Indonesien: Ein Jahr Wahid - eine magere Bilanz
Reformen stocken - Suharto-Clan unantastbar. Ein Bericht von Daniel Kestenholz
Die Hamburger Tageszeitung "Die Welt" veröffentlichte am 21. Oktober 2000 einen Bericht von Daniel Kestenholz über die Entwicklung in Indonesien seit dem Amtsantritt von Präsident Wahid. Danach liegt vieles noch im Argen: Weder kann von einer demokratischen Erneuerung des Landes, noch von einer Stabilisierung der angeschlagenen Wirtschaft, noch von einer Beruhigung an den Autonomie- und Sezessionsfronten die Rede sein. Vor allem scheint - der geplatzte Prozess gegen Suharto zeigt das - eine tatsächliche Entmachtung der Nutznießer des alten Regimes kaum zu gelingen.
Indonesiens für seine nonchalante Art bekannter Präsident Abdurrahman Wahid ist ein Jahr im Amt. Nach drei Jahrzehnten Suharto-Regime hatte das Volk den Moslemführer als Retter begrüßt und gelacht, wenn Wahid wieder Späße machte. Doch mittlerweile ist seinen Landsleuten das Lachen vergangen. Die hart errungenen Reformen stocken. Die Indonesier zweifeln, ob der Regierungschef tatsächlich mit den Grundübeln des Landes aufräumen will - mit Korruption und Nepotismus. Wahid platzierte Vertraute an Schlüsselposten - etwa als neuen Finanzminister seinen langjährigen Freund Prijadi Praptosuhardjo, der vor einem Jahr eine Staatsbank übernehmen sollte, doch in den Augen der Zentralbank zu wenig kompetent war.
Hauptverdienst Wahids bleibt, dass er Indonesien vor einem Militärputsch bewahrte und sich die Lage nicht verschlimmerte. So wurden Indonesien bei einer Geberkonferenz in dieser Woche in Japan 5,33 Milliarden US-Dollar Hilfsgelder zugesagt - im Gegenzug für ständig gebrochene, wiederholte Versprechen, dass Indonesien endlich seine Wirtschaft reformiere, Westtimor von den Milizen säubere und eine Rechtsgrundlage für Investitionen schaffe. Den Geberländern blieb keine Wahl. Das Geld wird irgendwo in Jakarta versickern. Doch die Angst ist groß, dass Wahids Regierung ohne Hilfsgelder einen Zusammenbruch auslösen würde, der die Region erschüttert.
Wahids weiteres Verdienst ist die Schwächung der Generäle, die unter Suharto als Staat im Staat galten. Doch das macht Wahid zum unkontrollierbaren Hauptakteur mit einer widersprüchlichen Politik, die den Finanzmarkt verwirrt und Abgeordnete verzweifeln lässt. Doch Kritik an Wahid ist schwierig anzubringen. Im ersten Amtsjahr bereiste der wegen Schlaganfällen behinderte 60-Jährige über 50 Länder. Ist er wieder in Jakarta, verweigert er dann beispielsweise die Aufforderung, wegen zwei Finanzskandalen vor dem Parlament auszusagen.
Wahid, der bei öffentlichen Auftritten regelmäßig einnickt, hatte beim Amtsantritt hochmütig versprochen, er kenne die Acehnesen, er werde die Gewalt in der Rebellenprovinz Aceh ebenso beenden wie im abtrünnigen Irian Jaya und auf den Molukken. Doch Tausende sind seit letztem Oktober gestorben, rund eine Million Menschen sind auf der Flucht, und immer mehr Leute nehmen das Recht in die eigene Hand. Sie lynchen etwa Diebe, ohne dass die Polizei eingreift. Dass Milizionäre Anfang September in Westtimor drei UN-Angestellte gelyncht hatten, erfuhr der überraschte Wahid von UN-Generalsekretär Kofi Annan persönlich, als dieser beim Millennium-Gipfel eine Gedenkminute für die Opfer einlegte.
Kritiker rechnen Wahid an, dass mit der unter Suharto institutionalisierten Veruntreuuung von Geldern nicht einfach aufzuräumen ist. Doch Streit im Kabinett, ins Stocken geratene Reformen und widersprüchliche Äußerungen Wahids haben Kontroversen geschaffen, deren Hauptopfer Indonesiens arme Massen sind, die nichts vom versprochenen Wirtschaftsaufschwung spüren.
Das Volk erwartet eine Bestrafung des Suharto-Clans, der sich aber dank eines Heeres von Anwälten als unantastbar erweist. Dass Wahid im Geheimen jüngst Suhartos Sohn Tommy getroffen hat, den er zuvor als Drahtzieher hinter einer Reihe von Bombenanschlägen bezichtigte, das brachte selbst den Rhetorikkünstler Wahid in Verlegenheit.
Proteste, Streiks, Sternfahrten und Razzien sind in Jakarta zur Regel geworden. "Die Hoffnungen vor einem Jahr waren zu hoch", sagt der Politologe Salim Said. "Uns geht es nicht besser als letztes Jahr."
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