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Iran als Sieger

Jahresrückblick 2011. Heute: Irak. Die USA haben einen Großteil ihrer Kriegsziele nicht erreicht

Von Joachim Guilliard *

Wie in mehreren arabischen Ländern begann das Jahr 2011 auch im Irak mit großen landesweiten Protesten und blutiger Repression. Darüber wurde im Westen allerdings kaum berichtet. Da das Land nach hiesiger Wahrnehmung mittlerweile eine Demokratie ist, hatte der »arabische Frühling« da nichts zu suchen. Dabei warfen die sich bereits ab Januar ausbreitenden Demonstrationen und die Reaktionen des Regimes darauf ein bezeichnendes Licht auf die tatsächlichen Verhältnisse dort.

Wie schon im Sommer 2010 richteten sich die Proteste vor allem gegen die miserablen Lebensbedingungen und das völlige Versagen von Regierung und Besatzungsmacht bei der Bereitstellung grundlegender Dienstleistungen. Trotz zig Milliarden Dollar, die US-Konzerne für den Wiederaufbau in ihre Taschen steckten, hat die Hälfte der Bevölkerung keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, und 80 Prozent haben keinen Anschluß an ein Abwassersystem. Auch Strom gibt es nach wie vor nur stundenweise, die einst vorbildlichen Gesundheits- und Bildungssysteme liegen immer noch am Boden. Der Ausbau der Ölproduktion kommt zwar auch nach Einstieg ausländischer Konzerne nur schleppend voran, der hohe Ölpreis spült dennoch Jahr für Jahr Rekordeinnahmen in die Staatskasse. Dem Regime mit seinem durch Parteiproporz aufgeblähten Kabinett und einer inkompetenten, nach Parteizugehörigkeit und Patronage besetzten Verwaltung, gelang es jedoch nie, die beträchtlichen Summen sinnvoll einzusetzen. Für den Haushalt von 2010 waren z.B. 72 Milliarden Dollar eingeplant, die Staatseinnahmen stiegen schließlich sogar auf 92 Milliarden und dennoch waren bis Anfang 2011 nur 55 Milliarden tatsächlich abgerufen worden.

Die mit US-Hilfe amtierende Regierung reagierte auf das erneute Auflodern der Massenproteste mit äußerster Härte. Bereits am 4. Februar gab es den ersten Toten, als die Polizei in der südirakischen Kleinstadt Al-Hamza in eine der zahlreichen Freitagsdemonstrationen schoß. Allein am 25. Februar, dem »Tag des Zorns«, wurden der Nachrichtenagentur UPI zufolge 29 Demonstranten getötet. Zunehmend richten sich die Proteste auch gegen die Besatzung und das gesamte von ihr etablierte ethno-konfessionelle Regime.

Die irakischen Behörden unternahmen alles, um Berichte über die anhaltenden Demonstrationen, die das positive Bild des Landes im Westen zu zerstören drohten, zu unterdrücken. Den Fernsehsendern wurde das Zeigen von Aufnahmen untersagt, die Printmedien massiv eingeschüchtert. Das Bagdader »Observatorium journalistischer Freiheiten« zählte bis Mai 372 Übergriffe auf Medien. Auch die US-Botschaft warnte die Demonstranten über das Staatsfernsehen, mit ihren Forderungen nicht zu weit zu gehen.

Die Proteste müßten in »einem außerordentlich unsicheren Umfeld« durchgeführt werden, so die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rigths Watch, die die brutale Repression gegen die Opposition in mehreren Berichten anprangerte.

Dies ist sehr milde ausgedrückt. Tatsächlich ist die Opposition mit einem Regime konfrontiert, das sich nur mit Hilfe militärischer Mittel und den Besatzungskräften der USA halten kann. Ein großer Teil derer, die sich diesen entgegenstellten, ist längst inhaftiert, ermordet, verschleppt oder geflohen. Auch Parlamentarier oder Angehörige von Provinzregierungen sind vor Verfolgung nicht geschützt. Bei Bedarf werden alle zu Anhängern der verboten Baath-Partei oder Al-Qaidas erklärt, abgeführt, gefoltert, nicht wenige auch ermordet. Sogar dem sunnitischen Vizepräsidenten droht aktuell ein Haftbefehl. Allein im Januar registrierten Menschenrechtsgruppen 1788 politisch motivierte Verhaftungen. Im Februar veröffentlichte Amnesty International einen Bericht, wonach in den Kerkern des Irak weiterhin Zehntausende ohne Anklage gefangen gehalten und systematisch gefoltert werden.

Vor kurzem sind in Bagdad zudem erneut zwei Geheimgefängnisse entdeckt worden, deren Insassen Spuren schwerer Folter aufwiesen. Es sind Gefängnisse der Bagdad-Brigaden, Einheiten der Spezialeinsatzkräfte, die direkt dem Premierminister Nuri Al-Maliki unterstehen. Die insgesamt rund 5000 Mann starke, von US-Sondereinheiten aufgebaute und angeleitete Hausmacht des neuen starken Manns führt mittlerweile die meisten Einsätze gegen politische Gegner durch. Formal steht Maliki einer »Regierung der nationalen Einheit« vor, regiert jedoch meist an Kabinett und Parlament vorbei. Bei der Regierungsbildung Ende letzten Jahres übernahm er auch die Ministerien für Militär, Inneres und Nationale Sicherheit und leitet somit die drei machtpolitisch zentralen Ressort selbst. Der Öl- und Gassektor untersteht seinen engsten Vertrauten. Vizepremier Saleh Al-Mutlaq von der Nationalen Allianz, der stärksten Fraktion im Parlament, nannte ihn vor kurzem in einem CNN-Interview einen »neuen Dikator«.

In diesem Umfeld werden auch Journalisten in hohem Maße bedroht und verfolgt. Laut einem Anfang Juli veröffentlichten Bericht des internationalen »Komitees zum Schutz von Journalisten« ist der Irak mit 92 unaufgeklärten Morden das für Journalisten mit Abstand gefährlichste Land der Welt. In Somalia sind es pro Kopf nur ein Drittel, auf den Philippinen ein Fünftel und in Kolumbien ein Zwölftel.

Trotz seiner starken Stellung konnte Maliki eines nicht durchsetzen: eine Verlängerung des Abkommens über die Stationierung von US-Truppen über 2011 hinaus. Die US-Administration hatte im Irak alle Hebel in Bewegung gesetzt, um auch nach dem zwischen der Bush-Regierung und Bagdad vereinbarten Abzugstermin größere Truppenkontingente im Land belassen zu können. War ursprünglich die langfristige Stationierung von rund 35000 Soldaten geplant, konnte sie schließlich nicht einmal eine Vereinbarung für 3000 durchsetzen. Die Verhandlungen scheiterten bereits an der Frage der weiteren Immunität für die US-Truppen. Für das US-Militär kam ein Verbleib ohne sie nicht in Frage. Angesichts der allgemeinen Stimmung in der Bevölkerung, die die von den Besatzungstruppen verübten Greuel nicht vergessen hat, traute sich jedoch keine Partei im irakischen Parlament, auch nur einem einzigen ausländischen Soldaten weiterhin Straflosigkeit zu gewähren.

Auch wenn der erzwungene Abzug nicht das Ende der Besatzung bedeutet, markiert er das Scheitern der seit langem gehegten Pläne Washingtons, Irak eine größere Streitmacht permanent zu stationieren. Der Rauswurf wird in den USA parteiübergreifend auch als massive Niederlage begriffen. Zum einen wird natürlich befürchtet, daß sich das etablierte Regime ohne die US-Truppen nicht lange halten wird. Schwerer noch wiegt aber, daß der Abzug eine weitere Stärkung der Position des Irans bedeutet, sowohl im Irak als auch in der Region.

Washington bemüht sich nun, die Kontrolle über den Irak so gut wie möglich zu bewahren, indem die Besatzungsaufgaben auf zivile Kräfte übertragen wurden. Die ohnehin schon riesige Botschaftsfestung wurde erweitert, das Personal auf über 16000 Angestellte aufgestockt. Einen erheblichen Teil stellen die CIA und das US-Militär. Die Zahl der bewaffneten US-Söldner, die der Botschaft unterstehen, stieg bereits auf gut 5500, ausgerüstet mit gepanzerten Militärfahrzeuge und 24 Blackhawk-Kampfhubschrauber.

Teilweise wird der Abzug kompensiert, indem Kampftruppen in die verbündeten Golfstaaten verlegt werden und die militärische Zusammenarbeit mit den arabischen Monarchien intensiviert wird. Dies ermöglicht bei Bedarf eine schnelle Intervention im Irak, richtet sich vor allem jedoch gegen den eigentlichen Gewinner des Irak-Krieges, den Iran. Parallel bemüht man sich, dessen regionales Gewicht wieder zu reduzieren, indem man den Druck auf das Land erhöht und seine Verbündeten in der Region schwächt. Die Schlappe der USA im Irak erhöht somit massiv die Kriegsgefahr – auszubaden hat dies nun zunächst vor allem Syrien.

* Aus: junge Welt, 23. Dezember 2011


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