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1. - 15. März 2003

Irak: Chronik eines angekündigten Krieges

  • US-Präsident George W. Bush spricht, als sei ein Krieg gegen den Irak schon beschlossene Sache: In seiner wöchentlichen Radioansprache sagte er am 1. März: "Die USA werden die Führung bei der Zerstörung der chemischen und biologischen Waffen übernehmen". Er bekräftige die Entschlossenheit Washingtons, für die vollständige Entwaffnung des Irak zu sorgen. Nach drei Jahrzehnten Diktatur und Krieg sei es aber wahrscheinlich nicht einfach, dem Irak zur Freiheit zu verhelfen.
    Das türkische Parlament hat den Vorbreitungen der USA auf einen möglichen Irak-Krieg einen Rückschlag versetzt. In der Nationalversammlung in Ankara gab es am 1. März keine ausreichende Mehrheit für den Wunsch Washingtons auf Stationierung von 62.000 amerikanischen Soldaten in der Türkei. Obwohl 264 Abgeordnete für und nur 250 gegen die Stationierung stimmten, erzielten die Befürworter wegen 19 Enthaltungen doch nicht die nötige Mehrheit. Die türkische Verfassung fordert für die Verabschiedung einer Vorlage deren Billigung durch eine Mehrheit der Anwesenden. - Der US-Botschafter Robert Pearson äußerte sich enttäuscht. "Wir hatten natürlich auf eine positive Entscheidung gehofft", sagte er. Das Weiße Haus in Washington nahm zu der Entwicklung zunächst nicht offiziell Stellung. Regierungsvertreter ließen jedoch durchblicken, dass die Regierung überzeugt sei, letztlich eine Entscheidung in ihrem Sinne zu bekommen. Im Gegenzug für die Stationierung der Soldaten stellten die USA der Türkei finanzielle Hilfe in Höhe von rund 15 Milliarden Dollar in Aussicht. Während der Debatte der Abgeordneten demonstrierten rund 50.000 Menschen nahe dem Parlamentsgebäude gegen einen Irak-Krieg. Umfragen zufolge lehnen mehr als 80 Prozent der Türken eine militärische Lösung ab.
    Die USA wollen nach den Worten von US-Außenminister Colin Powell den UN-Rüstungsinspektoren mehr Zeit geben und wollen auch nicht sofort über eine Resolution im Sicherheitsrat abstimmen lassen, die den Weg für ein militärisches Vorgehen ebnen würde. Powell sagte in einem am 1. März ausgestrahlten Interview des Senders RFI: "Wir haben noch nicht um eine Abstimmung (über eine zweite Resolution) gebeten, weil wir noch immer nach einer friedlichen Lösung suchen." Den Inspektionen werde, wie von vielen gefordert, mehr Zeit eingeräumt, sagte Powell weiter. Sehr lange dürfe dieser Prozess allerdings nicht mehr andauern, fügte er hinzu. In der Resolution 1441 werde nur ein Ziel verfolgt: Die Abrüstung Iraks. "Ich muss aber dennoch sagen, dass, wenn wir Irak nicht dazu zwingen können, seinen Verpflichtungen nachzukommen, ein militärisches Vorgehen erforderlich wird, um dieses Regime zu stürzen und Massenvernichtungswaffen zu zerstören."
    Russland begrüßte umgehend Powells Äußerungen; der stellvertretende russische Außenminister Juri Fedotow sagte, dies schaffe den verschiedenen Sicherheitsratsmitgliedern eine notwendige Atempause in dem Bemühen, "ihre Positionen zur Lösung des Irak-Konflikts anzunähern".
    Mit der Zerstörung verbotener Samud-Raketen kam Irak in letzter Minute einer Forderung der UN-Waffeninspektoren nach. UN-Sprecher Hiro Ueki bestätigte die Verschrottung von vier Samud-Raketen am 1. März und die Fortsetzung am 2. März. Nach UN-Angaben zerstörten die Inspektoren auch eine Fabrikationsanlage südlich von Bagdad, wo Bauteile der Raketen gefertigt worden waren.
  • Irak hat nach eigenen Angaben den Verbleib bislang unentdeckter Bestände chemischer und biologischer Kampfstoffe geklärt. Bislang vermisste große Mengen des Milzbranderregers sowie des Nervengases VX seien aufgespürt worden, teilte der Berater für Abrüstungsfragen von Saddam Hussein, Amer el Saadi, am 2. März in Bagdad mit. Saadi sagte, es seien Bomben mit Anthrax entdeckt worden. An anderer Stelle hätten sich Hinweise auf die Vernichtung von 1,5 Tonnen VX gefunden. Weiter betonte der Präsidentenberater, Irak sehe keine Notwendigkeit für eine weitere Abrüstung, wenn die Vereinigten Staaten "nicht die legalen Wege" respektierten.
    Die Staatschefs der 22 Mitglieder der Arabischen Liga haben zum Abschluss ihres Gipfels am 2. März einmütig einen Militärschlag gegen Irak abgelehnt. Ein Aufruf der Vereinigten Arabischen Emirate zu einem Rücktritt Saddam Husseins fand auf dem Gipfel keine Unterstützung.
  • Der Ölpreis ist am 3. März merklich gesunken, nachdem die jüngsten irakischen Zugeständnisse gegenüber den Vereinten Nationen (UNO) zu Spekulationen über die Verschiebung eines Irak-Kriegs geführt hatten.
    Binnen einer Woche will die irakische Regierung den Vereinten Nationen einen weiteren Bericht über den Verbleib der biologischen (v.a. Milzbrand-Erreger) und chemischen Waffen (Nervengas VX) vorlegen, hieß es am 3. März in Bagdad.
    Die Zerstörung von Al-Samoud-2-Raketen ging am 3. März weiter. Acht Raketen sollen es an diesem Tag gewesen sein.
    Friedensaktivisten aus dem Westen, die sich dem Irak als menschliche "Schutzschilder" angeboten hatten, haben sich am 3. März wieder auf den Heimweg gemacht, da sie um ihre Sicherheit fürchten.
    In London landeten am 3. März die ersten von insgesamt 14 erwarteten US-Kampfbomber des Typs B-52.
  • Kanadas UN-Botschafter Paul Heinbecker traf sich am 4. März mit Vertretern der zehn nichtständigen UN-Sicherheitsrats-Mitgliedern zu informellen Gesprächen. Kanada möchte eine Kompromissresolution im Sicherheitsrat einbringen. Darin soll dem Irak ein Ultimatum bis zum 28. März gestellt werden, bis zu dem eine Reihe klarer, nachprüfbarer Abrüstungsauflagen zu erfüllen seien.
    Die Irakis zerstörten unter Aufsicht der UN-Kontrolleure am 4. März drei weitere Al-Samoud-2-Raketen sowie Abschussvorrichtungen.
  • Wenn eine Entwaffnung auf friedlichem Wege nicht möglich sei, würden die USA eine "Koalition der Willigen" anführen, um Irak mit Gewalt zu entwaffnen - "mit oder ohne die Unterstützung der UNO", sagte Powell dem russischen Fernsehen am 5. März.
    Deutschland, Frankreich und Russland lehnen derweil eine neue UN-Resolution ab und dringen weiter auf eine friedliche Abrüstung. Dies sagte der französische Außenminister Dominique de Villepin nach einem Treffen mit seinen Kollegen Joschka Fischer und Igor Iwanow am 5. März in Paris. Nach Angaben des Pariser Präsidialamtes hielten der französische Staatschef Jacques Chirac und sein russischer Kollege Wladimir Putin am Vorabend in einem Telefonat fest, sie verfolgten in der Irak-Krise weiter "denselben Ansatz": Beide träten "für eine Abrüstung Iraks in Frieden" ein. Russlands Botschafter in Paris betonte, sein Land tue "alles, um die Einheit des Sicherheitsrates zu erhalten". Die Chancen für einen Kompromiss seien aber "minimal".
    Neun deutsche Hilfsorganisationen haben vor einer Hungerkatastrophe in Irak gewarnt, falls der Krieg beginnt. In der Region gebe es zu wenig humanitäre Hilfskapazitäten, erklärte die Aktion "Deutschland Hilft" am 5. März in Köln. Besonders gefährdet seien im Kriegsfall über vier Millionen Kinder unter fünf Jahren. "Jedes dritte irakische Kind wäre bei einer kriegsbedingten Nahrungskrise akut in Lebensgefahr", hieß es. Im Kriegsfall sind nach Angaben der Hilfsorganisationen bis zu zehn Millionen Menschen mit Nahrungsmitteln und Trinkwasser zu versorgen. In der Aktion "Deutschland Hilft" sind Malteser Hilfsdienst, Die Johanniter, der Arbeiter-Samariter-Bund, die Arbeiterwohlfahrt, der Paritätische Wohlfahrtsverband, sowie die Organisationen ADRA, HELP, CARE und World Vision zusammengeschlossen. Gemeinsam mit einem Großteil der deutschen Hilfsorganisationen bereiten sie sich auf eine gemeinsame Hilfsaktion für die Menschen im Irak vor.
    In der UNO wird bereits über Probleme und deren Lösungen in einem möglichen Nachkriegs-Irak nachgedacht. Eine UN- Sprecherin sagte am 5. März in New York, Generalsekretär Kofi Annan habe eine Arbeitsgruppe damit beauftragt, "Probleme zu identifizieren und entsprechende Lösungsvorschläge zu Papier zu bringen". Die Bundesregierung hat inzwischen Diskussionen über eine deutsche Aufbauhilfe nach einem Krieg abgelehnt. Das wäre ein Eingeständnis, "dass militärische Maßnahmen beschlossene Sache wären", hieß es.
    UNO-Generalsekretär Kofi Annan hat am 5. März darauf verwiesen, dass es keinen Plan der Vereinten Nationen für eine Verwaltung des Irak nach einem Krieg gäbe. Er reagiert mit dieser Stellungnahme auf Medienberichte, wonach die UNO bereits für eine Nachkriegszeit im Irak plane. Natürlich müsse sich die UNO auf die humanitären Folgen vorbereiten und darüber nachdenken, was getan werden müsse, falls es zu einem Krieg komme, sagte Annan. Aber die Organisation habe kein Mandat für weiterreichende Pläne und es gäbe auch weder einen Plan noch ein Dokument zu dieser Frage.
    Mit einem Appell für eine friedliche Beilegung der Irak-Krise hat am 5. März ein Sondergipfel der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) in Doha (Katar) begonnen. Die moslemischen Staaten hätten zwar nicht die "Entscheidungsmacht über Irak", aber sie könnten auf eine friedliche Lösung hinwirken, sagte der Emir von Katar, Scheich Hamad ben Chalifa el Thani, in seiner Eröffnungsrede vor Vertretern aus 55 der 57 Mitgliedstaaten. In einer Videobotschaft äußerte sich Palästinenserpräsident Jassir Arafat, der mangels Rückreisegarantie in die Palästinensergebiete keine Auslandsreisen unternimmt. Die Palästinenser würden die regionalen und internationalen Bemühungen um eine friedliche Lösung unterstützen, sagte er. Arafat rief zur Fortsetzung der UN-Waffeninspektionen auf.
    Kuwait hat die irakische Führung zum Rücktritt aufgefordert. Die Regierung von Präsident Saddam Hussein solle "ein großes Opfer bringen", um der Region einen Krieg zu ersparen. Das sagte Außenminister Scheich Sabah el Ahmed el Sabah beim Sondergipfel der Organisation der Islamischen Konferenz. Kuwait unterstütze den Exil-Vorschlag der Vereinigten Arabischen Emirate. Dieser sieht vor, dass der irakischen Führung zwei Wochen Zeit gegeben wird, um das Land zu verlassen.
    Die überwältigende Mehrheit der Bundesbürger lehnt einen Krieg gegen Irak weiterhin ab. In einer am Mittwoch veröffentlichten Forsa-Umfrage im Auftrag des Magazins "Stern" sprachen sich 86 Prozent gegen ein militärisches Eingreifen der USA aus. Lediglich zehn Prozent befürworteten einen Angriff gegen das Regime des irakischen Machthabers Saddam Hussein, vier Prozent zeigten sich unentschieden. Weniger eindeutig war die Antwort der 1.001 Beteiligten auf die Frage, ob Deutschland an einem von den Vereinten Nationen gebilligten Irak-Krieg teilnehmen sollte. Laut "Stern" sprachen sich 35 Prozent in diesem Fall für den Einsatz deutscher Soldaten aus, ablehnend äußerten sich aber immer noch 61 Prozent.
  • US-Präsident George W. Bush sieht im Irak-Konflikt die "letzte Phase der Diplomatie" gekommen. Am Vorabend (6. März) der UNO-Sicherheitsratsitzung sagte Bush, er erwarte eine Irak-Entscheidung innerhalb der Vereinten Nationen in den kommenden Tagen. Bush wiederholte, er sei entschlossen, einen Krieg gegen den Irak auch ohne Zustimmung des Sicherheitsrats zu führen.
  • Die Bush-Regierung plant nach Medienberichten, Irak nach einem gewonnenen Krieg in drei Verwaltungszonen aufzuteilen. Der Fernsehsender CNN berichtete am 7. März, das Land solle in einen nördlichen, mittleren und südlichen Verwaltungssektor geteilt werden - sobald das US-Militär die Lage unter Kontrolle hat. Der nördliche und südliche Sektor sollen demnach von zwei ehemaligen Generälen verwaltet werden. In Bagdad soll der mittlere Sektor von der früheren US-Botschafterin in Jemen, Barbara Bodine, kontrolliert werden.
    UN-Chefinspektor Hans Blix hat dem UN-Sicherheitsrat am 7. März erneut einen Bericht über die Waffenkontrollen im Irak vorgelegt. Was den Zugang zu Orten angehe, habe es große Fortschritte gegeben, sagte Blix. Anfängliche Schwiergkeiten seien überwunden worden. Die Inspektionen seien nicht reibungsfrei, aber man sei in der Lage, professionelle Ortsinspektionen durchzuführen. Überwachungsflugzeuge lieferten wertvolle Informationen. Irak sollte bald weitere Dokumente zur Verfügung zu stellen, so Blix, bisher gebe es davon zu wenige. Hier müsse es noch Fortschritte geben. Zu der Frage der mobilen Waffenlabore sagte Blix, man habe keine Beweise über verbotene Aktivitäten. Blix kündigte eine Liste der noch offenen Frage an. Man werde noch weitere Zeit brauchen, nicht Jahre aber Monate , sagte Blix.
    US-Außenminister Colin Powell sagte in seiner Antwort auf den Waffenbericht von Hans Blix, trotz gewisser Fortschritte verweigere der Irak immer noch die bedingungslose Kooperation. Irak arbeite nicht zusammen, wenn dies der Fall sei, müsse man nicht nach Waffenlaboren suchen, dann würde Irak diese freiwillig offen legen. Es dürfe nicht an den Inspektoren liegen, die Beweise zu erbringen. Dies müsse von Irak kommen. Die offenen Fragen, die Blix aufgelistet habe, bewiesen, dass Irak nicht kooperiere. Irak versuche immer noch zu täuschen und zu verzögern. Der Irak habe immer noch zehntausende Raketen.
    Außenminister Joschka Fischer sagte nach dem neuen Bericht von UN-Chefinspektor Hans Blix vor dem UN-Sicherheitsrat, Irak habe wichtige Fortschritte gemacht. Er lobte, dass Irak den Sicherheitsrat über die Al-Samoud Raketen informiert habe und diese zerstöre. Es gebe auch große Fortschritte hinsichtlich des irakischen Nuklearprogramms. Die Inspektoren sollten weiter arbeiten können. Es gebe keinen Grund für eine zweite Resolution über kriegerische Reaktionen. Es gebe gute Ergebnisse auf der Grundlage der Resolution 1441.
    Die USA und Großbritannien wollen Irak eine letzte kurze Frist zur Abrüstung einräumen. Das teilten am 7. März Diplomaten am Sitz der Vereinten Nationen in New York mit. Innerhalb dieser Frist müsse das Saddam Hussein vollständig mit den Inspektoren kooperieren. Sollte dies binnen zehn Tage nicht der Fall sein, werde es zum Krieg kommen. Die USA und Großbritannien möchten, dass über eine entsprechende Resolution Anfang kommender Woche abgestimmt wird. Das "Blue Paper" droht nicht erneut mit Krieg, sondern ist trickreich formuliert: Sollte es eine Mehrheit finden, wird der Weltsicherheitsrat beschließen, dass es Irak versäumt haben wird, "die ihm mit der Resolution 1441 (2002) eingeräumte letzte Chance zu nutzen, sofern der Rat nicht am oder vor dem 17. März zu dem Schluss kommt, dass Irak volle, bedingungslose, sofortige und aktive Zusammenarbeit gemäß seinen Abrüstungsverpflichtungen" bewiesen hat. Im neuen Entwurf ist von militärischen Konsequenzen nicht direkt die Rede. Die "Unentschiedenen" könnten die Resolution mit dem Argument billigen: "Ich stimme nicht für Krieg, sondern für Druckerhöhung auf Saddam." Doch um den Automatismus der neuen Resolution zu brechen, müsste eine weitere Resolution eingebracht werden, dass Irak seine Verpflichtungen erfüllt hat - und dagegen könnten die USA und Großbritannien ihr Veto einlegen. (Vgl. den Resolutionsentwurf im Wortlaut.) - Der deutsche Außenminister Joschka Fischer hat den "Kompromissvorschlag" abgelehnt. Es gehe hier nicht um eine diplomatische Übung, sondern um Krieg und Frieden. Nach seinen Worten befinden sich in dem Entwurf zwei Elemente mit entscheidenden Konsequenzen: das kurzfristige Ultimatum und die Umkehrung des Veto-Rechts - denn es müsste positiv beschlossen werden, dass Irak die Anforderungen erfüllt hat. "Beide Elemente werden sehr kurzfristig in eine militärische Aktion führen, und deswegen sehen wir das mit sehr großer Skepsis", sagte Fischer in New York.
    Der stellvertretende russische Außenminister Georgi Mamedow deutete dagegen an, dieser Vorschlag sei möglicherweise zustimmungsfähig.
  • Die USA haben den Sicherheitsrat aufgefordert, bis spätestens Dienstag über eine weitere Irak-Resolution zu entscheiden. Damit soll Bagdad eine Frist bis zum 17. März für die Demonstration seiner bedingungslosen Bereitschaft zur Abrüstung gesetzt werden. "Wir wollen das bis Dienstag haben", sagte Washingtons UN-Botschafter John Negroponte nach internen Konsultationen des Rates in der Nacht zum 8. März vor Reportern. Die US-Regierung schließe zwar nicht aus, dass es noch weitere Änderungen zu einem am 7. März vorgelegten Kompromiss-Angebot der USA, Großbritanniens und Spaniens für eine neue Irak-Resolution geben könne. An der Kernaussage, dass der Irak Abrüstungsauflagen verletzt habe, werde sich jedoch nichts ändern, sagte Negroponte.
  • Aus Protest gegen die Irak-Politik von Premierminister Tony Blair ist in Großbritannien das erste Regierungsmitglied zurückgetreten. Der Labour-Abgeordnete Andrew Reed gab seinen Posten als Berater von Umweltministerin Margaret Beckett auf. Sollte sich Großbritannien ohne ausdrückliches UN-Mandat an einem Krieg gegen Irak beteiligen, drohen nach Angaben britischer Sonntagszeitungen mehrere weitere Regierungsmitglieder mit Rücktritt. Nach Einschätzung von Beobachtern steht Blair damit vor der größten Belastungsprobe seiner Amtszeit. Außer Reed sagten noch vier weitere Mitglieder der Labour-Regierung, unter ihnen zwei Ministerberater, dem "Sunday Telegraph" am 9. März, im Falle eines Krieges ohne eine zweite Irak-Resolution des UN-Sicherheitsrats könnten sie der Regierung nicht länger angehören. Die "Sunday Times" rechnete insgesamt sogar mit zehn Rücktritten von Ministerberatern. Außerdem würden sich dem Bericht zufolge rund die Hälfte der 412 Labour-Abgeordneten offen gegen Blair stellen, sollte dieser ohne eine zweite Irak-Resolution an der Seite der USA Krieg führen.
    Der frühere US-Präsident und Friedensnobelpreisträger Jimmy Carter hat die US-Vorbereitungen auf einen Krieg gegen Irak ohne UNO-Mandat verurteilt. Ein solcher Krieg wäre ein ungerechter Krieg und "nahezu beispiellos in der Geschichte zivilisierter Nationen", schrieb Carter in einem Beitrag für die "New York Times" am Sonntag (9. März). In der US-Außenpolitik habe es eine grundlegende Änderung gegeben. Die bisherige Berechenbarkeit und Überparteilichkeit, die seit mehr als zwei Jahrhunderten der Nation zu ihrer Größe verholfen habe, sei umgekehrt worden. Irak stelle keine direkte Gefahr für die Sicherheit der USA dar.
    Die amerikanischen Streitkräfte haben in der Türkei nahe der irakischen Grenze mit dem Aufbau eines neuen Stützpunktes begonnen. Die Anlage soll als logistische Basis für 62.000 US-Soldaten dienen, falls das türkische Parlament doch noch einer Stationierung zustimmt. Der Stützpunkt, den die Türkei vor zwei Monaten genehmigt hatte, liegt etwa 160 Kilometer von der Grenze entfernt. Etwa 30 Lastwagen mit Geländefahrzeugen und Ausrüstungsgegenständen verließen am 9. März den türkischen Hafen Iskenderun und sollten 15 Stunden später den Stützpunkt erreichen. An der Operation sind 3.500 Soldaten beteiligt. Ein ziviler Flughafen befindet sich wenige Kilometer von dem neuen Stützpunkt entfernt, direkt davor verläuft die Hauptstraße zur irakischen Grenze.
  • Am 10. März kündigte Russland erstmals offiziell an, es werde im UN-Sicherheitsrat sein Veto gegen eine zweite Irak-Resolution einlegen, falls diese einen Krieg legitimieren sollte. Eine solche Reolution könne Russland "nicht unterstützen", sagte Außenminister Igor Iwanow. Es bestünden noch alle Möglichkeiten für eine friedliche Lösung des Konflikts.
    Nachdem die britische Tageszeitung The Times berichtet hatte, dass Hans Blix in seinem Bericht vom 7. März ein irakisches unbemanntes Flugzeug (eine "Drohne") nicht erwähnt hatte, sagte ein Sprecher von Blix, diese Drohne sei durchaus kurz erwähnt worden. Es müsste aber erst festgestellt werden, ob die Drohne weiter als die erlaubten 150 km fliegen könne und ob sie auch zur Verbreitung von biologischen Kampfstoffen eingesetzt werden könne.
    In Großbritannien gerät Tony Blair immer stärker unter Druck. Mehrere seiner Minister und viele Labour-Abgeordnete lehnen einen Krieg ohne UN-Mandat ab. Entwicklungsministerin Clare Short drohte für diesen Fall sogar mit ihrem Rücktritt.
  • Die USA und Großbritannien haben die geplante Abstimmung über eine zweite Irak-Resolution im UN-Sicherheitsrat verschoben. Hinter verschlossenen Türen, so verlautete am 11. März in New York, würden die 15 Ratsmitglieder um einen Kompromiss ringen.
    Das Weiße Haus reagierte am 11. März verärgert über eine Äußerung des UN-Generalsekretärs Kofi Annan vom Vortag, wonach ein Alleingang der USA gegen Irak gegen die UN-Charta verstoßen würde. Präsidentensprecher Ari Fleischer sagte der New York Times, falls die Vereinten Nationen die US-Regierung nicht unterstützten, scheiterten die UN von einer moralischen Warte aus gesehen erneut. Sie hätten auch schon in Kosovo und in Ruanda versagt.
    In der Türkei regt sich Widerstand dagegen, dass die USA weiterhin massiv Truppen und Militärfahrzeuge in die Türkei verlegen. Die sozialdemokratische Oppositionspartei kritisierte, diese Aktionen hätten die Türkei zu einer "Bühne für Kriegsvorbereitungen" gemacht, obwohl das Parlament den Aufmarsch von 62.000 US-Soldaten abgelehnt hatte.
  • Am 12. März unternahm Großbritannien einen neuen Anlauf, doch noch zu einem Ultimatum an den Irak zu kommen, dem auch die Mehrheit der UN-Sicherheitsratsmitglieder zustimmen könnten. Tony Blair sagte, sie arbeiteten daran, "dem Irak eine klare Liste von Tests vorzulegen", die Bagdad innerhalb einer relativ kurzen Frist bestehen müsse. Es gehe um sechs Bedingungen. U.a. solle Saddam Hussein im Fernsehen öffentlich seinen Verzicht auf Massenvernichtungswaffen erklären. Auch müsse er "umgehend" 10.000 Liter Milzbranderreger vernichten, die angeblich noch in seinem Besitz sind. Saddam müsse 30 Wissenschaftler aus der Rüstungsforschung nach Zypern ausreisen lassen, damit sie dort verhört werden können. Der Irak solle außerdem Auskunft geben über die Drohne, welche die UN-Inspekteure entdeckt haben.
    Zuvor hatte US-Verteidigungsminister Rumsfeld für Aufsehen gesorgt, als er in einer Pressekonferenz sagte, dass die USA auch auf eine Invasion im Irak ohne britische Unterstützung vorbereitet seien.
  • In der Irak-Krise ist es zu einem offenen Bruch zwischen den USA und Großbritannien gekommen. Die UN-Botschafter beider Länder vertraten in der Nacht zum 13. März im UN-Sicherheitsrat erstmals ganz offen völlig gegensätzliche Position zu einem Ultimatum an Bagdad. Zugleich wurde deutlich, dass es für den gemeinsamen Antrag der USA, Großbritanniens und Spaniens für eine Kriegsresolution, der vor den neuen britischen Vorschlägen eingereicht worden war, keine Mehrheit im Sicherheitsrat gibt. Londons UN-Botschafter Sir Jeremy Greenstock erklärte, mit den am 12. März von Premierminister Tony Blair unterbreiteten Vorschlägen zu weiteren Forderungen an die Regierung Iraks sei ein Ultimatum bis zum 17. März "weggenommen" worden. Die Briten hatten einen Katalog von sechs konkreten Forderungen vorgelegt, die Bagdad erfüllen müsse, um einen Angriff zu vermeiden. Dazu gehörte, dass Saddam Hussein in einer Fernsehansprache die totale Abrüstung erklärt. US-Botschafter John Negroponte sagte dagegen, Washington bestehe auf einem Ultimatum. Das Datum 17. März sei weiterhin auf dem Tisch. Allerdings könnte eine geringfügige Verzögerung um eine "sehr, sehr kurze Zeit" an diesem Donnerstag (13. März) ausgehandelt werden. Die USA würden sehr bald eine Abstimmung verlangen. Sie seien aber bis dahin zu Gesprächen über die "gut gemeinten" Vorschläge der Briten bereit. UN- Diplomaten erklärten, die USA hätten intern eine Abstimmung bis spätestens 14. März angekündigt.
    Die amerikanische Regierung rechnet mit weiteren Verzögerungen für die Abstimmung über eine zweite Irak-Resolution im Weltsicherheitsrat. US-Präsident George W. Bush sei zu einer Verschiebung bis nächste Woche bereit, wenn dies die Bemühungen unterstütze, eine Mehrheit für die Entschliessung zu erreichen, sagte am 13. März der Sprecher des Weißen Hauses, Ari Fleischer, in Washington. "Es kann morgen abgeschlossen werden. Es kann aber auch in die nächste Woche hinein gehen", sagte der Regierungssprecher.
    Am Abend des 13. März meldete sich US-Vizepräsident Cheney telefonisch beim türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan und forderte, dass die Türkei unverzüglich ihren Luftraum für US-Kampfflugzeuge öffne. Ein Schreiben von Präsident Bush mit ähnlichem Inhalt war zuvor vom US-Botschafter Robert Pearson Erdogan überbracht worden. Da eine Antwort aus Ankara noch aussteht, begannen die USA, zehn Kriegsschiffen aus dem Mittelmeer ins Rote Meer zu verlegen.
  • Seit 15. März erwarten die amerikanischen Soldaten um den Irak einsatzbereit ihren Marschbefehl. Gemeinsam mit 45.000 Briten haben die Truppen die Kriegsstärke von 257.000 Mann erreicht. Nach Überlegungen des Pentagons, die auch einen Häuserkampf in Bagdad einschließen, kann der Krieg für Amerikaner und Briten bis zu zehn Prozent Verlust bringen. Das wären im schlimmsten Fall 25.000 tote Soldaten, vor allem aus den USA. Der britische Außenminister Jack Straw nannte einen Krieg "wesentlich wahrscheinlicher" als eine friedliche Lösung.
    Deutschland, Frankreich und Russland haben eine neue Initiative für eine friedliche Beilegung des Irak-Konflikts gestartet: In einer am 15. März in Berlin, Paris und Moskau veröffentlichten Erklärung forderten die drei Staaten eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates auf Ministerebene. Deutschland, Frankreich und Russland wollen mit ihrer Initiative einen neuen Abrüstungszeitplan ohne Ultimatum an Bagdad erreichen. Nach der für den 17. oder 18. März geplanten Vorlage des neuen Berichts der UN-Inspekteure müssten die Außenminister der Sicherheitsrats-Mitglieder zusammenkommen, "um die vorrangigen Abrüstungsaufgaben zu billigen und einen Zeitplan zur Implementierung festzulegen", heißt es in der Erklärung.



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