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Ein Abzug mit Fragezeichen

Bis zum Ende des Jahres wollen die USA ihren Kriegseinsatz in Irak offiziell beenden

Von Olaf Standke *

Heute will USA-Präsident Barack Obama auf der Militärbasis Fort Bragg im Bundesstaat North Carolina vor heimgekehrten Soldaten eine Rede zum Ende des Kriegseinsatzes in Irak halten. Bei einem Besuch von Ministerpräsident Nuri al-Maliki am Montag im Weißen Haus hatte er langfristige Unterstützung nach dem Truppenabzug zugesagt.

Kürzlich übergaben die USA mit Camp Victory bei Bagdad die größte ihrer einst 505 Stützpunkte an die irakischen Behörden. Er beherbergte das Hauptquartier der US-Armee im Zweistromland. 2007 sollen allein dort bis zu 100 000 der insgesamt 170 000 US-amerikanischen Soldaten in Irak stationiert gewesen sein; derzeit sind es kaum noch 6000 in fünf Stützpunkten. Auch sie werden bis Jahresende abziehen, wie Präsident Obama im Oktober verkündet hat. So steht es in einem Abkommen zwischen Washington in Bagdad aus dem Jahr 2008 - nur hätten die USA am Ende gern ein paar Tausend Soldaten im Land belassen, offiziell zur Ausbildung der irakischen Truppen.

Doch die Verhandlungen scheiterten. Die von religiösen Schiiten-Parteien dominierte Bagdader Regierung weigerte sich, Immunität für die Soldaten zu garantieren. Das war auch Knackpunkt bei den Gesprächen mit dem Nordatlantik-Pakt. Wie NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen jetzt erklärte, zieht die Allianz zum Jahresende ebenfalls alle Soldaten ab. Trotz »robuster Verhandlungen« hätten sich beide Seiten nicht auf die Verlängerung einer Mission zur Ausbildung irakischer Sicherheitskräfte verständigen können.

Beendet sind die Bemühungen Washingtons deshalb nicht. Die USA würden sich als »solider und zuverlässiger Partner« erweisen, versprach Obama am Montag dem irakischen Regierungschef. Beide Länder würden eine »gleichberechtigte Partnerschaft« mit vielfältigen wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen führen. Wie das Weiße Haus am Montag verlauten ließ, werde man Irak weitere 18 Kampfjets vom Typ F-16 verkaufen, damit das Land »seine Unabhängigkeit verteidigen« könne. Zuletzt hatte die Maliki-Regierung Waffensysteme für acht Milliarden Dollar in den USA geordert. Unter der Aufsicht des »Büros für Sicherheitszusammenarbeit« (Office of Security Cooperation), das der US-Botschaft in Bagdad untersteht, werden weiterhin Militärs und Söldner mit den irakischen Sicherheitskräften zusammenarbeiten. Von den verdeckt operierenden etwa 5000 Elitesoldaten war in den Abzugsplänen ohnehin nie die Rede. Laut Botschafter James Jeffrey bleibe die diplomatische Vertretung mit ihren 21 Hochhauskomplexen auch künftig die größte US-Botschaft der Welt. Zudem wurden vier Außenstellen in Basra, Erbil, Mosul und Kirkuk zu regelrechten Festungen ausgebaut. Kostenpunkt: 1,5 Milliarden Dollar. Insgesamt seien in Irak im nächsten Jahr 16 000 US-amerikanische Zivilisten mit einem Budget von sechs Milliarden Dollar im Einsatz; darunter dürfte sich auch so mancher CIA-Mitarbeiter befinden.

Trotzdem: US-Generalstabschef Martin Dempsey blickte vor dem Streitkräfteausschuss des Senats »mit Beunruhigung« in die Zukunft. Der Totalabzug der USA sei ein Fehler, auch wenn ein Teil der Truppen in der Golfregion verbleibt. In Washington fürchtet man vor allem, dass Iran seinen Einfluss im Zweistromland ausbaut. So wird gemeinsam mit Ministerpräsident al-Maliki auch nach Wegen gesucht, wieder größere Verbände nach Irak zurückkehren zu lassen. Schon jetzt befürchtet der demokratische Kongressabgeordnete Dennis Kucinich, dass die USA einfach eine Besatzung durch eine andere ersetzen. »Wir müssen nun wirklich rausgehen, nicht einfach Uniformen und Personal austauschen.«

* Aus: neues deutschland, 14. Dezember 2011


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