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Heute ein Krieg aller gegen alle

5 Jahre Irakkrieg: Desolate Lage, Forderung nach Truppenabzug wird immer lauter. Beiträge von Oliver Eberhardt, Karl Grobe, Hans von Sponeck und Clifton Hicks

Anlässlich des fünften Jahrestags des Beginns des Irakkriegs dokumentieren wir im Folgenden vier Beiträge:


Der Jubel im Nahen Osten ist längst verebbt

Der Sturz Saddam Husseins hat die Machtbalance in der Region nachhaltig zerstört Von Oliver Eberhardt, Jerusalem *

Ein Feind weniger – Israel müsste über das Verschwinden Saddam Hus-seins von der politischen Landkarte des Nahen Ostens eigentlich froh sein. Ist es aber nicht. Der wesentliche Grund ist: Der Irak-Krieg hat die Machtbalance in der Region ins Wanken gebracht, und damit die Iran-Krise erst ermöglicht.

Niemand ist allein, und wenn er auch nur von Feinden umgeben ist. Man steht da, beobachtet die anderen, und mit der Zeit nimmt jeder eine bestimmte Rolle ein. »Das ist so in der Schule, in der Firma und erst recht in der Weltpolitik«, sagt Avner Roth, Experte für Internationale Beziehungen an der Hebräischen Universität Jerusalem. »Es gibt keine isolierten Ereignisse – alles hängt mit etwas anderem zusammen, und jeder Beteiligte spielt eine Rolle, für die er sich selbst entschieden hat oder in die er gedrängt wurde. Wenn dann, warum auch immer, einer der Mitspieler das Feld verlässt, ordnet sich alles neu.«

Genau dies ist passiert, nachdem vor fünf Jahren der Krieg in Irak begann: Die Diktatur Saddam Husseins verschwand, ein Platz wurde frei. Wer ihn besetzen wird, ist bis heute unklar, und das nicht, weil die neue, von den USA installierte Regierung Probleme damit hat, Fuß zu fassen, sondern vor allem, weil im weltpolitischen Gefüge das Abtreten eines Teilnehmers stets neue Probleme verursacht.

»So etwas weckt bei anderen Begierden, aber auch Ängste, denn beim Handeln der Teilnehmer spielen ja immer auch Dinge wie Religion, Ethnie und Geld eine Rolle«, sagt Roth. »Für Israel ist das ein Problem, weil niemand weiß, wie der Nahe Osten in einem Jahr oder in zehn Jahren aussehen wird, und der Prozess, in dem dies entschieden wird, mit einigem Herzensbruch verbunden sein kann.«

Denn der Sturz und die Hinrichtung des brutalen Diktators Saddam Hussein haben natürlich zunächst eine bürgerkriegsähnliche Situation in Irak geschaffen, das ohnehin ein künstliches, nach dem Ende der Herrschaft des Osmanischen Reiches in den 20er und 30er Jahren geschaffenes Gebilde ist – in einigen Teilen reich an Öl, in anderen wiederum reich an fruchtbarem Boden.

Die einzelnen Volksgruppe haben einander nicht nur wenig zu sagen – sie sind teilweise auch wegen religiöser Differenzen miteinander zerstritten, und, wie zum Beispiel die Kurden, durch politische Grenzen von anderen Teilen ihres Volkes getrennt. Ein weiterer Faktor ist, dass das militärische Engagement der ohnehin im Nahen Osten ziemlich unbeliebten USA als Einmischung von außen gesehen wird.

All dies, so Roth, habe die Region in Aufruhr versetzt. »Schauen wir uns mal Iran an: Es gibt zwei Gründe, warum Iran die Dinge so anpackt wie derzeit: Zum einen hat man in Teheran Angst, selbst zum Unruheherd zu werden, denn man hat gleich zwei Kriegsregionen – Afghanistan und Irak – als Nachbarn. Bleibt man untätig, wird das von der eigenen Bevölkerung als Verrat an Brüdern gesehen, was sich dann gegen die Regierung richten kann. Zum anderen gibt es die Begierde nach den Ölreserven in den schiitischen Regionen Iraks.« Und so sei das, was Iran momentan tue, das Atomprogramm eingeschlossen, vor allem Säbelrasseln. »Es ist ein Platz im Machtgefüge frei geworden, und Iran sucht nach einer Position der Stärke, um nicht selbst unterzugehen. Selbst der Libanonkrieg im Sommer 2006 hing damit zusammen. Die Hisbollah hätte ihn nie führen können, wenn Iran sie nicht dabei unterstützt hätte, und sie hat es getan, um zu zeigen, dass man mit ihr rechnen muss.«

Dazu komme die ständig im Raum stehende Drohung der USA, weiteren Diktaturen im Nahen Osten den Garaus zu machen, was Syrien ins Spiel bringt. »Damaskus wurde dadurch in die Arme Irans getrieben – man brauchte einen starken Partner, um Washington die Stirn zu bieten. Und die libanesische Hisbollah hat den Krieg geführt, den Syrien nie hätte führen können, weil Kriege teuer sind und man ein Match mit der israelischen Armee mit absoluter Sicherheit verloren hätte. Gegen eine Guerillaorganisation dagegen kann eine Armee nicht gewinnen.«

Anfangs mögen Politiker und Analytiker in Jerusalem, wo Israels Regierung sitzt, und in Tel Aviv, wo das Militär verwaltet wird, gejubelt haben: sowohl über die »neue Weltordnung«, die USA-Präsident George W. Bush versprach, als auch über das Abtreten eines Diktators, der die Einwohner Israels während des ersten Golfkrieges mit Raketen in Panik versetzt hatte. Doch dieser Jubel ist verebbt. »Heute« sagt Roth, »macht man sich vor allem Sorgen, dass die Lage weiter eskalieren wird, denn wenn sie das tut, kriegen wir das hier als erste ab.«

* Aus: Neues Deutschland, 20. März 2008


Schuld und Lüge

Von Karl Grobe **

Richard Cheney hat Anfang dieser Woche "phänomenale" Fortschritte der Sicherheitslage im besetzten Irak bemerkt. Unterdessen brachte eine Selbstmord-Attentäterin in Kerbela mehr als vierzig Menschen um, und bei einem Anschlag nördlich von Bagdad kamen zwei US-Soldaten ums Leben, zwei von mittlerweile fast 4000 seit der Invasion heute vor fünf Jahren. Tote Iraker werden von der Seite, die der Vizepräsident der USA vertritt, kaum gezählt.

So viel zur Sicherheit, die es gewiss gibt - für Invasoren und Kollaborateure in der "Grünen Zone", dem alliierten Hochsicherheitstrakt in Bagdad. Aus diesem wagen sich hohe Gäste wie Cheney nicht weit hinaus, und wenn, dann unter einem Begleitschutz, dessen Dimensionen denen mittlerer Kommandounternehmen sehr ähneln. Das wird so bleiben; Cheney sagte an, die US-Truppen würden das Land nicht verlassen, ehe "der Job erledigt" ist.

Von dem Triumph-Plakat "Mission Accomplished" (Auftrag erledigt), unter dem der oberste Kriegsherr George W. Bush sich am 1. Mai 2003 in der sicheren Atmosphäre eines Flugzeugträgers vor der kalifornischen Küste hat abfilmen lassen, bis zu der Ansage seines Vertreters reicht ein weiter Weg. Dessen Leitplanken bestehen in Versäumnissen, Fehlhandlungen, Kriegsverbrechen, Folter - und Erfolgsmeldungen, die von der Wirklichkeit so weit entfernt sind wie Cheneys Statement. Darin setzt sich fort, was am Anfang der Invasion stand und zu ihrer Begründung vorgetragen wurde. Die Behauptung, der Irak habe Massenvernichtungswaffen (es gab sie nicht); die Lüge, Saddam Husseins Regime unterstütze das Terror-Netzwerk El Kaida (seit der Invasion erst hat es sich nachhaltig eingenistet); andere Unwahrheiten wie die Annahme, der Krieg werde "ein Spaziergang".

Wahr war nur die Feststellung, dass Saddam Husseins Regime eine brutale Diktatur war. Was Washington so lange nicht gestört hatte, wie dieses Regime nützlich zu sein schien, um den Iran niederzuhalten. Das Paradox ist unübersehbar: Erst seit der Zerschlagung des Regimes ist der Iran zu einer unbequemen regionalen Großmacht in der Golfregion, der wichtigsten Ölquelle der industrialisierten Welt, aufgestiegen. Und erst die Zerlegung des irakischen Staats in kaum mehr zählbare Bestandteile, Warlord-Herrschaften, Cliquen- und Clan-Regimes und Unsicherheitszonen aller Art hat das Land der Ayatollahs zu einem Faktor auch der irakischen Innenpolitik gemacht.

Wahr ist, dass die verantwortlichen Planer dieses vom Völkerrecht nicht gedeckten Kriegs so wenig wussten oder wissen wollten, dass sie erste Fehler - etwa die Duldung von Plünderungen - durch größere Fehlleistungen zu kompensieren suchten. Dazu gehörte die sogenannte Ent-Baathifizierung, als ob jeder kleine Beamte, der im Saddam-System der Staatspartei Baath hatte beitreten müssen, zugleich Hauptschuldiger gewesen wäre.

Vor allem die summarische Aufteilung der im Grunde säkularen Nation nach religiöser oder ethnischer Zugehörigkeit hat das zerstört, was als zivile Gesellschaft bereits bestand und Basis für eine friedliche Entwicklung hätte sein können. Von den tatsächlichen Verhältnissen im Land hatten die Besatzer keine Ahnung - oder sie taten mit großem Erfolg, als hätten sie sie nicht.

Der Krieg ist nicht beendet, ganz und gar nicht. Er hat sich verwandelt in einen Kampf aller gegen alle. Die Kosten trägt die irakische Bevölkerung: mehr als 700 000 zivile Tote, vier Millionen Flüchtlinge und Vertriebene, Zusammenbruch des einst hoch entwickelten Gesundheits- und Bildungssystems, Zerfall der Grundversorgung, Aufteilung der Millionenstadt Bagdad in ethnisch getrennte, verfeindete Mini-Bezirke hinter Mauern und Barrikaden.

Das Resultat belastet die künftige Entwicklung. Die Demokratie ist diskreditiert als ein Importartikel arroganter Besatzer, auch durch das Verhalten vieler ihrer mutmaßlichen irakischen Vertreter. Die weltlichen, im besten Sinne bürgerlichen Kräfte sind durch die gewollte Konfessionalisierung so weit abgedrängt, dass etwa von Frauenrechten kaum mehr die Rede ist. Der jungen und jüngsten Generation bietet die Situation keine Aussichten - was wieder den Nährboden für Terrorismus und anarchische Gewalt kräftig düngt.

Cheney hat Recht: "Der Job" ist noch nicht erledigt. Doch es ist ein anderer als der, den er im Sinn hat. Er besteht in friedlichem Aufbau. Die bisherige US-Politik erschwert ihn ungemein.

** Aus: Frankfurter Rundschau, 20. März 2008


Die Tragödie zweier verlorener Generationen

Hans von Sponeck: Die Menschen in Irak brauchen ausländische Hilfe – aber zuerst muss es einen Truppenabzug geben Hans Christian Graf von Sponeck, (69), war als deutscher Diplomat 32 Jahre bei den Vereinten Nationen tätig, von 1998 bis 2000 als UN-Koordinator in Irak. Mit ihm sprach Birgit Gärtner.

ND: Die Transnational Foundation, eine schwedische Organisation, in der Sie mitarbeiten, hat einen Zehn-Punkte-Friedensplan für Irak entwickelt. Was schlagen Sie konkret vor?

von Sponeck: Unser Vorschlag enthält politische, ökonomische und gesellschaftliche Aspekte. Wir fordern den sofortigen Truppenabzug, die völlige Souveränität Iraks, die Rückgabe der Ölrechte, Wiedergutmachungszahlungen sowie die Stärkung der Zivilgesellschaft.

Wir denken, dass das Problem Irak sich nicht allein in Irak lösen lässt, deswegen fordern wir auch die Entmilitarisierung des gesamten Mittleren Ostens sowie feste Regionalkonferenzen in der Region. Wir verstehen unsere Vorschläge allerdings nicht als Friedensplan, sondern als Gedanken, die wir in eine internationale Diskussion über Perspektiven für den Mittleren Osten einbringen möchten.

Dreh- und Angelpunkt aller Friedenspläne, die zur Zeit diskutiert werden – in Europa, den USA, aber auch im Nahen Osten – ist die Forderung nach Truppenabzug. Der Gedanke, die Truppen gehen raus und der Frieden kehrt ein, scheint mir indes nicht realistisch.

Deswegen geht unser Zehn-Punkte-Plan weit darüber hinaus. Die Iraker haben sich über Jahrhunderte miteinander arrangiert. Sie haben sich nicht unbedingt geliebt, aber sie haben sich arrangiert. Dieses Arrangement ist von außen aufgebrochen worden, die Ethnisierung des Landes ist im atemberaubenden Tempo durchgeführt worden und trägt ihre Früchte, das wird sich nur durch Truppenabzug nicht ändern.

30 Jahre Diktatur, zwei Golfkriege, zwölf Jahre Sanktionen, eine Invasion und fünf Jahre Okkupation fordern ihren Tribut. Die Menschen haben jede materielle Grundlage und jegliches Vertrauen verloren, sowohl den Besatzungsmächten als auch sich selbst gegenüber. Die ganze Nation ist in ein Trauma gefallen. Das wieder aufzuarbeiten wird ein langer Prozess.

Wie könnte ausländische Unterstützung aussehen?

Diese Aufgabe muss von Ärzten, Psychologen und anderen professionellen Helfern geleistet werden. Es gibt sehr viele gut ausgebildete Iraker, die im Ausland leben und zurückkehren würden. Auch die UNO darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Ganz wichtig ist, den Menschen Perspektiven zu geben. Unserer Ansicht nach müssen dazu völlig neue Wege gefunden werden, uns schwebt so etwas wie eine Mensch-zu-Mensch-Kooperation vor. Eine Art internationale Arbeitsbrigaden, etwa um das Schulwesen wieder aufzubauen.

Iraks Bildungssystem galt als fortschrittlich. Welche Spuren haben Sanktionen und Krieg da hinterlassen?

Selbst unter Saddam Hussein gab es eine flächendeckende Grundversorgung, der Zugang zum primären Bildungssystem wurde noch im letzten Winkel Iraks garantiert. Dieses Bildungssystem ist durch die Sanktionen total zusammengebrochen. Es durfte kein gedrucktes Material importiert werden, nicht einmal Notenblätter. Im Rahmen des Programms »Lebensmittel für Öl« wurde zwar die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleistet, aber für die Bildung blieb erbärmlich wenig übrig. Irak hat sicherlich zwei Generationen verloren, die in einem totalen Bildungsvakuum aufgewachsen sind.

Aber das betrifft doch genau die Generation, die im Falle eines Truppenabzugs gefordert wäre, das Land wieder aufzubauen.

Was dieser Generation angetan wurde, ist eine große Tragödie. Wie sieht heute ihr Alltag aus? Sie bekommen statt Bildung Hass vermittelt, lernen, dass Widerstand mit allen Mitteln legitim ist. Wir können also davon ausgehen, dass diese Generation es schwer haben wird, Vertrauen in Demokratie und Toleranz zu entwickeln.

Wie lässt sich diese Situation verbessern?

Unserer Ansicht nach bedarf es eines Wahrheits- und Stabilisierungsprozesses. Darunter verstehen wir die Aufarbeitung des Konflikts im Dialog miteinander. Das gilt sowohl innerhalb Iraks als auch international. Dazu ist es ganz wichtig, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, dass George W. Bush und Tony Blair beispielsweise sich nicht ins Privatleben verabschieden dürfen. Es gibt historisch zwar kein Beispiel dafür, dass Sieger, die gefehlt haben, sich für ihre Verfehlungen vor internationalen Gerichten verantworten mussten. Doch dieses Prinzip der Siegerjustiz muss abgeschafft werden, der Irak-Krieg wäre eine gute Gelegenheit dafür.

Außerdem muss alles getan werden, um den Menschen in der gesamten Region eine Perspektive in Frieden zu ermöglichen. Deshalb fordern wir eine ständige Regionalkonferenz, in der alle beteiligten Parteien an einem Tisch sitzen. Dazu gehören auch die Hamas, die Hisbollah und die PKK.

Damit ist natürlich der Frieden noch nicht garantiert, das wird ein langer, steiniger Weg. Aber in meiner 32-jährigen Tätigkeit bei der UNO habe ich gelernt, wie erfolgreich Dialog im Gegensatz zu Monolog und Isolation ist. Und jede lange Reise beginnt doch mit dem ersten Schritt.

* Aus: Neues Deutschland, 20. März 2008


»Eine einzige große Enttäuschung«

Clifton Hicks – mit 22 Jahren schon Veteran

Der 22-jährige Clifton Hicks war 2003 vier Monate Soldat in Irak. Heute engagiert er sich bei den Veterans Against The War.


ND: Was bewegt einen jungen US-Amerikaner dazu, als Soldat nach Irak zu ziehen?

Hicks: Es gibt zwei Gründe, zur Armee zu gehen: entweder absolute Perspektivlosigkeit oder Tradition.

Viele junge Männer gehen zur Armee, weil sie kein Geld fürs College und keine Aussicht auf einen Job haben. Das war bei mir nicht der Fall. Soldat zu werden ist so etwas wie eine Familientradition. Mein Großvater kämpfe im Zweiten Weltkrieg und mein Vater war ebenfalls Soldat. Außerdem war ich überzeugt davon, das Richtige zu tun.

Woher nahmen Sie diese Überzeugung?

Als das World Trade Center angegriffen wurde, war ich 16 Jahre alt. Uns wurde immer wieder gesagt, Irak sei in diese Angriffe verwickelt. Das habe ich geglaubt, deshalb war ich für den Krieg und dachte, es sei das einzig Richtige, selbst in Irak zu kämpfen.

Das glauben Sie jetzt nicht mehr?

Der Irak-Einsatz war eine einzige große Enttäuschung für mich. Ich hatte ein völlig verklärtes Bild davon, was es heißt, Soldat zu sein. Für mich war das verbunden mit Werten wie Humanität, Ehre und Patriotismus. Aber all das spielte in unserem Alltag keine Rolle. Einmal habe ich die Leiche eines Mannes gesehen, der gefesselt auf dem Boden lag und dessen Kopf von einem Panzer überrollt worden war. Das hat mit Humanität nichts zu tun, das ist ein Verbrechen. Soldaten werden versklavt, sie haben kein Recht auf Rede- oder Religionsfreiheit, alle demokratischen Rechte werden ihnen abgesprochen, sie müssen nur gehorchen.

Außerdem wurden wir belogen. Mehr als 70 Prozent der in Irak stationierten Soldaten glauben, dass sie bald wieder zurück in die USA versetzt werden, das stimmt aber nicht. Wir kamen völlig naiv ins Land und wurden Situationen ausgesetzt, auf die wir nicht vorbereitet waren. Ich habe viele Freunde und Kameraden fallen sehen, viel zu viele. Nachdem ich in Irak angekommen war, bemerkte ich sehr schnell, dass einige Gründe für diesen Krieg – möglicherweise alle – falsch waren. Außerdem wurde mir schnell klar, dass der Krieg mit Mitteln geführt wurde, die nicht mit meinen Grundsätzen vereinbar sind.

Inwiefern?

Es gab überhaupt keinen Unterschied zwischen Freund und Feind, Zivilisten wurden in keiner Weise respektiert oder geschützt. Aber ich war nicht nach Irak gegangen, um unschuldige Menschen zu töten oder um mich und meine besten Freunde dabei zu beobachten, wie wir zu Tieren mutieren. Es ist sehr schwer, sich aus Kriegsverbrechen herausrauszuhalten. Aber Menschen, die keine Moral mehr respektieren, verlieren am Ende den Respekt vor sich selbst.

So wurden Sie zum Kriegsgegner?

Ja, mir wurde klar, dass der Krieg das falsche Mittel ist. Da bin ich nicht der einzige, viele US-Soldaten in Irak sind gegen den Krieg, sie haben aber keine andere Perspektive als die Armee.

Sie kennen die Situation in Irak. Wie kann Ihrer Ansicht nach dieser Krieg beendet werden?

Viele Menschen engagieren sich gegen den Krieg, es gibt Demonstrationen, Konferenzen und viele andere Aktivitäten. Meiner Ansicht nach ist es jedoch völlig unrealistisch zu glauben, wir könnten die USA-Regierung damit so unter Druck setzen, dass sie die Truppen abzieht. Der Krieg wird erst enden, wenn die Soldaten am Ort sich weigern, weiter zu kämpfen.

Fragen: Birgit Gärtner

* Aus: Neues Deutschland, 20. März 2008


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