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Abzug oder Protektorat?

Fünfeinhalb Jahre nach der Invasion / Irak verlangt Besatzungsende bis 2011 - das Pentagon mauert

Von Karin Leukefeld *

Der irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki teilte jetzt mit, es gebe eine Einigung mit den USA über den Rückzug aller ausländischen Soldaten bis Ende 2011. Das Weiße Haus in Washington wies dies aber zurück.

Dreh- und Angelpunkt einer Stabilisierung Iraks ist die Frage, wann die 140 000 US-Besatzungstruppen das Land verlassen. Doch die US-Administration weigert sich, einem Rückzugsplan für ihre gewaltige Streitmacht im Zweistromland zuzustimmen. Wenn es nach Vizepräsident Dick Cheney geht, sollte die US-Armee - nach dem Vorbild der Truppen in Deutschland und Südkorea - mindestens 60 Jahre im Zweistromland stationiert bleiben.

Seit Monaten nun streiten sich, unter aufmerksamer Beobachtung der irakischen Öffentlichkeit, die Washingtoner und die Bagdader Regierung über ein Truppenstatut, das nach dem Auslaufen des UN-Mandats Ende 2008 den Aufenthalt der US-amerikanischen Armee in Irak regeln soll. Der aktuelle Stand der umstrittenen Vereinbarung ist schwer auszumachen, da von den Verhandlungspartnern widersprüchliche Aussagen gemacht werden.

So hatte schon am vergangenen Freitag der irakische Chefunterhändler Mohammed al-Hadj Hammoud erklärt, beide Seiten hätten sich auf einen »Sicherheitspakt« geeinigt und Präsident George W. Bush habe bereits zugestimmt. Die 27-Punkte-Vereinbarung regele unter anderem die Anzahl der US-Militärbasen in Irak, die Anzahl der verbleibenden Truppen sowie die von Washington für die eigenen Soldaten geforderte Immunität gegenüber der irakischen Rechtsprechung.

Außerdem wollen die USA offenbar insgesamt zwischen 50 und 58 dauerhafte Militärbasen in Irak etablieren. Hammoud dagegen erklärte, im Juni 2009 würden sich alle ausländischen Kampftruppen aus den irakischen Städten in die Militärbasen zurückziehen, für 2011 habe man den kompletten Rückzug vereinbart.

Nur wenig später wurde die Aussage Hammouds von Gordon Johndroe, einem Sprecher des Weißen Hauses, zurückgewiesen. Bei den genannten Terminen handele es sich um einen »erstrebenswerten Zeitrahmen«, die Verhandlungen dauerten an, sagte Johndroe. In dieser Woche hieß es nun erneut aus dem Büro von Ministerpräsident Nuri al-Maliki in Bagdad, man habe sich mit der Bush-Regierung geeinigt, dass nach 2011 keine fremden Soldaten mehr in Irak sein sollen. Maliki steht innenpolitisch unter enormem Druck, in Sachen Truppenstatut gegenüber den USA nicht nachzugeben. Selbst vom angesehenen Großayatollah Ali al-Sistani, der sich nur selten zu politischen Themen äußert, kam die Mahnung, das Statut dürfe nicht die Souveränität und die nationalen Interessen Iraks gefährden.

Speerspitze des Protestes gegen ein Truppenstatut, das nach dem Wunsch der USA ihrer Armee auf lange Dauer weit reichende Rechte und Befugnisse in Irak einräumen soll, ist der Prediger und erklärte Besatzungsgegner Muktada Sadr. Seine Armee lieferte sich in den vergangenen Jahren verschiedene Schlachten mit Bushs Truppen. Der Sprecher von Muktada Sadr, Scheich Salah al-Obeidi, sagte, man müsse abwarten, »ob die in dem Statut getroffenen Bedingungen ernst gemeint« seien. »Wir sind zufrieden, wenn die Vereinbarung den Abzug der US-Truppen beinhaltet.«

* Aus: Neues Deutschland, 28. August 2008

Selbstmordattentäterinnen – oder verkleidete Männer?

Irakische Organisation Amal vermutet, dass Terroristen vor der Tat unter Drogen gesetzt wurden

36 Menschen starben bei mehreren Anschlägen in Irak am Rande der schiitischen Feierlichkeiten der Schabbaniya, bei denen in der Pilgerstadt Kerbela in den vergangenen Tagen der Geburtstag des 8. schiitischen Imams Mehdi gefeiert wurde. Imam Mehdi soll als Kind verschwunden sein und wird nach schiitischem Glauben als Messias wiederkehren.

Seit dem Sturz von Saddam Hussein nehmen auch im einst säkularen Irak schiitische Feiertage zu, die bisher vor allem in Iran populär waren. Drei Millionen Pilger sollen nach Auskunft des Gouverneurs von Kerbela, Akhali Khazali, die heilige Stadt besucht haben, 40 000 Soldaten und Polizisten, darunter 2000 Frauen, seien im Einsatz gewesen und hätten erfolgreich für den Schutz der Pilger gesorgt. In Iskenderija allerdings, einem kleinen Ort südlich von Bagdad, fanden dennoch 22 Menschen den Tod, als zwei Frauen inmitten der Pilger explodierten. Der irakische Innenminister Jawad Bolani erklärte, die Tat zeige die »Verzweiflung von Al Qaida«, die so sehr am Ende sei, dass sie Frauen als Attentäterinnen einsetze. »Der Tag ist nicht mehr weit, an dem wir die Botschaft verkünden, dass der Sarg von Al Qaida auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen wurde«, so Bolani.

Suha al-Turaihi, eine frühere Diplomatin des irakischen Außenministeriums, hält die nicht enden wollenden religiösen Feiern in Irak für völlig übertrieben. »Diese Regierung kann unsere Probleme nicht lösen, weil sie ständig mit religiösen Feiern beschäftigt ist«, schimpft die fast 70-Jährige am Telefon. Die religiösen Feiern lenkten von den eigentlichen Problemen des Landes ab. Dazu gehörten auch solche Frauen wie die Attentäterinnen von Iskenderija, die vermutlich mit Drogen manipuliert worden seien. Auch Hanna Edwa von der irakischen Nichtregierungsorganisation Al- Amal sagt, dass Drogen bei Selbstmordattentaten oft im Spiel seien. Es käme auch vor, dass Männer sich als Frauen verkleiden und Anschläge verüben würden, um die Bevölkerung irrezuführen. In der Provinz Diyala seien dieses Jahr mehr als 17 Fälle von Selbstmordattentäterinnen belegt, weswegen ihre Organisation dort eine Untersuchung durchgeführt habe.

»Wir wollten wissen, was die Frauen dazu treibt, sich zu töten, um andere zu töten«, erläutert Hanna Edwa am Telefon. »Der wichtigste Grund sind die schrecklichen Lebensverhältnisse vieler Frauen.« Früher seien viele Stämme und Familien in den ländlichen Provinzen in Diyala, Ramadi und Tikrit von Saddam Hussein unterstützt worden, nach 2003 hätten sie ihr Einkommen verloren. Bei Razzien seien vor den Augen der Frauen ihre Wohnungen und Häuser zerstört, Kinder, Ehemänner, Brüder geschlagen, verhaftet oder ermordet worden.

Die Frauen seien traumatisiert und litten überdies wirtschaftliche Not, »sie wissen nicht, wie sie sich und ihre Kinder ernähren sollen«, sagt Hanna Edwa. Gruppen, die gegen die US-Armee kämpften, böten ihnen Schutz und Lebensmittel. »Diese Frauen sind leichte Beute«, meint Hanna Edwa. »Sie haben nichts mehr zu verlieren.«

Karin Leukefeld

* Aus: Neues Deutschland, 28. August 2008




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