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Irak: Chronik wichtiger Ereignisse

September 2008


Montag, 1. September, bis Sonntag, 7. September
  • Die US-Armee gibt am 1. September die Verantwortung für frühere Terroristen-Hochburg Anbar (westliche Provinz) an die irakische Regierung ab. Anbar ist die elfte von insgesamt 18 Provinzen, in denen die irakischen Sicherheitskräfte nun die Verantwortung tragen. Dies bedeutet aber nicht, dass sich dort keine US-Truppen mehr aufhalten. Die fast ausschließlich von Sunniten bewohnte Provinz Anbar, die an die Hauptstadt Bagdad und an Jordanien und Syrien angrenzt, hatte sich nach dem Sturz des Regimes von Hussein 2003 erst zu einer Hochburg des nationalistischen Widerstandes und dann zu einem Terroristenzentrum von El Kaida entwickelt. Mit Hilfe der von Stammesführern gegründeten Bürgerwehren gelang es den US-Truppen jedoch ab 2007, die Terroristen zu besiegen, von denen viele in die nordöstlich von Bagdad gelegene Provinz Dijala flohen, in der ebenfalls die Situation "unter Kontrolle ist", so der irakische Innenminister.
Montag, 8. September, bis Sonntag, 14. September
  • Mit einer Truppenrochade hat US-Präsident Bush sein Kriegserbe geregelt: Bis zum ende seiner Amtszeit im Januar 2009 will Bush die Zahl der US-Truppen im Irak geringfügig um 8000 Mann verringern. Zugleich soll die US-Militärpräsenz in Afghanistan weiter aufgestockt werden. Der Nachfolger im Weißen Haus übernimmt damit zwei unvollendete Kriege und ein Militär, das mit mehr als 170000 Mann im Kriegseinsatz bis an die Belastungsgrenze ausgelastet ist, so ein Zeitungsbericht am 10. September. Die Sicherheitslage im Irak sei weiter als fragil einzuschätzen. Die Lage in Afghanistan dagegen zunehmend als zunehmend alarmierend. Im November sollen demnach 1100 Soldaten aus dem Zweistromland abgezogen werden, bis Februar 2009 knapp 8000 Mann. Die Begründung dafür sieht Bush in der weitgehenden "Normalisierung" der Lage im Irak. Die Gewalt habe das niedrigste Niveau seit Anfang 2004 erreicht.
  • Japan will seinen Militäreinsatz in Irak bis zum Jahresende 2008 vollständig beenden. "Die Sicherheitslage im Irak hat sich deutlich verbessert", sagte Ministerpräsident Yasuo Fukuda am 11. August zum geplanten Abzug. Derzeit sind noch 210 Angehörige der Luftwaffe in Kuwait stationiert. Von dort aus transportieren japanische Flugzeuge seit 2006 Material und Soldaten der multinationalen Truppen in den Irak. Am bewaffneten Kampf ist Japan nicht beteiligt, Bodentruppen wurden schon 2006 abgezogen.
  • Am Sonntag (14. September) sind mindestens 20 Menschen gewaltsam ums Leben gekommen. Unter den Opfern waren mindestens 13 Sicherheitskräfte, die bei Bombenanschlägen in der irakischen Provinz Dijala starben. In der nördlichen Stadt Mossul wurden vier Journalisten des Senders Al-Sharquia TV verschleppt und ermordet. Sie hatten für eine populäre Sendung gearbeitet, die während des islamischen Fastenmonats Ramadan gezeigt wird. In Bagdad wurden am gleichen Tag bei drei Attentaten drei weitere Menschen in den Tod gerissen.
Montag, 15. September, bis Sonntag, 21. September
  • Zehn Iraker sind am 15. September in Bagdad einem Anschlag mit zwei Autobomben zum Opfer gefallen. Nach Polizeiangaben detonierten die beiden Sprengsätze kurz hintereinander in der Nähe eines Gerichtsgebäudes im Stadtteil Karrade. 30 weitere Menschen wurden verletzt, meldete die Agentur Aswat al-Irak. Unterdessen traf US-Verteidigungsminister Robert Gates zu einem aus Sicherheitsgründen vorab nicht angekündigten Besuch in Bagdad ein. Nach Angaben des Senders Al-Arabija zeichnete er ein positives Bild von der Entwicklung im Irak und erklärte, an der US-Politik werde sich dort auch nach der Präsidentenwahl in den USA nichts wesentlich ändern.
  • Vertreter der Oppostion haben am 18. September am Randes des BND-Untersuchungsausschusses schwere Vorwürfe gegen den Bundesnachrichtendienst und das für seine Kontrolle zuständige Bundeskanzleramt erhoben. Dabei geht es um Unterstützung für die USA im Irak-Krieg durch die rot-grüne Bundesregierung 2003. Auslöser ist ein Bericht des Stern, demzufolge zwei BND-Leute zu Beginn des Krieges in Bagdad stationiert waren und den USA Informationen über Angriffsziele lierferten. Das Magazin griff dabei auf die Ausschuss-Akten zurück. "Es steht fest, dass militärische Objekte gemeldet worden sind", so Hans-Christian Ströbele (Grüne). Er fragte nach der Verantwortung Steinmeiers, wollte aber nicht so weit gehen zu sagen, dass der heutige Außenminister gelogen habe, als er behauptete, man habe nur Ziele genannt, die nicht bombardiert werden sollten (Non-Targets).
  • Bei einem Luftangriff der US-Armee nördlich von Bagdad sind am 19. September nach irakischen Angaben acht Mitglieder einer Familie getötet worden, darunter mehrere Frauen und Kinder, das gegen Absprachen zwischen dem US-Militär und der irakischen Regierung. Demnach darf nur Beschuss nach Vorwarnungen erfolgen.
Montag, 22. September, bis Sonntag, 28. September
  • Die türkische Regierung will der Armee für ein weiteres Jahr grenzüberschreitende Kampfeinsätze gegen die verbotene Kurdische Arbeiterpartei PKK im Nachbarland Irak erlauben. Eine entsprechende Entscheidung sei am 22. September dem Parlament in Ankara vorgelegt worden., berichtete der Nachrichtensender CNN-Türk. Die Erlaubnis für solche Einsätze der Armee läuft am 17. Oktober 2008 aus. Die türkische Armee hatte im Februaer (2008) während einer einwöchigen Bodenoffensive gegen ein PKK-Lager im Irak nach eigenen Angaben 240 Kämpfer der Organisation getötet.
  • Der Streit, ob US-amerikanische Soldaten im Irak nach Straftaten zur Rechenschaft gezoßgen werden können, führt auch weiterhin zu Uneinigkeiten, so die Presse am 22. September. Die US-Regierung bestehe auf eine Immunität, während der irakische Regierungschef Nuri al-Maliki dies kategorisch ablehne, diese Tatsache führe zu einem "Zusammenbruch" aller weiteren Verhandlungen.
  • Die US-Truppen haben am 23. September im Irak den Kommandeur einer mit ihnen verbündeten Bürgerwehr getötet. Nach Angaben der Polizei war der Kommandeur einer lokalen Bürgerwehr zunächst bei einem Sprengstoffanschlag in Al-Sinija verletzt worden. Anschließend ließ er seine Kämpfer rund um den Ort der Explosion nach Verdächtigen suchen. In diesem Moment trafen laut Polizei die US-Soldaten ein, welche die Situation falsch einschätzten. Daraufhin wurde der Kommandeur versehentlich erschossen, hieß es. Al-Sinija war einst eine Hochburg der El-Kaida.
  • Die US-Militärs loben sich gegenseitig für ihre "brillante Irak-Strategie". Die ungelösten Probleme im Zweistromland bestehen indes weiter. Bei Anschlägen am 23. September starben in Bagdad 34 Menschen, sieben US-Soldaten wurden bei einem Hubschrauberabsturz am selbigen Tag getötet. Fünf Kinder ließen ihr Leben, als ein Sprengsatz detonierte. Erklärungsbedarf gibt es auch gegenüber den irakischen Familien, die ihre Lieben bei einem US-Bombenabwurf in einem kleinen Dorf bei Tikrit verloren haben. US-Verteidigungsminister Robert Gates lobte General Petraeus für dessen "brillante Strategie" der Truppenaufstockung im Irak und seine gute Zusammenarbeit mit US-Botschafter Ryan Crocker. Petraeus habe eine "historische Rolle gespielt", so Gates. Odierno (Petraeus Nachfolger), sei der ideale Mann für eine Aufgabe wie im Irak. Dieser war schon 2003/2004 im Land, wo er wegen seiner grobschlächtigen, unverschämten Art gegenüber irakischen Zivilisten häufig kritisiert wurde. Odierno selbst wendet sich nach wie vor gegen einen geplanten Truppenabzug, da ihm die Lage mehr als fragil scheint. Besonders die "Immunität" der US-amerikanischen Soldaten gegenüber dem irakischen Recht sei für die Bevölkerung im Zweistromland ein Dorn im Auge. Auch das Vorpreschen der Kurden in Sachen ölverträge haben viele Abgeordnete im irakischen Parlament misstrauisch gemacht. Man frage sich, warum Irak ein neues ölgesetz brauche, wenn die Kurden ohnehin machen würden, was sie wollten.
  • Wie am 24. September durch den Innenministerrat der Europäischen Union beschlossen wurde, sollen insgesamt 2500 Flüchtlinge aus dem Irak in Europa aufgenommen werden. 2500 Flüchtlinge davon sollen nach Deutschland geflogen werden. Jene 2500 Flüchtlinge sind besonders schutzbedürftige Personen ohne Perspektiven auf eine Rückkehr in ihr Heimatland – auch weil sie größtenteils zu christlichen Minderheiten aus dem Irak gehören. Nach der Zwischenstation im Aufnahmelager Friedland in Niedersachsen sollen die 2500 Flüchtlinge aus dem Irak auf alle Bundesländer verteilt werden, auch sollen alle eine Arbeitserlaubnis für Deutschland erhalten.
  • Nach monatelangen hitzigen Debatten hat das irakische Parlament am 24. September ein neues Wahlgesetz verabschiedet. Damit kann jetzt der Termin für die Provinzratswahlen festgelegt werden. In langen Sitzungen wurde schließlich ein Kompromiss über die Aufteilung der Sitze im Provinzrat zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen gefunden. Araber und Turkmenen in Kirkuk wollen verhindern, dass die Kurden die Stadt in ihr Autonomiegebiet eingliedern. Erwartet wird, dass diesmal auch sunnitische Araber zur Wahl gehen, die einst das Votum 2005 boykottierten.
  • Deutschland wird vorerst keine Flüchtlinge aus dem Irak aufnehmen. Damit rückt auch das Schutzangebot für einige tausend irakische Christen, für das sich Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) auf Drängen der Kirchen ursprünglich starkgemacht hatte, in weite Ferne. Schäuble sieht die Aufnahme von religiös verfolgten Irakern offenbar als nicht mehr so dringlich wie vor Wochen. Die Lage im Irak habe sich positiv entwickelt und beruhigt, hieß es aus seinem Ministerium am 25. September. Prälat Reimers von der Evangelischen Kirche Deutschland sagte dagegen, die EU solle sich "endlich für eine Aufnahme irakischer Flüchtlinge entscheiden".
  • Türkische Kampfflugzeuge haben im Nordirak mutmaßliche Stellungen der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK bombardiert. Insgesamt seien in der Nacht des 25. Septembers 16 Ziele attackiert worden, teilte der türkische Generalstab in Ankara mit. Die PKK ist in der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft. Sie kämpft seit Anfang der 80er Jahre für eine Unabhängigkeit oder größere Autonomie von der Türkei. In dem Konflikt sind nach Angaben des türkischen Militärs bisher etwa 35000 Menschen getötet worden.
Montag, 29. September, bis Dienstag, 30. September
  • Bei einer Serie von Terroranschlägen sind am 29. September in Bagdad mindestens 32 Menschen auf Grund eines Selbstmordanschlags ums Leben gekommen. Mehr als 100 Menschen wurden verletzt, als eine Autobombe in der Innenstadt von Bagdad explodierte.


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