Westpapua: Ein Erbstück des Kolonialismus wurde leichte Beute Indonesiens
Der Widerstand gegen die Besatzer ist aber ungebrochen
Die Neue Zürcher Zeitung widmete sich nach längerer Zeit wieder einmal einer Region und eines Widerstandskampfes, die hier zu Lande weitgehend in Vergessenheit geraten oder überhaupt nicht bekannt sind. Es geht um Westpapua (Irian Jaya). Wir dokumentieren den Artikel gekürzt:
Die Rebellen in Westpapua suchen
Freunde
Werben um die Unterstützung der Nachbarn
und Chinas
...
O. I. Port Moresby, Ende Mai
Neuguinea, die zweitgrösste Insel der Welt, ist
durch die Kolonialmächte Holland, Deutschland und
Grossbritannien aufgeteilt worden - mit für die
Papuas bis heute gravierenden Konsequenzen.
Ethnisch bildete Neuguinea allerdings nie eine
Einheit. Die über tausend verschiedenen
Volksgruppen mit jeweils eigener Sprache standen
eher in einem Konkurrenzverhältnis zueinander; der
Nachbar konnte ebenso sehr Feind wie Freund sein.
Der westliche Teil der gebirgigen Insel wurde 1969
von Indonesien annektiert, und einige Papua
begannen dagegen einen Aufstand, noch bevor der
Osten 1975 die Unabhängigkeit von Australien
gewann. Eine 750 Kilometer lange Grenze teilt die
beiden Inselhälften, wobei Papua-Neuguinea mit
4,5 Millionen Einwohnern mehr als doppelt so stark
bevölkert ist.
Eine diffuse Angst vor dem Nachbarn
Unterstützt von Australien, äußert die Regierung in
Port Moresby seit je offiziell monoton die Ansicht,
dass Westpapua ein integraler Bestandteil
Indonesiens ist. Papua-Neuguinea und die
ehemalige Kolonialmacht sind von einer diffusen
Angst vor ihrem nächsten Nachbarn geprägt, einem
Staat von über 220 Millionen Einwohnern, der viele
Muslime aus dem übervölkerten Java nach seiner
östlichsten Provinz, die es Irian Jaya nennt,
umgesiedelt hat. Die aufständischen Rebellen, die
ihr Land Westpapua nennen, wollen die wie
Besatzer agierenden Indonesier abschütteln.
Papua-Neuguinea ist ihr einzig mögliches
Rückzugsgebiet.
Seit letztem Dezember, als der indonesische
Polizeiapparat das von Präsident Wahid ermöglichte
Tauwetter in Westpapua erstickte und die Spitze
der politischen Führung einsperrte, hat Port
Moresby für die sezessionistische Bewegung als ein
Ort für den Rückzug an Wichtigkeit gewonnen.
Anfang Mai, mit dem Beginn der ersten Prozesse
gegen die Führer der Freiheitsbewegung in
Jayapura, hat Jakarta den eingeschlagenen
Konfrontationskurs bestätigt. Die Angeklagten sind
Mitglieder des Dewan Papua, des sogenannten
Präsidiums der Unabhängigkeitsbewegung. Wegen
der Verfolgung in Indonesien hat das Dewan einen
Teil seiner Kompetenzen an das Pasifik Panel
übertragen, eine Unterorganisation des 31-köpfigen
Präsidiums, das von Franzalbert Joku geleitet wird,
der sich vorzugsweise in Port Moresby oder
Vanuatu aufhält.
Flüchtlinge an Indonesien ausgeliefert
In der Vergangenheit hat Port Moresby mehrmals
Asylsuchende den Indonesiern ausgeliefert und
damit oft in den Tod geschickt oder unbequeme
Flüchtlinge in ferne Länder abgeschoben, etwa nach
Schweden oder Ghana. Mehrere hochgestellte
Politiker Papua-Neuguineas haben sich von
indonesischen Militärs bezahlen lassen. Der
eklatanteste Fall betraf den ehemaligen Armeechef,
Brigadegeneral Ted Diro, der 1987 als
Außenminister vom indonesischen General Murdani
139.400 Dollar einsteckte, die er als «Geschenk»
deklarierte, nachdem die Sache aufgeflogen war.
Dies trug ihm keine Massregelung ein; Diro wurde
erst abgesetzt, als er Forstminister war und in
insgesamt 80 Fällen der Korruption angeklagt
wurde; er sitzt jetzt wieder im Parlament.
Diro war die treibende Kraft hinter dem Abschluss
eines «Vertrages des gegenseitigen Respekts, der
Freundschaft und Zusammenarbeit» zwischen
Jakarta und Port Moresby. Wichtigsten Punkt bildet
der Passus, dass das jeweilige Territorium nicht für
feindliche Aktivitäten gegen das Nachbarland zur
Verfügung gestellt werden darf. Mehrmals
verfolgten indonesische Truppen Aufständische
über die Grenze hinweg nach Papua- Neuguinea
herüber. Als melanesische Polizisten 1984 aus der
indonesischen Armee desertierten, flohen rund
10.000 Menschen aus Westpapua vor den
Racheakten der Truppen nach Papua-Neuguinea.
Ein Teil lebt noch immer in Flüchtlingslagern, die
jedoch auf indonesischen Druck hin von der Grenze
bei Vanimo in die Gegend von Wewak verlegt
worden sind, wo die katholische Kirche sich um sie
kümmert. Auf die gesteigerten Aktivitäten der
Rebellenbewegung Organisasi Papua Merdeka
(Organisation Freies Papua) reagierte Port Moresby,
indem es 13 Guerillas festnehmen ließ, unter ihnen
den Chef der Nordfront der Freiheitskämpfer,
Wenda. Außer ihm und seinem Stellvertreter sind
inzwischen alle wieder freigelassen worden.
Werben um Anerkennung
Im Gegensatz zur Regierung bringt die Bevölkerung
Papua-Neuguineas den verfolgten Brüdern von
jenseits der Grenze grosse Sympathien entgegen.
In Port Moresby können sich die Exilierten relativ
frei bewegen. Clemens Rumeweri und Wilhelm
Zongganao gehören beide zur Leitung des Pasifik
Panel; sie bezeichnen die Haltung der Regierung
und Australiens als «Indophobie». Wohl wissend
um die außenpolitische Abhängigkeit Port
Moresbys von Canberra, konzentrieren sie ihre
Kampagne für mehr Anerkennung auf Australien. ...
Auf der politischen Bühne gelang der Opposition
aus Westpapua im vergangenen Jahr ein Coup,
indem auf der Jahrestagung der Pazifikstaaten
gegen den Widerstand von Canberra die Anliegen
der unterdrückten Papua in Indonesien
Anerkennung fanden. Gegenwärtig konzentrieren
die exilierten Papua ihre Kräfte, um auf der
nächsten Tagung des Pacific Islands Forum im
August den offiziellen Beobachterstatus zu
gewinnen - gleichrangig mit Indonesien. Der Anlass
wird in Nauru stattfinden, und in der dortigen
Regierung von Präsident Harris haben die
Freiheitskämpfer aus Westpapua einen ihrer
wichtigsten Verbündeten, der wie Vanuatu und
Tuvalu ihren Unabhängigkeitsanspruch anerkennt.
Die Unterstützung für Westpapua ist in diesen drei
Staaten gefestigt und hat bereits
Regierungswechsel überstanden.
Strategische Interessen Chinas
Die Papua-Rebellen strecken ihre Fühler aber noch
weiter aus, nach der mächtigen Hand Chinas. Mitte
Mai verlautete, dass eine Delegation des Dewan
Papua nach Peking eingeladen worden ist. Ben
Bohane, ein sehr gut informierter Reporter,
veröffentlichte im «Sydney Morning Herald» einen
Artikel über die bisher kaum bemerkte, verstärkte
diplomatische Aktivität Chinas in den Ländern, die
den Freiheitskämpfern wohl gesinnt sind.
Ausserdem machen chinesische Militärs der
vernachlässigten Armee Papua-Neuguineas den
Hof. China hat im vergangenen Jahr seine
Budgethilfe an Port Moresby generös um 72 Prozent
auf rund 300 Millionen Franken erhöht und erreicht
damit fast den Beitrag des ehemaligen
Mutterlandes Australien, das seine Hilfe wegen der
eklatanten Korruption praktisch nur noch an
Projekte gebunden auszahlt. Falls es zwischen
China und den USA wieder zu Verhältnissen wie im
Kalten Krieg kommen sollte, so würde Neuguinea in
den Augen Pekings eine wichtige Rolle zukommen:
Es liegt zwischen Australien, in dessen
Nordterritorien wichtige amerikanische
Verteidigungsanlagen angesiedelt sind, und
Taiwan. Eine chinesische Unterstützung der Papua-
Rebellen müsste Indonesien erzürnen, doch China
hat zu dem Land ein gespaltenes Verhältnis, seit
die Kommunisten dort blutig aufgerieben wurden
und weiterhin Geschäftsleute chinesischen
Ursprungs ihren Kopf als populäre Sündenböcke
hinhalten müssen. Im Endeffekt könnte China an
einer Vereinigung der beiden Hälften Neuguineas zu
einem ihm wohl gesinnten Konstrukt Interesse
haben, denn die Insel gehört zu den
rohstoffreichsten Gegenden der Welt. Und China ist
auf Nachschub von Rohstoffen dringend
angewiesen, wenn es seinen wirtschaftlichen
Rückstand gegenüber den USA reduzieren will.
Mangelnde Koordination der Rebellen
Ein grosses Hindernis auf dem Weg zum Erfolg stellt
die mangelnde Einheit der Freiheitskämpfer dar.
Nach aussen hin treten sie zwar als eine Gruppe
auf, aber im Innern gibt es praktisch keine
Koordination zwischen den verschiedenen Fronten
der Organisation Freies Papua. Regelmässig melden
sich Kommandanten zu Wort, die sich selber zum
Oberbefehlshaber ausrufen, wo es doch kaum eine
zentrale Organisationsstruktur gibt. Das fehlende
Zentralkommando erschwert zwar den
indonesischen Truppen das Ersticken des Brandes,
vermindert aber die militärische Bedrohung durch
die Rebellen, die in der Region nach
Waffenlieferanten Ausschau halten. Das Dewan
spricht zwar von seiner politischen Oberaufsicht,
doch muss dies noch als Fiktion gelten.
Aus: Neue Zürcher Zeitung, 7. Juli 2001
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