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Schleppende Erneuerung in Indonesien

Reformpräsident Wahid verliert an Durchsetzungskraft - ein Jahr nach dem Sturz des Diktators Suharto gewinnen Militär und alte Eliten wieder an Einfluss / Von Andreas Bänziger (September 2000)

Es ist weitgehend wieder still geworden um Indonesien. Mit dem Sturz Suhartos und dem Ende seines Nachfolgers Habibie sowie nach der Unabhängigkeit Osttimors haben sich die Wogen geglättet. Allerdings nur nach außen. Im Inneren des riesigen Inselreiches brodelt es. Sezessionsbewegungen auf fast allen größeren Inseln und soziale und politische Spannungen zwischen den alten und neuen Kräften der politischen Klasse lassen das Land ebenso wenig zur Ruhe kommen wie die weiterhin nach unten gerichteten Wirtschaftsdaten. Der folgende Bericht beleuchtet die Stellung und die Probleme des Präsidenten Wahid, mit dessen Amtsantritt große Hoffnungen verbunden waren, der aber nach knapp einem Jahr an der Spitze des Staates Abnutzungserscheinungen zeigt. Wir dokumentieren - leicht gekürzt - einen Hintergrundbericht aus der Süddeutschen Zeitung vom 21. September 2000.

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Ein knappes Jahr nach seiner überraschenden Wahl zum Präsidenten Indonesiens ist Abdurrahman Wahid nicht mehr die unantastbare moralische Autorität, die er als liberaler Muslimführer und überzeugter Demokrat einmal war. Seine Gegner, die ihm im Oktober letzten Jahres den Vortritt lassen mussten, haben sich von der Niederlage erholt und blasen zum Angriff. Wahid muss sich nun sogar eine parlamentarische Untersuchung in zwei Korruptionsfällen gefallen lassen. Im einen geht es um seinen Masseur, der dem staatlichen Nahrungsmittelverteiler Bulog vier Millionen Dollar abgeschwatzt hat, indem er offenbar, ganz im Stil der guten alten Suharto-Zeit, auf seine Nähe zum Präsidenten verwies. Im zweiten Fall geht es um eine Spende des Sultans von Brunei, die der Präsident für humanitäre Zwecke in Aceh ausgegeben haben will. Noch wagt niemand, den Präsidenten der persönlichen Bereicherung zu verdächtigen. Aber die Opposition will beweisen, dass auch das neue Regime nicht vor Korruption gefeit ist.

Von einem Teil der Presse, die ihre neu gewonnene Freiheit nicht immer in den Dienst der Wahrheit stellt, wurde Wahid kürzlich gar unterstellt, vor seinem ersten Schlaganfall ein außereheliches Verhältnis gehabt zu haben. Das steht Präsident Wahid, der auch muslimischer Gelehrter und Führer der mächtigen islamischen Organisation Nahdlatul Ulama mit 30 bis 40 Millionen Mitgliedern ist, nicht gut an. "Er soll als Saubermann demontiert werden", kommentiert ein Beobachter.

Mit der Image-Schädigung von Präsident Wahid, den man einmal "Indonesiens einzigen wirklichen Demokraten" genannt hat, verliert auch der Reform- und Demokratisierungsprozess an Durchschlagskraft. In mancher Hinsicht hat nach den Umwälzungen der Zeit nach Suhartos Sturz im Mai 1998 wieder die Restauration eingesetzt. "Die Reformkräfte verlieren an Gewicht", stellt der Menschenrechtler Hendardi fest. Vor allem fehlt der Druck der Straße. Die mächtige Studentenbewegung von einst, die treibende Kraft hinter dem Rücktritt des Diktators Suharto, hat sich praktisch aufgelöst und bringt bestenfalls noch ein paar hundert Leute auf die Straße. Eine breite Volksbewegung wie im Mai 1998 ist erst recht nicht auszumachen. "Es fehlt das gemeinsame Ziel, der gemeinsame Feind, wie es Suharto war", sagt Hendardi. "Da ist es schwierig, die Leute auf die Straße zu bringen." Das machen sich konservative Kräfte in der Politik, in der Wirtschaft und in der Armee zu Nutze. Das Militär, dessen Rückzug aus der Politik die Studenten damals mit Nachdruck gefordert haben, ist wieder an die Schalthebel der Macht gerückt. Der wichtigste Mann in Wahids neuer Regierung, Susilo Bambang Yudhyono, ist ein General, und weitere drei Militärs nehmen Schlüsselstellungen im Kabinett ein.

Die Politiker erlauben den Militärs sogar, ihre Sitze in der Beratenden Volksversammlung, dem höchsten Organ der Republik, noch bis zum Jahr 2009 zu behalten - ein Zugeständnis, das noch vor einem Jahr den Zorn der Menschen erregt hätte. Zwar sind es neue Männer, die jetzt das Sagen haben. Suhartos Schergen hat der Präsident erfolgreich ausmanövriert. Aber offenbar ist Indonesiens neue Demokratie doch nicht stark genug ohne die Armee, die dem Suharto-Regime als wichtigste Stütze gedient hatte.

Soldaten als Befehlsverweigerer

Doch scheinen die selben Militärs, die in der zivilen Verwaltung wieder an Einfluss gewonnen haben, ihre eigene Soldateska schlecht unter Kontrolle zu haben. Die Generäle an der Spitze mögen Gefolgsleute Wahids sein, aber die Politik der Regierung können auch sie nicht durchsetzen. Das zeigt sich vor allem in Ambon und Westtimor. In den Molukken lässt die Armee nicht nur Unruhestifter gewähren, sie hat auch schon offen auf der Seite muslimischer Extremisten in die Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen eingegriffen. Sie verhinderten auch nicht, dass mehrere tausend Jihad-Krieger in Ambon an Land gingen und den Konflikt wieder anfachten. Sie missachteten damit einen ausdrücklichen Befehl des Präsidenten.

Auch in Westtimor sahen die staatlichen Sicherheitskräfte Anfang September tatenlos zu, als wild gewordene Milizen, welche noch vor einem Jahr im Auftrag der Militärs Osttimor zerstörten, drei UN-Mitarbeiter ermordeten. Damit kam die gesamte internationale Hilfsaktion für rund 100 000 Flüchtlinge aus Osttimor zum Stillstand. Die Milizen werden von der staatlichen Armee weiter benutzt, um bis nach Osttimor hinein Unruhe zu stiften. Vergeblich haben die Vereinten Nationen die Trennung der echten Flüchtlinge von den kriminellen Milizen und die Verlegung der Lager weg von der Grenze verlangt. Die Unfähigkeit Jakartas, in Westtimor für Ordnung zu sorgen, gefährdet nun auch die politische und finanzielle Unterstützung für Indonesien durch das Ausland...

Offensichtlich kann sich Präsident Abdurrahman Wahid nicht durchsetzen gegen die "Kräfte des Bösen", wie er sie nennt, und sein jüngster Versuch, diese Kräfte um Suharto frontal anzugreifen, ist kläglich gescheitert. "Gus Dur versprach den demokratischen Wandel, aber er ist ihm nicht gelungen", sagt Asmara Nababan, der Generalsekretär der indonesischen Menschenrechtskommission. "Es fehlt ihm die Macht dazu und es fehlt der starke Wille der politischen Elite." Die alte Clique um Suharto hat, auch wenn sie momentan von der Macht verdrängt ist, immer noch gute Beziehungen und vor allem Geduld, während Wahid nur sein guter Wille zur Verfügung steht.

"Wir haben eine legitime Regierung, die den Übergang zur Demokratie zu vollziehen versucht, aber gleichzeitig sind die alten Kräfte immer noch sehr stark", sagt der Menschenrechtler Hendardi. "Wer diese Auseinandersetzung gewinnen wird, die Kräfte der Reform oder die Kräfte der Reaktion, ist schwer zu sagen. Gus Dur ist in Schwierigkeiten, weil seine Gegner dabei sind, seine politische Stellung zu untergraben. Gleichzeitig versuchen Anhänger des alten Regimes, den demokratischen Prozess durch Gewalt und durch Bombenanschläge abzublocken."
Aus. Süddeutsche Zeitung, 21. 09. 2000

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