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Irak: Chronik wichtiger Ereignisse

März 2009


Sonntag, 1. März, bis Sonntag, 8. März
  • Der dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen soll nach dem Willen wichtiger europäischer Staaten neuer Generalsekretär der Nato werden. Rasmussen ist freilich dem neuen US-Präsidenten Barack Obama und dessen engen Mitarbeitern nicht bekannt. Vor dem Nato-Gipfel soll es deswegen noch zu einem Treffen zumindest mit Sicherheitsberater James Jones kommen. Politisch wird Rasmussen den USA nicht widerstreben - der dänische Ministerpräsident unterstützte den Irak-Krieg auch mit Truppen und steht für ein starkes Afghanistan-Engagement, so die Presse am 1. März
  • Kurz vor Ankunft der ersten irakischen Flüchtlinge in Deutschland im Rahmen eines UN-Programms haben sich Politiker der großen Koalition, evangelische Kirche und Flüchtlingsorganisationen am 4. März bei einem Treffen ausgesprochen. Es sei "durchaus angemessen", mehr als die jetzt geplanten 2500 Menschen dauerhaft aufzunehmen, so Sebastian Edathy (SPD) gegenüber einer namhaften Zeitung. Auf diese Zahl hatte sich Bund und Länder im Herbst verständigt. Die Regelung kommt vor allem Christen und anderen verfolgten Minderheiten aus dem Irak zugute; sie sollen direkt aus Syrien und Jordanien einreisen und sich in Deutschland niederlassen dürfen. Die Aufnahme der Iraker sei ein Tropfen auf den heißen Stein und könne nur der Anfang sein, sagte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt. So warten noch viele Flüchtlinge in einer ähnlich ausweglosen Situation auf ein Asyl in Deutschland.
  • Bei einem Selbstmordanschlag auf eine Polizeiakademie in Bagdad sind am 8. März nach offiziellen Angaben 28 Menschen getötet und 57 weitere verletzt worden. Ein Selbstmordattentäter zündete nach offiziellen Angaben vor einer Polizeiakademie in der irakischen Hauptstadt Bagdad einen Sprengstoffgürtel.Unter den Toten seien vor allem Polizeibeamte und -rekruten, teilten die Behörden mit. In Irak ist es schon mehrfach zu Anschlägen auf Ausbildungsstätten von Armee und Polizei gekommen. Besonders das Terrornetzwerk al-Qaida verübt immer wieder Anschläge auf die irakischen Sicherheitskräfte. Bei dem Anschlag vom 8. März handelt es sich um das schwerste Attentat in Irak seit fast einem Monat. Mitte Februar hatte sich eine Selbstmordattentäterin in Iskandarija inmitten einer schiitischen Pilgergruppe in die Luft gesprengt und 35 Menschen mit in den Tod gerissen. Obwohl sich die Sicherheitslage im Irak verbessert hat, gehören Anschläge noch immer zum Alltag des Landes.
Montag, 9. März, bis Sonntag, 15. März
  • Vor dem geplanten Abzug der ersten US-Brigaden aus irakischem Territorium wirbt Regierungschef Nuri al-Maliki nun verstärkt um das Wohlwollen seiner Gegner. Vor Angehörigen des Obaid-Stammes sagte der schiitische Ministerpräsident am 9. März in Bagadad: "Ich bin überzeugt, dass unsere Verfassung Raum bietet für Verzeihen und dafür, die türen zu öffnen für diejenigen, die bereit sind, sich dem politischen Prozess anzuschließen." Die Islamische Front für den Irakischen Widerstand, sagte, seine Versöhnungsaufrufe seien nichts als "leere Worthülsen". Die Regierung müsse erst alle unrechtmäßig inhaftierten Aufständischen frei lassen und die Diskriminierung bestimmter Volks- und Religionsgruppen beenden.
  • Auf einem Markt im Westen von Bagdad starben am 10. März bei einem Selbstmordanschlag 41 Menschen. Ziel des Attentäters war eine Delegation von Ministerialbeamten, Militärs und Stammesführern, die gemeinsam über den ärmlichen inmitten von Hochhäusern gelegenen Markt von Abu Ghoreib spaziert waren. Nach Angaben der Polizei wurden 55 weitere Menschen verletzt, als der Täter seinen Sprengstoffgürtel zündete. Zu den Toten zählten der Kommandeur eines Bataillons der irakischen Armee sowie mehrere Leibwächter von Marid Abul Hassan al-Hassun, dem Generaldirektor des Innenministeriums für die Angelegenheiten der Stämme. Al-Hassun, der in dem 20 Kilometer westlich vom Stadtzentrum gelegenen Vorort an einem Treffen mit Stammesscheichs teilgenommen hatte, blieb den Angaben zufolge unversehrt. Der irakische TV-Sender Al-Bagdadija teilte mit, einer seiner Reporter und ein Kameramann seien durch die Explosion ums Leben gekommen. Krankenhausärzte sagten, unter den Schwerverletzten sei ein Journalist des staatlichen TV-Senders Al-Irakija
  • Einer der engsten Vertrauten desfrüheren irakischen Machthabers Saddam Hussein, Tarik Asis, ist am 11. März zu 15 Jahren Haft verurteilt worden. Dem früheren irakischen Vize-Präsidenten wurde zur Last gelegt, 1992 die Hinrichtung Dutzender Kaufleute befohlen zu haben. Im Zusammenhang mit der Tat erhielten zwei Halbbrüder Saddams die Todesstrafe und der als "Chemie-Ali" bekannt gewordene Cousin Saddams eine 15-jährige Gefängnisstrafe. Das Saddam-Regime hatte den Geschäftsleuten damals vorgeworfen, unerlaubt staatlich festgesetzte Preise für Güter des täglichen Bedarfs erhöht zu haben. Nach US-Sanktionen wegen des irakischen Angriffs auf Kuwait 1990 lag die Wirtschaft in dem Golfstaat brach. Das Bagdader Sondertribunal verurteilte die Hinrichtung der Händler als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Zuletzt war Asis in einem anderen Verfahren zur Niederschlagung des Schiiten-Aufstands 1999 freigesprochen worden. Asis, der auch das Amt des Außenministers innehatte, war einer der im Ausland bekanntesten irakischen Politiker. Er hatte sich zwei Wochen nach dem Sturz Saddams im März 2003 den US-Truppen gestellt. "Chemie-Ali" Ali Hassan al-Madschid war in früheren Prozessen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Irak bereits dreimal zum Tode verurteilt worden. So muss er sich unter anderem wegen des Einsatzes von Giftgas gegen die Kurden in den 80er Jahren verantworten. Wegen politischer Streitigkeiten wurde das Todesurteil allerdings bislang nicht vollstreckt. Saddam Hussein wurde im Dezember 2006 hingerichtet.
  • Der irakische Fernsehjournalist Muntaser al-Saidi ist wegen seiner spektakulären Schuhattacke gegen Ex-US-Präsident George W. Bush zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Das teilte ein Gericht in der irakischen Hauptstadt Bagdad mit. Saidi hatte zuvor auf nicht schuldig plädiert. Al-Saidi hatte am 14. Dezember 2008 während einer Pressekonferenz versucht, Bush seine Schuhe an den Kopf zu werfen. Er musste sich wegen eines "Angriffs auf einen ausländischen Präsidenten" verantworten. Darauf stehen laut einem Gesetz, das noch aus der Ära von Ex-Präsident Saddam Hussein stammt, bis zu 15 Jahre Haft. Al Seidi erklärte sich am 12. März beim Prozess für nicht schuldig. Seine Handlung sei eine ganz "natürliche Reaktion auf die Besatzung" gewesen, sagte al Seidi. Der für den privaten Fernsehsender El Bagdadia arbeitende Saidi argumentierte, Bushs Besuch im Irak sei kein offizieller Staatsbesuch gewesen. Richter Abdel Amir el Rubaie sagte aber am zweiten Sitzungstag, es habe sich sehr wohl um einen "offiziellen Besuch" gehandelt.
Montag, 16. März, bis Sonntag, 22. März
  • Als erster türkischer Staatschef seit mehr als drei Jahrzehnten hat Abdullah Gül das Nachbarland Irak besucht. Gül und sein irakischer Kollege Dschalal Talabani zeigten sich am 16. März nach einem Treffen in Bagdad entschlossen, gegen die in beiden Ländern aktiven Rebellen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vorzugehen. Talabani, der selbst der kurdischen Volksgruppe angehört, rief die PKK zu einem Ende des bewaffneten Kampfes auf.
  • Bei zwei Anschlägen im Irak sind am 16. März mehr als 30 Menschen ums Leben gekommen. Nach Behördenangaben wurden 25 Menschen getötet, als sich ein Selbstmordattentäter in Dschalaula, 130 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Bagdad, bei einer Trauerfeier für einen Kurden in die Luft sprengte. Bei einem Bombenanschlag westlich von Bagdad starben mindestens acht Menschen. Wie örtliche Behördenvertreter mitteilten, mischte sich der Attentäter in Dschalaula unter die Trauernden, die einem kurdischen Kommunistenführer ihr Beleid für den Tod seines Vaters aussprechen wollten. Bei der Explosion seien 25 Menschen getötet und 50 Menschen verletzt worden. In der Ortschaft in der Unruhe-Provinz Dijala leben überwiegend schiitische Kurden und sunnitische Araber. Einige Angehörige der Sunniten in der Region werden einer Nähe zum Terrornetzwerk al Qaida verdächtigt.
  • Zunächst 122 Flüchtlinge aus dem Irak sind am 19. März, aus der syrischen Hauptstadt Damaskus kommend, mit einer Sondermaschine auf dem Flughafen Hannover-Langenhagen angekommen. Bei ihnen handelt es sich um die ersten von insgesamt 2500 besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen aus dem Irak, die Deutschland im Rahmen eines Programms der Vereinten Nationen aufnimmt. Unter ihnen sind Schwerstkranke, alleinstehende Frauen mit Kindern sowie Opfer von Gewalt und Folter. Die Iraker erhalten in Deutschland sofort eine dreijährige Aufenthaltserlaubnis mit Option auf Verlängerung sowie die Erlaubnis zu arbeiten. Einige wurden sofort nach der Ankunft zur medizinischen Versorgung gebracht.
Montag, 23. März, bis Dienstag, 31. März
  • Nach der Wiedereinführung der Todesstrafe im Irak 2004 wurden dort laut Amnesty-International-Jahresbericht mindestens 34 Menschen hingerichtet, so die Süddeutsche Zeitung am 24. März.
  • Eine Autobombe hat an einem belebten Markt in Bagdad bis zu 20 Menschen in den Tod gerissen. Unter den Opfern waren mindestens vier Frauen und vier Kinder, wie die irakische Polizei am 26. März mitteilte. Weitere 35 Menschen seien zum Teil schwer verletzt worden. Mehrere Fahrzeuge gingen infolge der Detonation in Flammen auf. Die US-Streitkräfte bestätigten, dass es im schiitischen Stadtviertel Schaab einen Anschlag gegeben habe, meldeten vorerst aber nur acht Tote und 14 Verletzte.
  • 10 christliche Flüchtlinge aus dem Irak sind am 30. März in einem Wohnheim in Daglfing eingetroffen. Sie sind die ersten von etwa 375 irakischen Flüchtlingen, denen der Freistaat Bayern im Rahmen einer europaweiten Initiative Schutz gewährt - und, anders als Asylbewerbern, eine zunächst auf drei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis gibt. Mit diesem Titel können die Flüchtlinge sofort nach Arbeit und einer Wohnung suchen und einen Integrationskurs belegen. Auch Sozialhilfe steht ihnen zu. Solch eine Ausgangslage bietet sich längst nicht allen irakischen Flüchtlingen, die nach München kommen. Etwa 1000 leben derzeit in der Stadt, so viele wie aus keinem anderen Land, so die Schätzung von Rudolf Stummvoll vom städtischen Flüchtlingsamt. Monatlich kommen etwa 40 irakische Flüchtlinge hier an - und begeben sich in das langwierige Asylverfahren. Anders als für Christen sind die Erfolgsaussichten dabei für Muslime schlecht, weiß Alexander Thal vom bayerischen Flüchtlingsrat. Eine politische oder persönliche Verfolgung nachzuweisen, sei aussichtslos, wenn, so wie im Irak, bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen - und Bomben und Selbstmordattentäter jeden treffen. Zwar werden wegen dieser Gefahren derzeit kaum Iraker abgeschoben, doch die Duldung, mit der viele leben, ist ein Schwebezustand ohne Perspektiven: Alexander Thal weiß von Flüchtlingen, die bereits Arbeit und eine eigene Wohnung gefunden hatten - und diese mit dem entzogenen Asyl abgeben mussten, um in ein Flüchtlingsheim zu ziehen, ohne jegliche Aufgabe. Der Flüchtlingsrat nennt die Begrüßung, die Innenminister Joachim Herrmann den christlichen Flüchtlingen am Montagabend machte, deshalb "Zynismus pur". Die Stadt geht davon aus, dass etwa die Hälfte der für Bayern vorgesehenen Flüchtlinge in München bleibt. Das liege vor allem daran, dass die chaldäische Gemeinde hier sehr stark sei. Die Kirche hatte sich für die Aufnahme der irakischen Christen ausgesprochen und wird ihnen ebenso wie der Münchner Flüchtlingsrat bei der Integration helfen. In dem Wohnheim sollen sie nur die ersten Monate leben, um hier Fuß zu fassen.
  • Die Kriege im Irak und Afghanistan sowie der Kampf gegen den Terrorismus haben die USA seit 2001 685,7 Milliarden Dollar gekostet. Wie der Rechnungshof des Kongresses (GAO) am 31. März mitteilte, entfielen davon allein 533,5 Milliarden Dollar auf den Krieg im Irak. Die Einsätze in Afghanistan, am Horn von Afrika und den Philippinen kommen demnach zusammen auf eine Summe von 124,1 Milliarden Dollar. Die übrigen 28,1 Milliarden Dollar wurden für Maßnahmen zur Verteidigung der USA selbst ausgegeben. Damit nahm das Verteidigungsministerium rund 85 Prozent der seit 2001 vom Kongress zur Verfügung gestellten Mittel von 808 Milliarden Dollar in Anspruch. US-Präsident Barack Obama hat für Ende August kommenden Jahres den Abzug der US-Kampftruppen aus Irak angekündigt. Im Gegensatz dazu soll die Zahl der Soldaten in Afghanistan aufgestockt werden.


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