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"Krieg ist kein Naturereignis, sondern wird von Menschen geplant und gemacht"

Rede auf der Friedenskundgebung in München

Anlässlich der "Sicherheitskonferenz" am 7. bis 9. Februar 2003 fanden in München verschiedene Konferenzen und Kundgebungen gegen den drohenden Krieg im Irak statt. So versammelten sich am Abend des 7. Februar mehr als 7.000 Menschen, um gegen die NATO und die Sicherheitskonferenz zu protestieren. Redner waren u.a. Conrad Schuler (München) und Tobias Pflüger (IMI, Tübingen). Später wurde Tobias Pflüger verhaftet und mehr als zwei Stunden festgehalten, weil er in seiner Rede die deutschen AWACS-Soldaten zur Desertion aufgerufen haben soll.
Die größte Kundgebung mit rund 20.000 wurde von einem Bündnis verschiedener Friedens- und Antikrieg-Gruppen am 8. Februar am Marienplatz abgehalten. Eine Stunde davor versammelte sich eine fast ebenso große Menschenmenge am Odeonsplatz zu einer Kundgebung. Hierzu hatten der Münchner Oberbürgermeister Ude, die SPD, die Gewerkschaften und die Kirchen aufgerufen. Viele Teilnehmer/innen dieser Kundgebung nutzten die Gelegenheit und nahmen anschließend auch an der Kundgebung am Marienplatz und an der sich anschließenden Demonstration teil.
Im Folgenden dokumentieren wir die Rede von Peter Strutynski (Kassel, Bundesausschuss Friedensratschlag), die er auf der großen Kundgebung am Marienplatz gehalten hat.



Peter Strutynski:

Liebe Münchnerinnen und Münchner,
liebe Friedensfreundinnen und -freunde!
Vor drei Tagen hat US-Außenminister Colin Powell seine Visitenkarte im UN-Sicherheitsrat abgegeben. Zuvor werden seine Diplomaten bei manchen Regierungen, auch europäischen, Schecks abgegeben und Versprechungen gemacht haben, um sie sich gefügig zu machen. Auch internationale Politik ist längst zu einem Geschäft geworden und eine Stimme im Sicherheitsrat droht zu einer Ware zu verkommen, die den Gesetzen der Ökonomie und des Weltmarktes gehorcht, und nicht dem Willen der Völker.

So kam es auch gar nicht darauf an, was Powell in New York gesagt hat.
  • Dass der Irak seine Massenvernichtungswaffen nur verstecke,
  • dass er weiter an seinem Atomwaffenprogramm bastle,
  • und dass er Verbindungen zur internationalen Terrororganisation Al Qaida unterhalte,
  • und dass sich aus all dem ergebe: Die Uhr für Saddam ist abgelaufen. Der Count Down, oder wählen wir lieber eine Bezeichnung aus der Medienbranche, der Show Down kann beginnen.
Zwei Dinge waren dennoch interessant an seiner Rede.

Erstens sein Hinweis auf exakt lokalisierbare Verstecke von Tonnen von chemischen Kampfstoffen. Warum, so frage ich, wurden die UN-Waffeninspekteure nicht davon in Kenntnis gesetzt, um sich dorthin aufzumachen und die irakischen Giftmischer sozusagen in flagranti zu erwischen? Ich verzichte auf eine Antwort.

Zweitens sagte Powell wörtlich: "Ich kann Ihnen nicht alles sagen, was wir wissen..."
Da wird man hellhörig. Denn mehr Scheußlichkeiten, als Powell über das Regime in Bagdad referiert hat, kann man sich doch kaum noch ausdenken. Vielleicht wollte er nur nicht sagen, was er natürlich auch weiß:
  • Dass viele seiner Anklagepunkte keine "Beweise", sondern nur Vermutungen und krude Verdächtigungen sind,
  • dass vieles von dem, was er zur Begründung für den geplanten Krieg anführt, erstunken und erlogen ist,
  • und dass es sich um Vorwände handelt, hinter denen die eigentlichen Ziele und Absichten verborgen bleiben sollen.
Die Show im Sicherheitsrat hatte nur den einen Sinn: Die Vereinten Nationen sollen endlich den Weg zu einem Krieg gegen Irak freigeben. Weigert sich der Sicherheitsrat, dann werden die USA auch ohne den Rest der Welt handeln.

Die Bush-Administration, die reaktionärste und gefährlichste Regierung, die sich je in den USA an die Macht geschummelt hat, hat der Welt zwei einfache Prinzipien gelehrt:

Erstens:
Wenn dem Irak ein Vergehen gegen die Abrüstungsauflagen nachgewiesen werden kann, dann wird Krieg geführt. Wenn ein solches Vergehen nicht nachgewiesen werden kann, beweist das nur, dass Bagdad sein Vergehen perfekt vertuscht hat. Also muss gleichfalls Krieg geführt werden.
Stellen wir uns nur einmal vor, dieses Beispiel würde in der Justiz Schule machen. Wie viele Ermittlungsbeamte würden überflüssig, wie viele Richterstellen könnte man streichen, wie viel Zeugengelder einsparen. Der Ankläger ist zugleich Richter und erledigt der Einfachheit halber auch noch die Exekution des Angeklagten.

Das zweite Bush-Prinzip lautet:
Wir bitten die Vereinten Nationen, die Gemeinschaft der freien Staaten dieser Welt, den sog. Krieg gegen den Terror, in diesem Fall den Krieg gegen Irak, mit uns zu führen. Aber wir versichern euch, wir werden das notfalls auch ohne euch tun.

Weltpolitik, Diplomatie und internationale Beziehungen, liebe Freundinnen und Freunde, verkommen derzeit zu einem Bubenstück machtgeiler und ölhungriger Galgenvögel aus dem Weißen Haus.
"Im großen Spiel des beginnenden 21.Jahrhunderts", so schrieb Heiko Flottau vor einer Woche in der Süddeutschen Zeitung, "geht es .. um wirtschaftliche Einfluss-Sphären: Wer würfelt so viele Sechser, dass er als Erster das Etappenziel Irak und danach das Feld mit der Aufschrift "Welt- Erdölreserven" erreicht?" Der Irak ist mit seinen 11 Prozent Weltölvorkommen der erste Mosaikstein - dahinter lauern Saudi-Arabien und der Iran.
Deshalb sage ich: Ein Krieg gegen Irak kann das Pulverfass Naher Osten vollends zur Explosion bringen.
Und ich sage auch, das "alte Europa", das ja über noch viel mehr historische Erfahrungen mit dem Nahen und Mittleren Osten verfügt, hat den Amerikanern zumindest diese Lektion voraus.
Daher die große Zurückhaltung in Frankreich und in Deutschland gegen diesen Krieg. Und wir können ausnahmsweise einmal froh sein über die Haltung der Bundesregierung - obwohl sie uns nicht ausreicht.
Und wenn man von dem größten Waffenbesitzer der Welt, Donald Rumsfeld, in eine Reihe mit solchen Schurken wie Libyen und Kuba gestellt wird, dann sollte man sich ausnahmsweise nicht darüber entrüsten. Es ist doch nicht unehrenhaft, in einem Atemzug mit Kuba genannt zu werden, einem Land, das noch nie ein anderes Land angegriffen hat.

Die rot-grüne Regierung kam sehr spät und nicht aus freien Stücken zu ihrer Ablehnung des Krieges. Der Wahlkampf hat sie dazu gebracht, Nein zu sagen, ein Nein, das längst der Mehrheitsstimmung in der Bevölkerung entsprach. Und ich möchte bei der Gelegenheit doch darauf hinweisen, dass die Friedensbewegung nicht ganz unbeteiligt an der großen Kriegsunwilligkeit der Gesellschaft ist. Jedenfalls haben wir in den letzten Jahren mehr dazu beigetragen als jene Parteien, die sich heute mir nichts dir nichts als die "Speerspitze der Friedensbewegung" aufspielen.

Nun sagen manche: Einer Regierung, die einen völkerrechtswidrigen Jugoslawienkrieg geradezu emphatisch geführt hat, die sich im Krieg gegen den Terror und gegen Afghanistan vorbehaltlos hinter die USA gestellt hat, einer solchen Regierung könne man nicht über den Weg trauen.
Ich würde sagen: Man sollte generell keiner Regierung über den Weg trauen, sondern muss schon genau hinschauen, welches ihre Taten sind.
Wenn heute Grüne und Sozialdemokraten wieder den Weg zur Friedensbewegung finden, dann sollte man sie herzlich willkommen heißen. Wir sind nicht nachtragend. Wir verzeihen alles, aber wir vergessen nichts. Und wir sind leidenschaftliche Anhänger des Resozialisierungsgedankens.
Wir sagen aber auch an die Adresse von Berlin und in Richtung Odeonsplatz:
Euer Nein zum Krieg darf kein verbales Nein bleiben. Wir wollen auch Taten sehen.
Wenn man einen Krieg für falsch und gefährlich und für ein Abenteuer hält, dann muss man doch auch alles tun, um ihn zu verhindern.
Und mir scheint, die einzige Sprache, die das Pentagon versteht, und die einzige Tat, die das Weiße Haus - wenn überhaupt - überzeugt, ist die Verweigerung jeglicher Hilfestellung für diesen Krieg. Auch Beihilfe zu einem völkerrechts- und grundgesetzwidrigen Angriffskrieg ist ein Verbrechen und wird - nach Art. 80 des Strafgesetzbuches - mit Gefängnis nicht unter 10 Jahren geahndet.

Und noch eines zum Schluss:
Ich glaube fest an unsere Chance, diesen Krieg zu verhindern. Eine halbe Million Menschen, die am 18. Januar in Washington demonstriert haben, geben mir diese Hoffnung. Und eine breite Bewegung bei uns, die ja erst am Anfang steht, macht ebenso Mut.
Die Herren im Weißen Haus sind nicht allmächtig.
Und Krieg ist kein Naturereignis, sondern wird von Menschen geplant und gemacht. Also kann und muss er auch von Menschen verhindert werden.
Zu diesem Zweck lasst uns zusammen stehen: heute in München, nächsten Samstag gemeinsam mit Hunderttausenden in Berlin.
Nein zum Krieg gegen Irak! Auf nach Berlin!

Beitrag von Peter Strutynski (Bundesausschuss Friedensratschlag) auf der Kundgebung gegen den Krieg am 8. Februar 2003, Marienplatz München.


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