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Deutsche Kommission Justitia et Pax gegen militärisches Vorgehen im Irak

"Keine weitere Eskalation der Gewalt!" Die Erklärung im Wortlaut

Im folgenden dokumentieren wir eine Presseerklärung von der Deutschen Kommission Justitia et Pax vom 25. März 2002 sowie eine ausführlichere Erklärung vom selben Datum zum angekündigten US-Krieg gegen Irak.

Presseerklärung

Bonn, am 25.03.2002

Justitia et Pax gegen militärisches Vorgehen im Irak

In einer einstimmig verabschiedeten Erklärung spricht sich die Deutsche Kommission Justitia et Pax entschieden gegen ein immer wahrscheinlicher werdendes militärisches Vorgehen gegen den Irak aus. Im Anschluss an das Friedenswort der Deutschen Bischöfe "Gerechter Friede" wird zwar die Sorge der Vereinigten Staaten vor einer Aufrüstung des Irak mit Massenvernichtungsmitteln geteilt. Doch bestünden erhebliche Zweifel, ob der Irak tatsächlich mit dem für den 11.09. verantwortlichen Terroristennetzwerk kooperiere. Vor allem aber seien die politischen Mittel für eine Konfliktlösung noch nicht ausgeschöpft. Daher ist nach den Worten der Erklärung ein militärisches Vorgehen derzeit in keiner Weise gerechtfertigt.

Außerdem wird auf die leidgeprüfte Zivilbevölkerung im Irak verwiesen und vor der Gefahr einer Verwendung von Massenvernichtungswaffen im Zuge einer gewaltsamen Eskalation gewarnt. Sollte es im Zuge einer Auseinandersetzung zum ersten Mal nach 1945 zu einem Einsatz von Atomwaffen kommen, so bedeute dies eine beispiellose politische und humanitäre Katastrophe. Auch ohne eine solche Eskalation stehe jedoch zu befürchten, dass durch einen weiteren Krieg mit Irak die Spannungen zwischen den Ländern des Westens und der muslimischen Welt noch verschärft würden.

Zu fordern sei deswegen zunächst die Wiederzulassung effektiver Rüstungskontrollinspektionen durch die Vereinten Nationen im Irak. Die seit Jahren in Kraft befindlichen Embargomaßnahmen gegen das Land müssten in einer Weise modifiziert werden, dass die Zivilbevölkerung nicht unter deren Auswirkungen zu leiden hat. Alle gegen das Land beabsichtigten Entscheidungen müssen in enger Abstimmung und Zusammenarbeit innerhalb der Vereinten Nationen geschehen.

Bezüglich Afghanistan wird in der Erklärung auf die fortbestehenden Sicherheitsprobleme im Innern verwiesen und eine möglichst baldige Entfernung und Vernichtung der umfangreichen Bestände an Kleinwaffen sowie die Räumung von Streubomben und Minen gefordert. Bezüglich der im Gewahrsam der Amerikaner und ihrer Verbündeten befindlichen Gefangenen wird zudem ist auf die dringliche Pflicht hingewiesen, diese in strikter Weise gemäß menschenrechtlichen Erfordernissen zu behandeln. Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus werde an Glaubwürdigkeit verlieren, wenn er dazu führe, die menschenrechtlichen Standards immer weiter auszuhöhlen.

Wie bereits im Friedenswort der Deutschen Bischöfe wird auch in der jetzt verabschiedeten Erklärung auf die enge Verbindung von Frieden und Entwicklung hingewiesen: Entscheidend, so muss aus Sicht der Kirche unterstrichen werden, ist es, die Prozesse der Globalisierung in verantwortlicher Weise so zu gestalten, dass politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, unter denen nachhaltige Entwicklung gelingen kann.


Die Erklärung im Wortlaut:

Keine weitere Eskalation der Gewalt!

Seit Beginn dieses Jahres mehren sich die Anzeichen dafür, dass es im Zuge aktueller Planungen und Maßnahmen, die der Bekämpfung des internationalen Terrorismus dienen sollen, zu einer weiteren militärischen Konfrontation mit dem Irak kommen könnte. Noch scheint der politische Entscheidungsprozeß, der einer solchen Entwicklung zugrunde läge, nicht abgeschlossen. Bei den mit den Vereinigten Staaten verbündeten Nationen, aber auch in den USA selbst dauern die Kontroversen darüber an, welches Vorgehen in nächster Zukunft geraten ist und von welchen Schritten Abstand genommen werden sollte.

Die Deutsche Kommission Justitia et Pax hält es für geboten, ihre Position in dieser Diskussion zu bestimmen und sie gegenüber den politisch Verantwortlichen zur Geltung zu bringen. Sie tut dies in Übereinstimmung mit dem Wort der deut-schen Bischöfe "Gerechter Friede" vom September 2000, in welchem es an zentraler Stelle heißt: "Wer eine friedlichere Welt will, muss die tiefliegenden Ursachen des Krieges bekämpfen. Aus der Perspektive des gerechten Friedens bedeutet das, durch eine Politik der Gewaltvorbeugung Gewaltverhältnisse auszutrocknen, die stets neue Gewalt provozieren und produzieren" (Nr. 60).

Wir teilen die Sorge der Vereinigten Staaten vor einer unkontrollierten Aufrüstung des Irak mit chemischen, biologischen oder nuklearen Massenvernichtungsmitteln und einer Trägertechnologie, mit der solche Waffen auch über größere Entfernungen eingesetzt werden könnten. Ebenso sind wir uns des Risikos bewusst, dass Massenvernichtungsmittel in die Hände von Terroristen gelangen und zu verheerenden Anschlägen verwendet werden könnten.

Dennoch sprechen wir uns mit Entschiedenheit gegen ein militärisches Vorgehen gegen den Irak aus. Nach wie vor bestehen substanzielle Zweifel daran, ob der Irak tatsächlich mit jenen Terroristen kooperiert und sie begünstigt, vor denen die internationale Gemeinschaft sich zu schützen sucht. Vor allem aber kann den genannten Gefährdungen noch immer mit politischen Mitteln angemessen begegnet werden; eine Situation, in der neuerliche Gewaltanwendung als einziges erfolgversprechendes Mittel in Betracht zu ziehen wäre, besteht derzeit nicht. Die Politik ist es nicht zuletzt den in den aktuellen Krisengebieten stationierten Soldaten schuldig, die gegebenen Spielräume für eine gewaltvermeidende politische Lösung tatsächlich auszuschöpfen und sie vor einer Situation zu bewahren, in der sie sich hinsichtlich des von ihnen verlangten Gehorsams vor schwerwiegende Gewissensfragen gestellt sehen müssten. Gerade die wahrscheinlichen Folgen einer militärischen Auseinandersetzung großen Ausmaßes lassen nur den Schluss zu, dass alle Anstrengungen unternommen werden müssen, die Gefahr einer weiteren Eskalation der Gewalt abzuwenden.

Unsere besondere Sorge gilt der leidgeprüften Zivilbevölkerung im Irak, die durch eine kriegerische Konfrontation eine weitere Verschlimmerung ihrer Lage erfahren würde - noch über die hohe Zahl der Opfer hinaus, die ausgedehnte Kampfhandlungen ohnehin fordern dürften. Die humanitäre Situation im Irak ist seit Jahren alarmierend, und es muss alles dafür getan werden, dass sie nicht noch weiter zugespitzt wird. In großer Sorge sind wir jedoch ebenso wegen der Menschen in den übrigen Staaten der Region, insbesondere in Israel, die von einem Einsatz von Massenvernichtungsmitteln durch den Irak betroffen wären und nur unzureichend hiergegen geschützt werden könnten. Die reale Gefahr einer Verwendung derartiger Waffen durch den Irak wird von keinem politisch oder militärisch Verantwortlichen in Abrede gestellt. Ferner sind die möglichen Reaktionen der Nachbarstaaten auf eine solche Kriegführung mit zu bedenken. Es wäre eine beispiellose politische wie humanitäre Katastrophe, wenn ein Krieg mit dem Irak darin endete, dass zum ersten Mal nach 1945 mit dem Einsatz von Atomwaffen nicht mehr nur gedroht, sondern dieser tatsächlich vollzogen würde.

Auch ohne eine solche Eskalation wären die politischen Konsequenzen eines militärischen Vorgehens gegen den Irak überaus prekär. Viele befürchten, es könnte als neuerlicher Beleg dafür angesehen werden, dass der Konflikt mit Irak letztlich auf eine weitaus umfassendere Konfrontation zwischen westlicher und muslimischer Welt, ja auf fortwirkendes westliches Dominanzstreben zurückgeführt werden muss. Daher droht selbst eine möglicherweise militärisch erfolgreiche Aktion zur Erhöhung der internationalen Spannungen beizutragen und solchen Wahrnehmungsweisen von Politik zusätzliche Plausibilität zu verleihen, die in weiteren Bemühungen um die Erhaltung des Friedens nur das Hinauszögern eines unvermeidlichen Zusammenstoßes der Kulturen zu erblicken meinen. Dann aber wäre die Wirkung des gewählten militärischen Handelns in friedenspolitischer Hinsicht kontraproduktiv.

Um solchen Entwicklungen zuvorzukommen, gilt es auf die Regierung des Irak mit dem Ziel einzuwirken, dass die Rüstungskontrollinspektionen der Vereinten Nationen im Land wieder aufgenommen werden können. Nur Kontrollen, deren Wirksamkeit außer Zweifel steht, können verhindern, dass politische Bemühungen zur Beilegung des Konflikts und zur Vermeidung weiterer Gewalt letztendlich scheitern. Die Inspektionen der Vereinten Nationen, die bis Ende 1998 im Irak stattfanden, haben nachweislich zu einer weitgehenden - wenn auch offenbar nicht vollständigen - Abrüstung des Landes insbesondere im besonders sensitiven Bereich der Nukleartechnologie sowie der Bestände von C- und B-Waffen beigetragen.

Überhaupt sollte die Formulierung der aktuellen Politik gegenüber Irak in enger Abstimmung bzw. Zusammenarbeit innerhalb der Vereinten Nationen erfolgen. Deren bisherige Beschlussfassung ermöglicht es grundsätzlich, so vorzugehen, dass ein großer politischer Konflikt mit der arabisch-muslimischen Welt vermieden werden kann. Für die politische wie völkerrechtliche Legitimität und damit für die Akzeptanz der Irakpolitik ist es von ausschlaggebender Bedeutung, den innerhalb der Vereinten Nationen erzielbaren Konsens nicht zu verlassen. Insbesondere wäre jedwedes gewaltförmige Vorgehen "an das geltende Friedenssicherungsrecht und die dort festgelegten Verfahren gebunden" (Gerechter Friede, Nr. 154), die sicherstellen sollen, dass solche Maßnahmen mit Rücksicht auf das Wohl der gesamten Völkergemeinschaft und durch autorisierte internationale Gremien beschlossen werden.

Zugleich gilt es die seit Jahren in Kraft befindlichen Embargomaßnahmen gegen Irak so zu modifizieren, daß nicht wie bisher in erster Linie die Zivilbevölkerung unter dessen Auswirkungen zu leiden hat. Den Verhandlungen am Sitz der Vereinten Nationen im Lauf der nächsten Monate kommt daher besondere Bedeutung zu - in sicherheitspolitischer, vor allem jedoch in humanitärer Hinsicht. Die Hauptverantwortung für das Leiden der Bevölkerung trägt zwar fraglos die Regierung des Irak selbst. Dennoch muß ein verändertes Sanktionsregime der Vereinten Nationen die Gefahr weiterer Schädigungen für die Menschen auf ein Minimum reduzieren. Hierin liegt eine zentrale Herausforderung für jede Politik, die durch politischen oder wirtschaftlichen Druck die Anwendung militärischer Gewalt vermeiden will: Sie muss die gegebene Bedrohung spürbar vermindern, jedoch zielgerichtet gegen diejenigen, von denen diese Bedrohung ausgeht, nicht mit den Mitteln eines umfassenden Embargos, das nur allzu oft auf eine Gefährdung der Lebensgrundlagen der Zivilbevölkerung hinausläuft. Embargomaßnahmen, die speziell gegen die Möglichkeiten einer destabilisierenden Wiederaufrüstung im Irak wirksam sind, können eine Alternative für den Fall bieten, dass eine völlige Aufhebung der Sanktionen bis auf weiteres nicht für vertretbar gehalten wird. Aufmerksamkeit muß zudem der Frage gelten, ob Nachbarstaa-ten, deren wirtschaftliche Entwicklung durch Embargofolgen empfindlich getroffen würde, eine finanzielle bzw. handelspolitische Kompensation geleistet werden sollte. Auch dies könnte dazu beitragen, dass die Sanktionen nicht unterlaufen und damit ihre sicherheitspolitischen Wirkungen geschwächt würden.

Über die krisenhafte Zuspitzung im Hinblick auf den Irak darf die Situation in Afghanistan nicht in Vergessenheit geraten. Dringlich sind hier einerseits Maßnahmen zu einem zügigen Wiederaufbau des Landes, vor allem zur Errichtung einer effizienten Infrastruktur. Diese hat die grundlegende Versorgung der Bevölkerung landesweit ebenso zu garantieren, wie sie deren Vertrauen in neuerrichtete rechtliche und administrative Strukturen erhöhen muß. Dringlich ist jedoch nicht minder die Lösung fortdauernder Sicherheitsprobleme, vor allem außerhalb des Raumes um die Hauptstadt Kabul. Fortgesetzte Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Truppenführern in Afghanistan können den durchaus fragilen Friedensprozess noch zusätzlich destabilisieren. Um dieser gefährlichen Situation dauerhaft abzuhelfen, bedarf es jetzt der Entfernung und Vernichtung der im Land verfügbaren umfangreichen Bestände an Kleinwaffen sowie der Räumung von Minen und von abgeworfenen Streubomben, damit der alltäglichen Terrorisierung der Bevölkerung der Boden entzogen wird. Die gegen im Land verbliebene Taliban bzw. Al-Qaida-Mitglieder gerichteten Kampfhandlungen müssen baldmöglichst beendet werden, zumal zu befürchten ist, dass diese immer weitere zivile Opfer fordern.

Wir appellieren an die amerikanische Regierung und ihre Verbündeten, dafür Sorge zu tragen, dass die Menschenrechte der in ihrem Gewahrsam befindlichen Gefangenen geachtet und geschützt werden. Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus würde politisch und moralisch an Glaubwürdigkeit verlieren, wenn er dazu führte, jene elementaren rechtlichen Standards immer weiter auszuhöhlen. Denn in ihnen manifestiert sich eine Werteordnung, die gegen jede Form einer gegen sie gerichteten Gewaltpolitik verteidigt zu werden verdient. Es wäre eine verhängnisvolle Entwicklung, wenn der Kampf gegen den Terrorismus zu Maßnahmen führte, angesichts derer die zentrale Begründung für diesen Kampf: die Verteidigung einer menschenrechtsfreundlichen politischen Ordnung, mit dem Hinweis auf von den Verteidigern selbst begangene Menschenrechtsverletzungen zurückgewiesen werden könnte.

Das Friedenswort der deutschen Bischöfe stellt fest: "Eine Welt, in der den meisten Menschen vorenthalten wird, was ein menschenwürdiges Leben ausmacht, ist nicht zukunftsfähig. Sie steckt auch dann voller Gewalt, wenn es keinen Krieg gibt. Verhältnisse fortdauernder schwerer Ungerechtigkeit sind in sich gewaltgeladen und gewaltträchtig" (Gerechter Friede, Nr. 59). Wir greifen diese Mahnung auf und betonen den integralen Zusammenhang zwischen einer Politik der Gewaltvorbeugung und dem Einsatz für mehr Gerechtigkeit, vor allem für eine nachhaltige Bekämpfung weitverbreiteter Armut und Perspektivlosigkeit. Denn vielfach sind solche Verhältnisse nicht nur schwerstes Unrecht an den Armen, sondern können schließlich selbst Gewaltanwendung als verzweifeltes Mittel der Abhilfe erscheinen lassen. Mehr Gerechtigkeit nicht nur in bestehenden Nationalstaaten, sondern auch im inter-nationalen Bereich ist jedoch nicht allein durch materielle Entwicklungshilfe zu erreichen. Der in Monterrey soeben erzielte Konsens unterstreicht vielmehr, wie wichtig es ist, politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen herbeizuführen, unter denen nachhaltige Entwicklung gelingen kann. Eine verantwortliche Steuerung von Globalisierungsprozessen erweist sich deswegen als immer dringlicher - auch unter dem Gesichtspunkt wirksamer Vorbeugung gegen alte und neue Formen von Gewalt.



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