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Die vierte Woche: 10. bis 16. April 2003

Irak: Kriegschronik

Alle Angaben stehen unter dem Vorbehalt, von uns nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden zu können.

Donnerstag, 10. April
  • Als erster Vertreter des irakischen Regimes hat der Botschafter bei den Vereinten Nationen die militärische Niederlage seiner Regierung eingeräumt. "Das Spiel ist aus", sagte UN-Botschafter Mohammed el Duri am Mittwochabend in New York.
  • Der Irak-Krieg ist auch nach der Einnahme von Bagdad durch US-Truppen nicht zu Ende. Mit Beginn der vierten Kriegswoche gingen kurdische Kämpfer im Norden in die Offensive und besetzten die Stadt Kirkuk. Die kurdischen Kämpfer in Kirkuk sollen nach einer Vereinbarung zwischen den USA und der Türkei von amerikanischen Truppen abgelöst werden. Die Absprache habe das Ziel, einen Einmarsch türkischer Truppen im Norden Iraks zu verhindern, sagte US-Außenminister Colin Powell. Er habe jedoch der Entsendung einer kleinen Gruppe türkischer Militärbeobachter in die Region zugestimmt. Ankara befürchtet, dass die Kurden ihren Einfluss im Nachbarland ausbauen und so die Autonomiebestrebungen der türkischen Kurden verstärken.
  • In Bagdad blieb die Lage auch nach den Freudenkundgebungen vom Mittwoch gespannt. Bei einem Selbstmordangriff an einer Kontrollstelle der amerikanischen Truppen in Bagdad sind mehrere US-Soldaten getötet worden. Das berichtet der britische Sender BBC. Weitere Soldaten seien schwer verletzt worden, zitierte der Sender US-Militärsprecher Major Matt Baker. In Bagdad berichtete ein US-Hauptmann, ein Mann habe sich am Abend mit am Körper verstecktem Sprengstoff den Soldaten genähert und in die Luft gesprengt. In der Hauptstadt wurden zudem fünf Ministeriumsgebäude in Brand gesetzt.
  • Nach stundenlangen Kämpfen nahmen US-Truppen einen Palast im Norden von Bagdad ein. Dabei kam ein US-Soldat ums Leben, etwa 20 wurden verletzt. Die deutsche Botschaft in Bagdad wurde am Donnerstag geplündert, ebenso das Verkehrsministerium. Einige US-Einheiten in Bagdad erhielten den Befehl, sie sollten versuchen, gegen die Plünderungen vorzugehen.
  • In der mittelirakischen Stadt Nadschaf tötete eine Menschenmenge nach Augenzeugenberichten zwei Geistliche, darunter den bisherigen Leiter der Ali-Moschee, Haidar el Kadar. In einer Geste der Versöhnung wurde Kadar, ein Mitarbeiter des Religionsministeriums, von dem schiitischen Geistlichen Abdul Madschid el Choei begleitet, der gerade erst aus dem Exil zurückgekehrt war. Als die beiden in der Moschee erschienen, wurden sie von Regimegegnern beschimpft. El Choei gab den Augenzeugen zufolge Warnschüsse ab. Daraufhin stürzte sich die Menge auf die beiden Männer und erdolchte sie.
  • US-Präsident George W. Bush und der britische Premierminister Tony Blair haben sich in Fernsehansprachen an das irakische Volk gewandt.
    Bush sagte unter anderem:
    "In diesem Augenblick wird das Regime von Saddam Hussein von der Macht entfernt, und eine lange Ära von Angst und Grausamkeit geht ihrem Ende entgegen. Die Regierung des Irak und die Zukunft Ihres Landes werden bald Ihnen gehören. Wir werden ein brutales Regime beenden, dessen Aggression und Massenvernichtungswaffen für die Welt eine einzigartige Bedrohung waren. Wir werden bei der Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung helfen. Wir werden ihre großen religiösen Traditionen respektieren, deren Prinzipien von Gleichheit und Mitgefühl für die Zukunft des Iraks lebenswichtig sind.
    Wir werden Ihnen helfen, eine friedliebende und repräsentative Regierung aufzubauen, die die Rechte aller Bürger wahrt. Und dann werden unsere Streitkräfte abziehen. Irak wird zu einer vereinten, unabhängigen und souveränen Nation werden, die den Respekt der Welt verdient. Sie sind gute und begabte Menschen und die Erben einer großen Zivilisation. Sie verdienen es nicht, in Tyrannei zu leben. Sie verdienen es, als ein freies Volk zu leben. Der Albtraum, den Saddam Hussein über Ihre Nation gebracht hat, wird schon bald zu Ende sein."

    Blair sagte unter anderem:
    "Ich freue mich, Ihnen sagen zu können, dass das Regime von Saddam Hussein zusammenbricht. Die Jahre von Brutalität, Unterdrückung und Angst gehen zu Ende. Eine neue und bessere Zukunft wartet auf das irakische Volk. Wir wollten diesen Krieg nicht, aber Saddam ließ uns keine andere Wahl. Wir werden diesen Krieg bis zu Ende führen. Ich weiß, dass viele von Ihnen eine Wiederholung von 1991 befürchtet hatten. Aber diesmal wird das Regime tatsächlich verschwinden. Danach werden wir mit Ihnen gemeinsam den friedlichen, wohlhabenden Irak aufbauen, den Sie sich wünschen und den Sie verdienen. Dieser Irak wird nicht von Großbritannien, den USA oder den Vereinten Nationen regiert. Er wird von Ihnen regiert, dem irakischen Volk.
    Saddam Hussein hat den Reichtum Ihrer Nation geplündert. Während viele von Ihnen in Armut lebten, umgab er sich mit Luxus. Er wurde einer der reichsten Männer der Welt, mit dem Geld, das er dem irakischen Volk stahl. Das Geld aus dem irakischen Öl wird Ihnen gehören; es wird dazu genutzt werden, für Sie und Ihre Familien Wohlstand zu schaffen. Wir wollen Ihnen die Chance geben, ein neues Leben aufzubauen. Sie und Ihre Familien sollen eine bessere Zukunft haben. Im Geiste der Freundschaft und des guten Willens bieten wir unsere Hilfe dabei an."
  • Nach dem Vorstoß in die nordirakische Industriestadt Kirkuk bereiten sich kurdische Kämpfer und US-Spezialtruppen auf die Einnahme von Mossul vor. Wie der Kommandeur einer US-Sondereinheit im Raum Dohuk, Oberstleutnant Robert Waltemeyer, am Donnerstagabend sagte, ist die Einnahme der drittgrößten irakischen Stadt nur noch "eine Frage von Stunden oder Tagen".
  • Die US-Armee hat sich dafür gerechtfertigt, nichts gegen die massiven Plünderungen in Bagdad zu unternehmen. Man könne "nicht alles gleichzeitig machen", sagte General Stanley McChrystal vom US-Generalstab am Donnerstag in Washington. Das oberste Ziel der Streitkräfte sei derzeit, die "Todesschwadronen und die Spezialeinheiten der Republikanischen Garden zu finden, zu bekämpfen und aus der Stadt zu vertreiben". Sie seien "die größte Bedrohung". Seit dem Fall Bagdads am Mittwoch plünderten Einwohner unbehelligt Regierungsgebäude, Botschaften und Villen, aber auch Krankenhäuser sowie Büros der Hilfsorganisation Roter Halbmond.
  • UN-Generalsekretär Kofi Annan und Chefinspekteur Hans Blix haben sich für die baldige Rückkehr der Waffenkontrolleure in den Irak ausgesprochen. Das Mandat des Sicherheitsrates für die Inspektionskommission sei nach wie vor gültig, erklärten Annan und Blix im UN-Hauptquartier. Allein die UN seien verantwortlich für die Abrüstung des Irak, sagte Annan. Nachdem es in Bagdad keine funktionierende Regierung mehr gebe, müsse jetzt der Sicherheitsrat klären, wie die UN mit dieser Situation umzugehen hätten.
  • Der Bundessicherheitsrat ist nach einem ARD-Bericht am Abend im Kanzleramt zusammengekommen, um über einen deutschen Beitrag zum Wiederaufbau des Iraks zu beraten. Das Bundespresseamt wollte das üblicherweise geheim gehaltene Treffen nicht bestätigen. Das Wirtschaftsministerium dementierte inzwischen einen Zeitungsbericht, wonach die Bundesregierung einen ungebundenen Kredit für den Irak vorbereitet. Das "Handelsblatt" hatte berichtet, es sollten Projekte im Energie- und Wasserbereich finanziert werden.
  • Tausende Befürworter des Irak-Kriegs haben am Donnerstag an der Stelle des früheren World Trade Centers in New York ihre Solidarität mit den US-Truppen demonstriert. Zu den Teilnehmern an der Unglücksstelle Ground Zero in Manhattan gehörten Kriegsveteranen, Polizisten und Feuerwehrleute sowie Angehörige der Opfer des Anschlags auf die beiden Zwillingstürme vom 11. September 2001. Die Veranstalter wählten Ground Zero als Veranstaltungsort, um auf die ihrer Meinung nach bestehenden Verbindungen zwischen dem irakischen Staatschef Saddam Hussein und dem internationalen Terrorismus aufmerksam zu machen.
  • Mit Streiks und Demonstrationen haben am Donnerstag in Spanien zehntausende Menschen gegen den Krieg in Irak protestiert. Allein in Barcelona gingen nach Angaben der Veranstalter 50.000 Menschen auf die Straße. Die Polizei sprach von 30.000 Teilnehmern. Mit Parolen wie "Nicht einen Soldat, nicht einen Euro, nicht eine Kugel für diesen Krieg" zogen die Demonstranten friedlich durch die Straßen. Gewerkschaftsmitglieder stimmten auf dem zentralen Katalonien-Platz ein ohrenbetäubendes Pfeifkonzert an. Auch in der Hauptstadt Madrid demonstrierten mehrere tausend Kriegsgegner.
Freitag, 11. April
  • Die am Donnerstag in Kirkus eingerückten kurdischen Kämpfer begannen am Freitag, den 11. April, mit ihrem Rückzug. Dies gab der türkische Außenminister Abdullah Gül bekannt. Gül teilte auch mit, die kurdischen Kämpfer würden "so bald wie möglich" auch aus Mossul abziehen. Dafür habe er "Garantien" der USA bekommen.
  • Die US-Streitkräfte folgten am frühen Freitagmorgen den nach Mossul eingerückten Kurden. Zuvor hatte sich das zur Verteidigung der Stadt eingesetzte irakische Korps ergeben und einem Waffenstillstand zugestimmt. In der Stadt kam es zu Plünderungen. U.a. wurde die Filiale der Zentralbank gestürmt und Geld gestohlen. Aus einem Krankenhaus wurden sämtliche Krankenwagen gestohlen. Beobachter schilderten die Lage in der Stadt als chaotisch.
  • In Bagdad gingen auch am dritten Tag hintereinander die Plünderungen weiter. Es kam vor, dass Ladenbesitzer auf Plünderer schossen. Marodierende Iraker setzten Amtsgebäude und Geschäfte in Brand. Es gibt weiterhin weder Wasser noch Strom. Helfer des Roten Kreuzes, die im Al-Kindi-Krankenhaus arbeiteten, berichteten am Freitag von einer "einzigen Katastrophe", von "totalem Chaos". Das Hospital sei völlige leergeräumt worden. Betten, Tische, Operationsgeräte seien geplündert worden. Ärzte und Schwestern seien geflüchtet und trauen sich aus Angst vor bewaffneten Banden nicht mehr an ihren Arbeitsplatz zurück. "Das medizinische Versorgungssystem in Bagdad ist zusammengebrochen", erklärte das IKRK zur Lage.
  • In Basra droht den US-Streitkräften die Situation zu entgleiten. Sie unternehmen nichts gegen die Plünderungen der Bevölkerung.
  • Die Kriegsallianz bereitete sich am Freitag auf eine Schlacht um Tikrit vor, die als Hochburg des Saddam-Regimes gilt. Nach US-Angaben sind kurdische und US-Einheiten bis auf 100 km an Tikrit herangekommen. Kampfflugzeuge bombardierten Stellungen der republikanischen Garde des Irak.
  • US-Soldaten verteilen im Land Fahndungsplakate mit den Bildern von 55 führenden Mitgliedern der irakischen Regierung, deren Verbleib unklar ist. Irakische Stammesführer im Irak äußerten die Vermutung, dass bei den US-Luftangriffen im Bagdader Stadtteil El Mansur zu Beginn der Woche zahlreiche Angehörige der Führungsriege von Saddam Hussein ums Leben gekommen sein könnten.
  • Die US-Militärführung gab am Freitag bekannt, schon bald würden im Südirak irakische Oppositionelle zusammenkommen, um über eine Nachkriegsordnung zu beraten. Die Teilnehmer sollten "aus der ganzen irakischen Gesellschaft" sowie aus dem Ausland kommen. Der stellvertretenden Verteidigungsminister Paul Wolfowitz stellte in Washington Pläne vor, wonach es bis zur Bildung einer Übergangsregierung von Amerikanern und Irakern geführte Ministerien geben sollte.
  • Großbritannien verkleinert offenbar seine Truppen am Golf. Nach Angaben des britischen Verteidigungsministeriums wurden vier Tornado-Jets nach Schottland zurückgerufen. Der Flugzeugträger "Ark Royal" werde die Region ebenfalls bald verlassen. Zwei Fregatten sollen in den Fernen Osten verlegt werden, um an Manövern teilzunehmen, hieß es außerdem. Zudem soll das Lazarettschiff "Argus" abgezogen werden sowie eines der britischen Feldlazarette abgebaut werden.
  • Das geistliche Oberhaupt im Iran, Ayatollah Ali Chamenei, hat den Sturz Saddam Husseins begrüßt. Seine Zufriedenheit habe jedoch "nichts zu tun mit der Ankunft der Besatzer, sagte er am Freitag. Die Pläne der US-Regierung, in Irak eine US-geführte Militäradministration einzusetzen, würden "als eine Aggression gegen den Islam" betrachtet.
  • Am Freitag trafen sich in St. Petersburg Bundeskanzler Schröder, der russische Präsident Putin und der französische Staatspräsident Chirac. Bei diesem "Petersburger Dialog" wurde die Forderung erhoben, dass der UNO so schnell wie möglich die Verantwortung für die irakische Nachkriegsordnung übertragen wird. In französischen Regierungskreisen hieß es, Chirac wehre sich besonders gegen die amerikanische Vorstellung, die UN seien nur noch eine den USA unterstellte Hilfsagentur. "Die Vereinten Nationen", heißt es im Elysée-Palast, "können keinem ihrer Mitglieder unterstellt werden".
Samstag/Sonntag, 12./13. April
  • Bei dem Dreier-Gipfel in St. Petersburg, der am Samstag zu Ende ging, haben Russland, Deutschland und Frankreich den Krieg führenden Ländern USA und Großbritannien Verständigungsbereitschaft signalisiert. Sie beteuerten nochmals ihre Forderung nach einer führenden Rolle der UN beim Wiederaufbau Iraks, deuteten aber auch Entgegenkommen bei Finanzhilfen für den Wiederaufbau an.
  • Saddams Ex-Berater Amir al-Saadi - er steht auch auf der US-Fahndungsliste der 55 meistgesuchten Führungspersonen des Regimes - hat sich am Samstag den US-Streitkräften gestellt. Al-Saadi war zuletzt für die Kooperation mit den UN-Waffeninspekteuren verantwortlich gewesen.
  • Der Sender al-Dschasira berichtete, ein Halbbruder Saddams sei auf der Flucht nach Syrien gefangen genommen worden. US-Präsident Bush warnte Syrien davor, Anhängern des Regimes zu helfen.
  • Nach eigenen Angaben rückten am Sonntag US-amerikanische Einheiten in Tikrit ein, die letzte Großstadt unter irakischer Kontrolle. Es sei aber noch zu früh zu sagen, dass die Stadt erobert sei, sagte das US-Militär am Sonntagnachmittag. Offenbar hatte die irakische Armee Tikrit zuvor verlassen. Ein CNN-Fernsehteam zeigte Bilder verlassener Stellungen und zerbombter Panzer.
  • Flüchtlinge aus Richtung Kirkuk berichteten am Sonntag, die Kurdenkämpfer, die in Richtung Tikrit vorgestoßen waren, plünderten ihre Dörfer. Insbesondere würden sie Autos stehlen. Araber hätten begonnen auf die Plünderer zu schießen.
  • US- und britische Militärs wollen künftig gegen die andauernden Plünderungen im Irak entschiedener vorgehen, kündigte Major David Cooper, ein Presseoffizier der in Bagdad stationierten US-Marineinfanteristen an. Von Montag an (14. April) würden US-Soldaten gemeinsam mit reaktivierten irakischen Polizisten Streife gehen. Genauso wollen die Briten in Basra vorgehen.
  • Die Vereinten Nationen und Hilfsorganisationen bewerten die Situation in den Krankenhäusern als katastrophal. Das IKRK erklärte, am Wochenende sei eine medizinische Versorgung in Bagdads Krankenhäusern nicht möglich gewesen. Die Plünderungen medizinischer Einrichtungen hätten sich fortgesetzt. Auch sei es weiterhin zu bewaffneten Auseinandersetzungen gekommen. Hilfsgüter können kaum verteilt werden.
  • Die UN-Kulturorganisation UNESCO appellierte an die USA und Großbritannien, die archäologischen Stätten und Museen des Landes vor Plünderungen und Zerstörungen zu schützen.
  • Berater der US-Regierung streuen seit Tagen ein Gerücht, das erklären soll, warum im Irak keine Massenvernichtungswaffen gefunden wurden. Die chemischen Waffen z.B. seien alle nach Syrien gebracht worden, heißt es. Auch hielten sich irakische Spitzenkräfte des Biowaffenprogramms in Damaskus auf. Der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) hat für solche Gerüchte allerdings keinen Beleg. Vielmehr wird darauf hingewiesen, dass solche Thesen, Saddam schaffe verbotene Waffen ins Ausland, schön früher des öfteren auftauchten, z.B. 1998. Damals behauptete die "Task Force Terrorismus und unkonventionelle Kriegführung" des US-Repräsentantenhauses in einer Studie, Saddam hätte Waffen nach Sudan und Libyen geschafft. Die Süddeutsche Zeitung stellt nun dazu fest: "Inzwischen sind Mitglieder der einstigen Task Force wichtige Räder im Apparat der Regierung des Republikaners George W. Bush und die alten Muster werden recycelt." (SZ, 14.04.2003)
  • Die Finanzminister der G7-Staaten haben sich am Wochenende auf kein gemeinsames Vorgehen beim Wiederaufbau des Irak einigen können. Die Forderung der USA nach einem umfangreichen Schuldenerlass für den Irak wurde von den europäischen Staaten zurückgewiesen. Die Schuldenfrage, sagte Hans Eichel nach dem Treffen in Washington, müsse nach den Regeln des Pariser Clubs behandelt werden. "Wenn ein Land perspektivisch seine Schulden bedienen kann, muss es das auch machen".
  • In aller Welt demonstrierten am Wochenende wieder Hunderttausende gegen den Golfkrieg. Demos gab es in London, Paris, Madrid, Rom, Mexiko-Stadt und Dhaka. In Berlin waren es am Samstag nach Polizeiangaben 15.000, die für "Frieden statt Besatzung" auf die Straße gingen. Zehntausende (nach Angaben der Veranstalter: 150.000!) gedachten in London mit einer Schweigeminute der Opfer des Krieges. Zehntausende waren es auch in Rom und in Washington. In der Hauptstadt von Bangladesch (Dhaka) protestierten 50.000 gegen den Kieg.
Montag, 14. April
  • Am Montag sind US-Soldaten ins Zentrum von Tikrit eingerückt und haben den Präsidentenpalast von Saddam Hussein in dessen Heimatstadt besetzt. Der Einmarsch von 3.000 Marine-Infanteristen wurde aus der Luft von Kampfflugzeugen und Hubschraubern unterstützt. Ein Militärsprecher sagte, dies sei der Beginn einer neuen Phase des Krieges, in der es nur noch vereinzelte Gefechte geben werde.
  • In Bagdad begannen irakische Freiwillige mit US-Soldaten auf Streife zu gehen. 2.000 sollen dem Aufruf der USA gefolgt sein und sich gemeldet haben. Wie es hieß, dürften die Irakis zunächst keine Waffen tragen. Ähnlich verfahren die Briten in Basra. Gemeldet wurde, dass die Plünderungen in Bagdad nachließen. Auch sollen erstmals wieder Busse gefahren sein. Andererseits ging die Islamische Bücherei der Hauptstadt in Flammen auf.
  • Die EU, die Türkei und die Arabische Liga riefen unabhängig voneinander die USA zu Zurückhaltung auf, was ihre Angriffe gegen Syrien betrifft. Syrien selbst hatte die Vorwürfe des US-Präsidenten vom Vortag, Syrien verfüge über Massenvernichtungswaffen und nehme Führungsmitglieder der irakischen Regierung auf, zurückgewiesen. "Es gab niemals eine Zusammenarbeit zwischen Damaskus und Bagdad", erklärte das syrischen Außenministerium. Der deutsche Außenminister Fischer sagte am Rande eines Treffens der EU-Außenminister in Luxemburg, es dürfe keine neue Konfrontation geben. "Wir sollten uns darauf konzentrieren, den Frieden zu gewinnen". Der britische Außenminister Jack Straw versicherte, Syrien sei kein Ziel für einen möglichen US-Angriff nach dem Ende des Irakkriegs.
  • Die Regierung in Teheran will Mitglieder der entmachteten irakischen Regierung festnehmen und vor Gericht stellen, falls sie nach Iran flüchten. Das Regime in Bagdad habe Verbrechen gegen die iranische Nation verübt, sagte ein Sprecher des Außenministeriums. Z.B. wird Saddam Hussein vorgeworfen, er habe im ersten Golfkrieg (1980-1988) den Einsatz von Chemiewaffen gegen iranische Soldaten befohlen.
  • Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" (RSF) hat sich besorgt darüber geäußert, dass Sicherheitskräfte des Senders CNN mit einer automatischen Waffe das Feuer bei einem Schusswechsel erwidert hätten. Dies sei ein gefährlicher Präzedenzfall. Es bestehe die Gefahr, dass Kriegsteilnehmer künftig Pressefahrzeuge grundsätzlich als bewaffnet einstuften. Journalisten sollten sich zwar schützen, z.B. durch kugelsichere Westen. Sie sollten aber auf bewaffnete Dienste verzichten, meint RSF.
Dienstag, 15. April
  • Die militärische Phase neige sich im Irak dem Ende zu, jetzt beginne der Wiederaufbau, sagte der britische Außenminister Jack Straw am Dienstag in Katar. Dabei würden die UN eine wichtige Rolle spielen. Dies hänge aber davon ab, in welchem Ausmaß die Mitglieder des UN-Sicherheitrats einen "konstruktiven Ansatz" erkennen ließen.
  • In Bagdad und Basra mussßten die Menschen immer noch ohne Strom und Wasser auskommen. Die medizinische Versorgung lag ebenfalls weitgehend brach.
  • Am Dienstag sind im Irak bei Demonstrationen und Plünderungen mindestens 14 Menschen getötet und Dutzende verletzt worden. Zehn Personen wurden nach Angaben des Senders Al Dschasira bei einer Demonstration in Mossul getötet. US-Soldaten sollen das Feuer eröffnet haben, als eine Menschenmenge gegen die neue Zivilverwaltung protestierte.
  • In Bagdad suchten am Dienstag US-Soldaten nach paramilitärischen Kämpfern. Sie stürmten u.a. ein Stockwerk im Hotel "Palestine", in dem sich viele ausländische Journalisten aufhielten, und nahmen vier Iraker fest.
  • Noch in dieser Woche wollen die USA zwei Flugzeugträger-Verbände aus der Golfregion abziehen. Die "Kitty Hawk" und die "Constellation" mit etwa 160 Kampfflugzeugen sollen nach Japan und Kalifornien zurückkehren.
  • Die USA und Großbritannien verstärken ihren Druck auf Syrien. Der britische Außenminister Jack Straw forderte, die syrische Regierung müsse einige wichtige Fragen beantworten, so die Frage "der chemischen Waffen" und die Frage, ob sie irakische Regierungsmitglieder bei sich aufgenommen habe.
  • Am Dienstag haben die USA bekannt gegeben, dass sie eine Öl-Pipeline von Irak zu einer Raffinerie in Banjas in Syrien stillgelegt haben. Über diese Pipeline bezog Syrien auch während des Embargos billiges Öl aus dem Irak.
  • Die USA haben Dänemark gebeten, die Leitung der geplanten internationalen Ordnungskräfte für den Irak zu übernehmen. Die rechtsliberale Regierung Regierung hat bereits die Entsendung von 380 Soldaten, Polizisten und anderen Hilfskräften zur Friedensicherung im Irak geplant.
  • Der italienische Außenminister Franco Frattini hat angekündigt, mehrere Tausend Soldaten in den Irak schicken zu wollen, um nach dem Krieg bei der Wiederherstellung der Ordnung zu helfen. Die Rede ist von 2.500 bis 3.000 Soldaten des Heeres und der Marine. Sie hätten aber keinen Kampfauftrag.
  • Am Dienstag berieten erstmals rund 100 Kurden, Schiiten und Sunniten, darunter etliche Exil-Iraker, über die politische Neuordnung des Landes. Das Treffen wurde von den USA einberufen und fand in Ur statt. Begleitet wurde das Treffen von Boykottaufrufen. Z.B. lehnt die größte schiitische Oppositionsgruppe ihre Teilnahme aus Protest gegen die geplante Interimsverwaltung unter Leitung des früheren US-Generals Jay Garner ab. Dies sei ein Rückschritt in die Zeit des Kolonialismus, sagte Abdul Asis Hakim, ein Führer des Obersten Rates der Islamischen Revolution im Irak. Auch der Chef der Oppositionsgruppe Irakischer Nationalkongress, Ahmed Chalabi, schickte nur einen Vertreter. - In Nassirijah protestierten 20.000 Menschen gegen das Treffen in Ur.
  • Am Dienstagabend hat der französische Präsident Jaques Chirac etwa 20 Minuten lang mit US-Präsident Bush telefoniert und Frankreichs Hilfe beim Wiederaufbau des Irak angeboten.
  • Bei einem Treffen zwischen Bundeskanzler Schröder und dem britischen Premier Blair in Hannover waren sich beide Regierungschefs offenbar darin einig, dass die UN eine wichtige Rolle beim Wiederaufbau des Irak spielen solle. Wie diese Rolle aber im einzelnen aussehen könne, müsste aber noch zwischen den Kriegsalliierten und den UN vereinbart werden, sagten beide. Blair und Schröder erklärten auch, ihre Meinungsverschiedenheiten wegen des Kriegs begraben zu wollen. Auch sollten die Beziehungen zu den USA wieder von Zusammenarbeit geprägt sein.
Mittwoch, 16. April
  • Bei der Konferenz von irakischen Oppositionsgruppen mit dem künftigen US-Verwalter Jay Garner wurde ein 13-Punkte-Plan verabschiedet. Darin wird u.a. betont, dass die neue Regierung nicht von außen bestimmt werden dürfe, sondern die Iraker ihre neue Regierung selbst bestimmen müssten. Der US-Sonderbeauftragte Zalmay Khalilzad sagte, die USA hätten kein Interesse, den Irak zu regieren. In den 13 Punkten heißt es u.a., dass der Irak demokratisch regiert werden müsse und die Stammeszugehörigkeit bei der Regierungsbildung keine Rolle spielen dürfe. Dem Irak dürfe von den USA kein politischer Führer aufgezwungen werden. Die bislang regierende Baath-Partei solle aufgelöst werden. Außerdem wurden die Plünderungen verurteilt. In zehn Tagen soll die nächste Konferenz stattfinden.
  • Am Mittwoch wurde bekannt, dass es in Mosul zu einem sehr schweren Zusammenstoß gekommen war, als US-Soldaten sieben Stadtbewohner erschossen und elf weitere verletzten, die ein Regierungsgebäude stürmen wollten. Auch in Bagdad hielten die Plünderungen an. Auf dem Messegelände stürmten Hunderte von Menschen mehrere Lagerhäuser und schleppten Säcke mit Zucker, Tee und Mehl in öffentliche Busse.
  • Die Kriegsallianz-Streitkräfte begannen mit dem Aufbau eines provisorischen Mobilfunknetzes für Notdienste.
  • Im Westirak ergab sich unterdessen die 12. Irakische Brigade. Bei der Kapitulation fielen den Kriegsstreitkräften 40 Panzer und nahezu 1.000 Waffen in die Hände.
  • Nach einem Treffen von 22 Ländern der Arabischen Gruppe in den Vereinten Nationen erklärte Syrien, es werde dem UN-Sicherheitsrat eine Resolution vorlegen, wonach der Nahe Osten zu einer Region frei von Massenvernichtungswaffen erklärt werden solle. Syrien werde den internationalen Konventionen zu biologischen und chemischen Waffen beitreten, falls Israel das auch tue. Den Atomwaffensperrvertrag hat Syrien bereits unterzeichnet - Israel nicht.
  • Beim EU-Sondergipfel gab es den Zeitungsberichten zufolge eine Annäherung zwischen den bisherigen Kriegsgegnern und -befürwortern. Alle Staaten waren sich wohl darin einig, dass die Vereinten Nationen eine zentrale Rolle beim Wiederaufbau des Irak spielen müssten. Tony Blair und Jaques Chirac nutzten den Gipfel zu einem persönlichen Gespräch.
  • Nach Angaben des Pentagon haben die USA für den Irakkrieg bisher mindestens 20 Mrd. US-Dollar ausgegeben. Kosten in ähnlicher Höhe seien in den nächsten fünf Monaten zu erwarten, sagte der Haushaltschef des US-Verteidigungsminisetriums, Dov Zakheim, am Mittwochn in Washington. Zusätzlich würde fünf bis sieben Mrd. Dolar benötigt, um die4 US-Truppen wieder in die Heimatstützpunkte zurück zu bringen.


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