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Irak: Chronik wichtiger Ereignisse

August 2010


Sonntag, 1. August, bis Sonntag, 8. August
  • Die Gewalt gegen die Sicherheitskräfte im Irak reißt nicht ab: Im Westen von Bagdad starben am 1. August fünf Polizisten, als Bewaffnete das Feuer auf ihren Kontrollpunkt eröffneten. Die Täter entkamen unerkannt. Am gleichen Tag hatten Aufständische in Falludscha, 70 Kilometer westlich von Bagdad, einen Polizisten und zwei Familienangehörige mit einer Sprengfalle getötet. Vor dem geplanten Abzug der US-Kampftruppen aus dem Irak zum Monatsende verstärken die Rebellen ihre Angriffe auf die irakischen Sicherheitskräfte.
  • Die angeblichen Millionen-Konten des verstorbenen österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider in Liechtenstein könnten Tagebuch-Eintragungen eines früheren Weggefährten Haiders zufolge mit Geld aus Libyen und dem Irak gefüllt worden sein. Wie die Wochenzeitschrift "Falter" am 3. August berichtete, fanden die Ermittler in privaten Aufzeichnungen des ehemaligen FPÖ-Politikers Walter Meischberger Hinweise darauf, dass der libysche Machthaber Muammar El Gaddafi Haiders damalige Partei mit rund 45 Millionen Euro begünstigte. Auch der gestürzte irakische Machthaber Saddam Hussein soll demnach mehrere Millionen Euro an die FPÖ gezahlt haben.
  • Bei einem Doppelanschlag im Irak sind am 3. August mindestens 30 Menschen getötet und 80 weitere verletzt worden. Nach Angaben der Polizei explodierten in der 160 Kilometer südlich der Hauptstadt Bagdad gelegenen Stadt Kut zeitgleich zwei Autobomben. In Bagdad starben neun Angehörige der Sicherheitskräfte durch einen Angriff mutmaßlicher Extremisten.
  • Im Irak ist ein enger Vertrauter von Ex-Machthaber Saddam Hussein nach sechseinhalb Jahren Haft aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden. Wie ein Sprecher des Sondertribunals am 4. August in Bagdad mitteilte, konnte Chamis Sirhan al Muhammad keine Beteiligung an der von Saddam angeordneten Trockenlegung von Sümpfen nachgewiesen werden. Der irakische Expräsident ließ das Marschland trockenlegen, um schiitischen Rebellen die Lebensgrundlage zu entziehen.
  • Angesichts des Stillstands bei der Regierungsbildung im Irak hat der UN-Sicherheitsrat Fortschritte in Bagdad angemahnt. Die 15 Ratsmitglieder forderten am 4. August in einer Erklärung, dass die politischen Führer im Irak "so schnell wie möglich" eine Regierung bilden müssten. Die Parlamentswahlen in dem Land liegen bereits fünf Monate zurück.
  • Terroristen haben wenige Tage vor Beginn des islamischen Fastenmonats Ramadan einen belebten Markt in der südirakischen Hafenstadt Basra angegriffen. Mindestens 45 Menschen starben am 7. August, als auf dem zentral gelegenen Al-Aschar-Markt eine Autobombe, ein Sprengkörper und ein Generator explodierten, berichteten Sicherheitskreise. Andere Quellen sprachen von drei Bomben, die mitten auf dem Markt detoniert seien. Weitere 185 Iraker wurden verletzt, berichteten Krankenhausärzte.
  • Verkehrspolizisten in Bagdad sind in der vergangenen Woche ins Visier Aufständischer geraten. Mindestens zehn von ihnen wurden in der irakischen Hauptstadt aus fahrenden Autos heraus erschossen, nach Angaben von Sicherheitsbehörden setzten die Angreifer Pistolen mit Schalldämpfern ein. Nun fordern die meist unbewaffneten Verkehrspolizisten Sturmgewehre und den Personenschutz durch schwer bewaffnete Polizisten und Soldaten. Von ihren Vorgesetzten wird die Forderung unterstützt: «Ja, sie haben nur Pistolen und deshalb geben wir ihnen schwerere Schusswaffen», sagt der Chefsprecher der Verkehrspolizei, Brigadegeneral Nidschim Abed Dschaber, so die Presse am 8. August.
Montag, 9. August, bis Sonntag, 15. August
  • Im Irak sind bei einem Einsatz gegen Aufständische acht Soldaten getötet worden. Die Soldaten durchsuchten ein Haus in der zentralirakischen Provinz Dijala nach Rebellen, als ein Sprengsatz in dem Gebäude detonierte, wie die Armee am 11. August mitteilte. Vier weitere Soldaten wurden demnach bei dem Vorfall in der Stadt Saadija verwundet. In den Trümmern des Gebäudes seien drei weitere Leichen gefunden worden. Es sei jedoch unklar, ob es sich um Aufständische oder getötete Zivilisten handele.
  • «Die Al-Kaida strebt im Irak ein Comeback an, indem sie eine große Zahl der früheren sunnitischen Verbündeten dazu verlockt, sich ihr wieder anzuschließen», berichtete die britische Tageszeitung «Guardian» am 11. August. Dies gelinge vor allem deshalb, weil die Terrororganisation den Sahwa-Milizionären «mehr bezahlt als das monatliche Gehalt, das sie derzeit von der (irakischen) Regierung erhalten», heißt es in dem Bericht.
  • Trotz anhaltender Sicherheitsprobleme im Irak wollen die USA ihren Kampfeinsatz in dem Land am Monatsende offiziell beenden und einen Teil ihrer Soldaten abziehen. "Wir liegen im Zeitplan, unsere Kampfmission bis Ende des Monats zu Ende zu führen", sagte Präsidentensprecher Robert Gibbs am 11. August in Washington.
  • Der Irak wird nach Angaben eines ranghohen Militärvertreters erst ab dem Jahr 2020 seine Sicherheit aus eigener Kraft garantieren können. Die Politik müsse einen Weg finden, die Lücke zu schließen, die der Abzug der US-Truppen Ende 2011 hinterlassen werde, sagte der irakische General Babaker Sebari der AFP. "Ich würde den Politikern sagen: Die US-Armee muss bleiben, bis die irakische Armee im Jahr 2020 bereit ist", sagte Sebari. Washington hält dagegen an seinen Abzugsplänen fest, so Zeitungen am 11. August.
  • US-General James Mattis hat am 11. August den Oberbefehl über das US-Zentralkommando (Centcom) übernommen, dem die Federführung bei den Einsätzen im Irak und in Afghanistan obliegt. Sein Land werde die Einsätze mit "Standhaftigkeit und unablässigem Engagement" weiterverfolgen, sagte Mattis bei der Übergabezemeronie im Centcom-Hauptquartier in Tampa in Florida. Der General der Marineinfanterie folgt auf dem Posten dem bisherigen Kommandeur David Petraeus nach, der die Leitung des Einsatzes vor Ort in Afghanistan übernommen hat.
Montag, 16. August, bis Sonntag, 22. August
  • Gut fünf Monate nach der Parlamentswahl im Irak ist die Bildung einer neuen Regierung in noch weitere Ferne gerückt: Das Bündnis Irakija des früheren Ministerpräsidenten Ijad Allawi brach die Koalitionsverhandlungen mit der Rechtsstaatsallianz von Regierungschef Nuri el Maliki ab, sagte Allawis Sprecherin am 16. August in Bagdad. Grund sei Malikis öffentlicher Vorwurf, Allawis Bündnis vertrete nur die Interessen der Sunniten.
  • Ende eines langjährigen Kriegseinsatzes: Zwei Wochen früher als angekündigt haben die letzten US-Kampftruppen nach amerikanischen Medienberichten den Irak verlassen. Der Konvoi habe am frühen Donnerstag (19. August) die Grenze nach Kuwait überschritten, berichteten US-Fernsehsender.
  • Nach sieben Jahren ziehen die US-Kampftruppen aus dem Irak ab. Stabilität und ein Ende der Gewalt sind jedoch noch nicht in Sicht. Zahlen und Daten zum Konflikt: Im Frühjahr 2010 waren noch 65 000 US-Soldaten im Irak stationiert. Bis zu 50 000 sollen zur Stabilisierung der Verhältnisse bleiben. Alle Verbündeten der USA haben inzwischen ihre Truppen abgezogen. Auf dem Höhepunkt des Konflikts waren bis zu 171 000 Mann im Einsatz. Seit dem Rückzug der US-Truppen aus den Städten ist die irakische Armee direkt für die Sicherheit im Land zuständig. Sie umfasst etwa 190 000 Mann. Dabei wird sie von den Polizeikräften der Regierung unterstützt. Bislang kostete der Krieg die USA schätzungsweise 740 Milliarden US-Dollar. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz geht sogar von 3 Billionen aus. Zu den regulären Kosten kommen noch hohe Folgekosten, etwa für die Betreuung von Veteranen und Witwen. Nach Meinung von Experten haben die Kriegskosten auch zum Niedergang der US-Wirtschaft beigetragen. Das US-Verteidigungsministerium geht von 4418 getöteten US-Soldaten seit 2003 aus. Etwa 32 000 wurden verwundet. - Die Statistik zählt 197 getötete britische Soldaten und weitere 137 Tote verbündeter Streitkräfte, darunter 33 Italiener. - Mindestens 9500 irakische Soldaten und Polizisten kamen ums Leben. - Mehr als 112 600 irakische Zivilisten wurden getötet, davon 3000 im Jahr 2009. - Außerdem: 141 getötete Journalisten, darunter 119 Iraker und 12 Europäer. Bis Juni 2010 gab es insgesamt mindestens 2160 Terroranschläge, davon waren mehr als ein Drittel Selbstmordanschläge. - Dabei wurden nahezu 20 400 Menschen getötet und etwa 43 700 verletzt. 312 Ausländer wurden seit 2003 verschleppt, davon 60 getötet und 149 wieder freigelassen. 2004 gab es mit 149 Fällen die meisten Entführungen, so der Stand am 19. August.
  • Nach dem Abzug der US-Truppen aus dem Irak soll sich die Zahl der privaten Sicherheitsleute, die im Auftrag der USA arbeiten, auf etwa 7000 verdoppeln. Teilweise sollten irakische Streitkräfte die US-Soldaten ersetzen, aber es müsse sichergestellt sein, dass etwa "unsere Diplomaten und Entwicklungshelfer gut geschützt sind", sagte Außenamtssprecher Philip Crowley am 19. August in Washington. Es gebe noch keine "präzise" Zahl der künftig angestellten Sicherheitsleute. Die von der "New York Times" ins Spiel gebrachten 7000 seien aber "in der richtigen Größenordnung".
  • Der Hauptverantwortliche für die Entführung und Ermordung von Margaret Hassan, der früheren Leiterin der Hilfsorganisation CARE im Irak, ist aus dem berüchtigten Gefängnis Abu Ghraib geflohen. Ali Lutfi Dschassar el Rawi sei bereits vor knapp einem Jahr während einer Meuterei entkommen, sagte der stellvertretende irakische Justizminister Butschu Ibrahim am 22. August der Nachrichtenagentur AFP. Sein Verschwinden sei aber erst vor gut einem Monat bemerkt worden. El Rawi wurde im Juni 2009 wegen Hassans Ermordung im Jahr 2004 zu einer lebenslanger Haftstrafe verurteilt. Seit April läuft ein Berufungsverfahren, bei dem der 26-Jährige bisher nie vor Gericht erschien. Seine Anhörung wurde am 22. August erneut verschoben.
Montag, 23. August, bis Sonntag, 29. August
  • Unmittelbar nach dem Abzug der letzten US- Kampftruppen ist der Irak am 25. August von einer verheerenden Terrorwelle erschüttert worden. Nach Angaben von Augenzeugen, Ärzten und Polizisten starben durch Sprengstoffanschläge und Selbstmordattentate mindestens 64 Menschen. Die Polizei zählte binnen weniger Stunden über 20 Explosionen in zehn Städten. Erst am Vortag hatte die US- Armee erklärt, der Abzug ihrer Kampftruppen sei beendet.
  • US-Präsident Barack Obama hat den Einsatz der US-Soldaten im Irak gewürdigt. Die Soldaten, die im Irak gekämpft hätten, "haben die USA sicherer gemacht", sagte Obama in einem am 27. August auf der Website des Weißen Hauses veröffentlichten Video. "Ich möchte diesen Anlass nutzen, allen Männern und Frauen zu danken, die im Irak gedient haben oder noch dienen", sagte Obama. "Ihr Engagement, Ihre Tapferkeit, Ihr Mut haben die USA sicherer gemacht und geholfen, die Demokratie im Irak einzuführen."
  • Drei Tage vor dem offiziellen Ende des US-Kampfeinsatzes im Irak hat Präsident Barack Obama das Land als "souveräne Nation" bezeichnet. "Der Krieg geht zu Ende", sagte Obama am 28. August in seiner wöchentlichen Radioansprache. "So wie jede souveräne, unabhängige Nation steht es dem Irak frei, seinen eigenen Kurs zu bestimmen." Washington will am kommenden Dienstag (31. August) offiziell das Ende der vor mehr als sieben Jahren begonnenen Kampfhandlungen besiegeln. Dies sei ein "wichtiger Schritt, um den Krieg im Irak verantwortungsvoll zu beenden", sagte der US-Präsident, der am 28. August seinen letzten Urlaubstag auf der Insel Martha's Vineyard in Massachusetts verbrachte.
  • Im Irak werden infolge der Kriege und Kämpfe in den vergangenen drei Jahrzehnten weiter zehntausende Menschen vermisst. Nach dem Ende des Kriegs mit dem Iran, dem Golfkrieg und den Kämpfen im Anschluss an den Einmarsch der US-geführten Truppen im Jahr 2003 hofften tausende Menschen immer noch, etwas über das Schicksal ihrer Angehörigen zu erfahren, erklärte das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) anlässlich des Internationalen Tags der Vermissten am 29. August. Die Organisation rief die Regierungen der Region dazu auf, ihre Bemühungen zu verstärken, um Gewissheit über die Vermissten zu erlangen.
Montag, 30. August, bis Dienstag, 31. August
  • Das irakische Ölministerium hat ein Abkommen des deutschen Energiekonzerns RWE mit der nordirakischen autonomen Region Kurdistan als "illegal" zurückgewiesen. "Jeglicher Vertrag, der außerhalb des gesetzlichen Rahmens unterschrieben wird, also ohne die (staatliche Behörde) Somo, ist illegal", heißt es in einem am 30. August in Bagdad veröffentlichten Kommuniqué des Ministeriums.
  • Einen Tag vor dem offiziellen Ende des US-Kampfeinsatzes im Irak ist US-Vizepräsident Joe Biden überraschend in Bagdad eingetroffen. Das teilte ein Vertreter der US-Botschaft in der irakischen Hauptstadt am 30. August mit. Nähere Angaben machte er nicht.
  • Der irakische Regierungschef Nuri el Maliki hält Armee und Polizei seines Landes für "fähig, volle Verantwortung" für die Sicherheit zu übernehmen. "Leider" laufe derzeit eine "Kampagne", die Zweifel daran säe, sagte Maliki am 31. August im irakischen Staatsfernsehen. Am selben Tag endete der US-Kampfeinsatz im Irak nach mehr als siebeneinhalb Jahren.
  • Über 50 Milliarden Dollar (40 Milliarden Euro) haben die USA in den Wiederaufbau des Irak gesteckt. Doch ein beachtlicher Teil davon wurde buchstäblich in den Wüstensand gesetzt, wie nun eine Prüfung zahlreicher Projekte durch ein amerikanisches Kontrollgremium ergab. Insgesamt wurden demnach über zehn Prozent - fünf Milliarden Dollar Steuergeld - verschwendet. Und in Anbetracht von rund 300 Einzelprüfberichten, die für den Generalinspektor für den irakischen Wiederaufbau angefertigt wurden, ist diese Summe wahrscheinlich noch untertrieben, so die Presse am 31. August.
  • Siebeneinhalb Jahre nach dem Einmarsch in den Irak ist der Kampfeinsatz der US-Armee dort offiziell zu Ende gegangen. US-Präsident Barack Obama, der den Abzug zu einem seiner wichtigsten Wahlkampfversprechen gemacht hatte, will sich am Abend (31. August) in einer Rede äußern.
  • Zum offiziellen Abschluss des US-Kampfeinsatzes im Irak hat Verteidigungsminister Robert Gates eine kritische Bilanz gezogen. "Ich sage nicht, dass im Irak alles gut ist oder unbedingt gut werden muss", sagte Gates am 31. August in einer Rede vor Veteranen in Milwaukee. Für triumphale Gesten sehe er angesichts der anhaltend schwierigen Lage keinerlei Anlass: "Dies ist nicht die Zeit für Siegesparaden oder Selbstgratulationen", sagte er. Die USA hätten im Irak "immer noch eine Aufgabe und Verantwortung" zu erfüllen.
  • Das Ende des Kampfeinsatzes im Irak ist nach den Worten von US-Präsident Barack Obama kein Grund zum Feiern. "Unsere Kampfphase ist zu Ende", sagte Obama am 31. August vor US-Soldaten am Stützpunkt Fort Bliss in Texas. Aber "es gibt noch viel zu tun, bis der Irak ein echter Partner wird", fügte er hinzu. Seine Rede am Dienstagabend (31. August), in der er das offizielle Ende des US-Kampfeinsatzes im Irak verkünden werde, sei daher "keine Siegesparade und keine Glückwunschansprache".


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