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16. - 19. März 2003

Irak: Chronik eines angekündigten Krieges

  • Der Krisengipfel Bushs mit dem britischen Premier Tony Blair und Spaniens Regierungschef José María Aznar am 16. März wurde vom Weißen Haus im Vorfeld als "letzte Etappe" der Diplomatie bezeichnet. Britische und US-Zeitungen spekulierten darüber, dass der "Kriegsrat" Vorbote eines Krieges sei.
    Irak lud am 16. März die Leiter der UN-Kontrollmission (UNMOVIC), Hans Blix und Mohamed el Baradei, zu einem dringenden Besuch nach Bagdad ein. Die Chefinspekteure wollen am 17. März mit dem UN-Sicherheitsrat über die Einladung der irakischen Führung beraten.
    Die Entscheidung über einen möglichen Irak-Krieg rückt näher. US-Präsident George W. Bush bezeichnete den (morgigen) Montag (17. März) als "Moment der Wahrheit für die Welt". Der Weltsicherheitsrat erhalte eine letzte Chance, "seine Arbeit zu erledigen" und Irak ein Ultimatum zu stellen, sagte Bush nach dem Krisengipfel mit dem britischen Premierminister Tony Blair und dem spanischen Ministerpräsidenten Jose Maria Aznar am Abend des 16. März auf den Azoren. Andernfalls würden die USA ohne UN-Mandat gegen Irak vorgehen. Der irakische Präsident Saddam Hussein könne ins Exil gehen, falls er am Frieden interessiert sei, sagte Bush. "Wir werden morgen viel mit unseren Partnern telefonieren", kündigte der US-Präsident an. Blair sprach von einer letzte Hoffnung auf "eine starke, einheitliche Botschaft im Namen der internationalen Gemeinschaft". Diese Botschaft müsse ein Ultimatum an Irak enthalten und den Einsatz von Gewalt rechtfertigen, falls Saddam Hussein die Frist nicht einhalte.
    Blair, Aznar und Bush erklärten nach dem Gipfeltreffen, sie strebten noch wie vor eine neue Irak-Resolutions den UN-Sicherheitsrats an. Eine Mehrheit für einen kriegslegitimierenden Entwurf ist jedoch unwahrscheinlich. Bush und Blair betonten erneut, dass bereits die Resolution 1441 zu einem Angriff auf Irak berechtige. In dem Resolutionstext wird mit "schwerwiegenden Konsequenzen" gedroht, falls Irak nicht vollständig mit den UN-Waffeninspektoren kooperiert. Dieser Fall sei eingetreten, "das bestreiten nicht einmal die Sicherheitsratsmitglieder, die anderer Meinung sind als wir." (Siehe die Erklärung "Eine Vision für Irak und das irakische Volk" im Wortlaut.)
    Kurz vor dem Krisengipfel hatten die USA ein indirektes Angebot Frankreichs zurückgewiesen, sich auf eine verkürzte letzte Frist zur Abrüstung Iraks zu einigen. Der französische Staatspräsident Jacques Chirac war von seiner bisherigen Forderung einer 120-Tage-Frist für die Abrüstung Iraks abgerückt und hatte angekündigt, im Einverständnis mit den UN-Inspektoren würde er auch einer 30-Tage-Frist zustimmen. "Ein Monat, zwei Monate, ich bin bereit, jede Übereinkunft zu akzeptieren, die die Zustimmung der UN-Inspektoren hat", sagte Chirac am 16. März in Paris.
  • Die Vereinten Nationen haben am 17. März damit begonnen, ihre letzten noch verbleibenden Beobachter aus der entmilitarisierten Zone zwischen Irak und Kuwait abzuziehen. Sie sollen zunächst nach Kuwait-Stadt gebracht werden, sagte ein Sprecher der Beobachtermission UNIKOM. Die Sicherheitsstufe Fünf, bei der die UN- Mitarbeiter das Emirat ganz verlassen müssen, sei noch nicht erreicht. Letzte Woche hatten sich die Beobachter zunächst nur von der irakischen Seite der entmilitarisierten Zone zurückgezogen.
    Die USA haben den Vereinten Nationen (UNO) empfohlen, ihre Waffeninspektoren aus Irak abzuziehen. Die Empfehlung sei an die Internationale Atomenergie-Behörde (IAEA) und auch an die Waffeninspektoren unter Leitung von Hans Blix (UNMOVIC) gerichtet gewesen, sagte der IAEA-Direktor Mohamed ElBaradei am 17. März laut Redetext bei einem Treffen des IAEA-Gouverneursrats in Wien. Ihm sei von Vertretern der US-Regierung am späten Sonntagabend geraten worden, die Inspektoren aus Bagdad abzuziehen. ElBaradei sagte, er habe sofort den UNO-Sicherheitsrat und UNO-Generalsekretär Kofi Annan informiert. Wie aus UNO-Kreisen verlautete, halten sich derzeit etwa 135 Inspektoren der UNO in Irak auf.
    dpa meldete um 16.21 Uhr: Die UN ziehen ihre Waffeninspekteure aus dem Irak ab. Darauf haben sich nach der Warnung der USA UN-Generalsekretär Kofi Annan und Chefinspekteur Hans Blix verständigt. Das verlautete am 17. März aus diplomatischen Kreisen. Annan wollte den Sicherheitsrat noch am selben Tag über den Abzug der Inspekteure aus Sicherheitsgründen informieren.
    Über die von den USA, Großbritannien und Spanien vorgeschlagene neue Irak-Resolution wird nach britischen Angaben am 17. März im UNO-Sicherheitsrat nicht abgestimmt. Damit beendeten die drei Länder ihre diplomatischen Bemühungen, die Zustimmung des Sicherheitsrates für eine Resolution zu gewinnen und so einen Militärschlag gegen Irak mit Billigung der UNO zu führen. Ein Konsens im Sicherheitsrat sei nicht möglich, sagte der britische UNO- Botschafter Jeremy Greenstock unmittelbar bevor eine Sitzung des Gremiums in New York beginnen sollte. (Reuters)
    US-Präsident George W. Bush will sich nach Informationen des Senders CNN um 02.00 Uhr (MEZ) am 18. März (20.00 Uhr Ortszeit am 17. März) in einer Rede an die Nation wenden. Darin wird er Saddam Hussein und seinem engsten Mitarbeiterstab eine letzte Frist einräumen, das Land zu verlassen. CNN bezog sich auf Angaben des Bush-Sprechers Ari Fleischer.
    Anti-Kriegs-Demonstranten haben am 17. März nach Angaben von Händlern die Internationale Warenterminbörse (IPE) in London erstürmt, an der die europäischen Öl-Terminkontrakte gehandelt werden. Die Demonstranten hätten den Betrieb gestört, sagte ein Händler. "Wir haben den Handel unterbrochen." Ein Börsensprecher war zunächst nicht zu erreichen.
    Bundeskanzler Gerhard Schröder sieht keine Notwendigkeit, den Bundestag bei einem Irak-Krieg über den Verbleib deutscher Soldaten in der Krisenregion entscheiden zu lassen. Dies gelte sowohl für die AWACS- Aufklärungsflieger der NATO in der Türkei als auch für die Fuchs-Spürpanzer in Kuwait, sagte Schröder am 17. März.
    Aus Protest gegen den Irak-Kurs von Premierminister Tony Blair ist der Unterhausführer im britischen Kabinett und frühere Außenminister Robin Cook zurückgetreten. Cook habe dem Regierungschef die Gefolgschaft am 17. März vor einem Kabinettstreffen aufgekündigt, teilte das Büro Blairs mit.
    US-Präsident George W. Bush hat Australien gebeten, sich an der "Koalition der Willigen" in einem Krieg gegen Irak zu beteiligen. Das teilte der australische Ministerpräsident John Howard am 17. März in Canberra mit. Howard sagte in einem Rundfunkinterview, sein Kabinett werde am 18. März über die US-Bitte beraten. Australien hat bereits 2.000 Soldaten in der Golfregion stationiert, bislang aber noch nicht formell entschieden, ob es sich an einem Golfkrieg beteiligen werde. "Wenn das Kabinett entschieden hat, wird diese Entscheidung sofort den Vereinigten Staaten und unseren Streitkräften mitgeteilt", sagte Howard. Er sei der Auffassung, dass ein Krieg nach den bestehenden Sicherheitsresolutionen rechtmäßig sei.
    US-Präsident George W. Bush hat den irakischen Präsidenten Saddam Hussein und seine Söhne ultimativ aufgefordert, ihr Land binnen 48 Stunden zu verlassen. Wenn sie sich weigerten, würden die USA zu einem Zeitpunkt ihrer Wahl militärisch einschreiten, sagte Bush in einer Fernsehansprache am 17. März (Ortszeit) an die Nation. Er forderte UN-Waffeninspekteure und Journalisten auf, Irak umgehend zu verlassen. Auf die Frage nach dem Zeitpunkt des Kriegsbeginns sagte der republikanische Senator John Warner nach einem Gespräch im Weißen Haus, Bush werde Ende der Woche dazu eine weitere Ansprache halten.
    Australien kündigte am 17. März an, seine bereits in der Golfregion stationierten Soldaten würden sich an einem von den USA angeführten Krieg beteiligen. Polen will bis zu zweihundert Soldaten an den Golf entsenden, darunter eine ABC-Abwehreinheit.
    Kanada wird sich nicht an einem Krieg gegen Irak ohne Mandat der Vereinten Nationen beteiligten. Unter dem Applaus der Abgeordneten des Unterhauses sagte der kanadische Ministerpräsident Jean Chretien am 17. März in Ottawa, Kanada verlange für eine Beteiligung die Zustimmung des Weltsicherheitsrates. Der Rat habe sich in den vergangenen Wochen nicht auf eine entsprechende Resolution einigen können. Kanada habe sich dabei erfolglos um eine Kompromisslösung bemüht.
  • Iraks Präsident Saddam Hussein hat die Aufforderung der USA zu einem Machtverzicht am 18. März zurückgewiesen. Das staatliche irakische Fernsehen zeigte Saddam in Militäruniform auf einer Kabinettssitzung. Dazu wurde eine Erklärung verlesen, laut der alle Söhne Iraks bereit sind, zu kämpfen und den Aggressor zurückzuschlagen. "Irak wählt seinen Weg nicht auf Befehl eines Ausländers und wählt seine Führer nicht auf der Grundlage einer Anordnung Washingtons, Londons oder Tel Avis", hieß es. Der Sohn Saddams, Udai Hussein, drohte den USA im Falle eines Angriffs zudem mit einer blutigen Schlacht.
    Die USA werden selbst im Falle einer freiwilligen Amtsaufgabe von Saddam Hussein in Irak einmarschieren. US-geführte Truppen würden auch das Land besetzen, falls die Herrscherfamilie ins Exil gehe, sagte der Sprecher von US-Präsident George W. Bush, Ari Fleischer, am 18. März im Weißen Haus in Washington. Aufgabe der Soldaten sei es, nach Massenvernichtungswaffen zu suchen. Fleischer äußerte sich im Anschluss an einen "Kriegsrat", an dem neben US-Präsident George W. Bush auch Vize-Präsident Dick Cheney, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und Generalstabschef Richard Myers teilnahmen. Bei dem Treffen sei ein "möglicher Krieg" vorbereitet worden, sagte Fleischer.
    Chirac und Schröder wandten sich am 18. März erneut mit Nachdruck gegen einen Krieg. Der Grad der gegenwärtigen Bedrohung durch Irak rechtfertige nicht den Tod tausender Kinder, Frauen und Männer, sagte Schröder. Chirac unterstrich, dass die USA gegen den Willen der Welt und ohne die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft handelten. Er warnte die USA, dass sie sich eine schwere Verantwortung aufladen, wenn sie einer "Legitimierung durch die Vereinten Nationen ausweichen und Gewalt über Gerechtigkeit stellen". Nur der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UNO) habe die Befugnis, Gewaltanwendung zu rechtfertigen.
    "Wenn Saddam Hussein biologische oder chemische Waffen einsetzen würde, würde dies für Präsident (Jacques) Chirac und die französische Regierung die Lage vollständig ändern", sagte Frankreichs Botschafter Jean-David Lévitte am 18. März im US-Nachrichtensender CNN. Die irakische Regierung hatte zuvor Vorwürfe des US-Verteidigungsministeriums zurückgewiesen, sie habe Einheiten der Republikanischen Garden mit chemischen Waffen (C-Waffen) ausgerüstet.
    In einer Sondersitzung zur Irak-Krise stimmte das Londoner Unterhaus am späten Abend des 18. März mehrheitlich für einen Antrag der Labour-Regierung, nach dem zur Entwaffnung Iraks "alle notwendigen Mittel" eingesetzt werden dürfen. Nach knapp zehnstündiger Sitzung stimmten 412 britische Abgeordnete für den Regierungsantrag, 149 dagegen. Zuvor hatte das Unterhaus einen Antrag der Kriegsgegner in der regierenden Labour-Partei abgelehnt, die keinen ausreichenden Grund für einen Krieg sehen. Der Antrag war allerdings von 138 Abgeordneten der Labour-Partei unterstützt worden. Das Votum gilt als neuer Rückschlag für Blair und seine Irak-Politik. Drei Regierungsmitglieder nahmen deshalb bereits ihren Hut.
    Saudi-Arabien lehnte eine militärische Beteiligung an einem Irak-Krieg ab. Sein Land werde sich "unter keinen Umständen" an einem Krieg "gegen das Bruderland Irak" beteiligen, sagte der saudische Krinprinz Abdullah bin Abdul Asis am 18. März in einer Fernsehansprache.
    Belgien wird den USA nun doch auch im Kriegsfall Überflug- und Transitrechte gewähren. Ministerpräsident Guy Verhofstadt nahm am 18. März eine anders lautende Ankündigung von Verteidigungsminister Andre Flahaut vom Wochenende zurück. "Die USA agieren nicht innerhalb internationaler Abmachungen", erklärte Verhofstadt. "Der beste Weg, dies deutlich zu machen, ist sicherzustellen, dass wir genau dies tun." Belgien sei als NATO-Mitglied verpflichtet, den USA solche Rechte zu gewähren. Zudem sei dies auch Bestandteil bilateraler Abkommen. In den vergangenen Wochen haben die USA mehrmals Militärgerät von Stützpunkten in Deutschland in die belgische Hafenstadt Antwerpen transportiert, um diese dann von dort aus in Richtung Golf zu verschiffen.
    US-Präsident George W. Bush hat sich nach Ansicht des ehemaligen UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali* mit seiner Kriegsdrohung von den Vereinten Nationen abgewendet. Boutros-Ghali sagte am 18. März in Kanada, Bush habe mit dieser Abkehr einen grossen Fehler gemacht und die Vereinten Nationen geschwächt. Er glaube jedoch, dass die UN auch diese Krise wie schon viele andere überstehen würden, sagte Boutros-Ghali. "Die internationale Gemeinschaft ist sich der Bedeutung der Vereinten Nationen bewusst", erklärte er weiter. Seine Sorge gelte der irakischen Bevölkerung, die schon so viel erlitten habe.
    * Boutros-Ghali ist der Vorgänger von UN-Generalsekretär Kofi Annan. Er hatte das Amt von 1992 bis 1996 inne.
  • Der UN-Sicherheitsrat berät am 19. März in New York auf Außenminister-Ebene über die Irak-Krise. Wie aus Pariser Diplomatenkreisen verlautete, soll bei dem Treffen des höchsten UN-Gremiums nach dem US-Ultimatum an Bagdad die Lage "vor einem nicht erlaubten Krieg" zur Sprache kommen. Zudem sollten die kommenden Herausforderungen an die Vereinten Nationen beraten werden. An der Beratung nimmt neben Frankreichs Ressortchef Dominique de Villepin und dem russischen Außenminister Igor Iwanow auch Bundesaußenminister Joschka Fischer teil. Der US-Außenminister Colin Powell und sein britischer Kollege Jack Straw wollen der Sitzung dagegen fernbleiben.
    Der Golfstaat Bahrain hat dem irakischen Machthaber Saddam Hussein Asyl angeboten. König Hamad bin Issa el Chalifa habe sich zur Aufnahme des irakischen Staatsoberhauptes bereit erklärt, meldete die staatliche Nachrichtenagentur BNA am 19. März. Saddam Hussein sei eingeladen, in Bahrain "in allen Ehren" zu wohnen, "ohne dass sich dies auf die Handlungsfähigkeit und den Status Iraks auswirkt".
    US-Soldaten sollen am 19. März von Kuwait aus in die entmilitarisierte Zone an der Grenze zum Irak eingedrungen sein. Das berichtet der arabische Sender El Dschasira. Die britischen Sender BBC und Sky News melden unter Berufung auf "Sicherheitsquellen aus Kuwait", an dem Vormarsch seien britische Soldaten beteiligt gewesen. Die Meldung wurde aber am selben Tag sowohl von den US- als auch den britischen Streitkräften dementiert. Die entmilitarisierte Zone ist 15 km breit.
    An der kuwaitisch-irakischen Grenze haben sich am 19. März nach Angaben eines US-Offiziers 15 Iraker ergeben. Hauptmann Darren Theriault erklärte vor Journalisten, die Männer seien in kuwaitisches Gewahrsam überstellt worden. Ein kuwaitischer Regierungsvertreter, der nicht genannt werden wollte, sagte, nur drei oder vier irakische Soldaten hätten sich ergeben. Sie hätten sich dem kuwaitischen Heer gestellt.



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