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Krieg gegen den Irak?

Aufruf zur Friedfertigkeit

Der Vorstand der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative "Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit" e. V. beobachtet mit wachsender Sorge die in der deutschen Öffentlichkeit und von Seiten mancher Politiker immer lauter werdenden Stimmen, die unter dem Vorwand der moralischen und Bündnis-Verpflichtung gegenüber den USA für militärische Einsätze der Bundeswehr gegen den Irak plädieren. Wir betrachten einen Krieg gegen den Irak, der hauptsächlich wieder die Zivilbevölkerung und deren Lebensgrundlagen treffen würde (sogenannte "Kollateralschäden"), als eine große Gefahr für die Stabilität des gesamten Nahen Ostens und weit darüber hinaus. Es ist in höchstem Maße beunruhigend, wenn der US-Sicherheitsberater Richard Perle im November (Guardian v. 13. 11. 02) neben herber Kritik an der Haltung der Europäer, sie hätten den moralischen Kompaß verloren und verletzender Kritik an dem Vorsitzenden der UN-Inspektoren Hans Blix ankündigt, die USA würden auch dann die Angriffspläne gegen den Irak aufrechterhalten, wenn die UN-Inspekteure keine Waffen fänden.

Nicht ohne Grund hat der amerikanische Geheimdienst den Auswärtigen Ausschuß des US-Senates bereits im August 2002 gewarnt, daß Israel bei einem möglichen irakischen Angriff mit einem "atomaren Vergeltungsschlag" und dem Einsatz anderer Waffen, "über die nicht einmal die US-Armee verfügt" den Irak "als Staat zerstören" werde (SZ v. 16.8.02). Was darüber hinaus ein Krieg gegen den Irak bedeuten würde in Bezug auf den dann zweifellos weiter wachsenden internationalen Terrorismus ist unschwer vorstellbar.

Die Probleme der Friedenssicherung, aber auch der Terror-Bekämpfung sind nicht mit militärischer Gewalt lösbar! Dies zeigt sich u. a. auch in Afghanistan, wo bisher höchstens die Hauptstadt Kabul halbwegs "befriedet" werden konnte. Fundamentalismus jeder Couleur und Terrorismus sind bedrohlich. Sie durch Militär und Krieg eindämmen oder ausmerzen zu wollen, ist naiv, anachronistisch und kurzsichtig.

Es ist schlicht unwahr, daß die Welt von Deutschland militärische Einsätze erwarten würde.

Die Stimmung für weltweite deutsche Militäreinsätze wurde und wird in Deutschland angeheizt z. B. durch die schrecklichen und empörenden Bilder aus den Bürgerkriegs-Gebieten des ehemaligen Jugoslawien und vom 11. September aber auch durch das Verhalten des grausamen irakischen Diktators. Dieser Diktator -es sei eindringlich wiederholt- wurde ja vom Westen hofiert und mit Waffen und militärischem know how beliefert, als es um seinen Krieg gegen den Iran ging. Wir sehen die drohende Gefahr, daß durch Ausnutzung der gegenwärtigen Stimmung deutsche Militär-Einsätze und damit Krieg wieder "salonfähig" gemacht werden. Die seit dem Ende des zweiten Weltkrieges betriebene Politik der Kriegs-Verhinderung droht mehr und mehr umzuschlagen in eine Politik der Kriegs-Führung. Besonnene Militärs und Kenner der Situation vor Ort betonen mit Nachdruck, daß Kriege, Fundamentalismus und Terrorismus wie in Jugoslawien, in Afghanistan und in anderen Regionen der Welt nicht durch Militär und Krieg beendet werden können. Bewegen wir uns nicht rückwärts auf das Jahr 1914 zu? Sollen wirklich, wie damals, deutsche Soldaten "die Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt..." durchsetzen, wie es in den deutschen Verteidigungsrichtlinien vom 12. 11. 1992 heißt? Deutsche Außenpolitik darf nicht wieder einmal zu Macht- und Militär-Politik werden. Soll die Stimmung in der Öffentlichkeit gegen eine leichtfertige "Kanonenboot-Politik" erst umschlagen, wenn die ersten jungen Deutschen als Tote in die Heimat zurückkehren?

Wir erklären, daß nur zivile Alternativen, die sich an den Ursachen von Konflikten und Terrorismus orientieren, friedensstiftende und friedenserhaltende Erfolge bringen können. Dazu gehören folgende Forderungen:
  • Die Bundesregierung muß bei ihrer Entscheidung bleiben keine deutschen Soldaten und Geräte für mögliche Kampfeinsätze bereit zu stellen. Deutschland muß in der internationalen Diplomatie wie bisher seinen positiven Einfluß geltend machen. Das Auswärtige Amt war ja bisher nicht untätig und hat u. a. zahlreiche Staaten der arabischen Liga dazu bewegt, politischen Druck auf den Irak auszuüben. Deutschland muß weiter ein vertrauenswürdiger Verhandlungspartner sein. Eine solche Haltung als "antiamerikanisch" zu bezeichnen ist zynisch und durch nichts gerechtfertigt. Es gibt keine moralische Rechtfertigung, die Welt in Kriegsabenteuer mit unabsehbarem Ausgang zu stürzen.
  • Jegliche Waffen- und Munitions-Lieferungen in Krisen- und Kriegsgebiete müssen durch Blockaden in den Liefer- und Durchgangs-Ländern drastisch unterbunden werden. Stattdessen muß eine Intensivierung und Förderung der humanitären Hilfen erfolgen.
  • Die Wirtschaftshilfen an Länder, welche kriegführende Parteien mit Kriegsmaterial und kriegsverlängernden Lieferungen unterstützen, müssen sofort eingefroren werden. Dies kann und darf nicht humanitäre Hilfeleistungen betreffen.
  • Waffen-Handel und Waffen-Lieferungen jeder Art müssen endlich über die Vereinten Nationen international ebenso konsequent kriminalisiert, geächtet und verfolgt werden wie Drogen-Handel. Durch Waffen, auch aus deutscher Produktion, kommen mehr Menschen zu Tode als durch Drogen.
  • Eine politische Aufwertung der demokratischen Kräfte und der Friedensbewegungen in Konflikt-Gebieten durch Deutschland und durch die EU muß schnell erfolgen, z. B. durch formale Beteiligung dieser Gruppen und humanitärer Hilfsorganisationen an Friedens-Konferenzen. Solche Organisationen sind durch ihre Arbeit vor Ort oft besser informiert über die Konflikt-Ursachen als die Diplomaten.
  • Die Diskussionen und die Aktivitäten um den Aufbau neuer deutscher militärischer Eingreiftruppen, um neue Waffensysteme und um "out of area"-Einsätze deutscher Soldaten müssen beendet werden. Das Geld ist besser angelegt in humanitären Maßnahmen.
  • Deutschland muß sein Gewicht im Sinne einer friedlichen Entwicklungs-Politik in die internationale Waagschale werfen und als Vorreiter einer neuen Konfliktverhinderungs-, Friedens- und Abrüstungs-Politik auftreten, statt sich an Kriegen zu beteiligen. Deshalb muß u. a. die Friedens- und Konflikt-Forschung wesentlich gestärkt und intensiviert werden. Wir brauchen neue Arten der Konflikt-Lösung im Sinne von Konflikt-Vermeidung, Krisen- und Konflikt-Management. Kampf gegen Fundamentalismus und Terrorismus kann und darf nicht vorrangig eine Frage militärischen Eingreifens sein, sondern muß an den Ursachen ansetzen. Mit dem "alten Denken" werden die Gründe, nämlich Hunger, Elend, Ausbeutung, religiöser Fanatismus, die fortschreitende Umweltzerstörung und damit die Vernichtung der Lebensgrundlagen für die kommenden Generationen, nicht zu eliminieren sein.
  • Für die nötigen humanitären Einsätze in Kriegs- und Krisen-Gebieten sind z. B. das Rote Kreuz, das Technische Hilfswerk, engagierte Entwicklungshilfe- und Nichtregierungs-Organisationen entsprechend besser auszurüsten. Damit kann viel Geld gespart, können sinnvolle Arbeitsplätze in Deutschland und vor allem weltweites Vertrauen und damit mehr Chancen für Frieden geschaffen werden.
Ein Einsatz deutscher "Blauhelme" unter UN-Mandat ist nach unserer Überzeugung überhaupt nur dann vertretbar, wenn die UNO ein alleiniges demokratisch legitimiertes Machtmonopol besitzt und nicht von wenigen Staaten in ihren Entscheidungen u. a. im Sicherheitsrat dominiert oder gar unter Druck gesetzt werden kann. Das bedeutet zugleich die mittel- bis langfristig zu erfüllende Forderung nach einer schrittweisen Abgabe nationaler militärpolitischer Souveränität an die UNO und eine weitgehende Abrüstung nationaler Armeen.

Es muß eine internationale Beschlußfassung in allen Parlamenten der Welt angeregt und durchgesetzt werden, daß Krieg nicht mehr Mittel der Politik sein darf. Wir fordern die Bundesregierung und den Deutschen Bundestag und seine Fraktionen dringend zu einer Initiative in dieser Richtung auf. Deutschland hat durch seine Erfahrungen aus den Weltkriegen hierzu eine ganz besondere Verantwortung.

Wir wenden uns darüber hinaus auch an alle WissenschaftlerInnen, sich nicht an Rüstungsprojekten zu beteiligen. Forschung und Lehre dürfen sich nur friedlichen und zivilen Zielen verpflichtet fühlen. WissenschaftlerInnen müssen außerdem über die Sinnlosigkeit und die zerstörerische Wirkung von Kriegen, insbesondere durch die neuen Waffensysteme aufklären.

"Laßt uns das tausendfach Gesagte immer wieder sagen, damit es uns nicht einmal zu wenig gesagt wurde! Laßt uns die Warnungen erneuern, und wenn sie uns schon wie Asche in unserem Munde sind" (Bert Brecht, Rede für den Frieden, Wien 1952).

NaturwissenschaftlerInnen-Initiative "Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit" e. V.: Prof. Dr. J. Schneider, Göttingen


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