Islam als prägende Kraft?
Islamischer Fundamentalismus und religiöse Konflikte in Indonesien
Aus einer Artikelserie, die Mitte Mai in der Tageszeitung junge welt in sechs Teilen erschien, dokumentieren wir im Folgenden zwei Teile, die sich in besonderer Weise mit der Rolle der Religionen, insbesondere des Islam, beschäftigen. Autor der Serie ist der Ostasien-Experte Rainer Werning, dessen Analysen häufig auch in anderen Zeitungen (z.B. Freitag, WoZ) erscheinen.
Schatten der Vergangenheit
»Auf der indonesischen Insel Sulawesi sind Tausende Christen
auf der Flucht vor schwer bewaffneten militanten Mitgliedern
der islamistischen Gruppe Laskar Jihad. Im Gebiet um Poso,
einer Küstenstadt in der Provinz Mittelsulawesi, wurden
Hunderte Häuser zerstört. Allein am letzten
November-Wochenende wurden Dutzende getötet.«
(Nach Meldungen von Associated Press & Jakarta Post am
30.11.01 und 1.12.01)
Auch als indonesische Vizepräsidentin unter Abdurrahman
Wahid blieb die seit Sommer 2001 amtierende Präsidentin
Megawati Sukarnoputri unauffällig. Enge Vertraute von
Megawati haben auf deren traumatische Erlebnisse im Zuge
der Absetzung ihres Vaters in den Jahren 1965/66 verwiesen
und hervorgehoben, daß sie auf keinen Fall riskieren will, zu
den Militärs auf Konfrontationskurs zu gehen. Sie selbst hat
auch nie einen Hehl daraus gemacht, daß sie das Militär als
notwendiges Instrument zur Wahrung des Zentralstaates
betrachtet. Tatsächlich hat sie die Wochen vor ihrem
Amtsantritt zu intensiven Gesprächen mit Offizieren genutzt,
offensichtlich, um sich ihres Rückhalts zu versichern. An die
Macht gelangt, hofiert sie nun das Militär und läßt sich, vor
allem nach dem 11. September 2001, ganz auf dessen
»nationale Sicherheitsdoktrin« ein. Als Garant dafür steht
Generalleutnant Hendropriyono, der als Chef des Nationalen
Sicherheitsdienstes und Kabinettsmitglied eine strategisch
bedeutsame Position in der Regierung einnimmt. Im Gegensatz
zu ihrem Amtsvorgänger hält Megawati auch wenig von
regionaler Autonomie, wie sie seit Anfang 2001 gesetzlich
festgelegt ist. All das stimmt wenig optimistisch.
Erst wenige Wochen im Amt, wurde Megawati - zusätzlich zur
Lösung der wirtschaftlichen und sozialen Probleme - ein
politischer Spagat abverlangt. Einerseits ist Indonesien ein
enger Verbündeter Washingtons in Südostasien, zum anderen
haben verschiedene muslimische Organisationen im Lande,
darunter auch radikale mit Verankerung im Militär, die imperiale
Selbstherrlichkeit der USA und deren Kriegführung in
Afghanistan scharf kritisiert. In allen größeren Städten des
Landes kam es wiederholt zu gewalttätigen
Anti-USA-Demonstrationen und Protestkundgebungen vor der
britischen Botschaft. US-Botschafter Robert S. Gelbard
(mittlerweile von Ralph Boyce abgelöst, der zuvor im State
Department für asiatisch-pazifische Angelegenheiten
verantwortlich war) hatte zeitweilig gemeinsam mit anderen
Botschaftsangehörigen Jakarta aus Sicherheitsgründen
verlassen müssen.
Wenngleich Präsidentin Megawati bereits eine Woche nach
den Anschlägen in New York und Washington zur Staatsvisite
in den USA weilte, dort ihre Verbundenheit mit Amerika zum
Ausdruck brachte und Präsident Bush ihr Militärhilfe von gut
eine halbe Milliarde US-Dollar zusagte, muß sie um die
innenpolitische Stabilität bangen. Es sind nicht so sehr radikale
Organisationen - wie die Islamic Youth Movement (GPI), Islamic
Defenders Front (FPI), Laskar Jihad (Jihad Paramilitärische
Kraft), Laskar Pembela Islam (Paramilitärische Kraft zur
Verteidigung des Islam) und die Laskar Mujahidin Indonesia
(Paramilitärische Kraft der Indonesischen Heiligen Krieger) -,
die, vergleichsweise klein und ohne Massenverankerung, ein
Bedrohungspotential darstellen. Vielmehr ist es der politisch
gemäßigte, doch einflußreiche Rat der Ulema, der die
Präsidentin vor einer bedingungslosen Unterstützung des von
den USA verfolgten »antiterroristischen Feldzuges« warnt.
Dadurch nämlich würde nicht nur die eigene
Glaubensgemeinschaft in ihrer Ehre und Würde getroffen.
Überdies gerieten auch zahlreiche Netzwerke mildtätiger
islamischer Einrichtungen vorschnell in den Verdacht, als
»Unterstützerorganisationen des internationalen Terrorismus«
zu agieren.
Nicht ein sogenannter islamischer Fundamentalismus
gefährdet den Frieden. Das eigentliche Problem in
Südostasiens größtem und bevölkerungsreichstem Land ist die
Gestaltung einer demokratischen Gesellschaft nach über
dreißigjähriger Militärdiktatur und die geschichtliche
Aufarbeitung eines Staatsterrorismus, der seit 1965/66 seine
Blutspuren bei der »Befriedung« Osttimors, Acehs,
Westpapuas und in Maluku hinterließ.
Islam als prägende Kraft
Seit annähernd 1200 Jahren ist der Islam eine prägende Kraft
in dem südostasiatischen Inselreich, das heute das
Staatsgebiet der Republik Indonesien bildet. Muslimische
Händler aus Zentralasien und Indien siedelten sich zuerst in
den Hafenstädten Sumatras an, an dessen Nordspitze denn
auch um 1500 das Sultanat Aceh entstand. In dieser Region ist
der Islam am Tiefsten verwurzelt: Aceh ist die einzige Provinz,
in der das islamische Gesetz (Scharia) gilt.
Im Verlauf des 15. Jahrhunderts entstanden verschiedene
Sultanate in Nordborneo, Südsulawesi und in den Molukken.
Eine herausragende Stellung genoß das von den
seefahrenden Buginesen und Makassaren gegründete
muslimische Reich Malakka. Die Kontrolle des bereits damals
strategischen Seeweges der Malakka-Straße bedeutete
gleichzeitig ein Sprungbrett für den expandierenden Handel
mit China, Indien und dem Nahen Osten. Der Islam in
Indonesien ist vielfältig mit den traditionellen
Stammesreligionen sowie indo-javanischen
Glaubensvorstellungen verschmolzen. Begünstigt wurde dieser
Prozeß, weil die Islamisierung der Hauptinsel Java mit ihren
stark mystisch geprägten Lebensauffassungen durch den
gleichermaßen mystische Züge aufweisenden sunnitischen
Islam indischer Provenienz erfolgte.
Vor annähernd einem Jahrhundert formierten sich im Lande
verschiedene muslimische Organisationen, die sich auf jeweils
unterschiedliche Weise für das Wohlergehen der Gläubigen
einsetzten. Ein zentraler Punkt des Erneuerungsprogamms der
1912 gegründeten Muhammadiyah-Bewegung war die
Verbesserung der islamischen Bildungseinrichtungen. Es galt
eine muslimische Elite zu schaffen, die in der Lage war, als
ausgleichende Kraft gegenüber den westlich gebildeten
Repräsentanten des holländischen Kolonialsystems zu
fungieren. Naturwissenschaftliche Fächer wurden in das
traditionelle Bildungssystem integriert und eigene Schulen
(madrasa) eingerichtet, in denen Noten verteilt und
Abschlußzeugnisse ausgestellt wurden. Eine der wichtigsten
Neuerungen dieser Schulen war die Möglichkeit für Mädchen
und junge Frauen, eine Ausbildung zu erhalten. Nebst Schulen
gründete Muhammadiyah Moscheen, religiöse Stiftungen,
Waisenhäuser, Kliniken sowie eine Reihe von Zeitschriften, die
in den regionalen Sprachen gedruckt wurden. Zunehmend
verstand es diese Bewegung, Muslime aus verschiedenen
Landesteilen in einer Organisation zu vereinigen, die sich
außer für die Erneuerung des religiösen Lebens für sozialen
Fortschritt in den muslimischen Gemeinwesen engagierte.
Die Nahdlatul Ulama (NU), 1926 in einer Krisenatmosphäre
gegründet, da sich der traditionalistische Islam von
verschiedenen Seiten herausgefordert fühlte, verfolgte als
Hauptziel die Einheit aller Muslime. Sowohl der Einfluß des
Kommunismus, dessen Anhänger die Sarekat Islam (die 1912
entstandene Islamische Union) fast zehn Jahre lang in
Flügelkämpfe verstrickt hatten, als auch der Einfluß des
Nationalismus, der vor allem auf die junge westlich gebildete
Mittelschicht Faszination ausübte, rüttelten ihrer Ansicht nach
am überlieferten Glauben. Einer der Gründerväter der NU
beschrieb das Ziel der Organisation als konsensstiftend und
auf Ausgleich bedacht: »Unterschiede beilegen, Fanatismus
vermeiden und sich zusammenschließen«.
»Trotz vieler Versäumnisse«, schrieben S. Soebardi und C.P.
Woodcroft-Lee in ihrem 1982 erschienenen Buch »The
Crescent in the East - Islam in Asia Major«, »leisteten die
islamischen Bewegungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts
positive Beiträge zur Entwicklung ihrer Gemeinden. Sie
ermöglichten den indonesischen Muslimen einen Einblick in die
islamische Welt jenseits der Grenzen ihres eigenen Landes.
Durch die Verbesserung des Bildungssystems befähigten sie
die muslimischen Gemeinden, sich gegen die Kolonialmacht zur
Wehr zu setzen. Ihr größtes Verdienst war jedoch die
Schaffung eines nationalen Bewußtseins unter den Gläubigen
aus den verschiedenen Landesteilen, was maßgeblich zum
Erfolg im Kampf um die Unabhängigkeit beitrug.«
Sowohl unter Sukarno als auch unter Suharto blieb der
politische Einfluß islamischer Parteien gering. Sukarno verbot
gar in den 50er Jahren die Masyumi-Partei, während Suharto
später kontrolliert muslimische Organisationen - darunter die
moderate, aus vier Parteien verschmolzene Vereinte
Entwicklungspartei (PPP) - zuließ und sie allesamt auf die
strikte Anerkennung von Pancasila, einer ideologisch
verbrämten Herrschaftsphilosophie, verpflichtete. Symbolische
Konzessionen bestanden darin, die Scharia in
Familienangelegenheiten und bei Erbschaftsregelungen
zuzulassen, sich nach erfolgter Pilgerreise nach Mekka (hajj)
den Vornamen »Muhammad« zulegen zu dürfen und
muslimischen Intellektuellen im Jahre 1990 eine nationale
Plattform in Gestalt der Indonesian Association of Muslim
Intellectuals (ICMI) zu verschaffen. Letztlich blieb ICMI eine
kontroverse Organisation, da sie kritische Geister politisch
kooptieren sollte. Ihr damaliges Führungsmitglied, der
Muhammadiyah-Chef Amien Rais, heute Vorsitzender der
Beratenden Volksversammlung, des höchsten legislativen
Organs, überwarf sich im Frühjahr 1997 mit Suharto und
dessen Technologieminister B.J. Habibie, als er wegen
regimekritischer Äußerungen seines Postens als Vorsitzender
des Expertenkuratoriums der ICMI enthoben wurde.
Radikale islamistische Gruppen wie beispielsweise Laskar Jihad
sind ein neues Phänomen. Fraglich bleibt, ob genuin religiöse
Elemente diese Gruppen inspirieren, oder es sich nicht
vielmehr um religiös drapierte Land- und Besitzprobleme
handelt, die als Folge der früheren Transmigrationspolitik
heute vielerorts virulent sind. Laskar Jihad, erst Anfang 2000 in
Erscheinung getreten, präsentiert sich als besonders
martialisch. Ihr 41jähriger Führer Ustadz Ja’far Umar Thalib,
Enkel eines jemenitischen Händlers und ausgebildet in Lahore
(Pakistan) mit kurzer Kampferfahrung in Afghanistan, brüstet
sich, über eine Gefolgschaft von mittlerweile 10000 Mann zu
verfügen. Erst vor wenigen Tagen wurde er inhaftiert. Seine
Truppe war maßgeblich an der Tötung von über 5000
Menschen auf Maluku (den Molukken) beteiligt. Dort schwebt
ihr eine »Christen-freie Provinz« vor, was nach erfolgreicher
Umsetzung auch in anderen Landesteilen realisiert werden
soll.
Aus: junge welt, 17. und 18. Mai 2002
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