Indonesien: Ad-hoc-Gericht soll Massaker in Ost-Timor untersuchen
Menschenrechts-Organisationen kritisieren Halbherzigkeit
Von "Watch Indonesia!" erhielten wir folgenden Bericht vom ersten Prozesstag in Jakarta.
Von Alex Flor, Jakarta
Mit der Verlesung der Anklageschriften gegen den ehemaligen Governeur
von Ost-Timor, Abilio Soares, und den damaligen Polizeichef der von
Indonesien annektierten Inselhälfte, Timbul Silaen, begann heute (14. März 2002) der
Prozess gegen insgesamt 18 Angeklagte, die als Verantwortliche für die
schweren Menschenrechtsverletzungen in Ost-Timor vor und nach dem
Referendum 1999 beschuldigt werden. Das durch ein eigens zu diesem Zweck
erlassene Gesetz (Nr. 26/2000) möglich gewordene Ad-hoc Gericht soll
dazu dienen, ein drohendes internationales Tribunal ähnlich den
Tribunalen zu Jugoslawien und Ruanda abzuwenden. Von einer juristischen
Aufarbeitung der Verbrechen hängt auch die Wiederaufnahme von
Waffenexporten und militärischer Zusammenarbeit mit den USA ab, die
aufgrund der blutigen Ereignisse in Ost-Timor auf Eis gelegt wurden. Die
Eröffnung des Prozesses wurde seit September letzten Jahres mehrfach
angekündigt und wieder verschoben. Erwartungsgemäß fiel der
Prozessbeginn nun auf einen Zeitpunkt unmittelbar vor der Jahressitzung
der UN Menschenrechtskommission in Genf. Es steht somit zu erwarten,
dass die Kommission die Eröffnung des Verfahrens begrüßen, gleichzeitig
aber von kritischen Stellungnahmen absehen wird, da man ein schwebendes
Verfahren nicht vorschnell kommentieren möchte.
Menschenrechtsorganisationen übten bereits im Vorfeld der
Prozesseröffnung heftige Kritik an dem Verfahren. So finden sich
beispielsweise zwei der prominentesten Verdächtigen, der ehemalige
Oberbefehlshaber des Heeres und Verteidigungsminister Wiranto sowie der
frühere Geheimdienstchef Zacky Anwar Makar, entgegen den Empfehlungen
einer staatlichen Untersuchungskommission nicht auf der Liste der
Angeklagten. Und keiner der Angeklagten befindet sich in
Untersuchungshaft. Kritisiert wurde auch das Berufungsverfahren zur
Auswahl der Richter und Staatsanwälte. Kaum einer der Richter hat
Erfahrung mit Menschenrechtsfällen, mindestens zwei Richter sind in den
Augen von Beobachtern befangen: einer arbeitete in der Vergangenheit als
Rechtsberater für Angehörige des Militärs, ein weiterer Richter sowie
zwei der Staatsanwälte gehören selbst dem Militär an. Problematisch ist
außerdem das Mandat des Sondergerichtes, das sich nur auf einzelne
besonders schwere Fälle vom April 1999 und die nach dem Referendum am
30. August 1999 begangenen Verbrechen im September 1999 erstreckt.
Um die Taten in Ost-Timor als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu
ahnden, ist es erforderlich nachzuweisen, dass sie unter Beteiligung
oder zumindest unter stillschweigender Duldung des Machtapparates, und
zwar systematisch mit der Folge schwerwiegender Verletzung erfolgten.
Genau diese Systematik ist bei der Untersuchung lediglich zweier Monate
nicht nachweisbar.
Erst in buchstäblich allerletzter Minute räumte Präsidentin Megawati
gestern mit ihrer Unterschrift unter ein Zeugenschutzgesetz und ein
Gesetz zur Regelung von Kompensationen für die Opfer letzte formale
Hindernisse aus dem Weg.
Nicht weniger als 15 Fernsehteams und nahezu alle in Jakarta vertretenen
ausländischen Medien verfolgten den Prozessauftakt heute morgen im
Gerichtsgebäude in der Jl. Gadjah Mada. Vor dem Gebäude demonstrierten
etwa dreißig in den indonesischen Landesfarben rot-weiß bemalte
Jugendliche der "Front für die Einheit der Nation" (FPBI). Sie
inszenierten ein kurzes Straßentheater und beschuldigten in Sprechchören
und auf mitgeführten Plakaten die USA, Australien und die Vereinten
Nationen als die eigentlich Schuldigen an den tragischen Ereignissen in
Ost-Timor. Ihre ideologische Stärke bewiesen die Anhänger dieser Gruppe,
die von dem ehemaligen Milizenführer und Mitangeklagten Eurico Guterres
geführt wird, durch ihre Kleidung. Einer der Jugendlichen trug ein
T-Shirt mit dem Konterfei Che Guevaras, ein anderer hielt ausgerechnet
die australischen Nationalfarben für ein passendes Stoffmuster, um damit
bekleidet gegen Australiens Rolle im Ost-Timor-Konflikt zu polemisieren.
Eurico Guterres und einige seiner Fans mit derselben ihm typischen
Hardrock-Frisur verfolgten den Prozess im Gerichtssaal. Trotz massiver
Polizeipräsenz gab es keinerlei Zugangsbeschränkungen, die Atmosphäre in
und vor dem Gericht war unaufgeregt.
Der von einer Mehrheit der indonesischen Politiker wegen des Verlustes
der Provinz Ost-Timor gepflegte verletzte Nationalstolz spiegelt sich in
der Bevölkerung kaum wider. Die Menschen in Jakarta nahmen wenig Notiz
von dem Prozess. Das derzeit beherrschende Thema an den Imbissständen
der Hauptstadt ist die Verhaftung des Parlamentspräsidenten und
Vorsitzenden der ehemaligen Regierungspartei GOLKAR, Akbar Tandjung,
Anfang voriger Woche sowie die gestern erfolgte Festnahme des
Zentralbankchefs Sjahril Sabirin. Beiden wird Korruption in
Millionenhöhe vorgeworfen. Akbar Tandjung soll 32,5 Mrd. Rupiah (ca. 3,6
Mio. €) von insgesamt 40 Mrd. Rp. zur Seite geschafft haben. Besonders
prekär: diese Gelder waren für ein Lebensmittelhilfsprogramm für die von
der Wirtschaftskrise besonders betroffenen Armen vorgesehen. Ost-Timor
ist weit weg, aber Reis ist für viele Menschen noch immer viel zu teuer.
Die völlige Verkennung dessen, was die Leute hier wirklich bewegt, blieb
auch im Gerichtssaal nicht ohne Folgen. Die Verteidigungsstrategie der
Anwälte von Timbul Silaen beruhte im wesentlichen darauf, an die
nationalistischen Gefühle der Richter zu appellieren. Doch die
theatralisch vorgetragene Erwiderung auf die Anklageschrift sorgte unter
den Zuschauern nur für Heiterkeit. Argumente wie UNAMET (UN Assistance
Mission in East Timor) habe durch seine "nicht neutrale" Stimmauszählung
die Verantwortung für die Eskalation der Gewalt in Ost-Timor zu tragen
konnten ebenso wenig überzeugen wie Appelle an das Gericht, man dürfe
die Polizei nicht mit Ermahnungen zur Wahrung der Menschenrechte
verunsichern und an der Ausübung ihrer Ordnungspflicht behindern. Die
Anwälte erklärten weiter, das Gericht möge sich der Wahrheitsfindung
verpflichtet sehen und sich nicht internationalem Druck beugen. Längst
sei doch erwiesen, dass die von internationalen
Menschenrechtsorganisationen und der Presse erhobenen Vorwürfe falsch
seien; es sei nicht wahr, dass es in Ost-Timor so viele Opfer gegeben
habe, wie immer behauptet wurde.
In der Sache ging die Erwiderung der Anwälte nur in Ansätzen auf die
Anklagepunkte ein. Am Massaker in Liquica treffe Timbul Silaen keine
Schuld, weil er zur fraglichen Zeit in Jakarta weilte und seinem
Stellvertreter das Kommando übertragen hatte. In den anderen Fälle
(Angriff auf Flüchtlinge im Haus von Manuel Carrascalao, Angriff auf den
Sitz von Friedensnobelpreisträger Bischof Belo usw.), habe sich Silaen
korrekt verhalten, da er über sein Mobiltelefon die Anweisung gegeben
habe, gegen die Angreifer vorzugehen. Dass die Maßnahme letztlich keinen
Erfolg hatte, könne Silaen nicht zur Last gelegt werden.
Schwerer als diese Argumente wog die grundsätzliche Infragestellung der
Zulässigkeit des Verfahrens sowie der Zuständigkeit des Gerichtes, die
in der Entgegnung der Anwälte Silaens breiten Raum einnahm und Abilio
Soares Anwälte dazu veranlasste, auf eine Entgegnung in der Sache
zunächst völlig zu verzichten. Die angesprochenen Punkte berühren die
von Anfang an bekannten Schwachstellen des Menschenrechtsgesetzes Nr.
26/2000. Das Gesetz, das ausdrücklich die Anwendbarkeit auf Vergehen
zulässt, die vor seiner Verabschiedung begangnen wurden, steht in
Widerspruch zu einer im August 2000 beschlossenen Verfassungsänderung,
nach der ebendiese Rückwirksamkeit neu erlassener Gesetze unzulässig
ist. Des weiteren machten die Anwälte geltend, dass laut Gesetz Jakarta
nicht Gerichtsstand für in Ost-Timor begangene
Menschenrechtsverletzungen sein könne - und alle anderen Städte auch
nicht, da sich deren Zuständigkeitsbereich jeweils auf genau definierte
indonesische Territorien beschränke. Das inzwischen als Ausland geltende
Ost-Timor ist somit durch keinen Zuständigkeitsbereich eines
indonesischen Gerichtes abgedeckt. Durch die Verschleppung des
Verfahrens seien außerdem klar begrenzte Fristen überschritten, so dass
der Prozess schon alleine aus diesem Grunde nicht mehr stattfinden
dürfe.
Die Staatsanwaltschaft hat nun eine Woche Zeit diesen Einwänden zu
begegnen. Beide Verfahren werden am Donnerstag, den 21. März 2002,
fortgesetzt. Zwei Tage zuvor wird das Verfahren gegen fünf weitere
Angeklagte eröffnet.
Jakarta, 14. März 2002
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