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Irak: Chronik wichtiger Ereignisse

12. bis 18. Mai 2003

12. bis 14. Mai
  • Die USA haben am 12. Mai mit einer umfassenden Umbildung ihrer Zivilverwaltung im Irak begonnen. Der von US-Präsident George W. Bush ernannte neue oberste Zivilverwalter, Paul Bremer, traf in Begleitung von Generalstabschef Richard Myers in Bagdad ein. Zuvor war Bremer in Basra Gerüchten entgegengetreten, wonach sein Vorgänger Jay Garner bereits in Kürze das Land verlassen werde. "Ich habe vor, mit ihm hier in den kommenden Wochen zusammenzuarbeiten, um ein ganzes Paket von Meilensteinen zu setzen", zitierte ihn die britische BBC. Bremer sagte bei seiner Ankunft am Flughafen von Basra: "Wir sind nicht in den Irak gekommen, um das Land zu kolonisieren". Briten und Amerikaner wollten den Irakern vielmehr helfen ihr Land wieder aufzubauen und selbst zu verwalten. Es seine eine "großartige Herausforderung, dem irakischen Volk dabei zu helfen, sein Land nach dem Fall eines despotischen Regimes wieder zurückzugewinnen". Bremer wurde am Flughafen von Garner empfangen, der ihn anschließend nach Bagdad begleitete. US-Beamte bestätigten nach Medienberichten vom Montag, dass neben Garner weiteres Führungspersonal abgelöst wird. So wurde mit der Abreise der obersten Zivilverwalterin der Region Bagdad, Barbara Bodine, schon am Montag oder Dienstag gerechnet. Sie hatte ihr Amt erst von drei Wochen übernommen. Auch Garners Kommunikationschefin, die frühere amerikanische Botschafterin in Marokko, Margaret Tutwiler, werde abberufen, berichtete die "New York Times". Als Grund für die Umbildung wurde die Situation im Irak genannt. Eskalierende Gewalt und der Zusammenbruch der Ordnung lähme den Wiederaufbau. Die "Washington Post" berichtete über weit verbreitete Unzufriedenheit mit den Leistungen Garners.
  • Am 12. Mai wurde der irakische Schiitenführer Ajatollah Mohammed Bakr el Hakim bei seiner Rückkehr aus dem Exil auch in seiner Heimatstadt Nadschaf von Hunderttausenden begeisterten Anhängern begeistert empfangen. Der Vorsitzende des Hohen Rates für die islamische Revolution im Irak (SCIRI) hatte zuvor erklärt, er sei ein Religionsgelehrter und strebe keine politische Karriere an.
  • Die britische Entwicklungshilfeministerin Clare Short ist am 12. Mai wegen des Irak-Krieges von ihrem Amt zurückgetreten. In ihrem Rücktrittsgesuch warf die als "Gewissen" der Labour-Partei geltende Ministerin und überzeugte Kriegsgegnerin Premierminister Tony Blair Wortbruch zur Rolle der Vereinten Nationen vor. "Ich fürchte, dass Sie das mir gegebene Versprechen über die Notwendigkeit eines UN-Mandats für die Einsetzung einer rechtmäßigen irakischen Regierung gebrochen haben", hieß es in dem Rücktrittsbrief Shorts, die sechs Jahre im Amt war. Sie hatte Blair bereits vor Beginn des Kriegs wegen seiner harten Haltung in der Irak-Frage heftig kritisiert und ihren Rücktritt für den Fall angekündigt, dass Blair ohne Zustimmung der UN in einen Irak-Krieg zieht. In diesem Zusammenhang hatte sie ihm "außergewöhnliche Rücksichtslosigkeit" vorgeworfen. Seitdem galt das Verhältnis zwischen den beiden als zerrüttet. In Shorts Rücktrittsbrief hieß es weiter, Blair habe mit Außenminister Jack Straw im Geheimen über die UN-Resolution verhandelt. Das Ergebnis laufe ihrem Versprechen gegenüber dem Parlament zuwider, nach der die UN den Prozess der irakischen Regierungsbildung federführend begleiten sollte. "Dies macht meine Position unmöglich. Ich bin traurig, und es tut mit leid, dass es nun so geendet hat", hieß es in dem Schreiben. Ein Sprecher Blairs wies die Vorwürfe zurück.
  • Zwischen den Vereinigten Staaten und Iran hat es in jüngster Zeit mehrere Geheimgespräche zur Verbesserung ihrer Beziehungen gegeben. Bei den von den UN unterstützten Kontakten sprachen Vertreter der beiden Länder unter anderem über die Nachkriegsordnung für Irak und den iranischen Einfluss bei einer Regierungsbildung in Bagdad, wie aus US-Regierungskreisen am 12. Mai verlautete.
  • Frankreich hat seine Bereitschaft zu Gesprächen über die von den USA angestrebte Aufhebung der Irak-Sanktionen bekräftigt, zugleich aber zahlreiche Nachbesserungen in dem entsprechenden Resolutionsentwurf gefordert. "Dieser Text ist ein Anfang", sagte Außenminister Dominique de Villepin der Zeitung "Le Monde" in einem am 12. Mai veröffentlichten Interview mit Blick auf den Entwurf. Villepin forderte unter anderem klare Regeln für den Umgang mit Einnahmen aus den irakischen Ölexporten, mit denen die USA den Wiederaufbau des Golfstaats finanzieren wollen. Die Verwaltung der Gelder müsse einem "unumstrittenen internationalen Gremium" unterstellt werden, sagte er. Der Resolutionsentwurf sieht vor, dass die Ölgelder in einen "Irakischen Hilfsfonds" eingezahlt werden, in dem die UNO eine beratende Rolle übernimmt. Über die Verwendung des Geldes sollen dem Entwurf zufolge jedoch die USA gemeinsam mit Großbritannien in Konsultation mit einer irakischen Übergangsverwaltung entscheiden. Villepin forderte zudem eine klarer definierte Rolle für einen UN-Koordinator im Irak. Der vorliegende Entwurf sei an dieser Stelle zu ungenau, bemängelte er. Die UNO solle allmählich die Kontrolle über den politischen Übergangsprozess im Irak übernehmen, wie sie dies in Afghanistan und im Kosovo getan habe, sagte Villepin. Zudem sei es notwendig, rasch eine legitime irakische Regierung zu etablieren, auch wenn diese nur für einen Übergang im Amt sein werde. Nach Ansicht Villepins soll die Resolution darüber hinaus alle drei Monate von der UNO überprüft werden. Der von den USA vorgelegte Entwurf sieht dagegen eine Überprüfung erst nach einem Jahr vor.
  • Polen will sich bei der NATO um Unterstützung für eine von der polnischen Armee angeführte Friedenstruppe im Irak bemühen. Die NATO könne bei der operationellen Planung, beim Aufbau von Kommunikationssystemen und bei der Aufklärung helfen, sagte Verteidigungsminister Jerzy Szmajdzinski am 12. Mai im polnischen Rundfunk. Polen soll nach US-Plänen die Führung einer 7000 Mann starken Friedenstruppe in einer der geplanten Besatzungszonen im Irak übernehmen.
  • US-Außenminister Colin Powell hat vor dem Entstehen einer islamistischen Regierung in Irak gewarnt. Eine solche Regierung sei "nicht im Interesse des irakischen Volkes und seiner Nachbarn", sagte Powell am 12. Mai in Kairo. Die USA seien der Ansicht, dass die künftige irakische Regierung alle Teile des irakischen Volkes repräsentieren sollte, betonte er nach einem Treffen mit dem ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak. Es wäre nachteilig, wenn in Bagdad eine Regierung gebildet würde, "die so fundamentalistisch ist, dass sie die Grundlagen der Demokratie nicht respektiert". Die USA wollten daher künftige politische Führer fördern, die die verschiedenen Teile der Bevölkerung verträten. Gleichzeitig solle dabei der moslemische Glaube respektiert werden.
  • Jordanien soll nach Angaben von Regierungsvertretern von den USA 700 Millionen Dollar zum Ausgleich für Schäden erhalten, die durch den Krieg im benachbarten Irak entstanden sind. US-Außenminister Colin Powell werde ein entsprechendes Dokument zur Freigabe der Mittel am 13. Mai während seines Besuchs in Amman unterzeichnen, hieß es am 12. Mai. Zusätzlich werde Powell ein seit 1997 aufgeschobenes Investitions-Schutzabkommen mit Jordanien unterschreiben. Dieses soll US-Firmen in Jordanien einen besseren Schutz gewähren und Investitionen in Unternehmen fördern, die zollfrei auf den lukrativen US-Markt exportieren. "Diese Hilfe ist ein Zeichen der Anerkennung für unsere Rolle (im Irak-Krieg). Sie ist zur Verminderung der durch den Krieg im Irak verursachten wirtschaftlichen Schäden in Jordanien gedacht", sagte ein Mitarbeiter der Regierung.
  • Die US-Truppen im Irak haben am 12. Mai offenbar zwei weitere Gefolgsleute des gestürzten Präsidenten Saddam Hussein in Gewahrsam. Nach CNN-Angaben nahmen sie den früheren Stabschef der irakischen Armee, Ibrahim el Tikriti, fest. Er ist die Nummer elf auf der Liste der am meisten Gesuchten. Zuvor hatte das US-Hauptquartier in Katar bestätigt, dass die Leiterin des irakischen Biowaffenprogramms, Rihab Taha, in Gewahrsam sei. Sie erlangte unter dem Pseudonym "Dr. Bazillus" einige Bekanntheit.
  • Auch wenn die folgende Nachricht unmittelbar mit dem Irakkonflikt nichts zu tun hat, gibt es doch einen Zusammenhang: Am 13. Mai traf US-Außenminister auf seiner Tour durch den Nahen Osten in der saudischen Hauptstadt Riad ein. Wenige Stunden zuvor passierte dies:
    Bei einer Serie von Selbstmordanschlägen auf drei Ausländer-Siedlungen in der saudischen Hauptstadt Riad sind in der Nacht zum 13. Mai möglicherweise über 90 Menschen ums Leben gekommen. Das teilte der amerikanische Vize-Präsident Richard Cheney in Washington mit. Ein Sprecher des US-Außenministeriums sagte allerdings dazu, man könne diese Zahl derzeit nicht bestätigen. Ein Mitarbeiter des saudischen Innenministeriums hatte zuvor von 29 Toten und 194 Verletzten gesprochen. Unter den Toten sollen auch 9 Attentäter sein. Neun bewaffnete Attentäter waren unmittelbar vor dem Besuch von US-Außenminister Colin Powell in Riad in drei bewachte Wohnkomplexe für westliche Ausländer gefahren und hatten sich in ihren Autos in die Luft gesprengt. Die Regierungen in Riad und Washington machten das Terrornetzwerk El Kaida für die Anschläge verantwortlich. Nach offiziellen Angaben aus Riad waren unter den Toten sieben US-Bürger, zwei Philippiner und neun Selbstmordattentäter. Auch ein Australier und fünf Jordanier starben demnach, 194 Menschen wurden verletzt. (Am 14. Mai meldete die amtliche saudische Nachrichtenagentur Saudi Press Agency, die Zahl der Todesopfer betrage 35.)
  • US-Streitkräfte haben im Nordirak einen zweiten Lastwagen gefunden, der als mobiles Biowaffenlabor gebraucht worden sein könnte. Die Untersuchungen seien im Gange, teilte ein Militärsprecher am 13. Mai in Bagdad mit. Bislang sind im Irak keine Massenvernichtungswaffen entdeckt worden. Die Suche kann nach Einschätzung des Internationalen Instituts für Strategische Studien (IISS) in London noch Monate dauern. Nach Angaben des amerikanischen Militärsprechers wurde der Lastwagen bereits am 10. Mai in der Nähe der Stadt Mosul gefunden.
  • Angehörige von Opfern des Irak-Kriegs wollen in Belgien Klage gegen den US-Oberbefehlshaber Tommy Franks einreichen. Die mehrheitlich irakischen Kläger berufen sich auf die in der belgischen Justiz verankerte universelle Zuständigkeit für internationale Kriegsverbrechen, wie der belgische Anwalt Jan Fermon am 13. Mai mitteilte. Die rund zwanzig Anklagepunkte umfassen den Beschuss von Zivilisten und Krankenwagen, den Einsatz von Streubomben und das mangelnde Einschreiten gegen Plünderer. Vergangenen Monat hatte das belgische Parlament allerdings die Rechte der Justiz eingeschränkt. Verfahren gegen Ausländer können nun an die jeweiligen Heimatländer verwiesen werden.
  • Die USA wollen nach einem Bericht führender Sicherheitsexperten ihre Abhängigkeit von saudiarabischen Ölexporten mit Hilfe von irakischen Lieferungen verringern. Mit diesem Ziel habe Washington schon seit den Terroranschlägen vom 11. September die Privatisierung des irakischen Ölsektors gefördert, heißt es in dem am 13. Mai veröffentlichten Jahresbericht des renommierten Internationalen Instituts für Strategische Studien (IISS) in London.
  • Amerikanische Soldaten haben am 13. Mai in Bagdad einen ausländischen Kameramann angegriffen. Dieser hatte die Festnahme mehrerer Iraker durch die US-Soldaten gefilmt. Weshalb die Männer festgenommen wurden, ist unklar. Die Soldaten banden ihre Beine zusammen und transportierten sie in einem Armeefahrzeug ab. Als der Kameramann die Szene filmen wollte, wurde er niedergerungen. Ein Soldat schoss in die Luft, um Schaulustige abzuschrecken.
  • Ein Massengrab mit mehr als 120 Leichen ist nahe der südirakischen Stadt Basra entdeckt worden. Das meldet die britische BBC am 13. Mai. Seit Sonntag seien die Überreste von 126 Menschen ausgegraben worden, hieß es. Drei Leichen seien bislang identifiziert worden. Es handele sich um schiitische Moslems, die 1999 hingerichtet worden seien. Grund sei die Unterstützung für den später ermordeten Geistlichen el Sadr gewesen. Den Angaben zufolge waren bei zahlreichen Leichen die Hände gefesselt und die Augen verbunden.
  • Nach nur zehn Tagen im Amt ist der irakische Gesundheitsminister wegen Verbindungen zur Baath-Partei des gestürzten Staatschefs Saddam Hussein zurückgetreten. In einer Erklärung der Gesundheitsbehörden hieß es am 13. Mai, die USA hätten den Rücktritt von Ali Schnan el Dschanabi angenommen. Dieser habe sich geweigert, die Baath-Partei zu verurteilen. Die Ernennung Dschanabis zum vorläufigen Leiter des Gesundheitsministeriums hatte am 3. Mai zu Protesten von hunderten Ärzten und Apothekern geführt. Sie forderten in Demonstrationen seine Entlassung wegen seiner Verbindungen zum alten Regime. Der amerikanische Berater des Ministeriums vom Büro für den Wiederaufbau Iraks, Stephen Browning, erklärte, Dschanabi sei zwar Mitglied der Baath-Partei gewesen, sei aber nicht in Menschenrechtsverletzungen oder kriminelle Aktivitäten verwickelt.
  • Der schiitische Geistliche Ayatollah Mohammed Bakir el Hakim sprach sich am 13. Mai für eine demokratische Regierung aus. "Weder eine islamische Regierung noch eine säkuläre Administration wird in Irak funktionieren, sondern nur ein demokratischer Staat, der den Islam als Religion der Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert", sagte Hakim bei einer Pressekonferenz in Nadschaf. Noch vor zwei Tagen hatte er sich in Basra für ein "modernes islamisches Regime" eingesetzt.
  • Die NATO wird Polen nach Angaben eines US-Diplomaten bei seinem geplanten Militäreinsatz in Irak unterstützen. Polen habe die Allianz um Unterstützung für Militärlogistik und um nachrichtendienstliche Hilfe gebeten, sagte ein US-Diplomat am 13. MAi in Moskau am Rande des NATO-Russland-Rats. Dieser Bitte werde das Bündnis in den nächsten zehn bis 14 Tagen mit "einer positiven Entscheidung" nachkommen. NATO-Generalsekretär George Robertson hatte am 12. Mai in Moskau noch erklärt, für eine Entscheidung über die NATO-Rolle in Irak sei es zu früh. Als Voraussetzung hatte er eine "stabilere und überschaubarere Lage" in Irak genannt. - Die NATO steht nach den Worten ihres Militärchefs, General Harald Kujat, zu schneller Hilfe in Irak bereit. "Sobald sich ein Mitgliedsstaat an uns wendet, steht das Thema auf der Tagesordnung", sagte Kujat, der Vorsitzender des NATO-Militärausschusses in Brüssel ist, der "Financial Times Deutschland" am 13. Mai. "Wir können im Fall der Fälle sehr schnell planen." Kujat bezog sich damit auf den Wunsch Polens nach Unterstützung der Allianz für eine von der polnischen Armee angeführte Friedenstruppe in Irak.
  • US-Finanzminister John Snow erwartet eine Beteiligung Deutschlands und Frankreichs am Wiederaufbau des Irak. "Sie sind ein Teil des multilateralen Welt-Handelssystems", sagte Snow in einem am 13. Mai freigegebenen Interview der Nachrichtenagentur Reuters mit Verweis auf die beiden Staaten. Sie sollten befürworten, dass sich der Irak zu einem starken Handelspartner entwickelt. Die Frage einer Geberkonferenz für den Irak werde vermutlich bei dem Treffen der Finanzminister der G-7-Staaten am Wochenende in Frankreich erörtert werden.
  • Nach einem Bericht der britischen BBC vom 14. Mai sind weitere Massengräber im Norden Iraks entdeckt worden. Nachdem aus einem Massengrab bei der Stadt Hilla südlich von Bagdad über 3.000 Leichen ausgegraben worden waren, fanden Iraker und ausländische Freiwillige auch nördlich der Hauptstadt und in den Kurdengebieten zahlreiche Orte, an denen Menschen verscharrt wurden. Dabei soll es sich nach BBC-Angaben zumeist um Schiiten handeln, die nach den Aufständen 1991 von irakischen Einheiten getötet wurden.
  • Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion drängt auf eine deutsche militärische Beteiligung im Irak im Rahmen der NATO, notfalls auch ohne UN-Resolujtion. Friedbert Pflüger, außenpolitischer Sprecher der Union, forderte am 14. Mai ein entsprechendes Signal Berlins beim Besuch des US-Außenministers am 16. Mai.
15. bis 18. Mai
  • Am 15. Mai ersuchte Polen die NATO offiziell um Unterstützung bei der "Friedenssicherung" im Irak. Die NATO soll beim Aufbau der polnischen Truppe helfen, die einen der drei Militärsektoren kontrollieren soll.
  • Mit 15.000 zusätzlichen Soldaten und weiteren 1.000 Militärpolizisten wollen die USA in Irak für mehr Sicherheit sorgen. Dies teilte der neue US-Zivilverwalter Paul Bremer am 15. Mai mit.
  • Am 15. Mai kündigte der US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, John Negroponte, einen überarbeiteten Resolutionstext an. Der ursprüngliche Entwurf vom 9. Mai hatte sich als nicht mehrheitsfähig erwiesen. Die USA könnten bei der Frage der sofortigen Aufhebung der Sanktionen einlenken; so sollen sie bereit sein, nur eine vorübergehende Aussetzung der Sanktionen zuzulassen. Auch könnte es Abstriche geben bei der von den Besatzungsmächten beanspruchten Machtfülle. Schließlich ist offenbar eine Erweiterung der bisher nur minimalen Befugnisse eines UN-"Sonderkoordinators" vorgesehen.
  • Bundeskanzler Gerhard Schröder hat bei seinem Treffen mit US-Außenminister Colin Powell nach eigenen Angaben "mehr Gemeinsamkeiten als Differenzen" festgestellt. Bei ihren Gesprächen über die aktuelle Lage in Irak, im Nahen Osten und in Afghanistan hätten Powell und er "festgestellt, dass es weit mehr Gemeinsamkeiten auch im Kampf gegen den internationalen Terrorismus gibt als durch die Differenzen in der Irak-Frage (...) deutlich geworden" sei, sagte Schröder am 16. Mai in der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin". Es komme nun darauf an, "dafür zu sorgen, dass es möglichst schnell zu einer Aufhebung der Sanktionen kommen kann". Schließlich gehe es "um die Menschen in Irak, denen möglichst bald geholfen werden muss".
    Außenminister Joschka Fischer und sein US- Amtskollege Colin Powell haben vereinbart, den Blick nach vorn zu richten. Damit wollten sie einen Schlussstrich unter den Streit über den Irak-Krieg ziehen. Als gute Verbündete wollen Deutschland und die USA nach vorn gehen, sagte Fischer nach dem Gespräch mit Powell in Berlin. Über eine mögliche Rolle der NATO beim Wiederaufbau des Iraks sprachen die beiden Außenminister nach eigenen Angaben nicht. Das Gespräch Fischer-Powell fand nach dem Gespräch Powells mit Schröder statt.
  • Die Ständigen UNO-Sicherheitsratsmitglieder Frankreich, Russland und China verlangen weitere Änderungen am Resolutionsentwurf der USA, mit dem eine Beendigung der Irak-Sanktionen erreicht werden soll. Die französische Regierung werde konstruktive Vorschläge zur Veränderung des Resolutionsentwurfs machen, kündigte der Sprecher des Außenministeriums in Paris, Bernard Valero, am 16. Mai an. "Wir wollen den bestmöglichen Text, weil wir wollen, dass die internationale Gemeinschaft in der Lage ist, im Irak Erfolg zu haben", erklärte Valero. Auch die wie Frankreich mit Veto-Recht im Sicherheitsrat ausgestatteten Länder Russland und China meldeten Korrektur-Bedarf an. Der russische Vizeaußenminister Juri Fedotow sagte der russischen Nachrichtenagentur Interfax: "Wir sind der Auffassung, das Teile des (Resolutions-)Entwurfes noch ernsthafte Veränderungen benötigen." Die Kritik der Veto-Mächte kam, während US-Außenminister Colin Powell Berlin besuchte.
  • Aus den irakischen Museen sind nach dem Sturz des irakischen Machthabers Saddam Hussein offenbar nicht so viele Kulturgüter gestohlen worden, wie bislang angenommen. Viele Kunstwerke aus dem National-Museum in Bagdad seien bereits vor dem Golfkrieg 1990 versteckt worden, wie der amerikanische Reservist und New Yorker Staatsanwalt Matthew Bogdanos am 16. Mai in Bagdad mitteilte. Damals seien Gold, Manuskripte und andere Gegenstände von Museumsangestellten versteckt und anschließend nicht wieder in den Bestand aufgenommen worden. Bogdanos sagte, der ursprünglich geschätzte Verlust von 170.000 gestohlenen Gegenständen sei zu hoch. Tatsächlich bewege sich der Verlust in einer Spannbreite von tausenden Kunstgegenständen.
  • Die USA haben ihre Pläne für eine frühzeitige Machtübergabe im Irak an Einheimische nach Medienberichten aufgegeben. Der neue Zivilverwalter Paul Bremer habe nach Bagdad zurückgekehrte Exil-Iraker entsprechend informiert, berichtete die "New York Times" am 17. Mai. Die Teilnehmer des Treffens seien schwer enttäuscht gewesen. Dem Bericht zufolge wollen die USA und Großbritannien nun doch nur eine irakische Übergangsverwaltung einrichten, die den Besatzungsmächten beim Wiederaufbau zur Seite steht.
  • Der stellvertretende UN-Generalsekretär für humanitäre Angelegenheiten, Kenzo Oshima, hat die USA und Großbritannien aufgefordert, zusätzliche Maßnahmen für Sicherheit und Ordnung in Irak zu ergreifen. Die Streitkräfte müssten offenlegen, wie sie die Sicherheitslage verbessern wollten, sagte Oshima am 17. Mai in der südirakischen Hafenstadt Basra. Ohne Sicherheit könne das Land nicht wiederaufgebaut werden. Oshima betonte, die Besatzungsmächte seien nach internationalem Recht verpflichtet, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Derzeit sei die Sicherheitslage in Irak "sehr, sehr prekär". Als Beispiel nannte er die Plünderungen von UN-Lagern und -Gebäuden.
  • Der belgische Ministerpräsident Guy Verhofstadt will die in Belgien eingereichte Klage gegen den US-General Tommy Franks wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Irak-Krieg an die Vereinigten Staaten weiterleiten. Das sicherte er am 17. Mai in einem Interview des belgischen Fernsehsenders VTM der US-Regierung zu.
  • Eine künftige irakische Regierung könnte sich einem US-Berater zufolge für einen Austritt aus der Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC) entscheiden. "Historisch betrachtet hat sich Irak nur unregelmäßig an den OPEC-Quotensystemen beteiligt", sagte der Erdöl-Berater des Pentagon in Bagdad, Philip Carroll der Zeitung "Washington Post" vom 17. Mai. Die Regierung in Bagdad habe zeitweise "aufgrund von zwingenden nationalen Interessen" das System der Förderquoten außer Kraft gesetzt und ihren eigenen Weg verfolgt. "Sie könnten sich dafür entscheiden, das wieder zu tun", sagte Carroll. "Für mich ist das eine sehr wichtige nationale Frage." Die Priorität für Irak sei, den eigenen Energiebedarf zu decken, sagte der frühere Manager des Öl-Konzerns Shell. Es sei Sache der künftigen irakischen Regierung, über einen Verbleib in der OPEC oder in anderen internationalen Organisationen zu entscheiden.
  • Der ehemalige Generalsekretär der irakischen Elitetruppe Republikanische Garde ist in US-Gewahrsam. Das teilte das US-Zentralkommando am 17. Mai in Florida mit. Kamal Mustafa Abdullah Sultan el Tikriti habe sich in Bagdad selbst gestellt. Er war nach Angaben des Zentralkommandos die Nummer 10 auf der Liste der 55 meist gesuchten Iraker. In der als Kartenspiel dargestellten Liste ist Sultan el Tikriti auf der Kreuz- Dame abgebildet. Der arabische TV-Sender El Arabija meldete am 17. Mai unter Berufung auf Stammesführer im Nordirak, die US-Armee habe Isset Ibrahim el Duri festgenommen, den ehemaligen Stellvertreter Saddam Husseins im Revolutionären Kommandorat. Für die Festnahme, die nach Angaben der Stammesführer im Kurdengebiet bei Tel Afer erfolgt sein soll, gab es keine unabhängige Bestätigung.
  • Das Weltkinderhilfswerk UNICEF hat am 18. Mai vor einer großen humanitären Krise in Irak gewarnt. Das Land benötige sehr schnell weitere Hilfsmaßnahmen, sagte UNICEF-Direktorin Carol Bellamy im Anschluss an eine viertägige Irak-Reise. Ihre Organisation versuche die schlechte sanitäre Lage zu verbessern und beteilige sich an der Räumung von tödlicher Artilleriemunition. Zudem dringe UNICEF darauf, dass wieder mehr Kinder die Schulen besuchen.
  • Der irakische Atomexperte Abbas Blasim glaubt, dass von dem gestohlenen Uran aus der irakischen Atomanlage El Tuweitha eine große Gefahr ausgeht. Dies meldete dpa am 18. Mai. Nach dem Einmarsch der Amerikaner in Bagdad hatten Dutzende von Plünderern Fässer mit Uran und anderen gefährlichen Stoffen vom Gelände des zerstörten Atomreaktors entwendet. In den ersten Tagen nach dem Sturz des Regimes konnten Plünderer nach Angaben von Augenzeugen fast ungehindert ein und aus gehen.
  • Außenminister Fischer hat stärker als bislang die Vorbehalte Deutschlands gegen den US-Entwurf für eine neue Irak-Resolution der Vereinten Nationen deutlich gemacht. "Wenn er ausreichend wäre, müssten wir nicht mehr darüber diskutieren", sagte Fischer am 18. Mai in einem "Spiegel"-Interview. Wie nach dem Gespräch mit seinem US-Kollegen Colin Powell am 16. Mai bezeichnete er den Entwurf als gute Grundlage. Er nannte aber Punkte, über die weiter diskutiert werden müsse, darunter die Rolle der UNO, die Frage der Öl-Einkünfte und die der Massenvernichtungswaffen. Fischer sagte mit Blick auf die strittigen Punkte: "Wir müssen jetzt (...) vorliegenden Entwurf optimieren."
  • Die Türkei erwägt die Eröffnung diplomatischer Vertretungen in Nordirak. Außenminister Abdullah Gül erklärte am 18. Mai in Ankara, Anführer der Kurden hätten die Türkei eingeladen, in den Städten Erbil und Suleimanijah Konsulate zu eröffnen, um so die Beziehungen beider Seiten zu verbessern. Erbil gilt als Machtzentrum der Demokratischen Partei Kurdistans unter ihrem Führer Masud Barsani, während Suleimanijah von der rivalisierenden Patriotischen Union Kurdistans kontrolliert wird. Vor Beginn des Irak-Krieges hatte die Türkei gedroht, Truppen nach Nordirak zu entsenden, um Bestrebungen zur Gründung eines unabhängigen Kurdistans zu unterbinden.
  • Der frühere polnische Vize-Regierungschef Marek Belka soll möglicherweise eine internationale Beratergruppe für US-Zivilverwalter Paul Bremer in Irak leiten. Es gebe eine offizielle Anfrage der USA, sagte Belka am 18. Mai der polnischen Nachrichtenagentur PAP zufolge. Er bestätigte demnach auch Berichte, wonach er in Kürze nach Irak reisen wird. "Ich soll mit Bremer sprechen, mich über den Inhalt seines Angebots informieren, über die Kompetenzen (der Beratergruppe) und über die Stellung der Gruppe innerhalb der Zivilverwaltung", sagte Belka. Erst dann werde er entscheiden, ob er diese Aufgabe übernehmen werde.


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