Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Im Falle eines Irakkrieges droht eine humanitäre Katastrophe

PRO ASYL mahnt Bundesregierung: Irakische Flüchtlinge brauchen Schutz

Presseerklärung
6. Februar 2003

PRO ASYL fordert die Bundesregierung angesichts der drohenden Kriegsgefahr auf, den beschönigenden Irak-Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu korrigieren und den Flüchtlingen aus dem Irak endlich den Schutz zukommen zu lassen, der ihnen zusteht. Im letzten Jahr wurden irakische Flüchtlinge durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge reihenweise abgelehnt.

Betrug die Anerkennungsquote im Jahr 2001 noch 65 % (Anerkennungen nach Art. 16a GG und nach § 51 Ausländergesetz) - fiel sie im Jahr 2002 auf nur noch 25 %. Und der Abwärtstrend hält weiter an: Im Dezember 2002 waren nur noch 13 % der Asylbescheide irakischer Flüchtlinge positiv.

"Dieser dramatische Einbruch der Anerkennungsquoten ist insbesondere angesichts der Kriegsgefahr ein Skandal. Er ist Teil einer zynischen Abschreckungspolitik gegenüber Flüchtlingen," sagte Marei Pelzer, Referentin von PRO ASYL, am Donnerstag. Obwohl sich an der katastrophalen Menschenrechtssituation im Irak nichts geändert habe, würde den Flüchtlingen der notwendige Schutz vorenthalten.

Noch immer behauptet das Bundesamt, es bestehe eine sogenannte "inländische Fluchtalternative" im Nordirak. Diese ohnehin fragwürdige Behauptung, der Nordirak sei "sicher", wird angesichts des bevorstehenden Krieges noch haltloser. Der US-Außenminister Powell äußerte in seinem gestrigen Bericht nun sogar die Annahme, dass Al-Kaida-Verbündete im Norden des Iraks frei operieren könnten. Es ist also nicht davon auszugehen, dass der Nordirak von möglichen Kriegshandlungen ausgenommen wird. Um so unverständlicher ist es, dass an der Einschätzung, dass Flüchtlinge im Nordirak auf absehbare Zeit sicher seien, festgehalten wird.

Selbst Flüchtlinge aus dem Zentralirak werden immer häufiger auf eine Fluchtalternative im Nordirak verwiesen - und zwar "ungeachtet der Tatsache, ob verwandtschaftliche oder soziale Beziehungen in den Nordirak bestehen oder nicht", heißt es in einem PRO ASYL vorliegenden typischen Ablehnungsbescheid. Weiterhin wird behauptet, dass für irakische Flüchtlinge eine Rückkehr in den Nordirak über die Türkei möglich und zumutbar sei.

Diese Einschätzung wird vom aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes gestützt: "Das Auswärtige Amt geht davon aus, dass Flüchtlinge oder Einheimische in Nordirak weitgehend Schutz vor dem Zugriff Bagdader Sicherheitsdienste haben. ... Diese Feststellungen gelten grundsätzlich unabhängig von der ethnischen und religiösen Zugehörigkeit," heißt es im Lagebericht des Auswärtigen Amtes.

Nach Auffassung von PRO ASYL ist eine umgehende Korrektur der beschönigenden Lageberichte des Auswärtigen Amtes nötig. Die Fiktion einer inländischen Fluchtalternative muss aufgegeben werden.

Seit Jahren gehört der Irak zu den Hauptherkunftsländern von Asylsuchenden in Deutschland. Flüchtlinge aus dem Irak fliehen vor grausamen Menschenrechtsverletzungen. Regimekritiker und Oppositionelle des Unrechtsregimes Saddam Husseins wurden in den letzten Jahren zu Tausenden verhaftet und gefoltert. Körperstrafen und Todesstrafe werden vom Irakischen Staat exzessiv angewandt. Frauen werden in Haft systematisch misshandelt und vergewaltigt.

Im Falle eines Krieges gegen den Irak ist damit zu rechnen, dass die Repressalien gegen die Bevölkerung noch zunehmen werden. Nach Einschätzung von UN-Experten und Internationaler Hilfsorganisationen bewegen sich die zu erwartenden Flüchtlingszahlen zwischen einer und mehreren Millionen Flüchtlingen. Internationale Beobachter rechnen mit einer humanitären Katastrophe.

PRO ASYL warnt davor, dass der Nordirak im Kriegsfall zur Todesfalle für Tausende von Flüchtlingen werden könne. Die Nachbarstaaten des Iraks haben bereits die Grenzen hermetisch abgeriegelt. Türkische Truppen halten einen ,Sicherheitsstreifen' entlang der irakisch-türkischen Grenze besetzt. Große Teile der Grenze zum Iran wurden in den vergangenen Jahren neu vermint. Beide Länder wollen eine erneute Fluchtbewegung, wie z.B. im Jahr 1991, als rund zwei Millionen Kurden vor irakischen Truppen flüchteten, verhindern.

Das Gebot der Stunde ist ein Kurswechsel im Umgang mit irakischen Flüchtlingen: PRO ASYL fordert eine großzügige Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Irak. Flüchtlinge, die sich bereits in Deutschland aufhalten, müssen endlich den ihnen zustehenden Flüchtlingsstatus erhalten.

PRO ASYL sieht dem drohenden Krieg gegen den Irak wegen der hohen Zahl der zu erwartenden zivilen Opfer, der hohen Zahl der Flüchtlinge und ihrer Not sowie der Folgen für den Geltungsanspruchs des Völkerrechtes mit großer Sorge entgegen. PRO ASYL lehnt einen Krieg entschieden ab und ruft als Mitglied im Trägerkreis zur Teilnahme an der Friedensdemonstration am 15. Februar 2003 in Berlin auf. (Aufruf unter www.proasyl.de)


Zurück zur Seite "Stimmen gegen den Krieg"

Zur Menschenrechts-Seite

Zur Presse-Seite

Zurück zur Homepage