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"Lage der Frauen hat sich dramatisch verschlechtert"

Zehn Jahre nach der US-Invasion im Irak: Die Linke bilanziert Krieg und Besatzung. Ein Gespräch mit Sevim Dagdelen *


Sevim Dagdelen ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages und Sprecherin der Fraktion Die Linke für Internationale Beziehungen.

Vor zehn Jahren begannen US-Präsident ­George W. Bush und seine »Koalition der Willigen« ihren völkerrechtswidrigen Krieg gegen den Irak. Nach einer großangelegten Militärinvasion und Jahren der Besatzung sind die US-Truppen mittlerweile wieder abgezogen. Was haben sie erreicht, in welchem Zustand haben sie den Irak zurückgelassen?

Eigentlich hat der Krieg gegen die irakische Bevölkerung schon viel früher mit Sanktionen angefangen, in deren Folge u.a. die Kindersterblichkeit in die Höhe geschnellt ist. Die militärische Intervention hat dann die politischen und sozialen Strukturen des Landes fast vollständig vernichtet, politisch motivierte Gewalt forderte noch im vergangenen Jahr fast 400 Menschenleben monatlich.

In diesem Elend haben sich im Irak Kriegsgewinner und internationale Konzerne schwer bewachte Wohlstandinseln aufgebaut. Insgesamt soll der Krieg über eine Million Irakern das Leben gekostet haben. Die geschätzten drei Billionen US- Dollar an finanziellen Kriegskosten sind neben Rüstung und Korruption auch zur Zerstörung des Irak eingesetzt worden.

Zugleich hat der Westen durch die Irak-Intervention den politischen Aufstieg des Iran in der Region bewirkt. Jetzt entfesselt man gemeinsam mit den Golfdiktaturen neue Kriege in der Region, Stichwort Syrien, und schürt den Atomkonflikt durch ein kriegsvorbereitendes Sanktionsregime gegen den Iran. Die US-amerikanische Intervention im Irak, an der sich Deutschland allen Legenden zum Trotz mit allen möglichen Maßnahmen, mit Ausnahme der Entsendung von Soldaten, beteiligte, war zudem eine wichtige Etappe bei der Herausbildung des Reise-Dschihadismus, der nun als ständiger Begleiter des westlichen Interventionismus in Erscheinung tritt.

Die Bundestagsfraktion Die Linke und die Rosa-Luxemburg-Stiftung veranstalten morgen in der Volksbühne Berlin eine Irak-Konferenz. Mit welchem Ziel?

Es geht um eine Bilanz der Folgen der Intervention für die ganze Region. Vor allem sollen jedoch auch die Bedeutung der Friedensbewegung beim Krieg 2003 und weitere Aussichten diskutiert werden. Auch wollen wir uns über die Zusammenarbeit zwischen deutschen, europäischen und US-amerikanischen Protestgruppen und die Einbindung von Deserteuren und Whistleblowern insbesondere bei der Entlarvung von Lügen, mit denen Kriege vorbereitet werden, austauschen. Gerade, weil sich bestimmte Kriegslügen bei Syrien und Iran zu wiederholen scheinen. Insofern freue ich mich, daß es uns gelungen ist, Wikileaks-Gründer Julian Assange für die Konferenz zu gewinnen. Er wird per Webstream dabei sein.

Die USA sind im Irak nicht zuletzt ob des massiven bewaffneten Widerstands gescheitert. Teilen Sie diese Einschätzung?

Die USA haben die Ethnisierung und Konfessionalisierung im Irak geschürt, um den Widerstand gegen die Besatzung zu schwächen. Die US-Regierung und ihre Verbündeten wären potentiell sehr lange fähig gewesen, auch gegen heftigsten Widerstand, einen Krieg zu führen, solange nur die eigene Bevölkerung hinter dieser Politik steht. Aber eben diese Zustimmung ist gebröckelt und damit auch die Bereitschaft, Menschenleben und Ressourcen aufzubringen. Der zivile Widerstand im Irak hat neben den zahlreichen Anschlägen gegen die »Koalition der Willigen« eine große und wichtige Rolle dabei gespielt, die Stimmung in den USA zu kippen. Es war unmißverständlich klar, daß eine übergroße Mehrheit im Irak gegen die Besatzung aufsteht.

Warum hat Die Linke dann kaum Iraker zu der Veranstaltung eingeladen?

Yasar Mohammed, Präsidentin der Organisation für die Freiheit der Frauen im Irak, nimmt an der Konferenz teil. Die Lage der Irakerinnen hat sich in den vergangenen zehn Jahren dramatisch verschlechtert. Für sie war der US-Einmarsch 2003 ein schlimmer Rückschlag. Die NATO-Staaten führen die Frauenbefreiung immer nur in ihrem Kriegsbanner. In Wirklichkeit werden wie in Syrien islamistische Kräfte unterstützt, von denen Frauen nichts Gutes zu erwarten haben, um es vorsichtig zu formulieren. Der Irak war für diese frauenfeindliche »Zusammenarbeit« eine Blaupause.

Interview: Rüdiger Göbel

* Aus: junge Welt, Donnerstag 14. März 2013


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