Zur Menschenrechtssituation in Indonesien und Westpapua
Ein Augenzeugenbericht von Carmel Budiardjo
Unter dem Titel "Und die internationale Gemeinschaft schweigt zu dem Elend" veröffentlichte die Frankfurter Rundschau am 12. Dezember 2001 zwei Referate, die bei einem Solidaritätstreffen im bayerischen Neuendettelsau wenige Tage zuvor gehalten wurden. Im Folgenden dokumentieren wir den Beitrag von Carmel Budiardjo, Mitarbeiterin der indonesischen Menschenrechtsorganisation TAPOL. Die Übersetzung aus dem Englischen besorgte Hans Martin Thimme vom Westpapua-Netzwerk. Das zweite Referat haben wir ebenfalls in Auszügen dokumentiert: Referat von John Rumbiak.
... Zu Indonesien möchte ich zuerst folgendes sagen: Das
Land steht vor zwei ernsthaften Herausforderungen bezüglich seiner
Selbstverpflichtung, die territoriale Einheit zu erhalten. Die erste Herausforderung
kommt von Aceh im äußersten Westen und die zweite von Westpapua im
äußersten Osten. Diese Völker haben beide starke historische Gründe dafür, ihr
Verbleiben in der Republik in Frage zu stellen. Sie wurden auch ermutigt durch die
Entscheidung der Bevölkerung in Osttimor, die die Integration in die Republik
Indonesien abgelehnt hat. Sie wurden in wachsendem Maße durch bittere
Erfahrungen fortlaufender Verletzungen der Menschenrechte und durch die über
viele Jahre andauernde Verheimlichung der Gewinne aus ihren gewaltigen
Bodenschätzen von Jakarta entfremdet.
Krieg in Aceh
Ich möchte etwas zu Aceh sagen. Seit der Präsidentenverordnung vom April diesen
Jahres, die gerade vor einigen Tagen für weitere drei Monate verlängert wurde,
herrscht in Aceh offener Kriegszustand. Zwar sieht diese "inpres", wie wir sagen,
ein umfassendes Sechs-Punkte-Programm vor, aber der einzige Punkt, der
tatsächlich praktiziert wird, ist der Sicherheitspunkt: Man will die GAM (bewaffnete
Widerstandsbewegung in Aceh) zerschlagen und die Unterstützung für sie durch
das einfache Volk unterbinden. Die Zahl der Toten wird in Aceh seit Beginn dieses
Jahres auf 1500 geschätzt, das sind circa fünf Tote täglich, und die meisten von
ihnen sind Zivilisten. Wir stellen also fest: Es gibt in Aceh einen äußerst ernsten
Krieg - zahllose Verletzungen der Menschenrechte. Kürzlich fand ich einen Satz
von John Rumbiak: "Lasst Westpapua nicht zu einem zweiten Aceh werden!" Ich
denke, man muss sich klar machen, dass Aceh der Ort ist, wo die
schwerwiegendsten Verletzungen stattfinden, wo die heißeste Kriegsphase jetzt
gerade abläuft.
Die Regierungszeit Präsident Wahids: Gescheiterte Reformen
Einige kurze Worte zu dem letzten Präsidenten, nämlich Wahid. Er kam im
Oktober 1999 nach einer höchst geschmacklosen Intrige, die Megawati draußen
halten sollte, an die Macht. Er war ein reformorientierter Präsident, sein Pluspunkt.
Er gab sich Mühe, aber tatsächlich hat er es nicht weit gebracht. Er hatte sich die
Reform der Streitkräfte, der TNI, fest vorgenommen und schien auch zunächst
damit Fortschritte zu machen, als er General Wiranto wegen des Verdachts der
Beteiligung an Verbrechen in Osttimor entließ. Aber zu der Zeit war die TNI
zerstritten, sie war verrufen, weil so viele Beschwerden über das öffentlich
geworden waren, was die TNI während dieser schrecklichen Zeit, der 32 Jahre
währenden Diktatur unter Suharto, getan hatte. Es war Wahid, der den Dialog mit
der GAM in Aceh eingeleitet hat. Und es war auch Wahid, der bestimmte
Konzessionen für die Menschen in Westpapua festschreiben wollte, indem er
andeutungsweise bestätigte, worüber sie sich beschwerten. Er zeigte also eine
gewisse Eigeninitiative. Er wollte bestimmte Schritte in Bezug auf Aceh und
Westpapua unternehmen. In beiden Fällen wurde dem natürlich energisch und
deutlich durch die indonesische Armee, die TNI widersprochen. Und schließlich
wurden die Anstrengungen, die gemacht wurden, umgekehrt.
... Wir wissen heute, dass der sehr erfolgreiche Kongress der Papuas im
Mai/Juni letzten Jahres den militärischen Geheimdienst auf den Plan rief, die
Sicherheitskräfte insgesamt und gewisse Kernabteilungen der Regierung in
Jakarta. Sie planten eine geheime Operation gegen den Auftrieb der
Unabhängigkeitsbewegung und setzten sie entsprechend um. ...
Wir wissen auch, dass die Polizei eine besondere Operation begonnen hat, und ich
hoffe, sehr bald eine Analyse dazu vorlegen zu können. Es handelt sich auch dabei
um geheime Dokumente. Ich kann sagen, dass sich die Polizei ganz wie die
Armee benimmt, obwohl die Polizei tatsächlich vor zwei Jahren von der Armee
abgetrennt und unter ein ziviles Kommando gestellt wurde. Aber tatsächlich geht
es immer noch genauso zu. Man merkt das sofort, wenn man die Dokumente liest.
Sie formuliert ihre Vorhaben nicht wie eine Polizei, deren Aufgabe der Schutz der
Bevölkerung ist, sondern wie eine Sicherheitseinheit, die zerstören will, was sie die
separatistische Bewegung in Westpapua nennt. Es gibt also zwei sehr wichtige,
bedeutsame und gefährliche Entwicklungen in Westpapua. Einerseits das, was die
Sicherheitskräfte der Armee tun - und was die Polizei tut. Das müssen wir sehr
ernsthaft bedenken.
Megawati - Rückkehr zur Militärherrschaft
Nun einige Worte zu Megawati. Man kann sie als konservative Nationalistin
beschreiben, die wie ihr Vater der territorialen Einheit Indonesiens verpflichtet ist,
aber zugleich, anders als ihr Vater, sehr prowestlich eingestellt ist. Und anders als
ihr Vater ist sie als Vorsitzende der PDI-P nicht zuletzt durch ihre starke
Verbindung mit den Streitkräften Präsidentin geworden. Ihre Verbindung zur Armee
war sehr eng und sehr stark. Das bewirkte ihren Aufstieg, so wurde sie im Jahr
1993 zur Vorsitzenden der PDI gewählt. Und seitdem war sie immer sehr eng mit
der Armee verbunden. Die Streitkräfte waren sehr vorsichtig, sich nicht zu
offensichtlich an den Bemühungen zur Absetzung Wahids zu beteiligen. Ich will
das nicht im Einzelnen darlegen. Sie schienen im Hintergrund zu bleiben, aber
tatsächlich haben sie sich während der Zeit Wahids häufig des Ungehorsams
schuldig gemacht und dadurch die Position Wahids immer mehr geschwächt.
Eindeutig wollten sie die Vernichtung Wahids und sie wünschten, dass Megawati
an die Macht kam. Und das ist ja auch so geschehen. Die Ironie des Ganzen ist,
dass der Westen nun den Streitkräften gratuliert, weil sie sich so gut benommen
haben und einen friedlichen Übergang der Macht von Wahid zu Megawati
zugelassen haben. Es war zwar friedlich, aber die Streitkräfte spielten die
entscheidende Rolle, um genau dieses Ergebnis zu erreichen. Anders als von ihren
Vorgängern - und ich möchte hier auch Habibie nennen, der zu seiner Zeit einige
interessante Initiativen einbrachte, zum Beispiel den Anstoß zur Volksabstimmung
in Osttimor - wird man von Megawati keine hilfreichen und positiven Initiativen zur
Lösung der Konflikte in Aceh und Westpapua erwarten dürfen. Sie wird nichts tun
wollen, was sie in Konflikt mit den Streitkräften bringen könnte. ...
Autonomie für Westpapua
Nun einiges darüber, wie Jakarta mit Westpapua umzugehen versucht. Man drängt
energisch auf eine besondere Autonomie für Westpapua. In Jayapura wurde ein
Entwurf erarbeitet, der bestimmte Dinge aufzählte und tatsächlich sagte, dass
Westpapua eine eigene Regierung haben sollte und ein "selbst regiertes Gebiet"
werden sollte. Das ist eine recht ungewöhnliche Ausdrucksweise. Westpapua
sollte wirklich einen besonderen Status mit eigener Flagge und eigener Hymne
bekommen. In diesem Entwurf war sogar von der Möglichkeit die Rede, eine
Wahrheitskommission für Westpapua einzurichten, die die Geschichte
Westpapuas seit 1963 untersuchen sollte, einschließlich des "Act of Free Choice"
von 1969. Das wurde zwar nicht so gesagt, aber es war deutlich, dass dies
gemeint war. Allerdings ist dieser Entwurf nicht das, was nun tatsächlich im
Parlament beraten wird. Dieser Entwurf entspricht dem, was man besondere
Autonomie nennen könnte. Soweit ich weiß, werden die Flagge und all die anderen
Dinge darin nicht zugestanden. Es ist kein Dokument der Zugeständnisse. Jakarta
fürchtet, jedes Zugeständnis könnte das ganze Prinzip der territorialen Integrität
aushöhlen. ...
Menschenrechte in Indonesien
Megawati hat verschiedene öffentliche Anlässe benutzt, sich für die Verletzungen
der Menschenrechte in Westpapua zu entschuldigen. In ihrer Rede vom 16. August
sagte sie sogar, die Streitkräfte sollten in Zukunft jede Verletzung von
Menschenrechten vermeiden. Sie hat also mit öffentlichen Gesten deutlich
gemacht, dass sie an der Frage der Menschenrechte interessiert ist. Aber ich
denke, wir brauchen nicht die Worte der Präsidentin, sondern etwas sehr
Konkretes und Praktisches. Kürzlich hat Indonesien erklärt, es wolle ein
Sondergericht für Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Osttimor einrichten. Mir
scheint das ein energischer Versuch Jakartas zu sein, insbesondere den Kongress
der USA davon zu überzeugen, dass in der Frage der Verbrechen gegen die
Menschlichkeit in Osttimor etwas geschieht. Denn ... der Kongress der USA hat
vor zwei Jahren einen wichtigen Beschluss gefasst, die so genannte "Leahy
Resolution". Sie besagt, dass das über Indonesien verhängte Waffenembargo so
lange bestehen bleibt, bis gewisse Schritte in Richtung auf eine gerichtlichen
Verfolgung der Menschenrechtsverbrechen in Osttimor unternommen werden.
Derzeit ist dieses Embargo noch in Kraft. Deswegen hat man Megawati wohl
geraten, sie solle hier etwas unternehmen, damit das Embargo aufgehoben werden
kann. ...
Das zweite ernste Problem im Bereich der Menschenrechte ist die Straffreiheit.
Hier hat es keinerlei Fortschritte gegeben. Ob es um Verbrechen in Westpapua
geht, in Osttimor oder Aceh, die Straffreiheit ist und bleibt unangefochten. Die
Streitkräfte sind geschützt davor, dass ihre Verbrechen wirklich vor ein Gericht
kommen. Nach meiner Meinung werden wir das sogar in Osttimor erleben.
Das Gerichtswesen ist sehr korrupt, und es wurde völlig unglaubwürdig - wenn das
überhaupt noch möglich war, weil es doch schon so lange korrupt war - durch
einen Beschluss des Höchsten Gerichtes, die Verurteilung von Tommy Suharto
aufzuheben, der in einem Korruptionsfall schuldig gesprochen war. Plötzlich kehrt
das Höchste Gericht seinen eigenen Beschluss um und entscheidet auf
Freispruch. Das wurde in Indonesien als ein weiteres ernstes Zeichen dafür
genommen, wie korrupt das Höchste Gericht ist. ...
Es gab eine Team der Nationalen Kommission für Menschenrechte, das die
Verbrechen in Abepura vom Dezember letzten Jahres untersuchen sollte. Der
Ausschuss nannte die Namen von 27 Polizisten, die vor Gericht gestellt werden
müssten. Wir warten immer noch darauf, dass der Generalstaatsanwalt etwas
gegen die Beschuldigten unternimmt. Der Generalstaatsanwalt ist selbst ein
Problem. Megawati hat M. R. Rachman für dieses Amt ausgewählt. Er ist für seine
Nähe zum Militär bekannt und ist ein Karrierejurist. Man weiß allgemein, dass er
tut, was er kann, um das Militär zu schützen. Ganz sicher hat er das im Fall von
Osttimor getan. Niemand kann daher große Dinge von ihm erwarten, in diesem
oder jedem anderen Fall.
Für die Menschenrechte ist das eine böse Sache. Menschenrechtsorganisationen
machen sich überhaupt Sorgen über die Nationale Kommission für
Menschenrechte. Sie soll entsprechend dem Gesetz über Menschenrechte vom
Jahr 2000 Untersuchungen über Fälle von Verletzungen der Menschenrechte
vornehmen. In Aceh gab es Anfang August ein sehr böses Verbrechen, ein
Massaker, in dem 31 Menschen getötet wurden. Jeder, der einen einigermaßen
klaren Verstand hat, weiß, dass dies die Sicherheitskräfte getan haben. Aber bis
heute war die Nationale Kommission für Menschenrechte nicht in der Lage, eine
Untersuchungskommission für diesen besonderen Fall einzurichten - sie hat sich
sogar geweigert. Dafür wurde sie heftig kritisiert. Heute sagen die
Menschenrechtsorganisationen, die ganze Kommission sollte aufgehoben werden.
Sie sollte entlassen werden, weil sie ihren Zweck nicht mehr erfüllt. ...
Verschärfter Sicherheitsdienst
Nun noch ein weiterer Punkt, der auch mit der globalen Krise zusammenhängt.
Einer der Leute, die Megawati ernannt hat, ist Generalleutnant Hendro Priono. Er
tritt nicht sehr oft in Erscheinung, aber er ist überaus wichtig. Er ist der Chef des
Nationalen Sicherheitsdienstes (BIN). Dort werden alle Sicherheitsdienste
Indonesiens zusammengefasst. Es handelt sich bei Hendro Priono um einen
Offizier, der im Jahr 1989 schwere Grausamkeiten in Lampu beging, für die er
eigentlich vor Gericht gestellt werden sollte. Nun hat er diese außerordentliche
Machtstellung. Als Chef des Nationalen Sicherheitsdienstes ist er Mitglied des
Kabinetts. Das hat es früher nie gegeben. In der Person von Hendro Priono hat
Megawati den Sicherheitsdiensten eine besonders starke Stellung gegeben. ...
Dokumentiert nach Frankfurter Rundschau, 12. Dezember 2001
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