Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Islam als prägende Kraft?

Islamischer Fundamentalismus und religiöse Konflikte in Indonesien

Aus einer Artikelserie, die Mitte Mai in der Tageszeitung junge welt in sechs Teilen erschien, dokumentieren wir im Folgenden zwei Teile, die sich in besonderer Weise mit der Rolle der Religionen, insbesondere des Islam, beschäftigen. Autor der Serie ist der Ostasien-Experte Rainer Werning, dessen Analysen häufig auch in anderen Zeitungen (z.B. Freitag, WoZ) erscheinen.


Schatten der Vergangenheit

»Auf der indonesischen Insel Sulawesi sind Tausende Christen auf der Flucht vor schwer bewaffneten militanten Mitgliedern der islamistischen Gruppe Laskar Jihad. Im Gebiet um Poso, einer Küstenstadt in der Provinz Mittelsulawesi, wurden Hunderte Häuser zerstört. Allein am letzten November-Wochenende wurden Dutzende getötet.« (Nach Meldungen von Associated Press & Jakarta Post am 30.11.01 und 1.12.01)

Auch als indonesische Vizepräsidentin unter Abdurrahman Wahid blieb die seit Sommer 2001 amtierende Präsidentin Megawati Sukarnoputri unauffällig. Enge Vertraute von Megawati haben auf deren traumatische Erlebnisse im Zuge der Absetzung ihres Vaters in den Jahren 1965/66 verwiesen und hervorgehoben, daß sie auf keinen Fall riskieren will, zu den Militärs auf Konfrontationskurs zu gehen. Sie selbst hat auch nie einen Hehl daraus gemacht, daß sie das Militär als notwendiges Instrument zur Wahrung des Zentralstaates betrachtet. Tatsächlich hat sie die Wochen vor ihrem Amtsantritt zu intensiven Gesprächen mit Offizieren genutzt, offensichtlich, um sich ihres Rückhalts zu versichern. An die Macht gelangt, hofiert sie nun das Militär und läßt sich, vor allem nach dem 11. September 2001, ganz auf dessen »nationale Sicherheitsdoktrin« ein. Als Garant dafür steht Generalleutnant Hendropriyono, der als Chef des Nationalen Sicherheitsdienstes und Kabinettsmitglied eine strategisch bedeutsame Position in der Regierung einnimmt. Im Gegensatz zu ihrem Amtsvorgänger hält Megawati auch wenig von regionaler Autonomie, wie sie seit Anfang 2001 gesetzlich festgelegt ist. All das stimmt wenig optimistisch.

Erst wenige Wochen im Amt, wurde Megawati - zusätzlich zur Lösung der wirtschaftlichen und sozialen Probleme - ein politischer Spagat abverlangt. Einerseits ist Indonesien ein enger Verbündeter Washingtons in Südostasien, zum anderen haben verschiedene muslimische Organisationen im Lande, darunter auch radikale mit Verankerung im Militär, die imperiale Selbstherrlichkeit der USA und deren Kriegführung in Afghanistan scharf kritisiert. In allen größeren Städten des Landes kam es wiederholt zu gewalttätigen Anti-USA-Demonstrationen und Protestkundgebungen vor der britischen Botschaft. US-Botschafter Robert S. Gelbard (mittlerweile von Ralph Boyce abgelöst, der zuvor im State Department für asiatisch-pazifische Angelegenheiten verantwortlich war) hatte zeitweilig gemeinsam mit anderen Botschaftsangehörigen Jakarta aus Sicherheitsgründen verlassen müssen.

Wenngleich Präsidentin Megawati bereits eine Woche nach den Anschlägen in New York und Washington zur Staatsvisite in den USA weilte, dort ihre Verbundenheit mit Amerika zum Ausdruck brachte und Präsident Bush ihr Militärhilfe von gut eine halbe Milliarde US-Dollar zusagte, muß sie um die innenpolitische Stabilität bangen. Es sind nicht so sehr radikale Organisationen - wie die Islamic Youth Movement (GPI), Islamic Defenders Front (FPI), Laskar Jihad (Jihad Paramilitärische Kraft), Laskar Pembela Islam (Paramilitärische Kraft zur Verteidigung des Islam) und die Laskar Mujahidin Indonesia (Paramilitärische Kraft der Indonesischen Heiligen Krieger) -, die, vergleichsweise klein und ohne Massenverankerung, ein Bedrohungspotential darstellen. Vielmehr ist es der politisch gemäßigte, doch einflußreiche Rat der Ulema, der die Präsidentin vor einer bedingungslosen Unterstützung des von den USA verfolgten »antiterroristischen Feldzuges« warnt. Dadurch nämlich würde nicht nur die eigene Glaubensgemeinschaft in ihrer Ehre und Würde getroffen. Überdies gerieten auch zahlreiche Netzwerke mildtätiger islamischer Einrichtungen vorschnell in den Verdacht, als »Unterstützerorganisationen des internationalen Terrorismus« zu agieren.

Nicht ein sogenannter islamischer Fundamentalismus gefährdet den Frieden. Das eigentliche Problem in Südostasiens größtem und bevölkerungsreichstem Land ist die Gestaltung einer demokratischen Gesellschaft nach über dreißigjähriger Militärdiktatur und die geschichtliche Aufarbeitung eines Staatsterrorismus, der seit 1965/66 seine Blutspuren bei der »Befriedung« Osttimors, Acehs, Westpapuas und in Maluku hinterließ.

Islam als prägende Kraft

Seit annähernd 1200 Jahren ist der Islam eine prägende Kraft in dem südostasiatischen Inselreich, das heute das Staatsgebiet der Republik Indonesien bildet. Muslimische Händler aus Zentralasien und Indien siedelten sich zuerst in den Hafenstädten Sumatras an, an dessen Nordspitze denn auch um 1500 das Sultanat Aceh entstand. In dieser Region ist der Islam am Tiefsten verwurzelt: Aceh ist die einzige Provinz, in der das islamische Gesetz (Scharia) gilt.

Im Verlauf des 15. Jahrhunderts entstanden verschiedene Sultanate in Nordborneo, Südsulawesi und in den Molukken. Eine herausragende Stellung genoß das von den seefahrenden Buginesen und Makassaren gegründete muslimische Reich Malakka. Die Kontrolle des bereits damals strategischen Seeweges der Malakka-Straße bedeutete gleichzeitig ein Sprungbrett für den expandierenden Handel mit China, Indien und dem Nahen Osten. Der Islam in Indonesien ist vielfältig mit den traditionellen Stammesreligionen sowie indo-javanischen Glaubensvorstellungen verschmolzen. Begünstigt wurde dieser Prozeß, weil die Islamisierung der Hauptinsel Java mit ihren stark mystisch geprägten Lebensauffassungen durch den gleichermaßen mystische Züge aufweisenden sunnitischen Islam indischer Provenienz erfolgte.

Vor annähernd einem Jahrhundert formierten sich im Lande verschiedene muslimische Organisationen, die sich auf jeweils unterschiedliche Weise für das Wohlergehen der Gläubigen einsetzten. Ein zentraler Punkt des Erneuerungsprogamms der 1912 gegründeten Muhammadiyah-Bewegung war die Verbesserung der islamischen Bildungseinrichtungen. Es galt eine muslimische Elite zu schaffen, die in der Lage war, als ausgleichende Kraft gegenüber den westlich gebildeten Repräsentanten des holländischen Kolonialsystems zu fungieren. Naturwissenschaftliche Fächer wurden in das traditionelle Bildungssystem integriert und eigene Schulen (madrasa) eingerichtet, in denen Noten verteilt und Abschlußzeugnisse ausgestellt wurden. Eine der wichtigsten Neuerungen dieser Schulen war die Möglichkeit für Mädchen und junge Frauen, eine Ausbildung zu erhalten. Nebst Schulen gründete Muhammadiyah Moscheen, religiöse Stiftungen, Waisenhäuser, Kliniken sowie eine Reihe von Zeitschriften, die in den regionalen Sprachen gedruckt wurden. Zunehmend verstand es diese Bewegung, Muslime aus verschiedenen Landesteilen in einer Organisation zu vereinigen, die sich außer für die Erneuerung des religiösen Lebens für sozialen Fortschritt in den muslimischen Gemeinwesen engagierte.

Die Nahdlatul Ulama (NU), 1926 in einer Krisenatmosphäre gegründet, da sich der traditionalistische Islam von verschiedenen Seiten herausgefordert fühlte, verfolgte als Hauptziel die Einheit aller Muslime. Sowohl der Einfluß des Kommunismus, dessen Anhänger die Sarekat Islam (die 1912 entstandene Islamische Union) fast zehn Jahre lang in Flügelkämpfe verstrickt hatten, als auch der Einfluß des Nationalismus, der vor allem auf die junge westlich gebildete Mittelschicht Faszination ausübte, rüttelten ihrer Ansicht nach am überlieferten Glauben. Einer der Gründerväter der NU beschrieb das Ziel der Organisation als konsensstiftend und auf Ausgleich bedacht: »Unterschiede beilegen, Fanatismus vermeiden und sich zusammenschließen«.

»Trotz vieler Versäumnisse«, schrieben S. Soebardi und C.P. Woodcroft-Lee in ihrem 1982 erschienenen Buch »The Crescent in the East - Islam in Asia Major«, »leisteten die islamischen Bewegungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts positive Beiträge zur Entwicklung ihrer Gemeinden. Sie ermöglichten den indonesischen Muslimen einen Einblick in die islamische Welt jenseits der Grenzen ihres eigenen Landes. Durch die Verbesserung des Bildungssystems befähigten sie die muslimischen Gemeinden, sich gegen die Kolonialmacht zur Wehr zu setzen. Ihr größtes Verdienst war jedoch die Schaffung eines nationalen Bewußtseins unter den Gläubigen aus den verschiedenen Landesteilen, was maßgeblich zum Erfolg im Kampf um die Unabhängigkeit beitrug.«

Sowohl unter Sukarno als auch unter Suharto blieb der politische Einfluß islamischer Parteien gering. Sukarno verbot gar in den 50er Jahren die Masyumi-Partei, während Suharto später kontrolliert muslimische Organisationen - darunter die moderate, aus vier Parteien verschmolzene Vereinte Entwicklungspartei (PPP) - zuließ und sie allesamt auf die strikte Anerkennung von Pancasila, einer ideologisch verbrämten Herrschaftsphilosophie, verpflichtete. Symbolische Konzessionen bestanden darin, die Scharia in Familienangelegenheiten und bei Erbschaftsregelungen zuzulassen, sich nach erfolgter Pilgerreise nach Mekka (hajj) den Vornamen »Muhammad« zulegen zu dürfen und muslimischen Intellektuellen im Jahre 1990 eine nationale Plattform in Gestalt der Indonesian Association of Muslim Intellectuals (ICMI) zu verschaffen. Letztlich blieb ICMI eine kontroverse Organisation, da sie kritische Geister politisch kooptieren sollte. Ihr damaliges Führungsmitglied, der Muhammadiyah-Chef Amien Rais, heute Vorsitzender der Beratenden Volksversammlung, des höchsten legislativen Organs, überwarf sich im Frühjahr 1997 mit Suharto und dessen Technologieminister B.J. Habibie, als er wegen regimekritischer Äußerungen seines Postens als Vorsitzender des Expertenkuratoriums der ICMI enthoben wurde.

Radikale islamistische Gruppen wie beispielsweise Laskar Jihad sind ein neues Phänomen. Fraglich bleibt, ob genuin religiöse Elemente diese Gruppen inspirieren, oder es sich nicht vielmehr um religiös drapierte Land- und Besitzprobleme handelt, die als Folge der früheren Transmigrationspolitik heute vielerorts virulent sind. Laskar Jihad, erst Anfang 2000 in Erscheinung getreten, präsentiert sich als besonders martialisch. Ihr 41jähriger Führer Ustadz Ja’far Umar Thalib, Enkel eines jemenitischen Händlers und ausgebildet in Lahore (Pakistan) mit kurzer Kampferfahrung in Afghanistan, brüstet sich, über eine Gefolgschaft von mittlerweile 10000 Mann zu verfügen. Erst vor wenigen Tagen wurde er inhaftiert. Seine Truppe war maßgeblich an der Tötung von über 5000 Menschen auf Maluku (den Molukken) beteiligt. Dort schwebt ihr eine »Christen-freie Provinz« vor, was nach erfolgreicher Umsetzung auch in anderen Landesteilen realisiert werden soll.

Aus: junge welt, 17. und 18. Mai 2002


Zurück zur Indonesien-Seite

Zur Themenseite "Islam"

Zurück zur Homepage