Widerstand in Irian Jaya (Westpapua) gegen indonesische Zentralmacht nimmt zu
Mehrere Tote bei blutigen Zusammenstößen
Am 2. und 3. Dezember 2000 fanden in Irian Jaya, der östlichsten Provinz des indonesischen Inselreichs anlässlich eines Gedenktages der westpapuanischen Unabhängigkeitsbewegung Aktionen und Demonstrationen gegen das Regime von Jakarta statt. Dabei setzte die indonesische Staatsmacht ein massives Polizeiaufgebot ein. Die Neue Zürcher Zeitung berichtete am 4. Dezember 2000 in einem längeren Beitrag über die Zusammenstöße, in deren Verlauf auch ein NZZ-Redakteur verhaftet worden war. Wir dokumentieren nachfolgend den Artikel in Auszügen.
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In Indonesiens östlichster, häufig von Unruhen
erschütterter Provinz Irian Jaya ist es am Wochenende
zu blutigen Zusammenstössen zwischen
westpapuanischen Separatisten* und indonesischen
Sicherheitskräften sowie zu einer massiven
Machtdemonstration des Zentralstaates gekommen.
Noch am vergangenen Freitag war ein Gedenktag der
seit den sechziger Jahren gegen die Annektierung und
Verwaltung durch Indonesien ankämpfenden
Unabhängigkeitsbewegungim auch Westpapua
genannten Territorium überraschend ruhig und friedlich
über die Bühne gegangen. Am Samstag gerieten jedoch
in der Ortschaft Merauke, im Südosten von Irian Jaya
undunweit der Grenze zum Nachbarstaat
Papua-Neuguinea, Separatisten und indonesische
Polizistenin einer gewalttätigen Auseinandersetzung
aneinander, die acht Todesopfer und über ein Dutzend
Verletzte forderte.
Gewalttätiger Konflikt um Flaggen
Laut amtlicher Darstellung ereignete sich der
Zwischenfall, als Separatisten am Fahnenmast vor dem
örtlichen Verwaltungsgebäude die «Morgenstern-Flagge»
der Unabhängigkeitsbewegung hissen wollten und dabei
die zuvor eingeholte indonesische Nationalflagge in
Stücke zu reissen begannen. Einschreitende schwer
bewaffnete Sicherheitskräfte wurden mit Pfeil und
Bogen sowie Streitäxten angegriffen. Sie eröffneten daraufhin
das Feuer. Laut den offiziellen Angaben handelt es
sich
bei sieben der Todesopfer um einheimische
Unabhängigkeitsbefürworter. Der achte Tote war ein
Taxifahrer, der im Rahmen der staatlich geförderten
Umsiedlungsbewegungen der vergangenen drei
Jahrzehnte von Indonesiens am dichtesten bevölkerter
Insel Java nach Irian Jaya ausgewandert war; von
papuanischen Pfeilen getroffen, erlag er in der
örtlichen
Krankenstation seinen Verletzungen. Bei einer ähnlich
geartetenAuseinandersetzung im Distrikt Fak Fak im
westlichen Teil Irian Jayas sind von Freitag auf
Samstag
offenbar zwei weitere Separatisten von indonesischen
Polizisten erschossen worden. Beobachter gehen davon
aus, dass sich im dünn besiedelten Westpapua, dessen
Bewohner teilweise noch wie in der Steinzeit leben,
weitere solche Vorfälle ereignet haben könnten, von
denen die Aussenwelt aber wegen der Abgelegenheit
dieser Gebiete kaum je etwas erfahren wird.
Wohl gerade weil der indonesische Zentralstaat es nie
geschafft hat, unter den 210 Millionen auf 17 000
Inseln
verteilt lebenden und 600 verschiedene Sprachen und
Dialekte sprechenden Bewohnern des Landes ein echtes
Nationalbewusstsein hervorzurufen, messen Anhänger
der staatlichen Einheit wie auch die Sezessionisten in
den peripheren Gebieten dem Hissen von Flaggen einen
Wert bei, der Aussenstehende häufig übersteigert
anmutet. Im irrigen Glauben, mit Nachgiebigkeit der
erstarkenden Unabhängigkeitsbewegung in Irian Jaya die
Spitze brechen zu können, tolerierte Indonesiens
erster
demokratisch gewählter Präsident, Wahid, nach seinem
Amtsantritt vor Jahresfrist vorerst den verbreiteten
Gebrauch der papuanischen Morgenstern-Flagge. Unter
dem Druck von Militärs und Angehörigen seiner
Regierung, die befürchten, dass Irian Jaya den Weg
Osttimors gehen und sich unter Beihilfe ausländischer
Kräfte von Indonesien abspalten könnte, hat Wahid in
den letzten Monaten Schritt um Schritt
zurückbuchstabieren müssen. Laut einem Dekret, das
erneute Härte Jakartas im Umgang mit Separatisten in
Papua - aber auch im ebenso sezessionsgefährdeten
Aceh - signalisiert, darf die Unabhängigkeitsfahne
seit
dem 1. Dezember nur noch als «kultureller Ausdruck»
anfünf offiziell dafür bestimmten Stellen der Provinz
flattern gelassen werden. Die Durchsetzung des Dekrets
wird in den kommenden Tagen und Wochen wohl noch
zu vielen Zusammenstössen führen.
Räumung des Hauptquartiers
Dem Einschlagen eines härteren Kurses Nachdruck
verschaffend, haben am Sonntag im Morgengrauen 250
Polizisten in voller Strassenkampfausrüstung in
Jayapura, der Hauptstadt Westpapuas, das «Irian Jaya
Kunst- und Kultur-Zentrum» gestürmt. Das ziemlich
baufällige Gebäude im Stadtzentrum ist von grosser
historisch-symbolischer Bedeutung, weil darin 1961
papuanische Stammesführer die - in der Folge weltweit
von niemandem anerkannte - Unabhängigkeit des
Territoriums von der bisherigen holländischen
Kolonialmacht erklärten, das Ereignis also, dessen
Jahrestag am Freitag «gefeiert» worden ist. Im
vergangenen Sommer hatte die «Papua Taskforce», der
uniformierte, aber nur mit Pfeil und Bogen sowie
Streitäxten bewaffnete Arm der
Unabhängigkeitsbewegung, das zuvor jahrelang leer
stehende Gebäude besetzt und zum Hauptquartier
erklärt. In Verhandlungen mit Vertretern des
indonesischen Staates, dem das Haus offiziell heute
gehört, hatten die papuanischen Milizionäre
ursprünglich
zugesichert, das Zentrum bis am Samstag freigeben zu
wollen. Bei der polizeilichen Räumungsaktion sind nach
Angaben von Oberstleutnant Daud Sihombing, dem
Polizeikommandanten von Jayapura, 47 Mitglieder der
Unabhängigkeitsmiliz festgenommen sowie neben
zahlreichen primitiven Waffen auch mehrere
Molotowcocktails beschlagnahmt worden.
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NZZ-Redaktor Oswald Iten verhaftet
Der NZZ-Redaktor Oswald Iten ist am
Wochenende in Jayapura, der
Provinzhauptstadt von Irian Jaya in
Indonesien, von der Polizei verhaftet
worden. Nach einer Meldung der
staatlichen indonesischen
Nachrichtenagentur Antara vom Sonntag
ist Iten festgenommen worden, weil er
sich journalistisch betätigt habe, obwohl
er mit einem Touristenvisum nach
Indonesien eingereist sei. Iten sei der
Polizei aufgefallen, weil er Fotos gemacht
habe, als am 1. Dezember in Jayapura
die separatistische «Morgenstern-Flagge»
gehisst und später wieder eingeholt
wurde. Die Antara-Meldung
zitiert Oberstleutnant Daud Sihombing,
den Polizeikommandanten von Jayapura,
mit den Worten, Iten habe sich Verstösse
gegen die 1996 erlassenen Gesetze über
die Einreise nach Indonesien zuschulden
kommen lassen.
Bei Oswald Iten, der seit fast dreissig
Jahren für unser Blatt tätig ist, handelt es
sich um einen äusserst erfahrenen
Journalisten, der Irian Jaya, die häufig von
separatistischen Unruhen erschütterte
Provinz, aus eigener Anschauung gut
kennt. Seine unbestechliche
Berichterstattung ist den aufmerksamen
Lesern der NZZ sehr gut bekannt. Iten ist
während der Ausübung seiner normalen
journalistischen Tätigkeit verhaftet
worden. Die Schweizer Botschaft in
Jakarta ist eingeschaltet worden und
befasst sich mit Abklärungen des Falles.
* "Separatisten" ist vielleicht ein unglücklicher Begriff. Bei den Einwohnern Irian Jayas handelt es sich um die Bevölkerung eines Landes, das widerrechtlich von Indonesien annektiert wurde. Die Bewohner fordern also die Wiedererlangung ihrer Unabhängigkeit vom indonesischen Staat. (Anmerkung Pst)
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