen zum Irak

Aus: junge Welt, 29. März 2008




Aktuelle Meldungen

Al-Sadr bietet Einstellung der Kämpfe an

Angesichts der Großoffensive gegen die schiitische Mahdi-Miliz in Basra hat deren Führer Muqtada Al-Sadr eine Einstellung aller Kämpfe im Gegenzug für eine Generalamnestie angeboten. Dies geht aus einer Neun-Punkte-Erklärung hervor, die Al-Sadr am Sonntag (30. März) an seinem Hauptsitz in Nadschaf veröffentlichte. Demnach würden seine Kämpfer aus Basra und anderen irakischen Städten abziehen, wenn die Regierung ihre Militäroperationen gegen seine Organisation einstelle. "Wir wollen, dass die Iraker aufhören, Blut zu vergießen, und dass sie ihre Unabhängigkeit und die Stabilität des Landes verteidigen", hieß es in der in Nadschaf veröffentlichten Erklärung des Schiitenführers. Als weitere Bedingung nannte er die Freilassung aller Gefangenen. Zuvor war am Sonntag bekannt geworden, daß bereits seit Samstag (29. März) Verhandlungen zwischen der Mahdi-Miliz von Al-Sadr und der Regierung laufen.

Seit Dienstag (25. März) hatten sich irakische Sicherheitskräfte und schiitische Milizen landesweit schwere Gefechte geliefert. Die Kämpfe hatten in der südirakischen Stadt Basra begonnen und sich auf mehrere andere Städte des Landes ausgeweitet. Mehr als 270 Menschen wurden dabei getötet.

Die irakische Marionettenregierung begrüßte die Erklärung Al-Sadrs als »positive und angemessene« Reaktion. Zuvor hatte Ministerpräsident Nuri Al-Maliki erklärt, daß er den schiitischen Widerstand gegen die am Dienstag begonnene Offensive unterschätzt habe. Nach Erkenntnissen des US-Geheimdienstes kontrollierten die irakischen Truppen zu diesem Zeitpunkt weniger als ein Viertel der südirakischen Stadt, wie der Sender CNN unter Berufung auf Gewährsleute in den USA und im Irak berichtete. Schiitische Milizen hätten darüber hinaus Polizeieinheiten in Basra infiltriert.

Am Samstag (29. März) warfen amerikanische Kampfflugzeuge erneut mehrere Bomben auf mutmaßliche Ziele der Aufständischen in Basra ab. Dabei kamen nach Militärangaben mindestens 16 schiitische Milizionäre ums Leben. Laut der irakischen Polizei wurde auch ein Wohnhaus getroffen, in dem acht Bewohner getötet wurden, unter ihnen zwei Frauen und ein Kind. Das über Bagdad verhängte Ausgehverbot wurde auf unbestimmte Zeit verlängert.

AP und AFP, 30. März 2008


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