Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kein Wirtschaftswunder

Indonesiens Ökonomie trotz globaler Krise 2009 erneut deutlich gewachsen. Konjunktureller Boom vertieft soziale Spaltung

Von Thomas Berger *

Ungeachtet der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Indonesiens im vergangenen Jahr um 4,5 Prozent gewachsen. Nach den vor wenigen Tagen vom nationalen Statistikamt in Jakarta vorgelegten Daten trugen vor allem deutliche Zuwächse im Transport- und Kommunikationssektor (plus 15,5 Prozent) sowie im Bereich Strom-, Gas- und Wasserversorgung (plus 13,8 Prozent) zu diesem Ergebnis bei. Wermutstropfen für die Wachstumsfetischisten: Dominierende Wirtschaftszweige wie Handel und Gastronomie (plus 1,1 Prozent) sowie das produzierende Gewerbe (plus 2,1 Prozent) konnten den Boom nicht befördern. Dennoch unterstrich das südostasiatische Schwellenland mit den vorgelegten Zahlen seinen neuen wirtschaftlichen Führungsanspruch in der Region.

Trotz gestiegenem Austoß kann von einem Wirtschaftswunder keine Rede sein. Das liegt nicht zuletzt an den gravierenden Unterschieden des Entwicklungsniveaus innerhalb des Inselstaates. Ökonomisches Zentrum ist weiterhin Java, wo rund 58 Prozent des BIP erwirtschaftet werden. Die bevölkerungsreichste Insel beherbergt nicht nur die größten Städte wie Jakarta, Surabaya oder Bandung mit den Firmenzentralen der nationalen Wirtschaft. Hier konzentrieren sich auch die Niederlassungen der größten ausländischen Unternehmen und nicht zuletzt die Masse der Arbeitskräfte. Die deutlich größere Nachbarinsel Sumatra im Norden kann lediglich ein Viertel des Wirtschaftsaufkommens für sich verbuchen, während Kalimantan, also der indonesische Teil Borneos, mit gerade einmal 9,5 Prozent kaum zu Buche schlägt.

Gänzlich abgehängt von der Konjunktur scheint Papua, das selbst zusammen mit den Molukken nur auf zwei Prozent des BIP kommt. Charakteristisch ist hier jedoch die gnadenlose Ausbeutung einheimischer Rohstoffe durch vorwiegend javanische Unternehmen. Nicht zuletzt dies ist einer der Gründe des jahrzehntelangen Freiheitskampfes der Papuas, die ein Ende der indonesischen Besetzung fordern.

Ähnlich gravierend wie die Unterschiede in der Wirtschaftskraft sind die sozialen Disproportionen zwischen den Regionen. 15 Prozent der Einwohner galten im vergangenen Jahr offiziell als arm - eine offensichtlich geschönte Zahl, die Weltgesundheitsorganisation WHO sieht die Hälfte der indonesischen Gesamtbevölkerung unterhalb der Armutsgrenze vegetieren. (Als arm gilt im Lande, wer sich die tägliche Reismahlzeit nicht mehr leisten kann. Nach UN-Maßstäben hat ein Mensch täglich weniger als 1,25 US-Dollar, gerechnet nach Kaufkraftparität, zur Verfügung. Red.) So gelten nach einheimischen Maßstäben in der Elf-Millionen-Metropole Jakarta gerade einmal 3,6 Prozent der Bewohner als bedürftig, auf der Ferieninsel Bali sind es 5,1 Prozent. Papua liegt mit einer offiziellen Armutsquote von 46 Prozent weit vorn, knapp die Hälfte der Einwohner des indonesischen Inselteils hungert demnach. Auch in der Provinz Aceh gilt trotz des milliardenschweren Wiederaufbaus nach dem Tsunami nach wie vor jeder Fünfte offiziell als arm, während der Anteil in den übrigen Teilen der Insel Sumatra höchstens 11,7 Prozent beträgt.

Nicht sicher ist, ob die wirtschaftliche Prosperität Indonesiens Bestand hat. Es sind vor allem die Einbrüche beim Export, die das Wachstum zuletzt stark abgebremst haben. Um 14,4 Prozent gingen den Statistikern zufolge die Ausfuhren 2009 im Vergleich zum Jahr davor zurück. Am stärksten betroffen war der Rohstoffsektor und dort wiederum die Öl- und Gasförderung. Die Exporte von Rohöl, Ölprodukten und Erdgas sanken im Durchschnitt um 34 Prozent, während der Rückgang in allen übrigen Bereichen lediglich bei einem knappen Zehntel lag. Sowohl die Nachbarn in der ASEAN-Staaten als auch die Abnehmer in der EU und Ländern wie China, Rußland und USA, kauften weniger indonesische Produkte.

Mit seinen 240 Millionen Einwohnern ist das Land schon hinsichtlich der Bevölkerungszahl das Schwergewicht innerhalb der ASEAN-Gruppe. Doch auch ökonomisch hat die größte muslimische Nation der Erde mit den früheren »Tigerstaaten« Malaysia, Thailand sowie dem Stadtstaat Singapur mindestens gleichgezogen. Während dort schon vor der globalen Krise der Konjunkturmotor stotterte, konnte Indonesiens Wirtschaft seit 2005 jährlich zwischen 5,5 und knapp sieben Prozent zulegen.

Ausländische Investoren verstärkt ins Land zu holen, war und ist erklärtes Ziel der Regierung. Die neoliberal ausgerichtete Politik läßt dabei nur einen kleinen Teil der Bevölkerung vom Aufschwung profitieren. Eine Elite bereichert sich, die Mittelschicht wird mit ein paar Brocken ruhiggestellt. Den armen Massen der Einwohner, besonders auf dem Land, fehlen indes immer noch Schulen, Krankenstationen und eine einigermaßen intakte Infrastruktur. Die Arbeitslosenrate, offiziell mit knapp unter zehn Prozent angegeben, liegt de facto um vieles höher und dürfte sich eher bei einem Viertel bis zu einem Drittel der arbeitsfähigen Bevölkerung bewegen. Der Grund: Ein Großteil der Betroffenen schlägt sich gezwungenermaßen mit Gelegenheitsjobs durch und fällt damit aus der ohnehin geschönten statistischen Schätzung. Insbesondere die Jugend hat kaum Perspektiven. Politisch ist Präsident Susilo Bambang Yudhoyono bislang die Umsetzung seiner Versprechen schuldig geblieben.

* Aus: junge Welt, 23. Februar 2010


Zurück zur Indonesien-Seite

Zurück zur Homepage