Am Ende verloren beide Seiten
Heute vor 30 Jahren begann Irak mit Luftangriffen auf iranische Städte den ersten Golfkrieg / Eine irakisch-iranische Aussöhnung steht auch zwei Jahrzehnte nach Kriegsende aus
Von Karin Leukefeld *
Aufgerüstet und ermutigt, beinahe gedrängt vor allem von den USA und anderen westlichen Staaten, begann Saddam Hussein, der neue starke Mann in Bagdad am 22. September 1980 einen Krieg gegen den Nachbarn Iran. Es ging ihm materiell vor allem um die ölreiche südostiranische Provinz Chusistan, die mehrheitlich von Arabern bewohnt wird, und politisch um die Vorherrschaft im Mittleren Osten. Beides misslang gründlich. Am Ende, 1988, hatte der Krieg keinen Sieger, aber zwei Verlierer.
Es ist wie »Salz in eine Wunde streuen«, erinnert sich eine junge Irakerin an den Beginn des Irak-Iran-Krieges 1980. Sie sei Kind gewesen, als der Vater in den Krieg zog und in iranische Gefangenschaft geriet, wo er fünf Jahre verbrachte. Ihre Jugend habe sie zwischen »Hammer und Amboss der UN-Sanktionen und der US-Wirtschaftsblockade« erlebt, heute müssten ihre Kinder die Folgen der US-Besatzung ertragen. »Doch wen interessiert das?«
Auch in Iran erinnert man sich nicht gern an den achtjährigen Krieg (1980-88), der beiden Seiten hohe menschliche und materielle Opfer abverlangte und diesseits wie jenseits der Grenze verbranntes Land hinterließ. Bis zu eine Million Tote, noch mehr Verletzte, seelisch und körperlich verkrüppelte Menschen sind das Erbe, das die Bevölkerung in beiden Ländern bis heute zu tragen hat. Im Juli 1987 akzeptierte Irak die UN-Resolution 598 über einen Waffenstillstand, doch erst ein Jahr später, im Juli 1988, stimmte auch Iran zu.
Das Verhältnis der beiden mächtigen Nachbarn war historisch nie einfach. Das arabische Mesopotamien und die persischen Reiche konkurrierten unter verschiedenen Herrschern in vielen Kriegen, erlebten allerdings auch Phasen befruchtender kultureller Blüte. Mit der Annexion der Provinz Mesopotamien 1638 zerstörte das Osmanische Reich die Herrschaft der persischen Safawiden in Bagdad und schuf eine Front, die regionale Lebenszusammenhänge auseinanderriss und den Grundstein für anhaltende Grenzstreitereien legte. Bis heute lebt in der iranischen Provinz Chusistan (Hauptstadt Ahvaz) eine große Bevölkerungsgruppe arabischer Abstammung. Mit der Entstehung des modernen Irak unter britischem Mandat verfestigte sich die Konfrontation.
Der Sieg der islamischen Revolution unter Religionsführer Ayatollah Ruhollah Khomeini in Iran sorgte 1979 für große Nervosität in der westlichen Hemisphäre, die eigene Interessen im Mittleren Osten gefährdet sah. Irak, damals enger Verbündeter des Westens und aufstrebende Regionalmacht, wurde mit Geld und Waffen ausgerüstet. Die arabischen Staaten, allen voran Kuwait und Saudi-Arabien, bezahlten den irakischen Präsidenten Saddam Hussein, um mit seiner Hilfe eine Ausbreitung der von Iran ausgehenden islamischen Revolution zu verhindern. Nach dem Sturz des vor allem von den USA gestützten Schahs Reza Pahlevi 1979 war Iran ideologisch zwar stark und geeint, militärisch und wirtschaftlich hingegen nach Bürgerkriegswirren und Sanktionen geschwächt. Deshalb erzielten die irakischen Streitkräfte in den ersten Kriegsjahren zunächst auch Erfolge bei ihrem Vormarsch auf iranisches Gebiet. Dies sollte sich Mitte der 80er Jahre ändern. Am Ende des Krieges sahen sich die Angreifer auf ihre Ausgangspositionen zurückgeworfen.
Mit seiner Ende der 70er Jahre begonnenen massiven Repression gegen die politisch aktiven schiitischen Iraker – 60 Prozent der Iraker sind bekennende Schiiten – hatte Saddam Hussein diese Bevölkerungsgruppe praktisch in die Arme Teherans getrieben. Dort war der Schiismus seit dem Sturz des Schahs zur Staatsreligion avanciert. Von Teheran finanziert und kontrolliert, entstanden 1982 der Hohe Rat für eine Islamische Revolution in Irak (SCIRI) und dessen militärischer Arm, die Badr-Brigaden – praktisch die politische Exilorganisation der schiitischen Iraker.
20 Jahre änderten sich Vorzeichen: Als Vertreter der einst verfolgten irakischen Schiiten übernahm SCIRI in der von westlichen Geheimdiensten gesponserten Exilorganisation Irakischer Nationalkongress eine führende Rolle und war an der Vorbereitung der US-Invasion 2003 beteiligt. »Auf den Panzern der Amerikaner«, mit der wehenden Fahne der unterdrückten Schiiten kehrte er im März 2003 nach Irak zurück und protestierte auch nicht gegen die Zerstörung aller staatlichen Strukturen durch die Besatzer.
Dass es nie zu einer Aufarbeitung der schwierigen innerirakischen Konflikte kam, sondern offenbar bis heute eine Mentalität von Rache und Eroberung dominiert, hat das Land tief gespalten. In Bagdad regiere Iran, ist die feste Überzeugung vieler Iraker. Zumindest regiere Teheran mit, sagt Salim al-Jibouri (Name geändert) im Gespräch mit der Autorin. Jibouri arbeitet im Menschenrechtsrat und begleitet Familien auf der Suche nach verschwundenen oder inhaftierten Angehörigen. »Alle Nachbarländer haben in Irak ihre Finger im Spiel und versuchen, ihren Einfluss auszuüben. Der Mann auf der Straße sagt: Wer welchen Posten bekommt, befiehlt Iran.«
Kulturell, militärisch und wirtschaftlich haben bilaterale Abkommen zwischen Irak und Iran seit 2003 die Lage erheblich zugunsten Irans verändert. Die schiitischen Pilgerstädte Nadschaf und Kerbela im Süden sind fest in der Hand des schiitischen Klerus, der zu Zeiten Saddam Husseins in der iranischen Emigration lebte. Für die kurdischen Autonomieprovinzen in Nordirak ist Iran neben der Türkei der größte Handelspartner.
Spannungen gibt es allerdings weiterhin im irakisch-iranischen Grenzgebiet. 2009 besetzten iranische Truppen vorübergehend irakische Ölquellen. Und auch um das Wasser wird weiter gestritten.
Eine Aussöhnung zwischen beiden Staaten ist momentan nicht in Sicht, und das vor allem aus zwei Gründen: Zum einen gibt es auch ein halbes Jahr nach der irakischen Parlamentswahl keine handlungsfähige Regierung, die irgendein politisches Programm verkünden könnte. Zum anderen ist die Mittelostpolitik der USA gegenwärtig voll auf Konfrontation mit Iran getrimmt, wobei Irak als Ausgangsbasis eine entscheidende Rolle spielt. Für eine irakisch-iranische Aussöhnung ist da kein Platz.
Geschichte: Streit um den Schatt al-Arab
Die Ursachen des Konflikts sind im nebenstehenden Beitrag genannt. Der Anlässe für den Krieg gab es mehrere. So erklärte Bagdad, die iranische Seite unterstütze kurdische Separatisten im irakischen Norden. Noch abenteuerlicher war die Behauptung, Teheran unterdrücke die arabische Bevölkerung in seiner Südwestprovinz Chusistan. Einen viele Jahrzehnte schwelenden Streit gab es allerdings tatsächlich – den um die Schifffahrtsrechte auf dem Schatt al-Arab, den Zusammenfluss von Euphrat und Tigris, der bis zu seiner Mündung in den Persischen Golf die irakisch-iranische Grenze bildet.
Aber wo genau? Die Verträge von Erzurum (1847) und Konstantinopel (1913) legten ungefähr die Grenzziehung zwischen Irak, damals Teil des Osmanischen Reiches, und Iran fest. Für den Schatt al-Arab galt bis 1913: Die Grenze verläuft am Ostufer auf iranischer Seite, für die Schifffahrt beider Parteien nutzbar aber ist die sogenannte Talweglinie.
1920, nach dem Untergang des Osmanischen Reiches, stellte Iran die Grenzziehung am Ostufer in Frage; auch weil ein Zusatzprotokoll von 1913 ein juristisches Kuriosum verfügt hatte: Selbst iranische Schiffe mussten irakische Lotsen aufnehmen, und es galt auf ihnen irakisches Recht. Das änderte sich mit dem Vertrag von Saadabad am 4. Juli 1937, dem ersten Grenzvertrag Irak – Iran. 1941-46 lag die Kontrolle des Schatt al-Arab ausschließlich auf Seiten der Alliierten.
Am 19. April 1969 kündigte Schah Mohammad Reza Pahlevi den Vertrag von Saadabad. 1975 einigte sich der Schah im Abkommen von Algier mit Irak auf die Talweglinie als Grenze. Aber am 17. September 1980 annullierte Saddam Hussein das Abkommen von Algier und beanspruchte die volle Souveränität über den Schatt al-Arab – eine Art Kriegserklärung fünf Tage vor Aufnahme der Kampfhandlungen. R. E.
* Aus: Neues Deutschland, 22. September 2010
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