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Irak: Chronik wichtiger Ereignisse

November/Dezember 2008


Samstag, 1. November, bis Sonntag, 9. November
  • Rumänien, Südkorea und Bulgarien werden ihre Truppen bis spätestens Ende Dezember 2008 aus dem Irak abziehen. Das sagte der Sprecher des irakischen Verteidigunsmininisteriums am 1. November der Nachrichtenagentur Aswat al-Irak. Am 31. Dezember endet das UN-Mandat für die ausländischen Truppen im Irak. Bislang verhandeln nur die USA und Großbritannien mit der Regierung in Bagdad über Stationierungsabkommen, die eine Präsenz ihrer Truppen im Irak nach diesem Datum regeln sollen. Zu erwähnen ist, dass die Vereinigten Staaten von Amerika momentan 140 000 Soldaten im Land stationiert haben. Großbritannien 4100 Mann und Frau.
  • Nobelpreisträger Stiglitz sieht im Interview mit einer namhaften Zeitung am 8. November einen Zusammenhang zwischen der Finanzkrise und dem Irak-Krieg. Der Krieg im Irak wurde weitgehend mit Krediten finanziert. Dadurch sei die nationale Verschuldung der USA in nur acht Jahren um zwei Drittel gestiegen, so Stiglitz. Die Kreditfinanzierung und die weitere Staatsverschuldung, durch die andauernde sensible Lage im Irak, wird den ökonomischen Abschwung (insbesondere) Amerikas gewiss verlängern
Montag, 10. November, bis Sonntag, 16. November
  • Selbstmordattentäter haben am 10. November im Irak mehr als 30 Menschen getötet. Einen der Anschläge verübte nach Angaben des Nachrichtensenders Al-Arabija ein erst 13 Jahre altes Mädchen. Auf einem Markt in Bagdads Stadtteil Al-Adhamija, auf dem sich morgens immer Tagelöhner versammeln, sprengte sich erst ein Selbstmordattentäter mit einer Autobombe in die Luft. Als Passanten zusammenströmten, um den Verletzten zu helfen, zündete ein zweiter Attentäter einen Sprengstoffgürtel. Das junge Mädchen sprengte sich nach Behördenangaben an einer lokalen Straßensperre einer Bürgerwehr in die Luft. Die Gewalt in Bagdad ging zwar gegenüber 2006 und 2007 insgesamt deutlich zurück, in den vergangenen Wochen wurden aber wieder vermehrt kleiner Anschläge verübt. Sich richteten sich gegen Polizisten, Soldaten, Regierungsbeamte und Pendler.
  • Die irakische Regierung hat den umstrittenen Entwurf für das Truppenstationierungsabkommen mit den USA angenommen. Ob es aber vor Jahresende unterzeichnet wird, bliebe weiter offen. Ende 2011 soll die US-Armee Irak ganz verlassen. Das beschloss die Regierung in Bagdad auf einer Sondersitzung am 16. November. Neu ist, dass US-Soldaten, die in ihrer Freizeit ein Verbrechen begehen, auch von irakischen Gerichten verurteilt werden können. Umstritten weiterhin ist die Forderung, dass US-Soldaten auch für Verbrechen gegen Iraker auf ihren Stützpunkten zur Verantwortung gezogen werden sollen. Der künftige US-Präsident Obama will die US-Streitkräfte innerhalb von 16 Monaten nach seinem Amtsantritt abziehen, Experten sind der Meinung, dass der Abzug nur nach der jeweiligen aktuellen Sicherheitssituation bestimmt werden kann und ein genaues Abzugsdatum weiterhin offen bleibt.
Montag, 17. November, bis Sonntag, 30. November
  • Ein lange schwelender Streit über die Auslegung der irakischen Verfassung hat in den letzten Tagen zu einem heftigen Schlagabtausch zwischen Kurden und irakischen Stämmen geführt. Auch unter den Schiiten gibt es unterschiedliche Vorstellungen über die Zukunft Südiraks, so Zeitungen am 22. November. Tausende Iraker demonstrierten landesweit, um Ministerpräsident Nuri al-Maliki gegen Kritik von der kurdischen Autonomiebehörde zu unterstützen. Auslöser der Proteste waren Bemerkungen von Massud Barsani, dem Präsidenten der kurdischen Autonomieregion. Dieser hatte al-Maliki beschuldigt, mit irakischen Stämmen in mehrheitlich von Kurden bewohnten Gebieten eine Allianz gebildet zu haben, um die Zentralgewalt seiner Regierung auf "kurdische" Gebiete auszudehnen.
  • Eine Selbstmordattentäterin hat am 24. November in Bagdad vor einem Eingang zur sogenannten Grünen Zone mindestens sechs Menschen getötet. Nach Angaben von Augenzeugen und Polizisten zündete die Frau ihren Sprengstoffgürtel an einer Stelle, die von der irakischen Armee bewacht wird. An diesem Eingag werden Parlamentarierinnen und weibliche Regierungsbeamte durchsucht, die Zugang zur "Grünen Zone" haben. 14 weitere Menschen wurden durch die Explosion verletzt. In Neu-Bagdad starben laut Al-Arabija 13 Menschen, als ein Sprengsatz neben einem bus mit Beamten des Handelsministeriums explodierte. In der Stadt Kirkuk wurde ein Anwalt von Unbekannten auf der Straße erschossen.
  • Die 27 EU-Staaten wollen 10 000 besonders gefährdeten Irak-Flüchtlingen eine neue Heimat in Europa anbieten. Diese Zahle wurde am Rande des Innenministerrats am 27. November in Brüssel bekannt. Vorallem Deutschland hatte sich für eine solche Zahl eingesetzt. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble rechnete fest mit einer Einigung im Rat, trotz starker Kritik von Kirchen, Politikern und Menschenrechtsorganisationen.
Montag, 1. Dezember, bis Sonntag, 21. Dezember
  • US-Präsident George W. Bush hat in seiner zu Ende gehenden Amtszeit nach eigenen Worten nichts mehr bedauert als die Falschinformationen der US-Geheimdienste über die angeblichen Massenvernichtungswaffen in den Händen des damaligen irakischen Machthabers Saddam Hussein. Eine Menge Leute, auch im Kongress, hätten gemeint, Saddam müsse wegen dieser Waffen entmachtet werden. Damit hätten sie ihren Ruf aufs Spiel gesetzt, sagte Bush in einem Interview des Fernsehsenders ABC am 2. Dezember. "Ich wünschte, die Geheimdienstinformationen wären anders gewesen", meinte Bush zu einer der zentralen Begründungen des Irak-Kriegs, der im Frühjahr 2003 begann.
  • Vor den für Ende Januar geplanten Provinzwahlen im Irak zeichnen sich neue Meinungsverschiedenheiten ab. Der Gouverneur der nordöstlich von Bagdad gelegenen Unruheprovinz Dijala, Ibrahim Hassan Badschilan, sagte in einem Zeitungsinterview am 9. Dezember, die Wahl des Provinzrates von Dijala solle wegen der kritischen Lage um sechs Monate verschoben werden, jedoch sei die Wahl von enorm großer Bedeutung, da gerade die schiitischen Fraktionen eine Autonomie im Süden des Landes herbeiführen wollen.
  • Der Zeitplan für den Abzug der britischen Streitkräfte aus Irak steht fest: Die Truppen verlassen das Land bis spätestens Ende Juli 2009, wie Premier Gordon Brown am 17. Dezember bei einem nicht angekündigten Besuch in Bagdad mitteilte. "Bis Ende Mai (2009) oder früher wird der Einsatz abgeschlossen sein", sagte Brown auf einer Pressekonferenz mit seinem irakischen Kollgen Nuri al-Maliki. In den beiden folgenden Monaten würden die Truppen dann nach Hause zurückkehren. Derzeit befinden sich noch run 4100 britische Soldaten in Irak, die vor allem am Flughafen der Ölstadt Basra im Süden des Landes stationiert sind.
  • Die CDU-Obfrau Kristina Köhler ließ am 17. Dezember durchblicken, dass mehrere geheime BND-Meldungen, die an die USA gegangen sind, durchaus militärisch-verwendbare Koordinaten enthalten hätten - offenbar die Position von Flugabwehrgeschützen, eines bereits bombardierten Offiziersclub sowie einigen anderen militärischen Objekten. Dagegen vertritt Außenminister Steinmeier weiter das klare "Nein" zum Irak-Krieg und hält weiteres Nachforschen in der Vergangenheit für unnötig, da es auf die Entscheidungen von "oben" ankäme und nicht auf banale Details. Ex-Außenminister Joschka Fischer steht nach wie vor hinter den zwei BND-Agenten, die sich in Irak befanden, da man sich ja sonst einen Nachrichtendienst sparen könnte, wenn man kein "Auge und Ohr" im Krisengebiett habe.
Montag, 22. Dezember, bis Mittwoch, 31. Dezember
  • Einstimming hat der UN-Sicherheitsrat am 23. Dezember nach fast sechs Jahren das Ende des UN-Mandats für Irak beschlossen. Die 15 Mitglieder des Gremiums folgten damit einem Antrag der USA und Großbritanniens. Der irakische Außenminister Hosjar Sebari zeigte sich in New York hoch erfreut und erklärte, die Entscheidung des UN-Sicherheitsrates markiere einen "Wendepunkt und das Ende einer wichtigen Ära" für sein Land. 400 Soldaten werden nach Abzug der britischen Truppen im Land bleiben, um den weiteren Sicherheitsaufgaben gerecht werden zu können, beispielsweise das Schützen britischer Diplomaten. Auch Australien, Rumänien, El Salvador und Estland haben noch Streitkräfte im Land, jetzt gilt es zu klären, wann diese abgezogen werden sollen.
  • Die irakischen Parteien betrachten die ihnen im Zuge der Regierungsbildung 2005 zugeteilten Ministerien als Eigentum, so ein irakischer Wirtschaftswissenschaftler. Gleichwohl könnte die Razzia-Aktion im Innenministerium am 26. Dezember auch die Angst der irakischen Regierung vor der neu organisierten Baath-Opposition zeigen. Diese als "Anhänger des alten Regimes" zu bezeichnen, greife zu kurz, meint der Wirtschaftswissenschaftler Khair el-din Haseeb vom Beiruter "Zentrum für Studien der Arabischen Einheit". Wohl aber seien sie erklärte Besatzungsgegner, die auch die amtierende Regierung als unrechtmäßig ansähen. Diese Bewegung sei insofern "gefährlich", als sie in Irak auf weit mehr Unterstützung zählen könne als terroristische Gruppen á la Al Quaida.
  • In der Silvesternacht endet das UN-Mandat für ausländische Truppen im Irak. Damit wird der Irak die weitere Verantwortung für die Sicherheit im Land übernehmen. Die US-Armee muss künftig für jeden Militäreinsatz eine Erlaubnis beantragen und kann Verdächtige nur noch mit Zustimmung irakischer Richter festnehmen. Die irakische Justiz kann US-Soldaten künftig für Taten verfolgen, die außerhalb der US-Stützpunkte oder außer Dienst begangen werden. Mit dem Ablauf des Mandats muss sich die US-Armee vollständig aus der Grünen Zone zurückziehen. Auf Grundlage im November geschlossener Verträge bleiben jedoch weiterhin 146 000 Soldaten der USA im Irak, die bis Ende 2011 vollständig abgezogen werden sollen. Unterdessen will sich das britische Militär nicht mehr an Kampfhandlungen beteiligen, sondern hilft einzig bei Aufbau und Ausbildung der irakischen Armee, so Zeitungsberichten zufolge am 31. Dezember.


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